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Siebtes Kapital.
Das Begräbnis des Piraten

Beim Frühstück erzählte Kapitän Keeling des langen und breiten von seinem Kampf mit den Piraten, wobei sich die Damen an Aeußerungen der Bewunderung für seine Person und sonstigen Zwischenrufen nicht genug tun konnten. Immer von neuem hörte man: Nein, wie entsetzlich – Welch' schreckliche Lage! – Das muß ja furchtbar gewesen sein! usw. usw.

Natürlich lauschte auch ich dem Erguß des Alten mit Aufmerksamkeit. Als er endlich geendet hatte, sagte mein ständiger Tischnachbar, Herr Prance, der ebenfalls mit respektvoller Höflichkeit zugehört hatte: Ja, der Kampf war wirklich ein Bravourstück.

Das will ich wohl meinen, nickte ich ihm ehrlich zustimmend zu, mußte aber in demselben Moment lachen, als ich den Schalk bemerkte, der aus seinen Augen leuchtete, und er mir zulispelte:

Das beste an der ganzen Seeschlacht ist, daß wir sie ohne Blutvergießen auf jeder Fahrt immer und immer wieder von neuem bis zur Erschöpfung durchfechten. Uebrigens, fuhr er fort, da wir gerade bei den Piraten sind, will ich Ihnen verraten, daß wir einen solchen in Gestalt eines unserer Matrosen, namens Crabb, tot an Bord haben.

So? ist er also doch gestorben!

Er sah mich erstaunt an. Kennen Sie denn den Mann? Woher wissen Sie von ihm?

Ach, er fiel mir nur bei meinem Umherwandern durch sein abschreckendes Aeußere auf, und man hört ja auch da und dort etwas.

Hm, ja. Der Weg vom Vorderdeck zum Hinterdeck ist allerdings nicht weit, indessen hätte ich nicht gedacht, daß die Sache, welche doch geheim gehalten werden sollte, so schnell herumkommen würde.

Ich glaube auch nicht, daß schon viel andere davon wissen. Ich erfuhr nur durch Zufall von der plötzlichen Erkrankung des Mannes. Aber sagen Sie, Sie nannten ihn einen Piraten; was hat das für eine Bewandtnis?

Da kann ich Ihnen nur erzählen, was ich selbst erst vor einer halben Stunde von Zimmermann Ships hörte. Der kannte Crabb von früher, hat aber bis jetzt über ihn geschwiegen, weil er sein Schiffsmaat war. Nun, wo er tot ist, hat er den Mund aufgetan und erzählt, daß Crabb noch vor gar nicht langer Zeit einem Piratenschiff angehörte, das die westindischen Gewässer unsicher machte. Wenn alles wahr ist, womit Ships da jetzt rauskommt, muß der Kerl ein Bösewicht gewesen sein, wie nur je einer 'ne Schiffsplanke betrat.

Und wie hat er das erfahren?

Einmal dadurch, daß er mit ihm zwei Reisen auf einem kleinen Fahrzeug machte, und dann später bei verschiedenem Zusammentreffen in verrufenen Londoner Seemannskneipen, wo Crabb in trunkenem Zustand sich gräßlicher Dinge, die er begangen, rühmte. Bei uns hier hat sich der Bursche natürlich in acht genommen, sich irgendwie zu verraten, weil er wußte, was er da zu erwarten hatte.

So kann man ja froh sein, daß der Schuft tot ist. Ist schon bestimmt, wann das Begräbnis sein wird?

Wahrscheinlich erst morgen. Der Alte ist kein Freund eines sofortigen Begräbnisses.

Wir hatten das Gespräch der Umsitzenden wegen nur ganz leise geführt, doch hatte uns dabei der uns gegenübersitzende Doktor Hemmeridge öfter mit seinen glasigen Augen angeschielt. Er kam nach Beendigung des Frühstücks, als schon alles wieder auf Deck versammelt war, zu mir her und sagte: Sie wissen schon, daß Crabb tot ist? Wenn Sie sich ihn mal ansehen wollen, dann kommen Sie nur mit nach dem Volkslogis. Mir ist der Tod dieses Menschen rätselhaft; ich möchte ihn gern sezieren, aber freilich wird mir das kaum gelingen, denn, weiß der Teufel, die Blaujacken sind in dem Punkt verdammt kitzlich. Na, wie ist's, kommen Sie mit?

Ich schwankte einen Augenblick, begleitete ihn aber schließlich doch.

Wir kletterten in einen großen, düsteren, kellerartigen Raum, der nur matt von einer in der Mitte herabhängenden schwelenden Tranlampe und der offenen Deckluke erhellt wurde. An den Balken der Decke waren einige zwanzig Hängematten aufgeschlungen, aus denen hie und da das Gesicht eines Matrosen hervorguckte. Mehrere Leute saßen auf ihren Seekisten und rauchten, andere besserten Kleidungsstücke aus.

Der Doktor schritt an ein auf zwei Tonnen liegendes Brett, auf dem die mit einem Segel bedeckte Leiche lag; er schlug mit etwas zittrigen Fingern einen Zipfel derselben zurück, und mit Grausen sah ich da das todesstarre, abschreckende Antlitz des Verstorbenen. Durch die nur halbgeschlossenen Lider schimmerte das Weiße der Augen, die untere Kinnlade war herabgesunken. Schaudernd wandte ich mich ab.

Er ist doch auch richtig tot? fragte ein hinzutretender Mann.

Der Doktor hustete heiser und brummte mit einem Ausdruck voll Abscheu: So tot wie 'n Türnagel. Hab' noch keine scheußlichere Leiche gesehen.

Na, dann wird sie doch hoffentlich auch bald hier fortgeschafft werden, ließ sich eine rauhe Stimme aus einer der Hängematten vernehmen, sonst verpestet sie uns noch die Luft unserer schönen Behausung.

Jawohl, mein Mann, soll bald geschehen, erwiderte der Doktor, kurze Zeit aber muß sie noch hier bleiben.

Woran starb er eigentlich? fragte ein auf einer Kiste sitzender Mann, die Pfeife zwischen den Zähnen.

Hol' der Teufel all euer Gefrage, brauste der Doktor auf. Ich bin nicht dazu da, jedem einen Vortrag zu halten. Wenn ihr's durchaus wissen wollt, will ich ihn aufschneiden.

Das würden wir uns schön verbitten, murrten mehrere Stimmen.

Na dann, Willard, rief er dem von draußen scheu hereinblickenden Segelmacher zu, lassen Sie die Leiche bald einnähen und auf das Gitter der Vorderluke legen.

Darauf verließen wir den unheimlichen, düsteren Raum, wobei der Doktor über den dummen Aberglauben der Seeleute schimpfte, der sich gegen die Sektion einer Leiche sperre. Hätte der Wissenschaft wegen gern entdeckt, woran der Crabb so plötzlich gestorben ist. Ihnen scheint's übrigens da unten schlecht geworden zu sein, fuhr er fort, Sie sehen ja ganz grün aus. Kommen Sie, ein Gläschen Rum wird uns beiden nach dem Besuch nicht schaden.

Am Abend desselben Tages, während ich vom Kampanjedeck aus das Wetterleuchten betrachtete, gesellte sich Oberst Bannister zu mir und sprach in seiner aufgeregten Weise über den Todesfall. Warum, polterte er, kann man von niemand die Ursache des Todes erfahren. Der Doktor, der mir nebenbei gesagt, vom Alkohol mehr als von seiner Berufswissenschaft zu verstehen scheint, zuckt bei jeder Frage nur mit den Achseln. Ist das eine Art? Was soll man davon denken? Wissen Sie, ich vermute stark, da steckt so etwas wie Pocken dahinter. Stellen Sie sich vor, wenn diese Seuche hier ausbräche! Da kommen wir alle um, alle! Es ist unverantwortlich, einem Passagierschiff einen so versoffenen Jünger Aeskulaps mitzugeben. Bestätigt sich meine Befürchtung, dann soll mich aber die Reederei mit all ihren Komplizen kennen lernen. Ich bin nicht der Mann, der sich so etwas gefallen läßt. Doch da sehe ich den zweiten Maat, vielleicht schwatzt der aus der Schule.

Er stieg eilig die Treppe hinab und rief: Bitte, Herr Cocker, auf ein Wort!

Doch Cocker, der mit dem kleinen Sprühteufel auch nicht gern Kirschen pflückte, überhörte den Ruf und stürzte, als ob es brennte, nach dem Kompaß, indem er schrie: He! Du da am Rade! Wie steuerst du denn? und entwischte auf diese Weise dem Peiniger, der nun wütend das Deck verließ.

Am andern Morgen zum Frühstück erfuhren wir, daß das Begräbnis um zehn Uhr stattfinden sollte. Schon lange vor der Zeit versammelte sich alles auf Deck, das im feierlichsten Festkleid prangte. Die peinlichste Ordnung war hergestellt; alle Segel standen in der nur sanften Brise, und an der Gaffel des Kreuzmastes wehte halbmast die Nationalflagge. Außer dem Mann am Rade und dem Ausguck vorn in der Back war kein Mann im Dienst zu sehen. Es herrschte eine wahre Feiertagsruhe.

Kurz vor zehn Uhr erschien der Bootsmann in seinem höchsten Staat und schritt wichtig und gemessen nach der Spitze des Schiffes. Hier setzte er die Signalpfeife an die Lippen und ließ einen langen trillernden Pfiff ertönen. Diesem unmittelbar folgte das Kommando: Alle Mann an Deck! worauf die gesamte Schiffsmannschaft dem Volkslogis entstieg und unter Führung des unruhig umherblickenden Segelmachers sogleich ein Spalier vom Fallreep bis zur Vorderluke bildete, auf deren Gitter die mit der großen Schiffsflagge überdeckte, in Segeltuch eingenähte Leiche lag. Bei dieser blieben außer dem Bootsmann, dem Zimmermann und dem Koch, die rechts und links neben ihn getreten waren, nur vier Mann als Träger.

Punkt zehn Uhr begann die gedämpfte Schiffsglocke in langsamen Schlägen zu läuten, und alsbald erschien der Kapitän mit einem Gebetbuch in der Hand, begleitet von dem ersten, dritten und vierten Maat, während der zweite vom Kampanjedeck aus die Steuerung des Schiffes überwachte.

Der alte Keeling war ein Mann von großer Frömmigkeit und flößte allen in der Art, wie er die Feierlichkeit abhielt, hohe Ehrfurcht ein. Gleich, nachdem er am Fallreep Aufstellung genommen, schritt der Bootsmann mit seinen beiden Begleitern und gefolgt von den vier Mann, welche das Lukengitter mit der Leiche auf den Schultern trugen, durch das Spalier heran. Sie setzten das Gitter mit dem einen Ende auf die Reeling, und der alte Keeling begann, nach einigen kurzen Worten über den plötzlichen Todesfall, die für Schiffsbegräbnisse vorgeschriebenen Gebete vorzulesen. Als er geendet hatte, gab er ein Zeichen, auf das die Schiffsflagge vom Gitter herabgezogen und dieses gleichzeitig gekippt wurde. Hierdurch glitt die eingenähte Leiche über Bord, sank aber, wie ich von meinem Standpunkt aus erkannte, wunderbarerweise nicht unter, sondern schwamm mit den sanften Wogen sich hebend und senkend wie eine Ente nach hinten. Niemand außer mir schien diesen Umstand bemerkt zu haben, denn jeder lauschte noch mit Andacht dem Schlußgebet. Als sich die Versammlung danach löste, ging die Schiffsmannschaft nach dem Vordeck zurück, und die Passagiere begaben sich wieder nach hinten. Währenddem schloß ich mich Herrn Prance an und flüsterte ihm zu: Kommen Sie mal schnell mit nach dem Heckbord, ich will Ihnen was zeigen.

Er folgte mir und unterwegs erzählte ich ihm meine Wahrnehmung.

I was, sagte er verdutzt, sollte der Esel, der Segelmacher, vergessen haben, die Leiche zu belasten? Das wäre noch schöner.

Inzwischen waren wir hinten angekommen, und ich entdeckte sofort den in den Wirbeln des Kielwassers langsam forttreibenden Ballen.

Da sehen Sie, rief ich hinausdeutend.

Wahrhaftig! Man kann sich doch auf nichts verlassen. Nur gut, daß niemand anders die Sache bemerkt hat, sonst wäre unter der Mannschaft gleich die Auslegung fertig, das Meer hätte den Toten nicht ausgenommen, weil er im Leben ein zu großer Bösewicht war.

Ja, ja, das kenne ich. Der Seemannsaberglaube macht sich gleich aus jedem Ding etwas zurecht.

Bei unserer langsamen Fahrt sahen wir noch eine ganze Weile Crabbs Körper auf den Wellen treiben, endlich aber entschwand er unsern Blicken, und um keinen Anlaß zu weiterem Gerede zu geben, schwiegen wir über die Sache still. –

So schönes Wetter wir auch heute hatten, war doch jeder ungeduldig über die fast schleichende Fahrt. Wir segelten zwar unter dem nordöstlichen Passat, aber der blies so schwach, daß Kapitän Keeling in Verzweiflung war und wiederholt versicherte, einen solchen Passat noch nie erlebt zu haben.

Es war zum Sterben langweilig. Man wußte nicht, wie die Stunden des Tages hinbringen, wenn auch alles mögliche unternommen und versucht wurde, die Geselligkeit zu beleben und die gute Stimmung aufrecht zu erhalten.

Eines Tages lagen Colledge und ich rauchend und plaudernd in unsern Kojen. Natürlich waren wir in unserm Gespräch auch bald wieder bei Fräulein Temple angelangt. Wahrhaftig, Dugdale, sagte er, wäre ich nicht schon verlobt, so würde ich jetzt keinen Augenblick mehr zögern, Luise Temple einen Antrag zu machen. Das ist so recht das Mädchen, das meinem Vater gefallen würde. Wie würde sie mit ihrer imponierenden Persönlichkeit und hoheitvoller Würde zu repräsentieren verstehen! Ja, das wäre sein Fall. Meine Fanny, wissen Sie, ist gerade nicht sehr nach seinem Geschmack – sie ist ihm nicht distinguiert genug, hat, wie er sich ausdrückt, keinen Stil.

Da wundert es mich, daß er zu Ihrer Verlobung seine Einwilligung gab.

Ja, ob er das getan, weiß ich eigentlich nicht.

Ich lachte. Der gute Junge war wirklich das reine Kind.

Haben Sie Fräulein Temple schon gesagt, daß Sie verlobt sind?

I bewahre. Warum hätte ich ihr davon erzählen sollen? Sie braucht das nicht zu wissen. Nein, Dugdale, Sie sind der einzige auf dem Schiff, dem ich das anvertraute. Sie meinen aber, scheint's, daß ich es ihr sagen müßte. Sprechen Sie ganz offen.

Nun, wenn Sie meine ehrliche Meinung hören wollen – ja. Sie machen ihr so gewaltig den Hof, daß sie blind sein müßte, wenn sie nicht an Ihren Ernst glauben sollte.

Mein Gott, es ist ja auch mein voller Ernst! rief er verzweifelt. Sie ist das entzückendste Geschöpf, dem ich je begegnet bin! Aber sehen Sie, selbst wenn ich von Indien aus schreiben und meine Verlobung lösen wollte, würde ich mich bis zum Eintreffen der Antwort noch Monate hindurch gebunden betrachten müssen. Wenigstens würde Fräulein Temple das gewiß so ansehen, und da will ich ihr lieber vorderhand nichts sagen.

Na, wie Sie denken. Ich verstehe zwar Ihre Logik nicht ganz, werde aber natürlich nach wie vor Ihr Geheimnis hüten. Vielleicht empfinde ich keine geringere Neigung und Verehrung für die junge Dame wie Sie, aber meine Leidenschaft ist doch nicht groß genug, um ihr nicht ein bißchen die Lehre zu gönnen, die sie durch Sie erhalten wird.

Wie meinen Sie das? fuhr er auf.

Ach, gar nicht böse, lieber Colledge. Ich habe eben meine besonderen Ansichten über den Punkt, dessen Erörterung ich aber bei Ihrem gegenwärtigen Herzenszwiespalt für zwecklos halte. Lassen wir also die Sache ruhen, wir sprechen wohl noch ein andermal darüber. Jetzt will ich noch etwas frische Luft schöpfen.

Damit begab ich mich nach oben.


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