Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

Am Tisch der herzoglichen Familie Rospiglio, die er öfter besuchte, war eine leichte Plauderei im Gange. Man sprach davon, was das Fürchterlichste auf der Welt sei. Um seine Meinung befragt, antwortete der Abbé:

»Es gibt nichts Fürchterlicheres auf dieser Welt als eine Frau, die einem zuwider ist.«

»Das sehe ich nicht ein«, sagte der Herzog, »die Frauen, die einem zuwider sind, jagt man davon, und sie sind nicht mehr.«

»Das wäre schön, wenn das ginge. Was macht aber einer, den das Schicksal damit gestraft hat, daß er Frauen gegenüber nicht unhöflich sein kann?«

Ihn hatte das Schicksal tatsächlich damit gestraft. Ihm war die Ritterlichkeit angeboren, die es ihm unmöglich machte, einer Frau gegenüber, gleichviel welchen Alters und welchen Ranges, unhöflich zu sein. Es ist ja eine alte Tatsache, daß alles dorthin strebt, wo es ersehnt wird. Das Geld, das Kind, der Hund, die Frau fühlen es gleichermaßen, wer sie lieb hat, und streben dorthin. Die Frauen drängten sich nach ihm. Er war wirklich ein » homme aux femmes«, wie man ihn in Paris nannte. Zu Männern konnte er hin und wieder grob sein, wenn man ihn irgendwie sehr erzürnt hatte. Seine Geduld, seine Zuvorkommenheit und seine Ritterlichkeit Damen gegenüber kannten aber keine Grenzen.

Und Olga Janina verstand es, diese Eigenschaften bis zum äußersten auszunützen. Von dem Augenblick an, wo sie ihr Ziel erreicht und den Abbé sozusagen verführt hatte, war sie brutal und hartnäckig bemüht, seine einzige, ausschließlich anerkannte Geliebte zu werden. Von früh bis spät arbeitete sie daran mit zäher Urkraft. Sie erschien ganz unerwartet beim Abbé, beobachtete jeden seiner Schritte, sie war imstande, ihm stundenlang an einer Straßenecke aufzulauern, um zu erfahren, ob er aus dem Palais eines seiner Bekannten tatsächlich nach Hause ging, oder ob er noch einen anderen Weg vorhatte. Sie war überall und immer da. Nur um seine Freundschaft zu Carolyne kümmerte sie sich nicht, weil sie wußte, daß diese keinen Beigeschmack von Liebe mehr bekommen konnte. Aber gegen jedes andere weibliche Wesen richtete sie ihre gefährliche Wühlarbeit. So lebte in Rom eine Bildhauerin, die eine Büste des Abbé meißelte. Die Tscherkessengräfin lief in das Atelier der Künstlerin und fing an diese Büste zu schmähen. Sie reizte und ärgerte die Bildhauerin solange, bis diese in Zorn geriet und die Büste vom Sockel stieß, so daß sie in tausend Stücke schlug. Dann entfernte sich Olga Janina ruhig und befriedigt; nur das hatte sie erreichen wollen. Die Aufgabe dieses Tages war erledigt, am nächsten Tage machte sie sich auf die Suche nach neuen Opfern. Auch unter den Schülern stiftete sie Unfrieden: sobald der Abbé eine Schülerin über Gebühr lobte, begann Olga Janina sofort, ihr die Lust an der Kunst zu nehmen. Sie klatschte, hetzte die Menschen gegeneinander, ihr ganzes Leben widmete sie nur diesem Ziele, und Klavierspielen lernte sie auch nicht des Klavierspielens wegen, sondern nur dem Meister zuliebe.

Der Meister lächelte anfänglich über diesen großen Eifer, nach und nach aber wurde ihm die Sache ungemütlich. Es kam zu einer Aussprache. Die ertappte Tscherkessin zog vorsichtig die Fäden ihres Spinngewebes ein, bald aber begann sie hartnäckig von neuem an ihrem Netz zu spinnen. Als sie darauf gekommen war, daß der Abbé weiblichen Tränen gegenüber sofort entwaffnet war, inszenierte sie schluchzende Auftritte. Und mit diesen erreichte sie fast immer, was sie wollte.

Manchmal aber doch nicht. So konnte sie es nicht erkämpfen, daß der Abbé, als der Sommer kam, sie auf seine Münchner Reise mitnahm. Er blieb fest und schlug diese Bitte rundweg ab. Nino Sgambati hingegen nahm er mit, weil es ihm sehr wichtig schien, daß dieser hervorragende Schüler, der seine Richtung unter den Italienern vertrat, die Tetralogie kennenlernte. Die beiden Musiker, der Meister und der Schüler, fuhren jedoch umsonst nach München, denn dort herrschte die größte Kopflosigkeit, und aus der Uraufführung wurde nichts. König Ludwig hatte einfach befohlen, daß das »Rheingold« aufzuführen sei, und zwar an seinem Geburtstage, dem 25. August. Dieser Befehl stand im vollen Widerspruch zu Wagners Wünschen, wie seine Tetralogie aufgeführt werden sollte. Er hielt es für unmöglich, daß dieses Werk anders das Licht erblicken sollte, als im Rahmen von vier aufeinanderfolgenden festlichen Abenden. Dem Befehl des Königs hatte aber auch er sich nicht widersetzen können. Er hatte nichts weiter tun können, als sich persönlich ostentativ fernzuhalten. Lediglich seinen künstlerischen Einfluß wollte er geltend machen und von Triebschen aus Anweisungen bezüglich der Einstudierung und Rollenbesetzung erteilen. Das Werk wurde also auf den Spielplan gesetzt. Da hielt es aber Hans, der sich bis dahin heldenhaft zur Leitung der Werke Wagners gezwungen hatte, nicht mehr mit den Nerven aus; er konnte den inneren Zwiespalt zwischen seinem künstlerischen Glauben und seinem menschlichen Schmerz nicht überwinden, ließ alles in Stich und reiste ab. Seinen Platz nahm ein strebsamer und begabter junger Musiker namens Hans Richter ein, der nach Wagners Anweisungen, die sich bis auf die kleinsten Einzelheiten erstreckten, an der Einstudierung arbeitete, bei der Hauptprobe jedoch feststellen mußte, daß die Aufführung dieses Meisterwerkes unwürdig wäre. Er gab bekannt, daß er nicht geneigt sei zu dirigieren, und ließ alles in Stich. Die Aufführung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Geburtstag des Königs verlief ohne das »Rheingold«. Zu der Aufführung waren aber die Wagnerschwärmer aus ganz Europa herbeigeströmt. Da war die Frau Kalergis in der überreifen Pracht ihrer blonden Schönheit, da war die berühmte Gräfin Mimi Schleinitz, die Herrin des interessantesten Berliner literarischen und Kunstsalons, eine alte Bekannte des Abbé; so oft sie sich trafen, blitzte zwischen ihnen die unausgesprochene, aber prickelnd heiße Möglichkeit einer innigeren Verbindung auf. Da war Pauline Viardot-Garcia, die berühmte Sängerin, eine noch ältere Bekannte, die einst als junges Mädchen von dem weltberühmten Meister Klavierstunden bekam und mit der er heute noch in sehr innigem Briefwechsel stand, da war die Gräfin Dönhoff, eine geborene Herzogin Maria Camporeale, die der Abbé gleichfalls noch aus ihrer Mädchenzeit her kannte. Und aus jeder Hauptstadt kamen noch viele andere reiche und vornehme Kunstsachverständige, die sich einen solchen musikalischen Ausflug erlauben konnten. Alle waren zurückgereist, wie sie gekommen waren, ohne das »Rheingold«. Auch der Abbé, der die Verehrung all der Damen entgegennahm, mit ihnen soupierte und sich in einer intimen Gesellschaft sogar auch ans Klavier gesetzt hatte, fühlte sich ausgezeichnet, obwohl er den Zweck seiner Reise nicht erreicht hatte. Weder das »Rheingold« noch Hans hatte er sehen können.

Statt dessen besuchte er öfters die alte Frau von Bülow, die Mutter von Hans. Und von ihr erfuhr er auch vieles. Die aufrechte und starke alte Frau hatte sich bis jetzt von den Familienangelegenheiten ihres Sohnes ferngehalten, aber alles gesehen und gehört. Und der Abbé war der einzige, dem sie all das auch erzählen konnte. Denn die Tochter des Abbé machte ihren Sohn unglücklich, und in das Leben ihrer beiden Kinder war Wagner wie das Schicksal selbst getreten.

»Das ging schon lange, lange Jahre so«, sagte Frau von Bülow, »ich hatte es sofort bemerkt, als es anfing. Ich konnte aber doch nichts sagen. Bei solchen Gelegenheiten heißt es für die Mutter immer: ›schweige‹. Ich hoffte auch immer, daß diese Hofiererei einmal ein Ende nehmen und Hans nie etwas erfahren würde. Es ist aber anders gekommen. Armer Hans, mein Herz blutet um ihn. Er hat Cosima jetzt noch lieb. Nie, solange er lebt, wird er eine andere Frau lieben. Mein Sohn kann in diesem Leben nie mehr glücklich werden. Aber, Gott ist mein Zeuge, ich verdamme niemanden.«

Der Abbé ergriff die Hand der alten Frau:

»Ich wollte Sie auch bitten, daß Sie Cosima nicht hassen sollen.«

»Ich hasse sie nicht. Aber ich kann sie nicht verstehen. Wie kann sie glücklich sein, wenn sie anderen soviel Schmerz bereitet? Sie kümmert sich aber nicht darum. Sie hat ja auch zu Richter gesagt, sie wäre auch über Leichen gegangen, nur um Wagner gehören zu können.«

»Es scheint, sie sind wirklich füreinander bestimmt. Und in meinem Herzen beginne ich ihnen schon fast zu verzeihen. Ich werde aber doch noch ein Weilchen damit warten.«

»Sie verzeihen ihnen, Meister? Wie ich sehe, verkennen Sie die Situation vollkommen. Die wollen ja Ihnen nicht verzeihen.«

»Wie bitte?«

»Es ist so, wie ich sage. Ich habe genaue Nachrichten, denen Sie glauben können. Wagner möchte sich sehr gern mit Ihnen aussöhnen, was ja auch natürlich ist. Er hat bis jetzt immer alles erreicht, nun will er auch noch Ihre Freundschaft, dann gehört ihm alles. Er betont auch andauernd, daß er in diesem Leben nur einen wahren Freund habe, und das sei der Meister. Mit Cosima steht es aber anders. Cosima zürnt Ihnen tödlich und betont, daß sie sich nicht versöhnen will.«

Franzi hörte fassungslos und erstaunt zu. Bis jetzt hatte er sich für einen hartherzigen Vater gehalten, der gewisse gesellschaftliche Fragen viel zu streng genommen und sein einziges Kind übereilt von sich gestoßen hatte. Sein Gewissen hatte sich in der letzten Zeit oft geregt, er empfand es als Herzlosigkeit, daß er sich vom Glück seiner Tochter fernhielt. Und jetzt stellte sich heraus, daß Cosima ihn gar nicht brauchte, – dieses Wesen, das ihm immer am nächsten gestanden, für das er soviel gearbeitet, zu dem er sich mit innigster und reinster Zärtlichkeit hingezogen gefühlt hatte! Seine beiden anderen Kinder, denen er Cosima im geheimen stets vorgezogen hatte, besaß er nicht mehr. Cosima war da, war glücklich und wollte nichts von ihm wissen.

Er sprach noch lange mit Frau von Bülow, er befragte sie noch lange über Einzelheiten. Und er mußte feststellen, daß die Informationen der alten Frau zutrafen. Wagner möchte sich mit ihm versöhnen, Cosima, trotzig, läßt es aber nicht zu. Cosima zürnt ihm fürs ganze Leben, weil ihr Vater sie in der großen Krise ihres Lebens allein gelassen und sich nicht neben sie gestellt hat.

»Ja, das ist das Schicksal der Eltern«, seufzte Frau von Bülow, »wenn die Kinder erwachsen sind, brauchen sie uns nicht mehr.«

»Nun, wir werden's ertragen«, entgegnete der Abbé.

Er lächelte leicht dazu, aber seine Lippen bebten und in seinem Herzen verspürte er einen blutigen Schmerz. So fuhr er aus München fort, mitten ins Herz getroffen, seiner innersten Gefühle beraubt, mit der leeren Kälte der Einsamkeit in seiner Seele.

Am Bahnhof in Rom erwartete ihn Olga Janina mit einem riesengroßen Blumenstrauß und mit fordernder Liebe. Sie fuhren zusammen in die Stadt. Die Tscherkessin unterzog ihn einem theatralischen Verhör, wie weit er ihr die Treue gehalten habe. Er antwortete nur hin und wieder, nur um etwas zu antworten. Und innerlich fragte er sich, was ihn eigentlich diese Frau anging und wie die überhaupt neben ihn in den Wagen kam.

Carolyne hingegen richtete nur der Form halber einige Fragen über die Münchner Reise an ihn; ihre Gedanken waren ganz woanders. Ihr ganzes Fühlen und Denken nahm die kommende Synode in Anspruch. Papst Pius hatte für Anfang Dezember die Synode einberufen, die dazu ausersehen war, die Unfehlbarkeit des Papstes zu verkünden. Dezember war noch weit, aber in den Kreisen der hohen Geistlichkeit hatte die Aufregung bereits begonnen. Schon formten sich die Parteien. Carolyne verfiel förmlich in ein religiöses Fieber, sie betete fortwährend für den Erfolg der Synode, und wenn sie nicht betete, dann hatte sie Gäste aus dem Vatikan, mit denen sie die Möglichkeiten der Synode erörterte. Und der versteckte Zorn, den sie immer noch gegen ihren Schwiegersohn hegte, brach jetzt unverhüllt gegen den Bruder ihres Schwiegersohnes aus. Im Vatikan erzählte man sich, daß der Kardinal Hohenlohe schwanke und eher gegen das neue Dogma sei, als dafür. Jedermann wußte, daß der Bruder des Kardinals, der bayrische Ministerpräsident, Fürst Chlodwig von Hohenlohe, ein Rundtelegramm an die europäischen Mächte gerichtet und sie auf die politischen Gefahren dieser Synode aufmerksam gemacht hatte, hauptsächlich aber darauf, daß der Papst bestrebt sei, seine weltliche Macht zu stärken. Von dem Kardinal Hohenlohe konnte man kaum annehmen, daß er sich gegen die Familienpolitik seiner beiden Brüder wenden würde. Und daß dieses Dogma kaum auf Anhänger zählen konnte, das wurde ziemlich schnell offenbar. Sämtliche Bischöfe der Welt bereiteten sich für die schwierigen, heiklen Debatten der Synode sehr gut vor. Alle sicherten sich einen Sachverständigen des Kirchenrechtes. Auch Kardinal Gustav: er lud als seinen Sachverständigen den Universitätsprofessor Friedrich ein, den offiziellen Gegner der weltlichen Macht des Papsttums, der den Herzog Chlodwig Hohenlohe zu diesem Rundtelegramm veranlaßt hatte.

All das erzählte Carolyne dem Ankömmling in einem Atemzug. Als Schwiegermutter des einen Hohenlohe fühlte sie sich in ureigenster Person verantwortlich für das antipäpstliche und ihrer Meinung nach gotteslästerliche Verhalten der Familie Hohenlohe. Sie legte sich Buße auf, sie fastete, sie betete und sprach mit sprühendem Zorn von dem Kardinal.

»Hoffentlich werden Sie jetzt Ihre Beziehungen zu ihm abbrechen?«

»Seien Sie mir nicht böse, Carolyne, aber mich geht die Synode nichts an, und ein Kardinal bedeutet für mich ebensoviel oder wenig wie der andere, es sei denn, daß uns persönliche Beziehungen verbinden. Der Kardinal Gustav war immer sehr liebenswürdig, gut und zuvorkommend zu mir, er ist mir offensichtlich zugetan, ich bin ständig sein Gast in der Villa d'Este, es wäre sehr häßlich von mir gehandelt, wenn ich mich von ihm zurückziehen würde wegen einer Frage, von der ich kein Wort verstehe und deren Entscheidung mir auch nicht obliegt.«

»Ich habe keinen größeren Schmerz, Franzi, als den, daß Sie kein guter Katholik sind.«

»Aber selbstverständlich bin ich ein guter. Was die Synode verkündet, werde ich begeistert glauben.«

»Ach, Ihnen könnte der Heiland selbst umsonst predigen. Ich sage es noch einmal, Sie sind kein guter Katholik. Blasen Sie nur in ein Horn mit dem Kardinal Hohenlohe und geraten Sie in die Verdammnis. Mir unglücklicher Frau bleibt nichts übrig, als weinend für Ihr Seelenheil zu beten. Ich befürchte aber, daß es dazu schon zu spät ist.«

Der Abbé wartete geduldig den schluchzenden Redeschwall der Frau ab und dann noch weitere drei. Er widersprach nicht, um den Streit nicht in die Länge zu ziehen. Er schwieg. Und fragte sich, warum er diese Fran, die ihm einst alles bedeutete, jetzt als so fremd und unglaublich fern empfand. Er ging müde, einsam und traurig nach Hause. Er sehnte sich wieder einmal, nach Ungarn zu fahren. Diese Sehnsucht übermannte ihn in letzter Zeit immer öfter. Wie soviel in seinem Leben und von so zahlreichen anderen Dingen, so erhoffte er jetzt an der Schwelle seines Alters davon die Erlösung.

Die ewige Stadt traf große Vorbereitungen für die Synode. Vor dem San Pietro in Montorio war anläßlich der Synode eine große Säule errichtet worden, nacheinander trafen die Bischöfe ein, um sich schon geraume Zeit vor der Eröffnung über die Bildung der Parteien zu unterrichten, zwei Monate vor der Synode hielten sich bereits fünfhundert ausländische Bischöfe in Rom auf. Man glaubte schon zu wissen, daß die angesehensten Autoritäten der Franzosen, die Kardinäle Dupanloup und Bonnechose, gegen das Dogma waren. Der Kardinal Schwarzenberg hatte angeblich behauptet, daß er den Kardinalshut ablegen wolle, wenn das Dogma verkündet würde. Der Bischof von Rothenburg hingegen äußerte, daß im Falle der Ablehnung des Dogmas ganz Deutschland protestantisch werden würde. Die Jesuiten behaupteten steif und fest, daß die Mehrheit sicher sei. Carolyne konnte vor Aufregung kaum noch schlafen, und der Abbé war glücklich über jede Stunde, die er nicht in der Via del Babuino verbringen mußte.

Andere gingen in den Vatikan, um die Einrichtung des Sitzungssaales zu betrachten, ihn interessierte das nicht. Seine Schüler beschäftigten ihn viel mehr, nicht minder all die jungen Musiker, die, aus der ganzen Welt nach Rom strömend, ihn ebenso besuchten wie die Gläubigen den Papst. Im Augenblick war gerade ein junger Mann aus Skandinavien bei ihm, der genau so langes Haar trug, wie er selbst. Aber kein weißes. Er hieß Edvard Grieg. Er brachte eine Sonate für Violine und Klavier mit.

»Setzen Sie sich, mein Sohn, und spielen Sie sie vor.«

»Verzeihung, aber es ist niemand da, der Violine spielt.«

»Können Sie nicht beides auf einmal spielen? Na, dann spielen Sie nur das Klavier, ich werde hier oben die Violine spielen.«

Sie nahmen die Arbeit durch. Die Sonate war reizvoll, von stark nationalem Charakter, in den Harmonien war viel Kühnheit und Eigenart. Er lobte ihn und fragte, ob er etwas für ihn tun könne.

»Ich hätte eine einzige Bitte, Meister. Einmal in meinem Leben möchte ich Liszt Klavier spielen hören.«

Er zögerte, dann setzte er sich aber gutherzig. Warum sollte der junge Mann nicht seine Freude haben? Er spielte ihm einen Teil der Tasso-Symphonie vor, heimlich belustigt über die erschrockene Verwunderung seines Gastes. Dann griff er nach der Sonate und spielte sie von Anfang bis Ende herunter, sowohl den Violinteil als auch die Klavierpartie, noch voller und reichhaltiger als es der Tondichter selbst geschrieben hatte.

»Meister, das ist unglaublich!« stammelte der junge Mann. »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, könnte ich nicht glauben, daß so etwas möglich ist.«

»Ach was, nicht der Rede wert. Ich werde doch noch ein bißchen vom Blatt spielen können? Ich bin doch schon ein alter Musiker, mein lieber Sohn.«

Nach einer halbstündigen Unterredung verabschiedete sich Grieg. Am nächsten Tage kamen andere. Die Schüler arbeiteten fleißig. Die jungen Talente wuchsen und entwickelten sich unter seiner Hand. Das war das einzige, was ihm in diesen durch den Gedanken an Cosima so schmerzlichen Monaten Freude machte. Dann traten andere Ereignisse ein. Die Zeitungen waren voll von Berichten über die Eröffnung des Suez-Kanals und über die Synode. An einem der ersten Dezembertage, bei strömendem Regen, nahm endlich das große Ereignis seinen Anfang. In der Peterskirche fand ein feierliches Hochamt mit anschließender riesenhafter Prozession statt, bei dem großen Andrang konnte man aber während der Messe nicht eine einzige Mithra sehen. Doch den Sitzungssaal durfte man besichtigen. Die Wände waren mit Gobelins bespannt, pomphafte Tribünen waren aufgestellt, die Plätze der Kardinäle rot, die Plätze der Bischöfe grün ausgepolstert. Am selben Tage verkündete der alte Papst durch eine Bulle, was geschehen sollte, wenn er während der Synode stürbe. Es sprach sich auch herum, daß die ungarische Königin Elisabeth nach Rom gekommen sei und dem feierlichen Hochamt beigewohnt habe. Franzi sah sie aber auch nicht. Er konnte sich gar nicht viel umsehen, denn Carolyne bekam von der großen religiösen Aufregung in der Kirche Weinkrämpfe, und man mußte sie nach Hause schaffen.

Unter den Teilnehmern der Synode fand er ebenfalls viel Bekannte. Haynald und auch der Bischof Ipolyi waren gekommen. Der Abbé besuchte sie oft. Aber auch sie wußten von nichts anderem zu sprechen, als von der Synode. Jeder Tag brachte seine eigene Aufregung. Der Kardinal Mathieu hatte der ganzen Sache skandalöserweise bereits den Rücken gekehrt und war nach Hause gefahren. Dupanloup hatte die französische Opposition organisiert. Die deutschen Kirchenfürsten hatten stark gegen die geistige Führung der Synode Stellung genommen. Hohenlohe hielt es für ausgeschlossen, daß das Dogma angenommen würde.

Alles das machte den Abbé nervös, weil man es bei Carolyne in ihrer tobenden Aufregung jetzt überhaupt nicht mehr aushalten konnte. Ging er nach Hause, saß ihm Olga Janina mit ihren ewigen Blumensträußen und Eifersuchtsszenen auf dem Halse und forderte anmaßend ihren Günstlingsrang. Eines schönen Tages bekam er das Ganze satt, packte in großer Hast seine Koffer und fuhr nach Ungarn. Er fuhr durch bis nach Horpács, dem Heim des Grafen Emmerich Szchenyi. Auf die Nachricht von seiner Ankunft fanden sich auch Graf Albert Apponyi und Mihalovics, jener ungarische Musiker, dem er seinerzeit ein Empfehlungsschreiben an Cornelius gegeben hatte, dort ein.

Diese Tage in Horpács waren gesegnete, frohe Tage. Die beschwingte Leichtlebigkeit und heitere Gastfreundschaft des ländlichen ungarischen Herrensitzes gab den Hintergrund, den Inhalt aber gaben die tiefsinnigen, musikalischen Gespräche. Irgend jemand saß ständig am Klavier. Und langsam wurde Franzis Sehnsucht immer größer, in seiner Heimat arbeiten zu können. Die Gesellschaft in Horpács sprach darüber schon ganz ernsthaft. Der Gedanke schien auch keineswegs unausführbar. Über die mit staatlicher Unterstützung zu errichtende Musikakademie brauchte bloß im Reichstag abgestimmt zu werden. Und man konnte auf ein günstiges Ergebnis hoffen, wenn sie die Sache nur richtig anfassen und den weltberühmten Namen Franz Liszts auch in diesen Kampf hereintragen würden. Die Saat wurde augenscheinlich reif und reifer. Graf Apponyi unterstützte diesen Plan sehr warm. Von Horpács fuhren sie nach Pest, und hier verbreitete sich sehr schnell die Nachricht, daß Franz Liszt vielleicht in seine Heimat zurückkehren werde, um dort zu arbeiten. Der Abtpfarrer Schwendtner kannte mehr als einen Politiker, und die suchte er der Reihe nach auf und weihte sie in diese Pläne ein.

In Rom bekam Franzi es dann mit allen beiden Frauen zu tun. Carolyne war von den Aufregungen der Synode ein lebendiger Leichnam geworden, ihr hatte wahrlich nur noch gefehlt, daß ihr Freund von seinen Plänen in Pest berichtete. Sie war außer sich vor Zorn. Gegengründe fand sie nicht, nur leidenschaftliche Beschwerden, Klagen und schlimme Prophezeiungen. Jeder Tag, den Gott werden ließ, brachte eine große Szene zwischen ihnen beiden. Die Weimarer Monate hätte sie zur Not noch geschluckt, daß sich aber Franzi jetzt auch noch an Pest binden wollte, das war ihr zuviel. Was blieb dann für Rom, das sie nicht verlassen konnte? Sie weinte, sie schrie, sie ereiferte sich und verfluchte ganz Ungarn.

Mit der anderen Frau hatte er ebenfalls jeden Tag einen Auftritt. Die war jetzt förmlich besessen vor Eifersucht. Aus anderen Gründen als Carolyne. Sie weinte aber, schrie und drohte ebensosehr, wenn nicht noch viel mehr. Sie warf sich zu Boden, machte fürchterlichen Spektakel und zerschlug, was man nicht vor ihr in Sicherheit gebracht hatte. Fortunato, der italienische Diener Franzis, fluchte schon im voraus, wenn die »Tscherkessenbestie«, wie er sie nannte, in dem stillen, andächtigen Gebäude der Santa Francesca Romana auftauchte. Olga Janina hatte sich einen Dolch gekauft und holte ihn jetzt bei jeder Gelegenheit hervor.

»Daß du es weißt«, schrie sie, »ich nehme mir das Leben, vorher ersteche ich dich aber, wenn du noch einmal ohne mich verreist.«

»Duzen Sie mich nicht, mein Kind, denn man kann es draußen hören. Zweitens, nehmen Sie Vernunft an. Ich muß jetzt nach Weimar, und Sie können nicht mit dorthin.«

»Warum nicht? Haben Sie Schüler in Weimar?«

»Ja.«

»So werden Sie eben eine Schülerin mehr haben.«

»Aber Sie bringen mich in eine peinliche Lage, mein Liebling. Ich trage das Priestergewand und mag es nicht, wenn Sie ständig alle Welt sehen lassen, daß Sie mich etwas angehen.«

Bei solchen Gelegenheiten wandelte sich die Tscherkessin in einer Sekunde. Sie fiel auf die Knie und begann die Hand des Abbé zu küssen.

»Verzeihen Sie mir, um Himmels willen, verzeihen Sie mir, wenn ich unbedacht war. Ich schwöre auf alles, was heilig ist, daß ich von nun an acht geben werde. Ich flehe Sie aber an, nehmen Sie mich mit, denn wenn Sie mich allein lassen, werde ich verrückt von den Qualen.«

Sie umklammerte seine Knie und sah mit tränenerfüllten Augen zu ihm auf.

»Gut, wir sprechen noch darüber«, beschwichtigte der Abbé, nur um der Szene ein Ende zu bereiten.

Die Tscherkessin sprang auf, tanzte vor Glückseligkeit jauchzend im Zimmer herum, fiel über ihn her, umarmte und küßte ihn, wo sie ihn nur erwischte.

»Verzeihung«, wehrte der Abbé ab, »ich habe nichts versprochen. Ich habe nur gesagt, daß wir über diese Sache nochmals sprechen werden.«

Neue Verzweiflung, Schluchzen, Flehen und Schreien. Er wußte nun wirklich nicht mehr, was er machen sollte. Endlich nahm er sich vor, die Weimarer Reise heimlich vorzubereiten, in der Nacht zu packen und beizeiten frühmorgens zu flüchten. Aber diesen Plan auszuführen, war unmöglich. Olga Janina achtete mit beispielsloser Wachsamkeit auf jedes kleinste Zeichen, und ihr Mißtrauen konnte niemand täuschen. Am Vorabend der Fahrt mußte man tatsächlich noch von der Angelegenheit sprechen.

»Nehmen Sie doch Vernunft an, ich will Ihnen lieber versprechen, Ihnen jeden Tag zu schreiben. Bleiben Sie schön hier zu Hause und üben Sie. Es handelt sich ja nur um einige Wochen.«

»Ausgeschlossen, das kenne ich schon. Sie sagen ein paar Wochen, und ein paar Monate werden daraus. Ich fahre auch mit.«

»Das ist unmöglich.«

»Gut. Wie Sie wollen. Dann werde ich mich vor den Zug legen. Die Eisenbahn soll dann zufahren, wenn sie kann. Und wenn man mich von den Schienen gewaltsam entfernt, gehe ich nach Hause und töte mich, das schwöre ich Ihnen hoch und heilig. Zuvor schreibe ich aber an sämtliche Zeitungen, warum ich in den Tod gehe. Wegen der Herzlosigkeit des Abbé Liszt. Wenn es Ihnen so besser gefällt, mir soll es recht sein.«

Nichts zu machen, er nahm sie mit. In Weimar brachte er sie im »Erbprinzen« unter, er selbst bezog die drei Zimmer der Hofgärtnerei. Die kleine Stadt wußte noch am gleichen Tage, daß der Abbé mit einer Frau angekommen war, und zwar mit einer außerordentlich hübschen. Und als Franzi sich offiziell beim Großherzog meldete, machte der auch schon eine Anspielung auf die schöne Reisegefährtin.

»Meine Schülerin«, erwiderte er schnell, »wie so viele andere.«

»Bitte, bitte«, lachte der Großherzog, »vor mir brauchen Sie sich nicht zu verteidigen. Ich weiß, daß Sie kein Gelübde abgelegt haben. Aber meinen guten Weimarern wird es schwer sein zu erklären, daß eine so hübsche Reisegefährtin bei Ihnen nur Klavierspielen lernt. Doch das ist nicht meine Sache. Sprechen wir von unseren Angelegenheiten. Haben Sie die Hofgärtnerei in Ordnung gefunden?«

»Danke, Hoheit, es ist alles in Ordnung.«

»Und welche Pläne haben Sie mitgebracht? Wir haben die Beethoven-Jahrhundertfeier vor uns.«

Der Abbé berichtete eingehend von seinen Plänen. Von Olga Janina fiel kein Wort mehr. Des weiteren stellte sich heraus, daß die andere Olga, die Baronin Meyendorff, nicht mehr in Weimar wohnte. Kurz zuvor war ihr Mann nach Karlsruhe versetzt worden. Es war also nicht mehr zu befürchten, daß die zwei Olgas sich gegenseitig die Haare ausraufen würden. Dadurch fühlte er sich etwas erleichtert. Wenn auch kein offener Skandal ausbrach, so war der stille Skandal um so größer. Olga Janina ließ sofort jedes weibliche Wesen, das in die Nähe des Abbé kam, wissen, daß alle, die den Abbé nur anzusehen wagten, ernstliche Unannehmlichkeiten haben würden. Dann überwarf sie sich mit Adelheid von Schorn, der ständigen Korrespondentin der Fürstin. Sie hatte nämlich entdeckt, daß man von der ziemlich weitab liegenden Wohnung Adelheids bis zu dem zwischen den Bäumen liegenden Gebäude der Gärtnerei sehen konnte. Nachdem sie wußte, daß diese alte Jungfer über den Tageslauf des Abbé ständig Meldungen nach Rom schickte, trat sie gegen die Spionin als Gegenspionin auf und stellte fest, daß Adelheid stundenlang am Fenster stand und mit ihrem Operngucker das Speisezimmer des Abbé, in dem man, weil das Zimmer schön hell war, sogar auch die Insassen unterscheiden konnte. Sofort drang Olga Janina in die Wohnung Adelheids ein, um sie am Fenster zu erwischen, und schlug einen solchen Lärm, daß es alle Einwohner von Weimar erfuhren. Ohne Zweifel würde es auch Carolyne erfahren.

Dann legte sich die Angelegenheit aber, und Weimar gewöhnte sich an die Tscherkessendame, die neben dem Abbé wie ein Gardist einherlief. Und als sich von Olga Janina herausstellte, daß sie sehr gut Klavier spielen konnte, verlor die Sache sogar ihre besondere Note.

Die Feierlichkeiten des Beethoven-Zentenariums währten vier Tage, am letzten Tage dirigierte Franzi die »Neunte« selbst. Olga Janina brachte Tag für Tag neue und abermals neue Zeitungen angeschleppt, die von den Feierlichkeiten berichteten. Die Feinde der neuen Musik waren träge geworden und sahen den zum größten Teil in Rom lebenden Liszt nicht mehr für eine so große Gefahr an. Zum Musikfest führte man auch seine Beethoven-Kantate auf, zu einem Angriff war also Gelegenheit gegeben. Die Presse benahm sich diesmal aber sehr ruhig. Hier und da meldeten sich sogar freundliche Stimmen. Da war sogar eine Stimme, die sich über diese sonderbare Art des Dirigierens wohlwollend äußerte, obwohl die Musikkritiken früher Liszt, den Dirigenten, in Stücke gerissen hatten. Olga Janina las ihm eines Tages beim Nachmittagstee aus Hermann Uhdes Schrift »Weimars künstlerische Glanztage« die betreffende Stelle vor. Der Berichterstatter schilderte den Meister, wie er mit vor Freude geröteten Wangen dastehe, glücklich, den großen Toten ehren zu dürfen. Wie die Bewegungen seiner Arme die Stimmung des Gesamtwerkes deutlich wiedergaben; wie seine zarte weiße Hand langsam die Luft durchschneide, um dann plötzlich, wenn der entscheidende Akkord komme, zur Faust geballt, niederzufallen. Ja, manchmal stampfe er dabei sogar mit dem Fuße auf. Bei steigenden vollen Akkorden breite er die Arme weit aus und öffne beide Hände; beim Piano sinke seine Gestalt ganz in sich zusammen, beim Krescendo wachse sie riesengroß empor; dann stelle er sich auf die Fußspitzen und hebe die Arme hoch über den Kopf. In die Partitur werfe er kaum einmal einen Blick; wenn die Melodie langsam dahinfließe, stehe er oft unbeweglich da, die Hände auf dem Rücken gefaltet, ganz in den Wohlklang vertieft, bis eine Beschleunigung des Tempos ihn wieder emporreiße. Manche fänden diese Art des Dirigierens seltsam, meinte der Kritiker zum Schluß, aber es sei erstaunlich, wie der Genius des Meisters das ganze Orchester, jedes einzelne Instrument in seinem Bann halte …

»Herrlich, herrlich!« rief die Tscherkessin.

»Ja, ganz gut. Und außerdem ist dieser Uhde ein sehr liebenswürdiger Mensch.«

Plötzlich warf die Tscherkessin die Zeitschrift auf den Tisch und schrie mit verändertem Gesicht zähneknirschend:

»Ich hasse dich, ich hasse dich!«

»Was ist, mein Kind, sind Sie verrückt geworden?«

»Ich hasse dich! Weil du so berühmt, so unwiderstehlich, so dämonisch bist! Ich hasse dich! Weil so viele Frauen von dir hingerissen sind! Ich platze vor Wut, daß auch andere dich zu lieben wagen! Am liebsten möchte ich die erwürgen, die dir einmal gehört haben. Auch auf deine Vergangenheit bin ich eifersüchtig wie eine Wahnsinnige. Wenn ich nicht weiß, woran du denkst, lasse ich dein Gesicht nicht aus den Augen und möchte dich erwürgen, weil ich deine Gedanken nicht sehen kann. Ich weiß gar nicht mehr, wohin das führen soll.«

»Das wird dahin führen, mein Kind, daß man Sie in eine Heilanstalt bringt. Warum machen Sie auch aus jeder Mücke einen Elefanten? Freuen Sie sich, daß wir schön beisammen sind, und geben Sie sich damit zufrieden, daß ich der ganzen Welt gehöre. Versuchen Sie die zu lieben, die mich lieben, gerade weil sie mich lieben; sie haben in ihrer Seele also etwas, was Ihnen gleicht. Die Eifersucht ist etwas Barbarisches und Egoistisches. Obendrein ist sie Leuten in meiner Nähe nicht sehr zu empfehlen. Wie wollen Sie sich mit der ganzen Welt messen, mein Kind? Sie jagen sich nur selbst in den Wahnsinn. Viel vornehmer wäre es, sich meiner zu freuen, sich auch darüber zu freuen, daß ich in meinem Leben einige schöne Augenblicke gehabt habe, die mir die Frauen geschenkt haben.«

Außer sich sprang Olga Janina auf.

»Was? Ich soll mich darüber auch noch freuen, worüber ich fast wahnsinnig werde! Mir bleibt der Verstand stehen, daß Sie so etwas von mir verlangen. Wissen Sie denn nicht, was Eifersucht heißt? Waren Sie denn noch nie in Ihrem Leben verliebt?«

»Ich befürchte, mein Liebling, daß ich nie in meinem Leben so verliebt war, wie Sie sich das vorstellen. Ich kann wohl lieben, aber nie verliebt sein.«

Die Tscherkessin atmete heftig durch ihre geblähten Nasenlöcher; stumm, aufgebracht funkelte sie den Abbé an.

»Ich sage nur soviel«, erwiderte sie nach langem Schweigen, »daß da noch einmal ein großes Unheil geschieht.«

»Drohen Sie nicht, mein Kind«, seufzte der Abbé verärgert und gelangweilt, »einerseits erschrecken Sie mich damit nicht, andererseits wird mir die Sache nach und nach ein wenig lästig.«

»Du hast mich satt?« rief die Frau.

Es folgte abermals eine große Szene. Olga Janina durchlief die ganze Tonleiter der Tobsucht. Schließlich schrie sie schluchzend und theatralisch:

»Lebewohl auf ewig!«

Sie rannte hinaus und schmetterte die Tür hinter sich zu. Der Abbé blickte ihr mißmutig aus dem Fenster nach. Er sah, daß Olga Janina über die Straße stürzte. Er seufzte müde und verärgert. Schade um diese Frau, daß in ihr so eine dumme Komödiantennatur steckt. Sonst ist sie ja eine gute Person und manchmal sehr lieb. So bereitet sie ihm aber immer wieder Ärger und macht ihn nur müde. Jetzt rennt sie heulend die Straßen entlang nach Hause in den »Erbprinzen«, man sieht sie, in einer Stunde wird die ganze Stadt davon sprechen, daß der Abbé mit seiner Geliebten einen Skandal gehabt hat. Olga Janina aber wird sich in einer Stunde beruhigen, die Szene bereuen, in einem flehenden Briefe um Vergebung bitten und sich drei Tage lang so bescheiden und demütig benehmen wie ein Engel.

Tatsächlich waren kaum zwei Stunden vergangen, da kam auch schon der Hausdiener des »Erbprinzen« mit einem Brief. Mit erregt durcheinandergeworfenen Buchstaben stand da: »Wenn Du mich noch am Leben treffen willst, komme sofort. Wenn Du diesen Brief in Händen hast, habe ich Gift genommen.« Er nahm sofort seinen Hut und eilte in den »Erbprinzen«. Inzwischen bemühte er sich, vom Hausdiener zu erfahren, was die Gräfin mache. Der konnte ihm aber keine Aufklärung geben, er hatte den Brief vom Zimmerkellner zwecks Zustellung erhalten.

Als Franzi die Treppen hochgerannt war und ins Zimmer trat, bemerkte er in dem Gesicht der Frau ein fürchterliches Entsetzen.

»Sind Sie denn wahnsinnig geworden?« rief er zornig.

Die Frau warf sich vor ihm auf die Erde und umklammerte seine Knie, wie sie es stets zu tun pflegte. Mit todblassem Gesicht blickte sie zu ihm auf, und man sah ihr an, daß sie jetzt keine Komödie spielte.

»Rette mich! Um des Himmels willen rette mich! Ich will nicht sterben. Ich habe Gift genommen, aber ich will leben.«

Er sah sich schnell im Zimmer nm. Auf dem Tisch fand er eine Medizinschachtel, daneben die leere Umhüllung einer Dosis Pulver. Und ein leeres Glas, das noch feucht war. Entsetzt wandte er sich zu der Frau, die ausgestreckt am Boden lag und heftig zitterte. Sie sah zu dem Abbé auf, wie einer, der den Messias erwartet.

»Sie müssen sich sofort übergeben!« schrie der Abbé und trat zu ihr, um ihr aufzuhelfen.

»Ich habe mich schon übergeben«, erwiderte die Frau mit schwacher Stimme, während er sie zum Sofa führte, »im selben Augenblick, als ich es heruntergeschluckt hatte, bin ich so erschrocken, daß es mir gelang, es gleich wieder von mir zu geben. Nicht wahr, ich werde nicht sterben? Sagen Sie, daß ich am Leben bleibe. Nicht wahr, ich bleibe am Leben?«

»Wie lange haben Sie dieses Gift drinnen gehabt?«

»Drei Sekunden lang. Während ich von hier, vom Sofa, bis zum Waschbecken gegangen bin. Sollen wir keinen Arzt kommen lassen?«

»Wir lassen keinen Arzt kommen, wir machen keinen Skandal, damit sich die Zeitungen freuen. Ihnen wird gar nichts fehlen. Was für ein Gift ist das, was Sie eingenommen haben?«

»Ich weiß nicht. Ich habe es bekommen. Ich habe aber nur die Hälfte ins Glas getan, das andere war auf den Teppich gefallen, weil meine Hand gezittert hat. Vielleicht mehr als die Hälfte ist auf den Teppich gefallen. Mein Gott, wie gut, daß ich mich beruhigt habe. Selbstverständlich werde ich nicht sterben. Sind Sie böse?«

Der Abbé untersuchte die Medizinschachtel. Mit der Schrift Olga Janinas war darauf geschrieben: »Schlafpulver«. Mit einem Male wurde die Sache lächerlich. Die Selbstmörderin hatte die Hälfte eines Schlafpulvers eingenommen, doch ihr Schrecken, daß sie sterben würde, war keine Verstellung, das stand zweifelsfrei fest. Eine Komödiantin, die den Zustand der Angst so naturgetreu vortäuschen konnte, gab es auf der ganzen Welt nicht. Olga Janina lag auf dem Sofa, stützte sich auf, in ihrem Blick war Zahmheit und die Angst eines Kindes, das etwas Schlechtes verbrochen hat, vor Schlägen.

»Was soll ich jetzt mit Ihnen machen, was? Ich habe noch nie in meinem Leben eine Frau geschlagen und in meinen alten Tagen will ich gar nicht erst damit anfangen. Gerechterweise müßte ich Ihnen aber zwei tüchtige Ohrfeigen geben. Eine von rechts und eine von links. Solche Ohrfeigen, an die Sie Ihr Leben lang denken müßten.«

»Schlage mich, das ist mir gleichgültig. Von dir ist auch das gut. Oh, wie ich dich anbete, wie ich dich anbete!«

Sie sprang vom Sofa auf, ihr fehlte nichts mehr. Sie blieb vor dem Abbé stehen und sah ihm blitzend in die Augen.

»Was kümmert's mich, wenn du mich ohrfeigst? Das ist schon der Mühe wert. Denn jetzt kannst du wenigstens sehen, daß ich fähig bin, für dich zu sterben.«

Und er wußte nicht, was er denken sollte. Was war da Lüge, was Berechnung, was Aufrichtigkeit? Die Frau schmiegte sich an seine Brust, und er umfaßte ihre Schultern wie einer, der eine drückende Pflicht erfüllt. Und da spürte er überrascht, daß diese Frau am ganzen Körper zitterte wie ein heftig frierendes Tier. Das konnte auch keine Lüge sein. Voller Mitleid drückte er die Tscherkessengräfin fester an seine Brust und seufzte tief:

»Mein teurer Engel, mit Ihnen hat mich der Herrgott aber gestraft …«


 << zurück weiter >>