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Das Sterben im Wald

Wochen schon in Mazedoniens Wäldern,
Feuchten, tiefen, dunklen, wilden Wäldern,
Könnt ihr zelten sehn mit seinem Heere
Kaiser Dušan aus Nemanjas Haus.
Warum zaudert wohl der Zar so lange,
Stefan Dušan, der Gewaltige,
In der Zeltstadt unter Baumeskronen,
Statt zu reiten vor das Tor von Byzanz,
Abzutun die hochmutstolle Stadt?

Kaiser Dušan liegt auf seinem breiten
Lager, seinem weichen, teppichbunten.
Denn, der viele Länder hat bezwungen,
Das Gesetz den Seinen hat gegeben,
Der an starkem Mut, an List und Hoheit
Alle die Gekrönten überragte,
Pflichtig ist er nun dem wilden Fieber,
Das ihn aus dem schwarzen Grund der Wälder
Angesprungen, beißend ihn ins Herz.

Um sein Bette stehn des Reiches Große,
Helden, strenge Mönche, Logofoten,
Steht als Erster Vukašin, der Mächtige.
Seine schwere Hand liegt auf des jungen
Uroš seidenbraunem Knabenhaupt.
Und sie alle läßt der Kaiser schwören,
Treue schwören Uroš, seinem Sohne,
Daß das Reich, das starke und geeinte,
Heil erharre seine Mündigkeit.

Wölfe heulen, Füchse und Schakale
Bellen her aus ihren finstren Höhlen,
Weil sie's wittern, daß ein Niebesiegter,
Mannesstarker, Kühner, Großgeborener
Mit noch Größerem im Kampfe liegt.
Rote Falken, schwarze Raben flattern
Ob der Zeltstadt, schlagen mit den Flügeln,
Ziehen schreiend trauervolle Kreise,
Denn sie spüren künftigen Verrat.

Auf den Wolken aber, auf den bleichen
Nebelschwaden, auf den breiten Kronen
Von Platanen, Eichen und Kastanien,
Allenthalben in den grünen Wipfeln
Hocken, hängen, schweben weiße Vilen,
Alle ängstevoll die Hände ringend,
Bange schauend eine böse Zukunft,
Wissend, daß der größte Serbenkaiser
Noch an diesem Tage sterben wird.

Aus der Wolke steigt die jüngste Vila,
Schönste Schwester, in das Zelt des Zaren,
Stellt sich auf zu Füßen seines Bettes,
Keiner sieht sie, nur der Zar erblickt sie,
Schaut sie an mit bangen Fieberaugen,
Fragt sie leis mit heißen Fieberlippen:
»Vila, Schwester, warum stehst du also
Dräuend mir zu Füßen meines Bettes?
Muß ich sterben hier in diesem Wald?«

Böse Zukunft sieht die Vila kommen,
Doch daß sie den Zaren nicht betrübe
An dem Tage seines Todes, spricht sie:
»Schlafe, du mein kaiserlicher Bruder,
Ruhe und gesunde! Balde wirst du
Mit dem starken, hochgemuten Heere,
Deinen wohlberittnen, tapfren Helden,
Deinen weisen, bärtigen Logofoten
Stehen vor den Mauern von Byzanz.«

Doch indes der Zar die mächtigen Augen
Müde schließt, die Mönche sich bekreuzen,
Weint die Vila in die weißen Hände,
Unsichtbar gelehnt an Bettes Pfosten.
Sieht sie schaudernd in der bösen Zukunft
Vukašin den Zaren Uroš töten,
Sieht in Zwietracht sie das Reich zerfallen,
Sieht den Türken sie das Land besitzen,
Untergehn Nemanjas stolzes Haus.


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