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Der Lichtertanz

Das Thüringer Tanzvolk tollte so laut.
Nun steht es auf einmal mauerstumm.
Am stillsten stehn Bräutigam und Braut.
Der Lichterbursch tanzt mit den Lichtern herum,
Mit den Lebenslichtern von Frau und Mann. –
Alle Blicke sind auf den Tänzer gespannt.
Hoch flammen die Kerzen. Es kommt darauf an,
Daß keine erlischt, eh' sie niedergebrannt.
Mit je größerem Geschick, mit je wilderem Schwunge
Er tanzt, um so mehr gibt's dem Burschen Glanz.
Irgend ein straffer lediger Junge,
Der kein Mädel hat, tanzt wie üblich den Tanz.
Just-Heinrich heute. – Man weiß, daß vor Jahren
Die heutige Braut dessen Mädel war.
Um den reichen Müller ließ sie ihn fahren.

Der Tanzbursch verneigt sich vorm Hochzeitspaar
Nach dem ersten Umtanz voll Hopser und Schleifer,
So toll und gewandt, wie ihn keiner sah.

Mit den ruhigen Lichtern steht er in steifer,
Baumgrader Haltung nun ernsthaft da.
Ein funkelnder Ausdruck, ein herrender, stolzer,
Macht ihm die blaugrauen Augen weit.
Er ist nicht umsonst der wuchtigste Holzer,
Der rasendste Klettrer zur Zapfenzeit.

»Wie ich will, so geschieht's diesen beiden Flammen!«
Sagt der Blick, der der Braut ins Auge blickt,
So axtscharf, daß sie zu Tod erschrickt.
Ins Herz getroffen, zuckt sie zusammen.
Der Lichterbursch spitzt die Lippen nur eben.
Da schrie sie um Haarbreite laut heraus:
»Er bläst meines Mannes Kerze aus!
Er steht meinem Manne nach seinem Leben!« –

Eine Scham durchfährt sie, wie sie einst heiter,
Wie sie einst traut zu Just-Heinrich stand.

Da tanzt der Lichterbursch aber schon weiter,
Eine strahlende Kerze in jeder Hand.
Die Blicke voll spöttisch-kühlem Verschmerzen,
Daß solch ein Ding ihm die Treue brach.
Als brodle der Mühlbach in ihrem Herzen,
So aufgeregt sieht ihm die Annlies nach.
Es fällt ihr was ein, – wie die liebe Sonne
Durchs Walddach einfällt am frühen Tag.
O, nicht denken an die heimelnde Wonne,
Mit der sie ihm einstmals im Arme lag!
Wie der stille Bergbach ins Funkengetriebe
Des Mühlrad's, so hat sie zu ihm gemüßt.
Der war ein Gewitzigter in der Liebe!
Wie einer küssen kann, hat der geküßt!
Wie einen Erfrornen hat's den umhaucht,
Wenn sie wankelmütig ihn einmal kränkte.
All die kleinen Sachen, die er ihr schenkte,
Waren wie in Herzliebe getaucht.
Ja förmlich ins Blut von dem kühnen Manne,
Dem Waghals, dem an Schonung nichts lag!

Sie sieht ihn noch in der höchsten Tanne
Beim Zapfenbrechen am letzten Tag,
Dem ältesten Baum unterm Inselberggipfel
– Wenn sie zurückdenkt, erträgt sie's kaum! –
Aus dem in Schaukeln versetzten Wipfel
Sprang er hinüber zum nächsten Baum!
So von Baum zu Baum – durch die ganze Reihe,
Als wenn das auch nur ein Tanzen wär'!

Am nächsten Tage ging's zum Militär.
Er kaufte die Ringe erst noch für sie zweie.
Echtgoldne, als hab' ihm ein los gewonnen,
Als ob ein Zehntalerschein gar nichts sei.

Als er fort war, hat sie sich erst besonnen,
Was das hieße in seiner Armutei.

Es ward alles anders; trüber und trüber
Hat sie in die Zukunft geblickt.

Der Müller ging damals schon immer vorüber.
Die Mutter hat ihm schon zugenickt.

Die Mutter blies ihr Feuer zu Kühle
Und schürte ein neues, damit es verging.

Sie nahm den Müller und seine Mühle
Für den hohen Wald und den Liebesring.

Ohne Liebe hat sie die Treue gebrochen
In müder Stunde auf feigen Rat.

Und heute hat sie ihr Ja gesprochen
In voller Kirche, in seidnem Staat.

Eine Angst durchzittert die feine Blonde,
Eine schluchzende Angst vor dem derben Mann.

Der Lichterbursch tritt nach der zweiten Ronde
Jetzt heiß vom Tanz an das Brautpaar heran.
Die Lichter zur Hälfte verbrannt. – Wie ragend,
Wie groß, wie fremd er vor Annlies steht!
Die durchzuckt auf einmal ein böses Gebet.
Sie blickt den Tanzburschen an wie fragend.
Gedanken wie Schaum und wilder Gischt
Fluten zu ihm in beredtem Schweigen.
»Mein Mann ist alt. Wenn sein Licht erlischt,
Würdest du dann noch einmal mein eigen?
Ich folg' ihm gezwungen, dem reichen Mann.
Meine Liebe gehört einem waldschlanken Manne!«

Aus einer Höhe sieht er sie an,
höher als aus der Inselbergtanne.
Sein Blick ist wie Eis, bergweit entrückt.
Sie durchwühlt's. Jetzt zertrat er sein letztes Lieben!
Jetzt hat er den letzten Funken zerdrückt,
Der ihm vom großen Brande geblieben!

›Nie wieder hör' ich ein heißes Wort!
Nie wird mir ein zärtliches Flüstern tönen!‹

Der Lichterbursch tanzt wie rasend fort.
Rauschend beginnt die Musik zu dröhnen.
Wie er tanzt! Ach, noch einmal, ein einziges Mal
So zu tanzen, mit einem Rösel sich schmücken,
Eintauchen in seiner Augen Strahl,
Seine kräftige, führende Hand im Rücken!
Noch einmal so tanzen, – und dann verderben!
Tanzen! Tanzen! Dann Grabesruh!
Sterben, Sterben! – –

Alle jauchzen dem Lichterburschen zu.
Sein Tanz ist bald Wirbeln, bald Stampfen, bald Schweben.
Einen schleifenden Walzer spielen sie jetzt,
Dann den rasendsten Kutscher. – Ruhig und eben
Hält er die Flammen, – unverletzt.

Der Saal hallt voll dröhnender, jauchzender Scherze.
Die Braut ist wie wächsern. Heiß gespannt
Blickt sie jetzt nur noch auf ihre Kerze.
O, könnt' sie sie löschen mit rascher Hand!

Doch die beiden Dochte brennen hernieder,
Beide Kerzen bis auf den letzten Stumpf!
Ein Tusch tönt zu Just-Heinrichs Triumph.
Die Musici spielen Thüringer Lieder.
»Ach wie ist's möglich dann!« schmettert ein Singen.

Der Lichterbursch neigt sich auf herrische Art.
Sein blaugrauer Blick scheint die Braut zu durchdringen:
»Es wird dir keine Stunde erspart!«

*

 


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