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Das Mädchen mit dem Rosenkranz

Zog einst ein pilgernder Mönch durchs stürmische Grauen
Einer wolkigen Herbstnacht, mondscheindurchhellt.
Hatte nie eine Frau berührt, aber dachte an Frauen,
Betete heiß sich zu Gott hin, doch dachte der Welt.
Sehnte die Welt, doch betete glühend um Frieden.
Müde brach er am Weg in die Knie und schrie: »Herr Christ!«
Da, am Buschrand drüben, weltabgeschieden
Blickt ein Kapellchen her, das erleuchtet ist.
Staunend betritt er's. – Der Altar flimmert von Kerzen,
Um die Empore zieht sich ein Lichterband.
Lichtlein wehn im Gestühl. Mit klopfendem Herzen
Nimmt er ein graues Gemälde wahr an der grauen Wand.
Wandernde Leute, Kerzen, die nebeltrüb brennen.
Frauen und Männer, ein Zug, gleichviel Elend wie Glück.
Greise und Kinder, keins der Gesichter zu kennen,
Nur die zwei letzten im Zuge schauen zurück.
Mädchen, die bleichen Gesichter ähnelnd geschnitten.
Da, ein Luftzug vom Tor, aufflackernder Glanz.
In die Kapelle mit schönen, schwebenden Schritten
kommt ein Mädchen, im Haar einen Rosenkranz.
Nimmt den Gang nach dem Wandbild; aber da stocken
Vor dem Mann ihre Schritte. Sie sehn sich an,
Und erglühend unter den goldenen Locken
Senkt sie schmerzvoll die Stirn vor dem fremden Mann.
Ihre Lippen glühn unter seinen Gluten
Wie ein tauender Bergstrom steigt beider Gefühl.
Tage, Wochen legen sich in Minuten
Ihm zur Seite schmiegt sie sich ins Gestühl.
Ringsum singt und klingt es wie wunderbare
Süßeste Chöre, preisend die höchste Macht,
Und sie reicht den Kranz ihm aus ihrem Haare.

Da durchzittert ein Rufen die kalte Nacht. –
Ihre Lippen zucken von Überwinden.
»Wehe! sie winken!« flüstert sie, »ich muß gehn!« – –

Und er steht sie in jenem Bild verschwinden.

Grauer Morgen weckt ihn und Windeswehn.
Angst und Schrecken umstehn ihn wie finstere Berge,
Spinnen weben – es muldert Moderlust. – –
Wo er hinblickt im Räume: Särge, – Särge! –
Weh! er hat geschlafen in einer Gruft!
Dämmernd öffnet sich eine Tür ins Freie,
Männer treten mit schwerem Schritt herein.
In der Särge nun fest geschlossene Reihe
Setzen sie einen langen und schmalen Schrein.
Flüsternd fragt er, mit wirren, fiebernden Sinnen – –
Ja, es wäre ein Mädchen im Jugendglanz!
Und sie läge im Sarge in weißem Linnen!
Blond von Locken, im Haar einen Rosenkranz!

Und der Mönch kam am nächsten Abend vom Grauen
Stürmischen Wegs in sein Kloster, das groß erhellt,
Beichtete überwundenes Sehnen nach Küssen von Frauen,
Ging zu Gott ein, nun ganz, ging ganz aus der Welt.
Lebte ein Leben der Tat, voll verschwiegener Trauer,
Diente den Ärmsten der Armen, heiter und mild,
Sanft wie ein Greis, so jung er noch war. – Ein Schauer,
Den er nicht faßte, hatte sein Herz gestillt.

*

 


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