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Der Rhythmus

Rhythmus, wo wohnst du? Von wannen
Strömst du ins wahre Gedicht?

Ehe die Berge begannen
Zu wachsen ins werdende Licht,
Ehe das Meer sich mit Küsten umstellt,
Ehe die Ströme waren,
Bin ich durchs Morgendämmern der Welt
Mit den Stürmen des Chaos gefahren.

Uralt bin ich, bin Atem und Tanz,
Flamme und stiebende Glut.
Wogender Umriß des Hügellands,
Pause im Fixsternreigenkranz,
Wechsel von Ebbe und Flut.

Hör die Cykade klagenden Schalls
Weinen im Ölbaumhain!
Von der granitenen Wandung des Tals
Höre das Wuchten des Wasserfalls
Singend im Urgestein!

Fühle mich kreisen im Bienenflug,
Spür' mich im nächtigen Wind;
Siehe mich reisen im Vogelzug:
Nimmer, nimmer fragst du genug,
Wo meine Örter sind.

Nicht mit Normen, nicht mit Namen
Sollst du zirkeln meine Kraft.
Ich bin Gottes frühster Samen,
Gottes erste Leidenschaft.

Eher als Figur und Bilder,
Als der hochzeitliche Reim,
Ging ich Schweifender und Wilder
In die großen Lieder ein.

Was dir nicht ins Mark geboren,
Dichter, seit Äonenzeit,
Ist verkümmert, ist verloren,
Schaffet keinem Lust noch Leid.

Anders wird ein Vers geschrieben,
Wenn vom Dach die Wächte tropft,
Anders, wenn die Flocken stieben,
Anders, wenn der Regen klopft.

Anders wird der Sänger singen,
Dem die salzige Brandung braust,
Anders, dem die Bäche springen,
Dem im Föhn die Birke saust.

Aus dem Schrei der Blitzeslichter,
Aus der Donner dunklem Chor,
Sank dem ältesten der Dichter
Ich ins hingerißne Ohr.

Aus der Urgeräusche Quellen
Stürz ich, eine ewige Flut,
Hingejagt in trunknen Wellen
Durch des Gottberauschten Blut.

Wo meine heimlichen Örter sind,
Nimmer fragst du's genug.
Immer eil ich, ein furchender Wind,
Hin zwischen Purpur und Bettlergrind,
Festmahl und Tränenkrug;

Eil von der Völker aufgipfelndem Sieg,
Hoffart und Heldensang
Nieder zu traurig verlorenem Krieg,
Nieder zu mählichem Abwärtsstieg,
Schwinden und Untergang.

Immer im Wandel von Reigen und Ruh
Wohn ich, im Pendelschwung.
Wohn in der Unrast des Ich nach dem Du,
Dränge vom Brautbett dem Tode zu,
Erzalt und knospenjung.

Der mit den Schachtelhalmen
Sich wiegte an grauendem Schöpfungstag,
Unter der Schlote Qualmen
Treibt er der pochenden Pulse Schlag.
Kreist mit der Sonne, wächst mit dem Mond,
Dröhnt mit den Uhren die Stunde:

Rhythmus, der wohnt, wo Leben wohnt,
Atem vor Gottes Munde.


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