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Gespenstische Zukunft

Darf ich zu den Wenigen gehören,
die das große Morden überstehn
und im Trauerzug mit schwarzen Flören
hinter ihres Lebens Leichnam gehn,
ein Gespenstertrupp vergessner Reste,
die sich kaum noch aufzuschaun getraun,
wenn die Fremden sich zum Siegesfeste
freudig ihre Ehrenpforten baun,
während wir wehleidig mit uns tragen
der vergangnen Not Reliquienschrein
und uns, immer wieder grübelnd, fragen:
«Warum konnte solches möglich sein?»
Selbstzufrieden wogt die lässige Menge,
schon an das Gewordene gewöhnt,
abgestumpft, mit Aermlichkeit und Enge
ihres neuen Daseins ausgesöhnt.
Ihr sind wir unheimliches Gelichter,
das mit seinen Toten sich belud,
ein verlornes Häuflein Unheildichter,
voller Schrullen, Furcht und Wankelmut,
ungehörig im Gewesnen wühlend,
taub für unsrer Gegenwart Bestand,
sich wie Blinde furchtsam vorwärts fühlend,
zögernd, Schritt für Schritt und Hand in Hand,
einer nah sich an den andern drängend
wie die Lämmer, die der Hund umkreist,
an gestürzten Heiligtümern hängend,
unbelehrbar, wunderlich, vergreist,
daß die jungen Menschen uns verachten,
weil wir dem noch treu sind, was uns trog,
und nach Traumzufluchten weiter trachten,
die das Schicksal uns gestreng entzog,
aber auch uns unablässig bangen
vor der Wiederkehr der Schreckenszeit,
in der eignen Kläglichkeit gefangen,
niemals von Entwürdigung befreit,
das Gedenken selbst heraufbeschwören
an den Feind, der uns nicht mehr bedroht,
die wir, wie zum Hohn verschont, gehören
als Leibeigne, lebend auch, dem Tod.


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