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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Das Geheimnis des Kapitäns

Die nächsten Tage vergingen in fürchterlicher Eintönigkeit und langer Weile, besonders für meine arme Gefährtin. Sie wußte gar nichts mit sich anzufangen, wenn ich mich ihr, während meiner Messungen und Eintragungen ins Logbuch, nicht widmen konnte. Bei den letzteren hatte ich meinen Spaß an dem Kapitän, der meine Handschrift nicht genug bewundern konnte und sie wie ein Gemälde betrachtete.

Ja, ja, seufzte er einmal, es ist ein eigen Ding mit der Erziehung. Wie anders sieht das Buch jetzt aus im Vergleich mit den Krähenfüßen von Chickens und mir. Aber sehen Sie, wir beide wurden auf derselben Hochschule – nämlich dem Vorderkastell des Schiffes – erzogen, und da nahm man es mit der Schrift und Rechtschreibung nicht so genau. Ich bin erstaunt, daß ich überhaupt schreiben kann.

Im übrigen saß er, während ich arbeitete, still und in tiefes Sinnen verloren mir gegenüber. Ja selbst beim Mittagessen tat er kaum noch den Mund auf; er war immer in Gedanken und bewegte sich auch auf Deck nur mit tief gebeugtem Kopf, die Hände auf dem Rücken. Sein Wesen machte einen so wunderlichen Eindruck, daß wir uns in allerhand Vermutungen ergingen, was in aller Welt er so unausgesetzt zu überlegen haben könnte. Schließlich waren wir fest überzeugt, daß er ein Geheimnis auf dem Gewissen haben müßte.

Eines Tages wurde sein Gebaren noch auffälliger; da stand er öfter an der Reling, focht mit den Händen in der Luft herum und sprach mit sich selbst. Zwischendurch drehte er sich plötzlich scheu um, als wäre er sich bewußt geworden, daß er laut gesprochen hatte, und rannte dann unruhig hin und her. Das ging so mit geringen Unterbrechungen den ganzen Tag hindurch, kaum daß er einmal irgend eine Anordnung traf, die Segelstellung etwas ändern ließ oder nach dem Kurs sah. Zu uns hatte er noch kein Wort gesprochen, war auch nicht zu Tisch erschienen. Wir wußten absolut nicht mehr, was wir denken sollten, und beobachteten ihn nur ängstlich und verstohlen. Jeden Augenblick befürchteten wir einen Wahnsinnsausbruch.

Endlich, abends gegen 6 Uhr, schien er ruhiger geworden zu sein.

Wir saßen schon lange Zeit unter dem Sonnendach, und er stand schon wenigstens zwanzig Minuten, mit verschränkten Armen, bei dem Mann am Rade. Jedesmal aber, wenn wir nach ihm hin schielten, begegneten wir seinem unausgesetzt auf uns gerichteten brennenden Blick, so daß Fräulein Temple mir endlich zuflüsterte: Dieses Anstarren ist ja unausstehlich! Kommen Sie, wir wollen etwas umherwandeln.

Im selben Augenblick, wo wir uns erhoben, kam er aber auf uns zu und sagte zu mir:

Bitte, ich möchte Sie in meiner Kajüte sprechen.

Die Art, wie er das sagte, erschreckte mich. Seine Miene hatte etwas, wie wenn er einen Entschluß gefaßt hätte, vor dem seine Natur zurückbebte. Ich schwankte einen Moment, denn wenn ich auch stark war, erschien es mir doch mißlich, mich unbewaffnet mit einem Mann einzuschließen, dessen kranker Geisteszustand noch nie so auffällig hervorgetreten war, wie jetzt. Ich schüttelte jedoch alle Furcht gleich wieder ab, weil ich mir sagte, daß ich ihm an Kraft jedenfalls überlegen wäre und nur auf meiner Hut zu sein brauchte.

Ich erklärte mich also bereit, seinem Wunsch nachzukommen.

Er schritt voran, und ich folgte ihm. Fräulein Temple begleitete mich bis zur Treppe und raunte mir zu:

Um Gotteswillen, nehmen Sie sich in acht, wer weiß, was er im Schilde führt.

Ich zuckte die Achseln und lächelte beruhigend: Haben Sie keine Sorge.

Gleich darauf betrat ich die Kajüte des Kapitäns.

Bitte, nehmen Sie Platz, lud er mich ein, während er seinen Strohhut in eine Ecke schleuderte, sich den Schweiß vom Gesicht wischte und dann mit über der Brust verschränkten Armen sich mir gegenüberstellte.

Nun, Kapitän, was wünschen Sie, begann ich leichthin, obwohl mir durchaus nicht wohl zumute war, als er mich unter seinen buschigen Brauen hervor wie eine zum Sprunge bereite Katze fixierte. Wollen Sie mich wieder einem Seefahrtsexamen unterwerfen?

Da hob er endlich langsam und bedächtig an:

Herr Dugdale. – Nach langem Hin- und Herdenken und vielen Erwägungen, Tag und Nacht, bin ich zu der Ueberzeugung gelangt, daß Sie ein ehrlich denkender Mann – ganz der Mann sind, der mir und damit gleichzeitig sich selbst dienen kann. Ich. habe deshalb den Entschluß gefaßt, Sie zu meinem Vertrauten zu machen. Hören Sie also, was ich gesonnen bin, Ihnen mitzuteilen.

Er machte eine Pause, während welcher er sich dicht zu mir setzte. Dann begann er:

Es war im Jahre 1831, daß ich als dritter Maat an Bord des »Seekönigs« von London nach Callao segelte. Alles ging glatt bis zum Kap Horn, wo das Schiff durch die Unachtsamkeit eines Schiffsjungen in Brand geriet. Die Ladung bestand aus sehr entzündbaren Stoffen, und trotz aller Löschversuche stand das Schiff in weniger als zwei Stunden vom Vordersteven bis zum Stern in Flammen. Wir retteten uns in die beiden einzigen vorhandenen Boote – ein Langboot und eine Jolle. In das erstere stieg der Kapitän mit dem zweiten Maat und dem größten Teil der Mannschaft; die Jolle nahm den ersten Maat, namens Ruddiman, zwei Matrosen, zwei Schiffsjungen und mich auf. Unser kleines Fahrzeug war, weil es nicht viel fassen konnte, mit Wasser und Lebensmitteln spärlich versehen und sollte sich deshalb immer in der Nähe des Langboots halten. Bald aber zeigte es sich, daß das unmöglich war, und das Langboot nahm uns ins Schlepptau. Gegen Abend wurde die See so unruhig, daß das Tau riß.

Am nächsten Morgen sahen wir uns allein. Vom Langboot war keine Spur mehr zu entdecken.

Er hielt inne, sprang auf und fuhr, die Arme schränkend und die Augen starr vor sich hin gerichtet, fort:

Es fing an, heftig aus Südost zu wehen. Wir verloren bei der schweren See alle Gewalt über das Boot und mußten vor dem Winde herlaufen. Das ging so drei Tage; danach befiel uns Windstille. Wir lagen fest und rösteten unter der brennenden Sonne ohne Wasser und ohne andere Nahrung, als einige Zwiebackreste, die in dem sie enthaltenden Beutel vom Gischt durchweicht und brandsalzig waren. Ein Schiffsjunge wurde wahnsinnig und sprang über Bord; ihn zu retten waren wir zu schwach. Es war wohl auch keiner unter uns, der nicht gedacht hätte, wie gut der es nun hatte im kühlen Wasser, ohne Hunger und Durst. Der andere Schiffsjunge starb bald darauf bei einem Anfall von Erbrechen. Stumpfsinnig schoben wir seine Leiche wie ein Stück Holz über Bord. Als wieder ein neuer Tag anbrach, lag der eine Matrose tot auf dem Boden des Bootes. Auch ihn warfen wir einfach ins Wasser. Der andere lebte noch drei Tage; seine Leiche blieb liegen. Ruddiman und ich hatten in unseren Armen nicht mehr die Kraft eines jungen Kätzchens. Es war uns sogar ganz gleichgültig, als wieder eine Brise einsetzte. Teilnahmslos ließen wir das Boot von Wind und Wellen treiben und warteten auf den Tod. Am selben Nachmittage hatte ich das Gefühl, meine letzte Stunde wäre endlich gekommen. Von da ab weiß ich aus eigener Anschauung nicht mehr, was geschehen.

Als ich meine Augen aufschlug, befand ich mich in einer Hängematte im Zwischendeck eines Schiffes. Es war ein kleines spanisches Schiff namens »Rosario«, das sein Kurs ganz in die Nähe unseres Bootes geführt und dem Ruddiman mit seiner letzten Kraft ein Zeichen mit seinem Taschentuch gegeben hatte. Keine Seele an Bord sprach auch nur eine Silbe englisch, und weder Ruddiman noch ich verstanden ein Wort spanisch. Wir verständigten uns mit der Mannschaft nur notdürftig durch Zeichen, als wären wir unter Wilde verschlagen, und erhielten selten eine andere Antwort als Kopfschütteln, Grinsen oder Achselzucken.

Nachdem wir etwa vierzehn Tage an Bord der Brigantine gewesen waren, wurde sie eines Nachts unversehens von einer starken Bö gefaßt. Die Bemannung war zahlreich, die erbärmlichen Kerle verloren aber so den Kopf, daß sie sich beim Bergen der Segel einander in den Weg kamen, infolgedessen der Großmast über Bord ging, den Topp des Fockmastes mitnahm und Bugspriet nebst Klüverbaum zertrümmerte. Nun war es ganz aus mit der Besinnung. Keiner dachte daran, das Schiff von den an ihm hängenden Spieren zu befreien. Sturzseen kamen über und erhöhten den Wirrwarr, und als der Bootsmann, die Sondierstange der Pumpe in der Hand, etwas ausrief, rannte das Volk wie rasend nach den Booten. Es war ein wahres Wunder, daß diese in dem Tumult noch glücklich zu Wasser gebracht wurden. Ruddiman sagte zu mir: Ich bleibe im Schiff; wenn die Boote nicht kentern, so werden sie verschlagen, und die Mannschaft verhungert und verdurstet. Davon habe ich aber gerade genug gehabt und mag es nicht noch einmal probieren! Ich dachte ebenso, und so sahen wir, wie die Spanier zu zweien und dreien, gleich Ratten, in die Boote sprangen. Der Kapitän brüllte und winkte uns zu, mitzukommen, wir aber schüttelten die Köpfe, zeigten auf die See und machten Zeichen, daß wir das Kentern fürchteten. So stießen sie denn ab, und schon nach einer halben Stunde sahen wir nichts mehr von ihnen: Ruddiman und ich waren allein.

Eine echte Seegeschichte, bemerkte ich, als er in seiner starrenden Weise wieder einmal innehielt. Wie wurden Sie denn nun gerettet? Ist das Schiff nicht untergegangen?

Nein. Wir sondierten die Pumpen und entdeckten bald, daß das im Schiff vorhandene Wasser von oben eingedrungen war, der Boden und die Seiten also kein Leck hatten. So gingen wir denn gleich daran, die Taue zu kappen, und machten das Schiff frei. Der Sturm warf uns noch vierundzwanzig Stunden umher, dann aber verringerte er sich bis zu einer leichten Brise. Dies erlaubte uns, an dem noch zur Hälfte stehenden Fockmast ein Segel zu setzen, mittelst dessen wir uns nun auf gut Glück treiben ließen. Am Nachmittag stand ich am Steuer, und Ruddiman lag schlafend in meiner Nähe. Aus Mangel an Ruhe und Schlaf vermochte ich kaum noch meine Augen offen zu halten, und immer wieder mußte ich sie mir reiben, um sehen zu können. Da, auf einmal riß ich sie weit auf. Ich gewahrte vor mir etwas wie einen weißlichen Schatten, und während ich noch überlege, ob das Nebel oder Brandung sei, nimmt es Gestalt an, und ich erkenne eine niedrige Koralleninsel mit einer kleinen Erhebung grünen Landes in der Mitte, hier und da mit kleinen Baumgruppen überstreut. Ich rufe Ruddiman, der aufspringt und hinschaut. Ein Legerwall, Braine, sagt er. Mit dem Fetzen Leinwand ist kein Abkommen mehr möglich; wir können nur ruhig abwarten, was wird.

In kaum zwanzig Minuten saßen wir fest auf dem Strand, das Deck schräg und so nahe dem Ufer zugeneigt, daß es mit einem Sprung von der Reling zu erreichen war.

Hier brach der Erzähler plötzlich ab und trat fieberhaft erregt an die Tischschublade, schloß sie auf, nahm etwas in die Hand, das er mich nicht sehen ließ, betrachtete und verschloß es gleich wieder.

Ich bildete mir fest ein, daß er sich nur überzeugt hatte, ob die in der Schublade verborgene Waffe noch auf ihrem Platze läge. – Nun kommt's – dachte ich, zumal seine Augen einen erschreckend wilden Glanz angenommen hatten. Ich war auf alles vorbereitet, denn der Mann war ja unberechenbar. Nach einigem Sinnen schritt er zu einem der Wandschränkchen, nahm von dort die Bibel und trat vor mich hin.

Herr Dugdale, sagte er mit hohler, fast zitternder Stimme, ehe ich fortfahren kann, müssen Sie diese Bibel küssen und schwören. Nehmen Sie! schrie er mit plötzlicher Heftigkeit und sprechen Sie mir nach.

Aber erlauben Sie, rief ich, erregt aufspringend. Wie kommen Sie dazu, auf einmal einen Schwur von mir zu verlangen? Ich will gar nicht hören, was Sie mir etwa noch zu erzählen haben. Behalten Sie es für sich, ich habe nicht das geringste Interesse daran.

Das wird schon kommen, erwiderte er mit Grabesstimme. Sie werden sehr bald großes Interesse daran nehmen. Schwören Sie, Herr! fügte er mit befehlendem Tone hinzu.

Aber, Mann, was in aller Welt soll ich denn beschwören?

Das. – Achten Sie wohl darauf. – Sie sollen schwören, daß, so gewiß Sie der Herr jetzt hört, Sie niemals einem Sterblichen das Geheimnis verraten wollen, das ich Ihnen mitteilen werde. So wahr Ihnen Gott helfe. Und daß, wenn Sie den Eid brechen, Sie augenblicklich tot zu Boden stürzen mögen und Ihre Seele durch den Leibhaftigen in die Hölle geschleppt werden soll. So wahr Ihnen Gott helfe.

Ich sah ihn erstaunt mit offenem Munde an. Der Mann machte einen grausigen Eindruck, während er sprach. Seine Augen schienen größer geworden und brannten förmlich in düsterer Glut. Noch heute höre ich den tiefen, feierlichen, bebenden und doch klaren Ton seiner Stimme, noch heute sehe ich seine gebieterische, fast drohende Miene, sein leichenhaft blasses Gesicht und seine zitternden Hände, mit denen er mir das Buch entgegenhielt.

Ich kann diesen Eid nicht leisten, erwiderte ich nach kurzem Ueberlegen, während jeder Nerv in mir gespannt war, um mich zu verteidigen, falls er mich angriffe. Meine Gefährtin wird mich natürlich fragen, worüber wir gesprochen haben, und ihr würde ich es nicht verschweigen können. Bewahren Sie Ihr Geheimnis. Noch ist es nicht zu spät. Vorderhand haben Sie mir nur von einem Schiffbruch erzählt, und dabei ist nichts zu verraten.

Ich wandte mich um.

Halt, rief er. Der Dame mögen Sie es sagen; dagegen läßt sich nichts einwenden. Ich sehe ja, wie es zwischen Ihnen steht, und ich bin nicht so unvernünftig, zu erwarten, daß sie es Ihnen niemals abschmeicheln würde. Nein, Ihr Interesse wird auch das Ihrer künftigen Frau sein. Es ist meine Mannschaft, an die ich denke.

Ich war völlig verdutzt. Gleichzeitig aber begann ich doch auch neugierig zu werden. Mit der Schnelle des Gedankens sagte ich mir, daß es im Grunde ganz gleichgültig sei, ob mir das Geheimnis bekannt würde oder nicht. Unzweifelhaft war es ja nichts weiter als ein Wahngebilde seines kranken Gehirns und des Anhörens nur wert, um sich desselben später als einer Episode unserer Abenteuer zu erinnern.

Wollen Sie nun schwören? drängte er von neuem.

Gut, ich will es, erklärte ich, aber, bitte, drücken Sie den Schwur etwas milder aus. Lassen Sie z. B. den Teufel und die Hölle weg – oder, wissen Sie, lassen Sie mich nach meiner Art schwören. Geben Sie das Buch her.

Er reichte es mir mit vor Aufregung fliegender Hand und ich sprach:

Ich schwöre, daß ich das, was Sie mir mitteilen wollen, sei es, was es sei, keinem Menschen, mit Ausnahme meiner Gefährtin, verraten will. So wahr mir Gott helfe.

Damit hob ich die Bibel an meine Lippen und gab sie ihm wieder zurück, indem ich fragte: Sind Sie nun zufrieden?

Sein Gesicht zeigte es; er lächelte beinahe. Es genügt – o ja, es genügt! rief er. Ich wußte, ich durfte auf Sie zählen.

Wir nahmen nun wieder Platz, und seinen Kopf gegen mich vorgebeugt fuhr er fort:

Ruddiman und ich sprangen an Land, um es uns anzusehen. Es war eine kleine Insel, zwei bis drei Meilen lang und in der Mitte etwa eine Meile breit. Wir konnten sicher sein, daß sie unbewohnt war, denn trotz langen Umherwanderns entdeckten wir weder Wasser noch irgend welche zur Nahrung geeignete Vegetation. Darum beschlossen wir, alles, was wir zu unserem Obdach und unserem Lebensunterhalt brauchten, aus der Brigantine an Land zu schaffen. Dies wurde uns wesentlich erleichtert, da das Schiff fest eingeklemmt und ganz still lag. Allmählich landeten wir Eßvorräte, Wasser, Wein und Spirituosen in solcher Menge, daß wir reichlich auf drei Monate hinaus versehen waren. Damit begnügten wir uns aber nicht. Wir schleppten auch alles heran, womit wir uns eine Hütte bauen und ausrüsten konnten. Auf der Suche danach kamen wir in alle Räume des Schiffes, und dabei stießen wir eines Tages auf einen besonderen Verschlag, in dem wir drei feste, stark mit Eisenbändern beschlagene Kisten fanden.

Hören Sie, Braine, sagte der Ruddiman, wenn das nicht Schatzkisten sind, wie die, in denen die spanischen Kaufleute Geld wegschicken, bin ich blind. Wir wollen doch mal sehen.

Es dauerte nicht lange, bis wir von einer der Kisten die Schlösser und Krampen losgeschlagen hatten, und der geöffnete Deckel uns Säckchen an Säckchen mit lauter spanischen Goldmünzen zeigte. Dasselbe war bei den andern beiden Kisten der Fall. Unserer Schätzung nach betrug der Gesamtwert des Geldes wenigstens zweimalhunderttausend Pfund nach englischem Geld. Da die Kisten zu schwer waren, trugen wir den Schatz beutelweise an Land.

Hier brach er ab und trat wieder wie vorher an die Schublade, die er abermals öffnete. Ich beobachtete ihn genau und war gespannt, was er nun hervorholen würde, doch war es schließlich nichts weiter, als ein mit einem Bande umschlungenes, zusammengefaltetes Stück Pergament. Er löste mit bebender Hand den Bund, strich das Pergament auf dem Tisch glatt und sagte feierlich, mit dem Finger darauf hinweisend:

Das ist die Skizze der Insel; sie enthält mein ganzes Geheimnis. Treten Sie dicht zu mir, damit ich Ihnen die Erklärung geben kann.

Ich tat nach seinem Wunsche und sah eine mit dicken Tintenstrichen roh ausgeführte Zeichnung, die im allgemeinen die Form einer Flasche mit abgeschlagenem Halse hatte. Sie war, wie die daneben befindliche Windrose angab, von N. nach S. orientiert. In der Nähe des Nordendes, auf der östlichen Seite, hatte sie eine ziemlich große Einbuchtung. Den ganzen Abriß bedeckten kleine Kreuze, Haken und andere Federzeichen, die irgend eine Vegetation andeuten sollten. In der Mitte der Einbuchtung war ein kleiner Tintenklex, von welchem aus ein Pfeil direkt westlich nach einem andern Klex im Innern der Insel wies. In der rechten Ecke des Pergaments stand: Länge: 120° 3' W. – Breite: 33° 6' S.

Dies, wiederholte er mit einem tiefen Atemzug, ist die Insel. Wo sie liegt, ersehen Sie hier – er deutete mit zitterndem Finger auf die rechte Ecke – hier aus diesen Zahlen. Direkt NO. befindet sich als nächstes Land die Osterinsel. Wenn man von Valparaiso absegelt und genau Kurs W. zu S. hält, muß die Nase des Schiffes gerade auf das Eiland stoßen. Ist Ihnen das klar? fragte er, mich scharf ansehend.

Ganz klar, erwiderte ich im Ton innerster Ueberzeugung, obgleich ich in Wahrheit dachte: Du armer, verrückter Mensch.

Nun hören Sie also weiter, setzte er seine Erzählung fort. Wir beschlossen, das Geld zu vergraben, es an einem Punkte zu verbergen, den wir leicht wiederfinden könnten, falls die Vorsehung uns das Riff lebendig verlassen und später noch einmal wiederkehren ließ. Sie sehen diese Einbuchtung? Er tippte mit dem Finger darauf.

Ja. Eine Lagune vermute ich.

Ganz recht. Dies Zeichen hier in Ihrer Mitte bedeutet eine Korallensäule von ungefähr vierzehn Fuß Höhe über dem Wasserspiegel und etwa doppelt so dick als mein Großmast. Wir wählten diese Säule als Merkmal und stellten mittelst des Kompasses der Brigantine die Lage einer von ihr aus sichtbaren Baumgruppe auf West dreiviertel Süd fest. Danach bestimmten wir den höchsten Baum und schritten von ihm aus nach dem Ufer, und der Sicherheit halber von diesem noch einmal zurück, die Entfernung ab. Beide mal zählten wir übereinstimmend zweihundertacht Schritt. Hierauf gruben wir das Geld unter dem Baume ein.

Und da liegt es immer noch? unterbrach ich.

Ja, da liegt es immer noch, wiederholte er so dumpf und schwer, als wenn ihm die Worte wie Blei von den Lippen fielen. Ja, da liegen immer noch mehr als zweimalhunderttausend Pfund! Stellen Sie sich das vor.

Indem er das sagte, faltete er das Pergament zusammen und verschloß' es wieder.

Als er sich darauf mir zuwandte, erschien er mir plötzlich wie ein anderer Mensch, denn mit freudig und stolz leuchtenden Augen nickte er mir zu: Und dieser ganze Schatz gehört mir und nun zu einem Teil auch Ihnen, denn Sie sollen mir helfen, ihn zu heben.

Was? Ich? schrie ich fast entsetzt auf.

Ja, Sie. – Sie und ich; nur unsere vier Hände werden den großen Reichtum bergen.

Aber, bester Herr, rief ich, Sie werden sich doch entsinnen, daß Sie der Dame und mir feierlich versprochen haben, uns bei erster Gelegenheit auf ein heimwärts segelndes Schiff überzusetzen.

Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, schrie er plötzlich mit erschreckender Wildheit. Zuerst muß der Schatz gehoben sein, dann wollen wir schnell genug nach Hause kommen.

Also, so stand es. Die Insel mit dem Schatz war seine fixe Idee, der kranke Punkt in seinem Kopfe. Ich erkannte, ich mußte darauf eingehen, oder ich riskierte alles. Dieser Erwägung folgend bemeisterte ich mich und sagte:

Es ist wirklich sehr gütig von Ihnen, mir einen Teil Ihres Reichtums zuwenden zu wollen, aber, lieber Herr, ich möchte Sie nicht berauben, ich bin ein Mann von unabhängigen Mitteln und besitze genug für meine Ansprüche.

Sie werden Ihren Teil nicht zurückweisen, wenn Sie ihn erst sehen, erwiderte er mit Emphase. Geld bleibt Geld. Wer will in dieser Welt – wo Geld alles bedeutet – Ansehen, Genuß, Liebe, Glück – wer will da behaupten, er könnte zu viel davon haben?

Na, wie Sie denken; am Ende ist es ja wohl so. Aber Sie haben Ihre Geschichte noch nicht beendet, ich bin doch gespannt, sie weiter zu hören.

Sie wissen alles, was nötig ist. Freilich könnte ich Ihnen noch von unserem Leben auf der Insel erzählen, vom Tode Ruddimans, der eines Tages, beim Baden in der Lagune, plötzlich von einem Krampf befallen, vor meinen Augen versank, ohne daß ich ihn retten konnte, weil ich kein Schwimmer bin, und wie ich dann einsam weitergelebt – aber dies alles muß ich mir auf später verspüren, denn ich möchte zur Hauptsache kommen. Jetzt will ich zu meiner Geschichte nur noch sagen, daß ich eines Morgens aus der Hütte tretend durch den Anblick eines kleinen Kriegsschiffes überrascht wurde, das beigedreht vor der Insel lag. Es war ein Inspektionsschiff der Yankees. Ein Boot holte mich an Bord und landete mich zwei Monate später in Valparaiso, nachdem ich vier Monate und drei Tage auf der Insel zugebracht hatte. Und nun gelange ich zur Hauptsache, d. h. zu dem glücklichen Umstande, daß mir jetzt endlich die Gelegenheit gegeben ist, mich in Besitz des Goldes zu setzen.

Aber wie wollen Sie das anstellen? Haben Sie irgend einen Plan?

Er lächelte überlegen. Wie können Sie erst fragen? Natürlich habe ich einen Plan, und er ist so einfach als das Ausgraben des Goldes es sein wird. Ich steuere direkt auf Rio und entlasse dort meine ganze Mannschaft. Dann heuere ich einige Leute nach den Sandwichinseln, wo ich eine kleine, Anzahl Kanaken – nur gerade so viel, als ich brauche – an Bord nehme, um zu meiner Insel zu gelangen. Die machen mir keine Sorge; Kanaken sind nicht wie die Europäer, sie sind so harmlos wie Kinder und leben nur sich selbst. Man hat bei ihnen keine neugierige Beobachtung zu fürchten.

Ich hörte mit größter Bestürzung zu und konnte mich nicht enthalten, auszurufen:

Aber Sie haben doch Ladung nach Port Louis. Sie können doch unmöglich Ihren Reedern das Schiff entführen wollen! Das wäre ja eine Handlung, die an Seeräuberei grenzt und auf welche der Galgen steht!

Er sah mich fast mitleidig, aber offen und ehrlich an.

Was denken Sie von mir? Wie könnte es mir einfallen, mit dem Schiff davon zu laufen? Nein, nein, ich kenne meine Reeder und sie kennen mich. Ich weiß, daß sie sich keine Sorge wegen richtiger Ablieferung der Ladung machen werden, wenn diese sich auch etwas verzögert. Es handelt sich hier nur um einen kleinen Umweg, den ich mache, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Ueberdies will ich eine Summe bestimmen, die meine Reeder betreffs der Verspätung so versöhnen wird, daß sie nichts lieber sehen würden, als eine Wiederholung unter gleichen Bedingungen.

Aber warum wollen Sie gerade mich in die Sache hineinziehen? sagte ich überrascht von seiner feinen Berechnung.

Weil ich Ihnen vertraue. Sie sind ein ehrlich denkender Mensch und werden sich mit dem Anteil begnügen, den wir abmachen. Wo soll ich' einen Seemann finden, der mir helfen würde, das Schiff zu führen, und zu dem ich ruhig über das Gold sprechen könnte, ohne fürchten zu müssen, daß er mir schließlich einen teuflischen Streich spielt? Können Sie sich denn gar nicht in meine Lage versetzen? Eine solche Kreuzfahrt wie diese, kann ich doch nicht allein ausführen. Ich muß jemand neben mir haben, auf den ich mich unbedingt verlassen kann, bis die Sache ausgeführt ist. Haben wir das Geld an Bord, dann lasse ich die Kanaken wieder gehen und heuere eine neue weiße Mannschaft für die Fahrt nach Mauritius. Niemand wird alsdann wissen, was das Schiff birgt, als Sie und ich. He! Verstehen Sie mich nun?

Gewiß, stimmte ich bei. Alles, was Sie gesagt haben, ist mir plausibel, nur eins ist mir noch nicht ganz klar, nämlich, wie Sie Ihre Leute in Rio los werden wollen. Diese haben doch sicher für die Fahrt nach Port Louis und zurück unterzeichnet?

Ganz recht. Aber das macht mir wenig Sorge. Die Hälfte läuft ohnedem fort, und den übrigen werde ich schon wissen den Laufpaß zu geben.

Und welchen Grund wollen Sie anführen, daß Sie in Rio anlegen?

Einfach den Mangel eines ersten Maats.

Das machte mich wieder ganz verblüfft. Der Mann hatte wirklich alles bis ins kleinste erwogen und bedacht. Keiner der Leute konnte auch nur das geringste darin finden, wenn der Kapitän einen südamerikanischen Hafen anlief, um den verstorbenen Maat durch einen neuen zu ersetzen.

Während ich so dachte, kam mir auf einmal der Gedanke, daß das, was mir eben noch als neuer Schrecken in die Glieder gefahren war, die beste Aussicht auf Befreiung bot. Wenn nicht ganz besonders mißliche Umstände eintraten, mußte es mir gelingen, in Rio mit Fräulein Temple an Land zu flüchten. Dieser trostreiche Gedanke mochte wohl den Ausdruck meines Gesichts freundlicher gestaltet haben, denn plötzlich reichte er mir freudigen Blicks seine beiden Hände: Ich sehe es Ihnen an – nicht wahr, Sie willigen ein? Finden Sie meinen Plan nicht gut?

O, er ist sogar äußerst fein ausgedacht. Ich fürchte nur die schlimmen Folgen, die durch die unerlaubte Ausnutzung der Bark für Ihre Privatzwecke entstehen können. Ich kann deshalb meine Einwilligung, Sie nach Ihrer Insel zu begleiten, nur geben, wenn Sie mir schriftliche bescheinigen, daß ich mich in Ihrer Gewalt befand und zwangsweise handelte. In keinem Fall will ich mich freiwillig einer Verletzung der Schiffahrtsgesetze schuldig machen. Und um ihn völlig zu überzeugen, wie ernsthaft ich das Geschäft nahm, fügte ich hinzu: Außerdem muß ich auch wissen, welchen Anteil ich zu erwarten habe.

Ein Drittel, rief er eifrig. Und auch das will ich Ihnen schriftlich geben ebenso wie die Bescheinigung, von der Sie eben sprachen. Diese aber möchte ich Sie bitten, selbst aufzusetzen, da ich mich auf solche Dinge nicht verstehe. Ich schreibe es dann ab.

Nach kurzem Sinnen fuhr er fort: So wäre nun alles abgemacht?

Abgemacht, sobald die beiden Schriftstücke unterzeichnet sind.

Gut, dann setzen wir sie sofort auf, rief er mit zitternden Händen nach Papier greifend.

Nein, so schnell geht das nicht, wehrte ich ab. Erst muß ich mit meiner Gefährtin sprechen und mit ihr die Fassung des Scheines überlegen, den ich für Sie zur Abschrift ausfertigen soll.

Wie lange werden Sie dazu brauchen?

Bis morgen vormittag.

Gut, so ändere ich morgen meinen Kurs.

Ich beugte mich nun über die auf dem Tische liegende Karte, um mir unsere gegenwärtige Entfernung von Rio anzusehen, und maß sie mit dem Zirkel.

Was machen Sie da? fragte er argwöhnisch.

Ich sehe, wie weit es noch bis Rio ist.

Nun, wie weit rechnen Sie?

Ich hatte gefunden, daß wir bei einer durchschnittlichen Fahrt von 150 Meilen täglich in zehn bis zwölf Tagen dort sein könnten, und antwortete daher: Sagen wir ungefähr fünfzehnhundert Meilen.

Wird stimmen, nickte er.

Na, dann wäre also vorläufig nichts mehr zu besprechen, und ich kann gehen.

Nur noch das, rief er. Ich hatte Sie eigentlich bitten wollen, gleich als mein erster Maat die Wache für mich zu übernehmen, doch scheint es mir nun besser, Sie treten erst in Ihr Verhältnis, wenn wir neue Mannschaft an Bord haben, und bleiben bis Rio mein Gast.

Wie Sie wünschen, entgegnete ich, aber die Observationen kann ich doch auch weiterhin besorgen?

O ja. Das wird nichts schaden.

Damit winkten wir uns beide mit der Hand freundlich zu, und ich ging.

Die Unterredung hatte fast eine Stunde gedauert. Ich war durstig geworden und goß mir, ehe ich auf Deck stieg, in der Kajüte ein Glas Wasser ein. Dabei wurde mein Blick durch ein Geräusch nach der Tür gezogen, die zu der neben der Kapitänskajüte liegenden Kabine führte. In dem Moment, wo ich hinsah, bemerkte ich einen Kopf, der schnell wieder zurückfuhr. Im nächsten Augenblick jedoch trat Wilkins ganz unbefangen aus der Tür. Jedenfalls hatte er überlegt, daß ich ihn wahrscheinlich doch gesehen hätte, und es deshalb klüger sei, sich offen zu zeigen.

Sein Erscheinen verblüffte mich einigermaßen. Wenn der Bengel die ganze Zeit über in der Kabine gesteckt hatte, mußte er jede Silbe unseres Gesprächs gehört haben, denn wir hatten sehr laut gesprochen. War dem so, dann trug er natürlich das Erlauschte brühwarm nach vorn. Zuerst war mir dieser Gedanke erschreckend, doch bald sagte ich mir, daß sein Verrat nur dazu beitragen würde, die Leute von dem Wahnsinn ihres Kapitäns zu überzeugen, und das konnte möglicherweise unserer Befreiung förderlich sein, falls Braines krankhafte Hirngespinste eine neue Gestalt annehmen sollten. Um daher dem Burschen zu zeigen, daß ich seinem Herauskommen aus der Kabine keine weitere Beachtung schenkte, fragte ich ihn so obenhin, ob es bald Abendbrot geben würde, worauf er beflissen erwiderte: Jawohl, ich wollte soeben den Tisch decken.

Lüg du und der Teufel, dachte ich, sagte aber: Das ist mir lieb, ich habe einen Wolfshunger, und stieg die Treppe hinauf.

Es war ein warmer schöner Abend. Eine Reihe geballter Schönwetterwolken lagen im Westen, deren Spitzen die hinter ihnen untergehende Sonne purpurn färbte. Der Schatten im Osten war tiefblau, und die größeren Sterne nahmen schon ihre Plätze ein. Die Bark schwebte leise wie ein Geisterschiff vor der sanften Brise einher.

Fräulein Temple stand an der Reling und blickte gedankenvoll in das vorübergleitende Wasser, drehte sich aber schnell um, als sie mich kommen hörte.

Na endlich! rief sie wie erleichtert. Sie sind ja schrecklich lange geblieben. Was kann er nur die ganze Zeit mit Ihnen verhandelt haben?

Leise, – flüsterte ich mit einem Augenwink nach Lush, der mit den Händen in den Hosentaschen unweit von uns patrouillierte. – Ich habe wunderbare Dinge vernommen. Wenn es Ihnen recht ist, promenieren wir etwas. Wir laufen im Freien weniger Gefahr, belauscht zu werden, als unten im geschlossenen Raum.

Sie nahm sogleich meinen ihr dargebotenen Arm, und als wir uns in Bewegung setzten, sagte sie:

Sie sehen gar nicht unglücklich aus. Ich erwartete, Sie verstört und bedrückt heraufkommen zu sehen. Nun, bitte, erzählen Sie.

Es lag beinah etwas Zärtliches in der Art, wie sie sich an meinen Arm hing. Jedenfalls empfand ich, daß sie sich freute, mich wiederzuhaben.

Ich berichtete ihr alles, was der Kapitän mir mitgeteilt hatte, und sie hörte gespannt zu, ohne mich mehr als hin und wieder durch einen Ausruf des Staunens oder der Verwunderung zu unterbrechen. Als ich aber mit der Schatzgeschichte zu Ende war, sagte sie wie mitleidig:

Also das ist sein Geheimnis! Der arme Mensch! Welche Ausgeburt von Wahnsinn! Jetzt tut er mir wahrhaftig leid.

Ja, mir auch. Ist es aber nicht wunderbar, wie sich so ein kranker Geist eine solche Geschichte in allen Einzelheiten so zurecht legen kann? Ich glaube nämlich kein Wort von allem.

Nun, manches könnte wohl wahr sein. Vielleicht ist seine Verrücktheit eine Folge der Schrecknisse und Leiden, die er im Boot durchmachte.

Das ist allerdings möglich, immerhin bleibt es jedoch erstaunlich, wie sich daraus mit der Zeit ein derartig klar aneinander gereihtes Wahngebilde entwickeln konnte.

Nun sagen Sie aber, drängte sie, einen Augenblick stehen bleibend, was bezweckte er eigentlich damit, Ihnen sein Geheimnis mitzuteilen?

Nichts geringeres, als daß ich mit ihm fahren soll, den Schatz zu heben. Auch das hat er ganz genau überlegt. Hören Sie nur.

Und nun erzählte ich ihr, wie schlau er sich auch das ausgedacht, und welches Abkommen wir getroffen hatten.

Sie sah mich mit offenem Munde so entsetzt an, daß ich einen Augenblick fürchtete, der Schreck hätte ihr die Sprache geraubt. Dann brach sie aber los:

Was? Sie wagen mir zu sagen, daß Sie eingewilligt hätten, mit ihm nach dieser Fabelinsel in – in – den Stillen Ozean zu segeln? Soll ich Sie für ebenso verrückt halten wie ihn? Haben Sie vergessen, daß ich nach Hause zurückkehren will, und Sie mich hundertmal Ihres Schutzes und Ihrer Hilfe versichert haben?

Ihre Augen funkelten; ihre Wangen glühten; ihr Busen wogte. Nie hatte ich sie so zornig gesehen.

Ich habe nichts vergessen, erwiderte ich mit erzwungener Ruhe, und wundere mich nur, daß Sie den Beweggrund für mein Handeln nicht verstehen. Kann es doch für uns unter den gegenwärtigen Umständen keine günstigere Gelegenheit geben, um nach Hause zu gelangen, als nach Rio zu segeln und uns dort nach England einzuschiffen.

Nach Rio! schrie sie, sich zu ihrer ganzen Höhe aufrichtend und mich mit einem vernichtenden Blick anblitzend. Aber ich will nicht nach Rio. Der Kapitän hat mir feierlich versprochen, mich auf das erste heimwärts segelnde Schiff bringen zu lassen. Warum haben Sie nicht darauf bestanden, daß er sein Wort hält?

Weil das ganz nutzlos gewesen wäre. Er denkt nicht mehr daran, uns jetzt, wo wir sein Geheimnis kennen, los zu lassen.

O, welch erbärmliche Ausflucht! Sie haben Angst vor ihm, Sie fürchten ihn. Das ist es. So werde ich ihn zwingen, sein Wort zu halten. Ha – Rio – es ist wirklich zum Lachen. Schämen Sie sich denn gar nicht? Sowie der Kapitän sich sehen läßt, werde ich ein deutliches Wort mit ihm reden.

Sie werden nichts dergleichen tun, sagte ich nun mit aller Bestimmtheit und mit Nachdruck. Wenn Sie sich einmischen und mit Ihrer Heftigkeit meinen Plan durchkreuzen, so rühre ich keinen Finger mehr zu unserer Rettung; mag er uns dann bringen, wohin es ihm gefällt.

Wie herzlos und grausam Sie doch sprechen können, erwiderte sie mit dem rauhen Tone einer, der das Weinen nahe ist. Ich habe jetzt keinen Freund als Sie. Wenn Sie sich von mir wenden, bin ich ganz allein und verlassen.

Eben weil ich Ihr aufrichtigster, treuster Freund bin, will ich mich von Ihnen nicht hindern lassen, zu tun, was ich zu Ihrem Besten für richtig halte. Mein Urteil ist in diesem Dilemma jedenfalls das maßgebendere. Ich weiß genau, wie ich zu handeln habe, und muß Sie ernstlich bitten, mir nicht drein zu reden und sich meinen Beschlüssen zu fügen.

O, wie schändlich nutzen Sie meine unglückliche Lage aus, keuchte sie in tiefster Entrüstung. Wie würden Sie unter anderen Umständen sich je unterfangen haben, so zu mir zu sprechen! Es gab eine Zeit – – –. Sie stampfte plötzlich mit dem Fuß auf. Nein – nach Rio gehe ich nicht! Der Kapitän muß sein Versprechen halten.

Vielleicht denken Sie ein andermal ruhiger, entgegnete ich gleichmütig. Augenblicklich macht Sie Ihre Leidenschaftlichkeit so blind, daß es zwecklos wäre, das Gespräch weiter zu führen. Ich will Sie daher lieber von meiner lästigen Gesellschaft befreien.

Damit wandte ich mich und wollte meinen Weg allein fortsetzen. Doch sie faßte meinen Arm.

Nein, erklärte sie trotzig, fast wie ein unartiges Kind. Sie dürfen mich nicht verlassen, ich bin lange genug allein gewesen. Wenn Sie nicht bei mir bleiben, werde ich wohl noch ebenso toll wie der Kapitän.

Erst will ich Sie sicher nach England bringen, erwiderte ich kühl, dann mögen Sie meinetwegen toll werden.

Die Tränen stürzten ihr aus den Augen und sie drehte ihr Gesicht nach der See zu. Ich schritt ruhig weg. Sie kam mir aber gleich nach und hielt mich wieder am Arm fest.

Ach Gott, seien Sie doch gut, bat sie, noch halb von Tränen erstickt. Es tut mir ja leid, wenn ich Sie geärgert habe.

Geärgert nicht, aber betrübt, antwortete ich sanfter. Sie haben kein Vertrauen zu mir.

Doch, doch, rief sie eifrig. Ich vertraue Ihnen ja ganz und gar, aber fehlt es mir denn so ganz an Verstand, daß ich nicht einmal meine Meinung äußern darf?

Aber ich bitte Sie, ist das eine verständige Meinung, wenn Sie glauben, in Zorn und Trotz und mit aller Gewalt einem Irrsinnigen Ihren Willen aufzwingen zu können? Sie würden damit nicht allein gar nichts ausrichten, sondern wahrscheinlich Ihre Lage verschlimmern. Rio ist innerhalb vierzehn Tagen zu erreichen und vorläufig der einzige Rettungsanker, der sich uns bietet und den wir deshalb erfassen müssen.

Sie erhob die gefalteten Hände über den Kopf.

Gütiger Himmel! Vierzehn Tage! – Noch vierzehn Tage auf diesem entsetzlichen Schiff!

Ja, aber an Bord eines anderen Schiffes könnten Sie es reichlich ebenso unbehaglich haben wie hier, wenn es nicht zufällig ein Passagierschiff ähnlich der Gräfin Ida wäre. Vierzehn Tage mehr oder weniger haben nichts zu bedeuten. In Rio können wir uns nach Wunsch und Gefallen ausrüsten und uns ein Schiff aussuchen, das uns das bequemste für die Heimreise scheint. Ist das nicht eine tröstliche Aussicht?

Nun ja. Sie mögen wohl recht haben, flüsterte sie, die Augen scheu zu mir aufschlagend. Verzeihen Sie meine Heftigkeit. Seien Sie wieder gut. Der Schreck hatte mich so reizbar gemacht.

Was sollte ich hiergegen tun? Ich küßte ihr die Hand zur Versöhnung und sagte in einem ganz anderen Ton, indem ich ihr dabei freundlich ins Gesicht schaute: Wie wäre es, wenn wir nun nach unserem Abendbrot sähen?


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