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Vierzehntes Kapitel.
Den Wellen zum Spiel

So waren wir denn auf dem Schreckensschiff. Mit Ausnahme des kleinen Deckhauses hinter dem Stumpf des Großmastes und des noch stehenden Fockmastes mit seinen Wanten und Spieren, an denen die Segelreste mit Stricken schlecht befestigt waren, befand sich nichts auf Deck. Es mußte alles über Bord gegangen sein. Hier und da hingen noch einige gekappte Taue über die Seiten; selbst das Rad war fort, und das Ruder schwankte mit dem Schaukeln des Rumpfes hin und her.

Das Deckhaus war ein schmales, niedriges, aber ziemlich langes, sehr festes Gebäude mit einigen kleinen Fenstern, von denen keine Scheibe mehr ganz war. Die Eingangstür lag dem Heck gegenüber.

Dieses Haus bildete zunächst das Ziel unserer Neugier.

Der einsame Wächter ist jedenfalls zu Hause, scherzte der Leutnant. Wollen wir ihm unseren Besuch machen?

Gewiß; alles wollen wir sehen, was zu sehen ist, schrie Colledge, sichtlich bestrebt, seine frühere Munterkeit wieder zu zeigen; er war aber noch immer blaß von dem gehabten Schrecken und blickte unruhig umher.

Ich werde ihn mir lieber nicht ansehen, sagte Fräulein Temple, ich könnte am Ende davon träumen.

Dann werden Sie aber von der Hauptsache nichts zu erzählen haben, drängte Colledge, und er sowohl wie der Leutnant redeten auf sie ein.

Mir war das langweilig, ich überließ die drei einander und trat ins Haus. Es war ein einfacher möblierter Raum; dicht neben dem Eingang führte eine kleine Treppe nach unten. An den Seiten entlang reihten sich große, schwere Kästen, und in der Mitte stand ein kleiner befestigter Tisch, an dem der Tote saß, ein noch sehr junger Mann, in der rechten Hand eine Gänsefeder haltend, mit der linken, den Ellbogen auf dem Tisch, den Kopf stützend. Er trug weiße Hosen, die in gelbledernen Stulpstiefeln steckten. Die Taille umschloß eine breite Schärpe mit silberner Schnalle, und über seinem hellroten Wollhemd trug er eine Jacke von spanischem Schnitt; sein langes Haar hing ihm in schwarzen Locken über den Nacken. Sein Gesicht war von einem großen Sombrero beschattet, und erst, als ich dicht vor ihm stand, konnte ich ihm hineinsehen. Ich hatte mich auf einen grausigen Anblick gefaßt gemacht, statt dessen erblickte ich ein Gesicht von seltener Schönheit. Die Hand des Todes hatte hier ein makelloses Antlitz aus weißem Wachs geformt; die gesenkten Augenlider verbargen den Blick, der auf den Tisch gewurzelt schien.

Das Zimmer verdunkelte sich, Fräulein Temple und die beiden andern standen in der Tür. Colledge und der Leutnant traten ein.

Das ist der schönste Mann, den ich je gesehen habe, sagte ich.

Sollte er wirklich tot sein? Er sieht gar nicht so aus, flüsterte Colledge scheu.

Wird nie toter werden, als er ist, witzelte der Leutnant, indem er das Gesicht näher betrachtete. Hübsch finden Sie ihn? Nun ja, darin hat jeder seinen eigenen Geschmack. Mir sieht er aus wie ein verkleidetes Frauenzimmer.

Was mag er wohl gewesen sein? fragte von der Tür her Fräulein Temple mit merkbarem Schauder.

Schwer zu sagen, antwortete ich. Für den Kapitän ist er zu jung. Wahrscheinlich ein Maat.

Jedenfalls ein Pirat, fügte der Leutnant hinzu.

In diesem Augenblick schlug die Glocke wieder an. Das junge Mädchen schrak zusammen. O Gott, rief sie, diese Töne! Ist es nicht wie Totengeläut?

Sie hatte recht. Die Sache hatte etwas Geisterhaftes, und der von allen Eindrücken schnell erfaßte Colledge sagte: Mir scheint, wir haben nun genug von dem armen Kerl gesehen.

Sollten wir ihn nicht begraben? schlug ich vor.

I bewahre. Wozu denn? wandte der Leutnant ein. Dies Wrack ist sein Sarg. Er kann doch keinen besseren haben. Kommen Sie, noch einen Blick in die Kajüte.

Fräulein Temple trat widerstrebend ein und der Leutnant half ihr die kurze Treppe hinab. Colledge und ich folgten. Es war ein Raum von der Breite des Schiffes, erhellt durch das zerbrochene Oberlicht. Colledge, der nun alle Unbehaglichkeit abgeschüttelt hatte, lief gleich geschäftig umher, öffnete dreist Kabinentüren, spielte den Erschreckten, als sähe er grausige Dinge, machte Witze wie im Boot und forderte Fräulein Temple auf, dies oder jenes zu betrachten.

Hallo! ertönte auf einmal die Stimme des Leutnants, der in eine der Kabinen guckte. Diesen Raum habe ich vorhin übersehen. Was haben wir hier? Ah, eine Speisekammer!

Ich sah über seine Schulter und erkannte mehrere Wandbretter mit Tellern, Speckseiten, Käse und andere Eßwaren. Auf dem untersten Brett lagen Flaschen in Strohtüten.

Die Korsaren sind bekannt wegen der Vortrefflichkeit ihrer Getränke, sagte der Leutnant. Was mag dies sein?

Er nahm eine Flasche, schlug ihr den Hals ab, füllte einen kleinen Zinnbecher zur Hälfte, roch und kostete.

Donnerwetter! Ein ausgezeichneter Burgunder! Kosten Sie mal, Herr Dugdale!

Es war in der Tat ein auserlesener Wein. Der Leutnant füllte einen anderen Becher für Colledge, der große Augen machte und ihn schmunzelnd leerte. Potztausend, ja, das ist ein Weinchen. Was würde mein Vater für einen solchen Tropfen geben!

Davon müßten Sie auch einmal kosten, mein gnädiges Fräulein, rief der Leutnant heiter. Sehen Sie, da haben wir ja auch ein Weinglas! Er spülte es mit dem Wein aus, goß ein und sagte, indem er es ihr reichte: Also, auf die Vernichtung aller Piraten!

Sie lachte, lehnte es aber ab, zu trinken.

Ah, das geht nicht! Sie müssen trinken, schrie Colledge. Bedenken Sie doch, wenn Sie erzählen können, daß Sie den Piraten in ihrem eigenen Wein ein Pereat gebracht haben.

Sie wollte eben antworten, als plötzlich das Wrack derart schlingerte, daß der Leutnant ins Wanken kam und das Glas zu Boden fiel und zersprang; Colledge versuchte sich an mir zu halten, riß mich aber um. Laut lachend stand er wieder auf und sagte:

Das Schiff ist entschieden betrunken.

Merken Sie, wie jetzt die Dünung zunimmt? mahnte ich, als ich wieder auf den Beinen war.

Ja, wir müssen fort, erwiderte der Offizier.

Fräulein Temple hat noch nicht auf die Vernichtung der Piraten getrunken, krähte Colledge mit der Hartnäckigkeit eines Angetrunkenen.

Ich mag das nicht tun, entgegnete sie unruhig. Und die Uhr ziehend, fuhr sie fort: Es ist sicher die höchste Zeit, heimzukehren.

Aber wir werden doch nicht all dies edle Gewächs dem Untergang überlassen! Ob es denn gar nichts gibt, worin sich ein paar Flaschen einpacken ließen? Wenn wir nur zwei Dutzend fortbrächten – zwölf für uns und zwölf für meinen Vetter. Suchend irrten Colledges Augen umher.

Das sollte sich wohl tun lassen, meinte der Leutnant, eifrig bemüht, ihm gefällig zu sein.

Ich möchte aufbrechen, verlangte Fräulein Temple jetzt in dem ihr eigenen gebieterischen Ton. Was bedeutet denn das zunehmende Schlingern? Ich werde ja nicht imstande sein, ins Boot zu kommen.

Keine Sorge, meine Gnädige, beschwichtigte der Leutnant. Eine entmastete Eierschale, wie diese, rollt bei dem schwächsten Anschwellen. Um eine Kleinigkeit ist die Dünung allerdings stärker geworden, das hat aber nichts zu sagen.

Ich war dessen nicht so sicher. Was er als eine Kleinigkeit bezeichnete, war meiner Ansicht nach eine Zunahme und Erhöhung der Wogen, die durch die Plötzlichkeit der Erscheinung noch an Bedeutung gewann. Sie verkündete jedenfalls ganz nahe bevorstehenden Wind; darauf hätte ich geschworen.

Ich gehe auf Deck und sehe wie es steht, erklärte ich.

Nehmen Sie mich mit, Herr Dugdale, gebot Fräulein Temple.

Bitte, Sie werden gestatten, Ihnen zu helfen, sagte der Leutnant galant.

Und all der schöne Wein soll im Stich gelassen werden? jammerte Colledge. Läßt sich denn kein alter Korb auftreiben?

Hat ihm schon, lachte der Leutnant, schnell nach einer Ecke springend.

Ich bitte, führen Sie mich auf Deck, Herr Dugdale, herrschte mich Fräulein Temple an und legte ihren Arm in den meinen.

Das Schlingern des leichten Rumpfes, der nichts mehr besaß, das ihm Festigkeit hätte geben können, war so stark, daß es mir nicht wenig Mühe kostete, meine Begleiterin geraden Kurses nach der Treppe zu steuern. Ich half ihr hinauf und fühlte sie schaudern, als ihr Blick noch einmal den Toten am Tische streifte.

Sowie ich hinaustrat, entrang sich mir der Schreckensruf: Mein Gott! Was ist das? Wenn wir nicht schnell machen – und den Kopf wieder in die Tür steckend, brüllte ich die Treppe hinab: Ums Himmels willen, rasch auf Deck, oder wir finden unsre Schiffe nicht mehr!

Der Anblick, der sich bot, war furchtbar. Den ganzen Nord-Westen deckte weißer Dampf, der wie eine Mauer direkt gegen das Wrack anrückte. Mit dieser dicken Nebelwand rollte eine lange, mächtige Dünung heran, deren Kämme der Wind schwärzlich färbte. Der Himmel, von wässeriger Aschfarbe, war durch die Masse des nahenden Dampfes so verdunkelt, daß die Korvette links und unser Schiff rechts nur noch wie blasse Flecke erschienen. Ich veranlaßte Fräulein Temple, sich an dem Deckhaus festzuhalten, und stürzte an die Reeling. Von hier sah ich den Kutter an seiner Bootsleine in einer Weise steigen und fallen, die mich entsetzte. Wie sollten wir, besonders das Mädchen, von diesem gefährlich abschüssigen Deck in ihn zurückgelangen? Sowie mein Kopf sichtbar wurde, schrien mir die Matrosen zu: Der Ostindienfahrer hat schon zwei Kanonenschüsse abgefeuert.

Warum, zum Teufel, erwiderte ich außer mir, ist nicht einer von euch an Bord gekommen und hat das heranziehende Wetter gemeldet? Nun vorwärts, angelegt! Die Riemen fest! Es gilt unser aller Leben.

In diesem Augenblick erschienen Colledge und der Leutnant. Die Gefahr sofort erkennend, stürzte letzterer zu mir an die Reling und brüllte: Kutter heran! Munter, munter! Legt euch ins Zeug!

Handeln wir auch klug, wenn wir dies Wrack verlassen? bemerkte ich. In wenig Minuten wird uns der Nebel verhüllt haben. Wir könnten beide Schiffe verfehlen und was dann?

Erschrecken Sie doch die Dame nicht, Herr! zürnte er. Gnädiges Fräulein, haben Sie keine Angst, es liegt kein Grund dazu vor. Wir werden Sie ohne Schwierigkeit ins Boot bringen, und der Nebel wird sich bald klären. Ich kenne diese Gewässer.

Colledge stand wie gelähmt. Das Boot wogte jetzt an der Leine längsseit der Lücke. In einem Augenblick schwebte es über der Höhe des Deckrandes, im nächsten sank es schon wieder in ein Wellental, während das Wrack träge rollte.

Jetzt, Fräulein, rief der Leutnant, erlauben Sie mir und Herrn Dugdale, Ihnen ins Boot zu helfen. Zwei meiner Leute werden Sie auffangen.

In Angst und Entsetzen biß das arme Mädchen die Lippen zusammen, und ihre Augen glühten, als sie bebend hauchte: Ich bin nicht imstande, in das Boot zu kommen.

Die Erkenntnis, daß jede Verzögerung die Gefahr vergrößern mußte, und das Bewußtsein der Gefährlichkeit, sie in das Boot zu schaffen, ließen den Leutnant jede Rücksicht vergessen. Durch die Weigerung gereizt, sagte er barsch: Aber seien Sie doch verständig. Hier heißt es entweder oder. Herr Dugdale, fassen Sie den Arm des Fräuleins.

Sie werden mich töten, keuchte sie und klammerte sich fester an das Deckhaus.

Ums Himmels willen! schrie nun der Leutnant, wie rasend, springen Sie ins Boot, Herr Dugdale, damit Fräulein Temple sieht, wie leicht es geht. Ich muß hier der letzte sein.

Lassen Sie Herrn Colledge zuerst springen, riet ich, ich könnte hier nützlicher sein als er.

Gut. Vorwärts, also Herr Colledge!

Der arme Kerl schwankte bleich vor Furcht bis zum Rand des Decks. O, du lieber Gott, murmelte er, ich werde mir den Hals brechen und ins Wasser fallen und werde ertrinken!

Nein, nein, tröstete einer der Seeleute, springen Sie nur dreist, sobald das Boot sich hebt. Wir fangen Sie auf.

Jetzt! schrie der Leutnant.

Colledge sprang. Das Boot wurde wieder in die Tiefe gezogen, und als es von neuem emportauchte, sahen wir Colledge in der festen Umarmung eines kräftigen Matrosen.

Herrgott! Jetzt kommt es! rief ich.

Das letzte Wort flog schon mit dem Winde davon. Sausend und heulend fegte er über das Deck, und im nächsten Augenblick umfing uns wallend der Nebel. Im Nu war der Ozean verschwunden. Wir sahen nichts mehr als die weiße Leere und etwa dreißig oder vierzig Fuß Wasser. Der Leutnant war an die Lücke getreten, wohl um den Leuten Befehle zu geben – da, plötzlich, bei einem tiefen Ueberholen des Rumpfes, verlor er das Gleichgewicht und fiel über Bord. – – Mir stockte der Atem. Ich hoffte noch, das Boot würde ihn aufgenommen haben, doch das Geschrei der Leute belehrte mich eines andern. –

Ich warf einen verzweifelten Blick auf das Mädchen, das immer noch krampfhaft einen Pfeiler des Deckhauses umklammert hielt. Sie schien von dem Vorgang nichts gemerkt zu haben.

Ums Himmels willen halten Sie sich fest! rief ich, während ich halbtot vor Schreck nach einem noch stehenden Teil der Schanze taumelte und hinübersah.

Die Leute hatten in ihrer Aufregung die Bootsleine losgelassen. Alle brüllten durcheinander; drei Mann hatten ihre Riemen in die Ruderklampen eingehakt und lagen mit angestrengten Gesichtern über den Bootsrand gebeugt, um in den runden Wölbungen der Dünung ihren Offizier zu erspähen.

Bleibt längsseit! donnerte ich; er wird auftauchen. Aber die Kerle hatten den Kopf verloren, Sie hörten mich auch wohl kaum in dem dicken Dunst, bei dem Geheul des Windes und dem heftigen Auf- und Abwogen des Kutters. Ich schrie mir die Lunge aus, sie sollten alle sechs Ruder einsetzen und dicht herankommen; statt dessen aber suchten sie in ihrer Betäubung planlos das Wasser ringsum ab und wurden dabei von dem Wind und den immer höher werdenden Wogen weiter fortgetrieben. Bald verschwanden sie im dichten Nebel; und noch ehe ich das Geschehene völlig begreifen konnte, war der enge Raum schaumgesprenkelten Wassers leer und ich mit dem Mädchen allein.

Wie erstarrt blickte ich in das Wasser längsseit und nach der Stelle, wo das Boot verschwunden war. Doch umsonst, der Leutnant kam nicht in die Höhe. Ohne Zweifel war der Unglückliche beim Emportauchen mit dem Kopf gegen den Rumpf gefahren und so wieder in die Tiefe zurückgestoßen worden und ertrunken.

War das alles denn Wirklichkeit? Oder war ich verrückt geworden und bildete mir entsetzliche Schrecknisse ein? – Vor kaum zwei Minuten erst hatte er mich zürnend angelassen, das Mädchen nicht zu ängstigen, eben erst hatte er in der Kajüte noch gelacht und Witze gerissen und nun trieb er als Leiche unter unserm Kiel, tiefer und immer tiefer sinkend. Er war tot, wie jener Tote im Deckhaus, und doch hallten mir seine letzten scherzenden Worte über diesen und der Ton seiner Stimme noch in den Ohren. – Mein Gott, wachte ich denn wirklich? – – – Ja, ich wachte, denn vom Deckhaus her erklang es:

Wo ist das Boot, Herr Dugdale?

Langsam drehte ich mich nach dem Mädchen um, sah es einen Augenblick wie geistesabwesend an und blickte dann wieder schaudernd auf die schäumenden, spritzenden Hügel, die unser Deck ränderten, bevor sie der Wind mit schrillem Pfeifen in den Nebel jagte.

Hat uns das Boot verlassen? hörte ich wiederum angstvoll fragen.

Mit verzweifelter Anstrengung nahm ich mich zusammen, wartete einen günstigen Augenblick ab, um das Deckhaus zu erreichen, und hielt mich neben dem Mädchen fest.

Das Boot ist fortgeweht, die Leute verloren den Kopf, als sie den Leutnant über Bord fallen sahen.

Sie starrte sprich sprachlos an. Dann kam es stoßweise heraus: Was – über Bord – gefallen? – Ich dachte – er wäre ins Boot gesprungen. – Sie haben ihn doch?

Nein, hauchte ich, meinen Blick abwendend.

Nein? kreischte sie auf. O Gott! Sie wollen doch nicht sagen, daß er ertrunken ist?

Ja – ja – er ist ertrunken, antwortete ich, kaum fähig zu sprechen vor dem Entsetzen, das mich aufs neue schüttelte.

Ertrunken! – wiederholte sie starr vor Schrecken. Oh, nicht doch! Das ist ja gar nicht möglich! Er ringt vielleicht: dicht am Schiff, – sie machte eine Bewegung, als wollte sie nach ihm sehen.

Ich ergriff schnell ihren Arm.

Bitte, behalten Sie Fassung: Ich flehe Sie an, lassen Sie nicht los, oder Sie gehen wie er über Bord. Vor uns ist alles offen!

Aber, himmlischer Vater, ist denn so viel Unglück in so wenigen Minuten denkbar? rief sie. Und das Boot! – das Boot? – Wo ist das Boot?

Ihre Verzweiflung zerriß mir das Herz. Gleichzeitig aber erinnerten mich die grausamen Qualen, die sich in ihren Worten, ihrer wogenden Brust und ihren starren Augen ausdrückten, an meine Pflicht als Mann. Ich raffte mich gewaltsam zusammen und sprach:

Der Nebel zieht vielleicht schnell vorüber; der Himmel über ihm ist klar. Ist dies der Fall, so wird die See auch wieder bis zum Horizont frei. Der Ostindienfahrer weiß, daß wir hier sind. Auch die Korvette fährt nicht fort, bevor sie nicht ihr Boot wieder hat. Der Kutter ist ein starkes kleines Fahrzeug, und bis jetzt liegt in diesem Wetter und dieser See nichts, was ihm schaden könnte. Für Sie, armes Fräulein, ist das Erlebnis ja schwer, hoffentlich aber nur kurz. Erlauben Sie mir jetzt, Sie ins Deckhaus zu führen. Ein längerer Aufenthalt hier draußen ist nicht allein ermüdend, sondern auch gefährlich.

Sie schauderte. Ich kann nicht hinein, so lange der tote Mann drin ist. – O, hören Sie nur! schon wieder die Glocke! schrie sie hysterisch. Jetzt läutet sie für uns!

So muß der Tote hinaus, denn Sie müssen auf alle Fälle Schutz finden. Setzen Sie sich auf das Deck; Sie werden so sicherer sein.

Sie ließ sich nieder, und um sie noch mehr zu sichern, kroch ich auf allen Vieren zur Seite, wo ich mit meinem Messer ein Stück von einem Strick abschnitt. Dies legte ich ihr um die Taille und knüpfte die Enden um einen der eisernen Pfosten, die das Haus stützten. Dann trat ich ein.

Es war ein schauriges Werk, das ich vollziehen wollte. Aber ich mußte dem Mädchen ein Obdach verschaffen und konnte ihm nicht zumuten, es mit einem solchen Gefährten zu teilen. Doch ich muß gestehen, ich stand lange in Betrachtung des stummen Gesichts versunken, ehe ich den Mut fand, Hand an den Mann zu legen. Seine Haltung war so lebenswahr, seine Mime so träumerisch, daß mir Bedenken kamen. Wer konnte wissen, ob er nicht nur von einer Art Starrsucht befallen war, und ich sein Mörder wurde, wenn ich ihn über Bord warf? Nach einer Weile jedoch schüttelte ich die quälenden Gedanken und alle Scheu ab, nahm den Körper und schleppte ihn nach der Schanzenlücke. Ich zitterte dabei so heftig, als ob ich im Begriffe wäre, einen Lebenden ins Wasser zu werfen. Kurz vor der Lücke legte ich ihn nieder, und bei der nächsten starken Neigung des Decks gab ich ihm einen Stoß.

Nachdem ich den sanften Aufschlag auf die Wogen gehört, kroch ich zurück und kauerte mich neben das zitternde Mädchen, das von meinem Tun nichts gesehen und gehört hatte, da es von mir mit Vorbedacht mit dem Gesicht nach Steuerbord angebunden worden war.


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