Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

Ollivier, der Mann der armen verstorbenen Blandine, hatte bald den Weg zur politischen Geltung gefunden. Er war Ministerpräsident in Frankreich geworden, Blandine konnte das nicht mehr erleben. Ihr Sohn aber erlebte es. Und der Abbé betonte stolz, daß der Vater seines Enkels Daniel Ollivier Ministerpräsident sei. Ja, er war sogar nicht nur Ministerpräsident, sondern zugleich Justiz- und Unterrichtsminister. Er hielt die Fäden des Parlaments sehr geschickt in seiner Hand. Jeden Tag konnte Franzi von neuen Erfolgen seines Schwiegersohnes in den Zeitungen lesen. Über den Häuptern der Menschen aber begann mit einem Male die Geschichte zu donnern und zu blitzen. Es verging kein Tag ohne ein weltbedeutendes Ereignis. Der spanische Thron war leer geworden, ein Prinz von Hohenzollern wollte ihn besetzen, Kaiser Napoleon aber versuchte das mit aller Kraft zu verhindern. Zu gleicher Zeit ging die Synode in Rom ihrem Ende zu, und jetzt war schon nicht mehr daran zu zweifeln, daß die Versammlung der Bischöfe der Welt das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes verkünden würde. Gleichzeitig war Viktor Emanuel, der König von Italien, eifrig bemüht, den päpstlichen Staat endgültig zu erobern, da die Macht Napoleons, die den Papst bisher geschützt hatte, durch die deutsch-französische Spannung immer mehr von Rom abgelenkt wurde. Und eines Tages erhielt Franzi aus Rom einen Brief, daß er jetzt unter keinen Umständen zurückkehren solle, denn die Waffen könnten in jeder Sekunde zu sprechen beginnen.

Die zwei großen Nachrichten erschienen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in der Presse. Am 18. Juli wurde aus Rom gemeldet, daß das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes angenommen sei: unter hundert und aberhundert Kirchenfürsten hatten nur zwei dagegen gestimmt. Der Bischof Hohenlohe beugte sich und stimmte mit Ja. Am Tage darauf teilten dann die Zeitungen mit, daß zwischen Deutschland und Frankreich der Kriegszustand erklärt worden sei.

Der Abbé war damals schon in München. Da er nach Rom nicht fahren konnte, hatte er sich diese Stadt als Aufenthalt gewählt. Olga Janina führte sich brav auf, sie hatte sich überreden lassen und war allein nach Helgoland ins Seebad gereist. Dem Abbé wäre es in diesen Tagen unmöglich gewesen, Liebesszenen zu ertragen. Die Kriegserklärung hatte ihn tief erschüttert. Zwei Nationen standen sich gegenüber, denen beiden er sich tief verbunden fühlte. Paris bedeutete seine Jugend, die Gräfin Liline hatte seine ganze geistige Entwicklung bestimmt, mit Deutschland verband ihn die schöpferische Tätigkeit seines ganzen Mannesalters. Weimar war für ihn die neue Musik. Ein Enkel von ihm war Franzose, alle anderen Deutsche. Wenn diese Enkelkinder militärpflichtig gewesen wären, hätte er jetzt erleben können, daß sie sich an zwei Fronten als Feinde gegenüberstanden. Zu den Herrschern beider Länder stand er seit langem in freundschaftlichen Beziehungen. Eine Zeitlang hielt er sich in dem vom Kriegstaumel erfüllten München auf. Er lernte Lenbach kennen, den in den letzten Jahren sehr berühmt gewordenen Porträtmaler, der auch sogleich sein Bildnis in Angriff nahm. Er kam auch mit anderen Bekannten zusammen und ging ins Theater: in München wurden zwei Teile der Tetralogie aufgeführt, das »Rheingold« und die »Walküre«. Krieg, Papsttum, Geschichte, – alles hörte mit einem Schlage für ihn auf, als er diese beiden Abende erlebte. Als es im Zuschauerraum dunkel wurde und aus dem Orchester das langanhaltende, tiefe Es, der geheimnisvolle Ton des Chaos, des den Samen der künftigen Welt in sich tragenden Urnichts ertönte, als sich nach einer Weile das B dazugesellte, und im Zusammenhang sich die geheimnisvolle Unendlichkeit vor dem Hörer auftat, da packte ihn eine so gewaltige Erregung, daß er glaubte, seine Nerven müßten zerreißen. In einem ohnmachtsähnlichen Rausch verließ er das Theater. Der zweite Teil wirkte genau so auf ihn, obwohl beide Aufführungen weit von dem Idealbild entfernt waren, das sich der Komponist von der Wiedergabe dieses mächtigen Werkes auf der Bühne gemacht hatte.

Der Komponist war nicht anwesend. Wagner und Cosima wohnten in Triebschen und verkehrten nicht einmal brieflich mit ihm. Richtiger: nur Cosima nicht. Zwischen dem Abbé und Wagner war eine grundsätzliche Annäherung bereits im Gange. Franzi war es, der den ersten Schritt tat. Er sandte Wagner zu seinem Geburtstage ein Telegramm: »In hellen und trüben Tagen für und für mit Dir. Liszt.« Wagner dankte ebenfalls in einem Telegramm mit warmen Worten. Cosima wurde aber von keinem von beiden erwähnt. Und Cosima selbst schwieg hartnäckig. Allem Anschein nach hatte sie mit ihrem Vater fürs ganze Leben abgerechnet. Vereinzelte Anspielungen und Andeutungen, taktvoll abgebrochene Sätze, die er im Kreise seiner Münchner Bekannten hörte, bewiesen ihm immer deutlicher, daß Wagner die Verbindung sehr gerne wieder aufnehmen mochte, Cosima aber von ihm nie mehr etwas wissen wollte.

Er besuchte noch die Passionsspiele in Oberammergau. Das Ganze hätte ihm sehr gut gefallen, nur die Musik fand er sehr schlecht. Vor den Blechtönen ergriff er die Flucht. Er setzte sich in den Zug und fuhr nach Szegszárd, um beim Baron Augusz den Verlauf der Weltereignisse abzuwarten. Ein Schüler von ihm, der kleine Franz Servais, begleitete ihn. In Szegszárd fühlte er sich ungemein wohl. Lange Wochen verbrachte er bei der lieben befreundeten Familie. Seine Tage vergingen in angenehmer Einförmigkeit. Morgens um sechs Uhr stand er auf und ging in die Kirche, um die Messe zu hören. Den ganzen Vormittag arbeitete er über seinen Noten, nach dem Mittagessen spielte er abwechselnd mit Baronesse Anna oder Baronesse Helene, den Töchtern des Hausherrn, vierhändig. Später machten sie einen Spaziergang oder eine Ausfahrt. Nach dem Abendessen legte sich jeder schon früh zur Ruhe, um zehn Uhr war das ganze Haus still.

Diesem beruhigenden, idyllischen Leben bereitete Olga Janina ein Ende. Eines Tages war die ganze Gesellschaft nach Pest zum Sängerfest am St. Stefanstage gefahren, ein strömender Regen machte die Veranstaltung jedoch zunichte. Als sie nach Szegszárd zurückkehrten, war die Tscherkessengräfin gerade dort eingetroffen. Ohne vorherige Erlaubnis des Abbé. Sie hatte einfach telegraphiert, daß sie dann und dann käme.

Im Schloß Augusz war kein Fremdenzimmer mehr frei, da man noch mehr Besuch erwartete; sie mußte deshalb in dem gegenüberliegenden kleinen Gasthaus Wohnung nehmen. Aber schon frühmorgens schloß sie sich dem Abbé auf seinem Wege zur Messe an, und abgesehen von den vormittäglichen Arbeitsstunden ließ sie ihn keine Minute allein, nicht eher, als bis alle sich zur Ruhe begeben hatten. Gesellschaftlich konnte man nichts gegen sie einwenden, sie war eine Lisztschwärmerin, die ihrem Meister gefolgt war, wie ja auch der junge Servais. Sie sorgte aber bald dafür, daß die Lage sich kritisch gestaltete. Die neuen Gäste kamen an: Mihalovics, Reményi und Sophie Menter. Die blonde, schöne Pianistin Sophie Menter, die Liszt anbetete, durfte mit ihm unter einem Dache wohnen! Als sich die Gesellschaft nach dem Abendessen zur Ruhe begab, fauchte Olga Janina vor Eifersucht wie ein Stier. Sie mußte ins Gasthaus, und die anderen blieben hier! Am anderen Morgen stand sie schon beizeiten vor dem Tore, um den Abbé zu erwarten, der in die Kirche gehen wollte. Mit einem Schwall von Vorwürfen überfiel sie ihn, vor Eifersucht hatte sie die ganze Nacht nicht geschlafen.

»Haben sich alle sofort niedergelegt?«

»Ja.«

»Aber Sie haben sich noch verabschiedet, nachdem ich fort war?«

»Jeder hat jeden gegrüßt.«

»Wie haben Sie Sophie gegrüßt? Was haben Sie zu ihr gesagt?«

»Ich habe ihr ›Gute Nacht‹ gesagt.«

»Und was hat sie gesagt? Haben Sie einander in die Augen gesehen? Antworte, denn ich werde wahnsinnig. Habt ihr einander in die Augen gesehen?«

»Ich erinnere mich nicht.«

Mit unendlicher Ruhe antwortete er ihr auf jede Frage. Er war dieser in wilder Liebe tobenden Frau ausgeliefert, und es war ernstlich zu befürchten, daß sie einen mächtigen Skandal heraufbeschwören würde. Kleinere Skandale waren sowieso an der Tagesordnung. In einer Nacht wurde Franzi durch irrsinniges Hundegebell aus sämtlichen Nachbarhöfen und lautes Geräusch unter seinem Fenster aus dem Schlaf geschreckt. Verwundert blickte er hinaus. Unten auf der Straße, im schimmernden Mondlicht, stand Olga Janina.

»Was machen Sie?« sagte er mit gepreßter Stimme. »Haben Sie den Verstand verloren? Sie wecken ja das ganze Haus.«

»Ich möchte wissen, ob Sophie bei Ihnen ist.«

»Sie ist nicht bei mir.«

»Schwören Sie.«

»Aber, bitte, machen Sie sich doch nicht lächerlich. Deswegen wecken Sie einen mitten in der Nacht? Gehen Sie zu Bett!«

»Schwören Sie sofort, oder ich schlage Lärm.«

»Es ist gut, ich schwöre. Aber jetzt gehen Sie schlafen.«

Die Tscherkessin zögerte noch, dann wandte sie sich um und schritt dem Gasthaus zu. Sie ging aber noch nicht hinein. Vom Eingang aus beobachtete sie das Fenster. Die aufgescheuchten Hunde bellten bis zum hellichten Morgen, Franzi konnte nicht mehr schlafen. Ein andermal nannte Reményi im Gespräch die Baronin Meyendorff. Olga Janina begann sofort laut zu schluchzen, sprang vom Mittagessen auf und rannte hinaus. Verwundert sah man ihr nach, Baron Augusz, der Hausherr, wollte ihr nacheilen.

»Laß«, der Abbé hielt ihn zurück, »das brauchst du nicht ernst zu nehmen. Sie wird sich schon beruhigen und kommt dann von selbst zurück.«

Langsam gewöhnten sie sich alle an die Wildheit der Tscherkessin. Die ganze Gesellschaft paßte dann auf, daß sie kein Unheil anstiftete, wie man einen frei herumlaufenden Geisteskranken beobachtet. Loswerden konnte man sie nicht; der Abbé wagte nicht einmal daran zu denken, daß sie abreisen könnte. Wenn die ganze Gesellschaft irgendwohin eingeladen war, mußte man sie mitnehmen. Und damit lud man sich keine geringe Verantwortung auf, denn man fuhr nach Nádas, zu dem dort weilenden Bischof von Fünfkirchen, und nach Kalocsa zum Erzbischof Haynald und zu dem Jesuitenrektor Alois Hennig. Sie reisten wie eine regelrechte Karawane, man konnte die Tscherkessin nicht gut allein zu Hause lassen. Sie schwur jedesmal Stein und Bein, daß sie sich beherrschen wolle, aber schon bei der ersten Gelegenheit war sie so taktlos, daß fünf auf einmal zu sprechen begannen, um die peinliche Stimmung auszugleichen.

Olga Janina regte sich besonders über die Nachrichten auf, die jetzt in den Zeitungen über Cosimas und Wagners Hochzeit erschienen. Eines Nachmittags riß sie dem Briefträger die Zeitungen aus der Hand, um sie zuerst lesen zu können.

»Verzeihung«, sagte Augusz ein wenig gereizt, »das sind meine Zeitungen.«

»Ich brauche nur die ›Presse‹, weil ich ein wenig deutsch kann.«

Die ungarischen und anderen Zeitungen reichte sie Augusz, schlug dann die »Presse« auf und begann zu blättern. Plötzlich schrie sie auf:

»O lala, das ist aber eine Neuigkeit. Jeder mag dem Abbé gratulieren, Wagner und Frau Bülow haben sich endlich entschlossen, zu heiraten. Hier steht's in der Zeitung, daß die Hochzeit in Luzern stattgefunden hat!«

Franzi riß, tief errötend, der Tscherkessin die Zeitung aus der Hand. Die »Presse« berichtete tatsächlich, daß Richard Wagner und Cosima Liszt, die geschiedene Frau Hans von Bülows, in Luzern die Ehe geschlossen hatten. Die ganze Gesellschaft wußte aber zur Genüge, daß das keine Hochzeit war, zu der man dem Vater gratulieren konnte. Der Hausherr begann sofort über die Berichte vom deutschfranzösischen Kriegsschauplatz zu sprechen, und dieser taktvolle Verschleierungsversuch wirkte noch viel peinlicher als die Taktlosigkeit der Tscherkessin. Augusz brachte die Landkarte, auf der kleine Fähnchen die alltäglichen Stellungen bezeichneten. Und bald kümmerte die Gesellschaft sich tatsächlich nur noch darum, wie Moltke die Franzosen nach Sedan drängte, um sie von Paris abzuschließen. Die Regierung Ollivier war unter dem Druck der französischen öffentlichen Meinung gestürzt worden.

»Ollivier ist auch ein Schwiegersohn unseres Abbé«, sagte Olga Janina.

Da verlor Reményi die Geduld und herrschte sie an:

»Reden Sie doch nicht soviel unnützes Zeug. Das hält ja keiner aus!«

Olga Janina erhob sich unheildrohend und wandte sich an den stummen Abbé:

»Sie lassen das zu, daß man mich hier beleidigt? Gut. Ich nehme das zur Kenntnis.«

Sie brach in Tränen aus und rannte davon. Die ganze Gesellschaft schwieg verlegen und steif. Der Abbé sah sich um.

»Seien Sie nicht böse auf sie«, sagte er reuevoll, »sie ist eine ganz gute Person, bloß ein bißchen übergeschnappt. In einer halben Stunde ist sie wieder da und bittet um Verzeihung.«

Und in der Tat – nach einer halben Stunde kam Olga Janina zurück und bat jeden einzeln um Verzeihung. Baron Augusz, der Hausherr, versicherte ihr mit höflicher Nachsicht, daß alles in Ordnung wäre. Sie betrachteten diese Fran als aufgezwungenen Tribut, den sie für den Aufenthalt des weltberühmten Mannes nun einmal zu bezahlen hatten. Dann gab es auch jeden Tag irgendein weltbedeutendes Ereignis, das die Aufmerksamkeit von ihr ablenkte. Die Deutschen rückten mit sieghafter Kraft an der ganzen französischen Front vor und, nachdem Napoleon in die Ecke gedrängt war, handelten auch die Italiener blitzschnell. Die der französischen Unterstützung beraubte päpstliche Macht war gebrochen. Die einrückenden Italiener ließen dem Papst nur den Vatikan. Nur ein einziges Palais für den einstigen Herrscher der Welt. Alles das aber schien dem Abbé in sehr weiter Ferne zu liegen. Er war schon ein halbes Jahr von Rom abwesend; es kam ihm aber wie ein Jahrzehnt vor. Erst hier, in diesem trauten, ländlichen Schloß erkannte er, daß er in Rom stets Gast, nie ein wahrer Einwohner der Stadt gewesen war. Als er die Sutane anlegte, wollte er wirklich gerne Priester werden. Es war aber anders gekommen. Von der großen Sehnsucht, die ihn zur Kirche zog, war nichts übriggeblieben, als die alltägliche Messe und sein Brevier. Sein Priestergewand war nur ein Symbol dieser verloschenen Sehnsucht. In dieser Sehnsucht war damals eine ganz geringe, dem bloßen Auge kaum sichtbare selbstgefällige Freude an den Äußerlichkeiten des Priestertums gewesen.

Zu seinem Geburtstage kamen auch Gäste aus Pest an. Anton Sipoß, der Pianist, der ihn einst auch in Weimar besucht hatte, Heinrich Gobbi, der Komponist, und Abrányi, Mitarbeiter der Musikzeitung und Volksliedersammler. Der Globetrotter Paul Rosty, Josef Eötvös und sein Schwager Trefort, ein leidenschaftlicher Wagnerianer. Cornelius Abrányi, der Dichter und Musikkritiker. Und Mosonyi, der Opern-Textdichter, ein alter und hochgeschätzter Bekannter des Abbé. Die Einwohner von Szegszárd veranstalteten ein großes Fest, der Reihe nach wurden die Häuser beleuchtet, man zündete bengalische Feuer an, vor den Fenstern erschien eine große Menge mit einem Festredner, auch eine Festmesse hatte man veranstaltet, ein Festessen mit zweihundert Personen und vielen Begrüßungsansprachen. Alle Redner stürmten auf ihn ein, er möge doch' seinen Lebensabend im Lande seiner Kindheit beschließen.

Er hatte sich nunmehr entschlossen, sich in Pest ein ständiges Arbeitsfeld zu suchen. Jedermann wußte von seiner Neigung und von seiner Sehnsucht, sogar die Zeitungen sprachen schon davon. Die »Pester Naplo« forderte die Regierung auf, etwas zu unternehmen. Mihalovics schrieb einen langen begeisterten Artikel im »Pester Lloyd«. Baron Augusz war auch jetzt der wahre Berater und die verläßliche Stütze Franzis. Augusz kannte einen jeden, überall wußte er Bescheid, überall hatte er Zutritt. Sie besprachen alle Möglichkeiten, und bei jeder Beratung kamen sie am Schluß zu der Einsicht, daß es nur einen Weg gab: man mußte das Parlament für die Musikakademie gewinnen. Ihre Leitung war eine würdige Aufgabe für den nach fünfzig im Ausland verbrachten Jahren heimkehrenden Franz Liszt.

»Ja, ich habe kaum Zeit für mein Vaterland gehabt. Ich komme erst nach Hause, wo ich alt werde und zu nichts mehr zu brauchen bin.«

»Rede nicht so dummes Zeug«, widersprach Augusz ihm liebenswürdig, »du stehst ja heute noch da wie ein kräftiger Baumstamm. Jeder andere hat in deinem Alter schon längst einen Bauch und eine Glatze. Du hast heute noch keinen Bauch, aber um so mehr Haare. Hab' keine Sorge, Ungarn bekommt noch genug von dir.«

»Möglich. Im tiefsten Grunde meines Herzens glaube ich ja auch nicht, daß ich bald sterbe. Freilich trügen diese Gefühle meist. Ich habe vor ein paar Jahren in Rom eine Zeit gehabt, wo ich fest überzeugt war, in kurzer Frist zu sterben. Damals habe ich das Priestergewand angelegt. Und siehe, ich bin heute noch da.«

Aber das Leben schickte ihm eine Mahnung, nicht übermütig zu werden. Mosonyi war kerngesund aus Szegszárd abgefahren. Auf der Reise hatte ihm der Wind den Hut vom Kopfe geweht, und er hatte sich erkältet. Er wurde bettlägerig. Eine Woche später traf in Szegszárd die Todesanzeige ein. Den guten Baron Augusz nahm diese Sache außerordentlich mit.

»Das ist doch furchtbar, aus der Todesanzeige sehe ich eben, daß der arme Nikolaus Mosonyi sieben Jahre jünger war als ich. Er tut mir sehr leid. Wenn ich aber daran denke, daß es in diesem Alter für unsereinen genügt, wenn einem der Wind den Hut wegweht, dann ist mir nicht ganz wohl. Zum Teufel noch einmal. Hast du keine Angst vor dem Tode, Franzi?«

»Nein, ich bin jederzeit bereit. Ich glaube fest daran, daß uns der Herrgott solange leben läßt, wie wir auf dieser Erde zu tun haben. Wenn ich meine Arbeit verrichtet habe, gehe ich nach Hause zum lieben Gott. Dabei ist nichts Fürchterliches, ich denke stets ohne Erregung und Angst daran, daß ich einmal sterben werde.«

Sie redeten noch eine Zeitlang weiter, Olga Janina las neben ihnen in der Zeitung. Daß sie aber mehr auf das Gespräch als auf die Zeitung geachtet hatte, stellte sich sofort heraus, als Augusz einmal ins Nebenzimmer ging. Gerade jetzt grollte sie dem Abbé, weil sie erfahren hatte, daß er der bereits abgereisten Sophie Menter einen Brief geschrieben hatte.

Als Augusz hinausgegangen war, trat sie vor den Abbé hin und blieb mit glühendem Gesicht vor ihm stehen:

»Wenn du nur schon sterben würdest! Dann hätte ich endlich vor dir Ruhe und könnte um dich trauern.«

Der Abbé lachte und tätschelte ihr die Wangen. Ihre Narrheiten fand er manchmal ergötzlich und konnte sich darüber herzlich amüsieren.


 << zurück weiter >>