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Viertes Kapitel

Der Bischof Hohenlohe nahm die Absicht des weltberühmten Künstlers mit großer Überraschung und Freude zur Kenntnis. Der künftige Mann der Kirche bat ihn vor allem um Geheimhaltung. Außer ihnen beiden und der Fürstin sollte das zunächst noch niemand erfahren.

»Was habe ich also jetzt zu tun, mein lieber Fürst?«

»Vor allem reden Sie mich nicht mit ›Fürst‹ an. Ich bin für die Zukunft weder Hohenlohe noch Fürst. Ich bin der Bischof Gustav, denn Sie müssen wissen, daß die Hauptwürdenträger der Kirche nur einen Rufnamen tragen wie die Herrscher. Wenn mich Laien ›Eure Durchlaucht‹ nennen, bin ich damit noch einverstanden. Ein künftiger Amtsbruder von mir muß sich aber schon den kirchlichen Ton angewöhnen.«

»Es ist in Ordnung, mein lieber Bischof. Was habe ich also zu tun? Ich möchte damit sofort beginnen, denn ich kann kaum erwarten, daß ich Messe lesen darf.«

»Messe lesen? Ach, mein Lieber, das wird noch lange dauern. Sie müssen erst Theologie studieren. Ihre Mittelschulbildung haben Sie doch wohl sicherlich?«

»Die habe ich nicht. Ich habe nie in meinem Leben eine Schule besucht. Andererseits bin ich jedoch Doctor honoris causa der Königsberger Universität. Nützt das was?«

»Höchstwahrscheinlich. Vielleicht erläßt man Ihnen die Formalitäten der Aufnahmeprüfung. Das werden wir schon machen. Dann kommen also die Theologenjahre. Da werden Sie sich schön in die Bank setzen und in Kirchengeschichte, Dogmatik, Homiletik, Exegetik und so weiter eine Prüfung ablegen.«

»Mich in die Bank setzen? Mit meinen weißen Haare« zwischen jungen Burschen? Ich möchte nicht zur komischen Figur werden. Aber vielleicht geht das auch im Privatwege? Seine Heiligkeit wird mir das sicherlich erlauben. Aber das viele Lernen macht mich stutzig. Wann soll ich dann komponieren?«

»Das ist allerdings zu überlegen. Die Theologie ist ein riesengroßes Gebiet. Man muß jahrelang studieren, von früh bis abends werden Sie zu anderem wenig Zeit haben. Aber ich bin der Meinung, daß Sie nicht sofort damit zu beginnen brauchen. Es gibt untere Grade, die das Studium der Theologie nicht bedingen und die Sie sich leicht verschaffen können. Und trotzdem können Sie sich als Geistlicher betrachten. Zwischen einem Geistlichen und einem Seelsorger ist ein himmelweiter Unterschied. Vorerst sprechen wir von den unteren Graden. Das Subdiakonat wollen wir dabei zunächst weglassen. Davon später einmal. Wie ich sehe, sehnen Sie sich schon heftig nach der Soutane. Also zunächst werden Sie die erforderlichen Exerzitien abhalten; dafür suchen wir schon den richtigen Seelsorger, der ihnen die Grundlagen beibringt. Dann werden Sie sich für die notwendigen Meditationen unter Klausur begeben und später erhalten Sie die Tonsur.«

»Ich muß meine Haare abschneiden lassen?« erschrak Franzi.

Der Bischof Hohenlohe lachte.

»Das sind Sie. Ihr ganzes weltliches Leben geben Sie gerne hin, aber Ihr Haar nicht. Vanitatum vanitas.«

»Bitte, in Ordnung. Ich opfere auch meine Haare.«

»Nun, so gefährlich ist das wiederum nicht. Wir werden als Symbol eine Strähne aus Ihrem Haarschopf herausschneiden. Sie haben ja Gott sei Dank soviel Haar, daß man das gar nicht sehen wird. Ich werde Sie dann weihen. Sie können den Pfarrock sofort anziehen.«

»Und wie lautet der Text des Gelübdes?«

»Das kommt überhaupt nicht in Frage. Ein Gelübde legen nur die Subdiakone ab. Die unteren Grade nicht. Sie werden weder das Armuts- noch das Keuschheitsgelübde ablegen müssen. Trotzdem werden Sie eine geistliche Person. Sie können sogar nach Ihrer Weihe heiraten, wenn Sie wollen. Auch das geistliche Gewand brauchen Sie nicht zu tragen, wenn Sie es nicht wollen.«

»Aber erlaubt ist es?«

»Erlaubt ist es. Mit einem Wort, Sie sind in der angenehmen Lage, daß Sie nur Rechte, aber keine Pflichten haben. Warum machen Sie denn so ein enttäuschtes Gesicht?«

»Ich hatte mir das Ganze nicht so vorgestellt. Ich hatte gedacht, daß es leichter sei, mich Gott zu geben. Ich weiß, ich weiß, sprechen Sie es gar nicht aus: jeder kann für sich im stillen geloben, was er will. Aber ich wollte mich doch gerade als Gefangener fühlen, als Gefangener Gottes. Ich will mich demütigen, weil ich so viele lärmende Erfolge in meinem Leben gehabt habe. Ich sehne mich danach, zu gehorchen, weil ich bis jetzt noch nie gehorcht habe. Ich sehne mich nach Verboten, weil ich bisher innerhalb der allgemeinen Grenzen des Anstandes irgendwelche Schranken nicht gekannt habe. Meine Seele ist wie ein nicht zu bändigender, unbeherrscht leidenschaftlicher Empörer: sie kann nur dann Frieden erhoffen, wenn man sie grausam unterjocht. Ich selbst bin unfähig dazu. Dazu brauchte ich die Kirche. Ich dachte, es genüge, wenn ich mich ihr einfach anbiete. Und jetzt sehe ich erst, wie schwer es ist, ein Sklave zu werden. Ich bin ganz traurig geworden. Aber gleichviel. Mein Vorhaben wäre nichts wert, wenn ich gleich am Anfang die Lust verlöre. Also zuerst die unteren Grade. Gut. Wann wählen wir diesen Seelensorger aus?«

»Bis morgen werde ich schon jemanden ausfindig machen. Kommen Sie morgen um die gleiche Zeit.«

Am anderen Tage fand er seinen alten Bekannten, den Dominikanerpater Salua, bei dem Bischof vor. Sie vereinbarten sofort, wann sie sich täglich treffen würden, das durchzunehmende Pensum, eine kleine Kostprobe aus dem Katechismus, aus der Liturgie, Kirchenrecht und so weiter. Noch am selben Tage begannen sie mit der ersten Stunde. Der dreiundfünfzigjährige Schüler lauschte andächtig dem Wort des Pater Salua. In seiner tiefsten Seele empfand er aber eine Enttäuschung. Der Traum, daß er unter Orgeldröhnen und Weihrauchwolken jeden Tag in der reinen Morgenkühle unmittelbarer Teilhaber der erschütternden Wunder des Messeopfers werden sollte, flog weit, weit weg von seiner sehnend ausgestreckten Hand. Es war ein Traum, er konnte ihn nicht festhalten. Nur die blasse Hoffnung blieb übrig, daß er es vielleicht doch noch einmal erreichen würde. Er seufzte und gab sich zufrieden.

In der Gesellschaft wußte man nichts von seinen Absichten. Nicht einmal Frau von Meyendorff, zu der er die Liebesbeziehungen abbrach. Den wahren Grund wollte er ihr nicht sagen, und er hatte keinen leichten Stand. Die schöne Olga fragte ihn weinend und zornig:

»Aber warum brauchen Sie mich nicht mehr? Sind Sie meiner überdrüssig geworden?«

»Ich bin Ihrer nicht überdrüssig geworden. Nicht im geringsten.«

»Also was dann? Bin ich nicht schön genug? Oder haben Sie eine andere? Sicherlich ist es so! Wer ist es? Ich erwürge Sie, wenn ich es erfahre.«

»Ich habe niemanden, ich gebe Ihnen mein Wort! Glauben Sie mir, auch für mich ist diese Trennung nicht leicht. Aber es muß sein.«

»Es ist zum Verrücktwerden. Man könnte glauben, Ihr Verstand sei nicht in Ordnung. Sie brauchen mich, wir sind glücklich, Sie haben sich in keine andere verliebt und jetzt auf einmal … am meisten tut mir weh, daß Sie kein Vertrauen zu mir haben. Warum sagen Sie mir denn nicht, was Ihnen fehlt?«

»Quälen Sie mich nicht, Olga. Sie werden alles erfahren. Und wenn Sie mich lieb haben, dann bleiben Sie mein guter Freund. Dieses kleine Zimmer muß ich aufgeben.«

»Mit einem Wort, es ist also Schluß? Ich war heute zum letzten Male hier?«

Franzi nickte stumm. Die Baronin warf sich schluchzend auf das Sofa. Er ging zu ihr hin, um sie zu trösten. Aus dem Trösten wurde Streicheln, aus dem Streicheln Umarmung, aus der Umarmung eine verzweifelte, wilde letzte Vereinigung. Die Frau glaubte, nun die Schlacht gewonnen zu haben. Als sie ihren Geliebten aber mit glücklichen, verstörten Augen ansah und zärtlich fragte, wann sie sich wieder treffen würden, erwiderte er:

»Hier nie mehr, Olga. Das war der Abschied. Wenn Sie aber erlauben, werde ich Sie oft in Ihrem Haus besuchen.«

Die Baronin Meyendorff ging weinend fort. Er blieb allein im Liebesnest und grübelte. Warum hatte er diese begehrenswerte, temperamentvolle, liebe Frau aufgegeben? Vorerst verpflichtete ihn doch noch nichts dazu. Wie verheißungsvoll, sie morgen zu versöhnen und das Ganze von neuem zu beginnen … Dann nahm er sich aber zusammen. Nein, es durfte nicht sein. Wenn er sich ernsthaft zu dem großen Schritt vorbereitete, durfte er mit sich selbst nicht feilschen. Die schöne Olga würde sich trösten. Er würde ihr eine seiner Kompositionen widmen. Er wußte aus Erfahrung, wie empfänglich Frauen für einen solchen Ruhm sind und daß sie dafür sogar eine Liebesenttäuschung gern ertrugen.

Die geheimen Stunden beim Pater Salua setzte er fort. An seinem äußeren Leben änderte sich aber zunächst noch nichts. Nur in seiner Wohnung auf dem Monte Mario ging es jetzt lebhafter zu: seine Schüler besuchten ihn immer häufiger dort. Es befanden sich unter ihnen einige, mit denen er sich gerne beschäftigte. So war Alexander Bertha, der blonde ungarische Junge, der ihn von Marseille ab auf dem Dampfer begleitet hatte, in Rom geblieben, um unter seinen Augen sein Klavierspiel weiter zu vervollkommnen. Dann meldete sich ein junger Mann aus Birmingham namens Walter Bache, der neben seiner großen musikalischen Begabung auch eine nicht geringe Verehrung für Liszt mitbrachte. Sein dritter und liebster Schüler war ein Italiener, der Sohn eines römischen Advokaten, Sgambati. Dieser Sgambati galt schon seit vielen Jahren als Wunderkind, jetzt war er aber ein Mann geworden, und das Wunderkindtum hatte ihm nichts geschadet: er versprach ein prächtiger Musiker zu werden, auch als Komponist. Da seine Mutter eine Engländerin war, schloß er innige Freundschaft mit Bache. Auch unbedeutendere Schüler sprachen häufig in dem Kloster Rosario vor, und die alte, kleine Zelle war zur Abwicklung dieses Verkehrs nun nicht mehr ausreichend. Franzi bekam eine andere geräumigere Wohnung aus drei Zimmern; das eine stieß unmittelbar an das Oratorium der kleinen Kirche. In den weißgetünchten Zimmern nahmen die Bücher den meisten Platz ein. Dieses kleine Heim konnte die Wohnung eines viel belesenen Plebanus sein, auf einer Konsole aber ruhte unter Glas Chopins Hand, aus Marmor nachgebildet, und auf dem Schreibtisch stand das Bild der Fürstin Sayn-Wittgenstein in polnischer Nationaltracht. Hierher strömten die Schüler, keine Mühe und Entfernung scheuend. Langsam entstand hier ein ebensolcher Liszt-Hof, wie einst in der Altenburg. Jeden Dienstag hielten sie einen Musiknachmittag ab, wobei der Meister jeden einzelnen seiner Schüler gründlich vornahm.

Auch drinnen in Rom hatte er eine kleine Wohnung: Monsignore Nardi hatte ihm ein für allemal sein Gastzimmer zur Verfügung gestellt. Wenn er abends lange in der Stadt blieb und es wegen des Brigantentums nicht mehr ratsam war, auf dem Monte Mario zurückzufahren, übernachtete er dort.

Zu Neujahr 1865 verlor er einen Schüler. Der Ungar Alexander Bertha überwarf sich mit seinem Meister. Sie hatten den letzten Tag des Jahres 1864 gemeinsam im Kloster verbracht. Gegen elf Uhr machte sich Franzi fertig, um mit seinen Schülern zusammen in die Stadt zu gehen. Er zog den Frack an. Sie gingen zu Berthas Wagen, der sie an der Freitreppe des Klosters erwartete.

»Wohin soll ich Sie fahren, Meister?« fragte Bertha.

»Wenn es für Sie kein zu großer Umweg ist, dann setzen Sie mich bitte am Palazzo Venezia ab. Ich gehe zum Baron Bach.«

»Was?« rief der junge Mann ganz verdutzt, »der Meister verkehrt mit dem Baron Bach? Sie sprechen mit ihm, obwohl Sie ein Ungar sind? Dieser Bach hat doch den Grafen Széchenyi ermorden lassen, Meister!«

»Aber reden Sie doch kein albernes Zeug. Wie kann man solchen Ammenmärchen Glauben schenken! Schämen Sie sich denn gar nicht? Es steht längst fest, daß Széchenyi Selbstmord begangen hat.«

»Bitte«, antwortete der Schüler aufgeregt, »ich will nicht rechthaberisch sein. Gut, er hat also Széchenyi nicht umbringen lassen, er hat aber Ungarn gerade genug gequält und gepeinigt, solange er an der Regierung war. Der Meister kennt die heimischen Verhältnisse nur nicht zur Genüge. Glauben Sie mir bitte, daß ein Ungar dem Baron Bach nicht die Hand reichen kann.«

»Reden Sie keinen Blödsinn, Bertha, sonst werde ich noch böse. Seine Politik mag gewesen sein, wie sie will, aber er ist ein sehr vornehmer Mensch, ein Ehrenmann und Freund von mir. Wagen Sie nicht, ihn vor mir zu beleidigen.«

Bertha schwieg. Sie saßen in einer sehr peinlichen Stimmung nebeneinander. Endlich waren sie über die verschneiten Straßen vor dem Palais der österreichischen Botschaft angelangt. Franzi stieg aus. Und da es ihm leid tat, daß er zu diesem jungen Manne so hart gewesen war, wünschte er ihm liebenswürdig ein recht frohes neues Jahr und lud ihn sogar für den nächsten Vormittag zu sich ein.

Die Silvesterfeier bei Baron Bach hatte sich sehr in die Länge gezogen, und Franzi hatte die Nacht bei Nardini verbracht. Als er am Neujahrsmorgen im Kloster ankam, erwartete ihn Bertha schon dort.

»Meister«, sagte der Schüler, »ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich möchte nicht unanständig sein, aber ich muß reden. Ich bitte Sie flehentlich, halten Sie Ihre Freundschaft mit dem Baron Bach nicht aufrecht. Sie betonen immer, wie sehr Sie Ihre Heimat liebhaben. Glauben Sie mir bitte, mir, der aus Ungarn kommt, daß sich diese zwei Dinge nicht miteinander vertragen. Wegen des Buches über die Zigeuner hat man den Meister zu Hause schon genug angegriffen, wenn man jetzt noch von dieser Freundschaft mit Bach erfährt …«

»Machen Sie mich nicht nervös, mein Sohn. Mit wem ich mich befreunde, das ist meine Sache, und ich liebe es nicht, wenn andere sich in meine Privatangelegenheiten einmischen.«

»Das ist aber keine Privatangelegenheit«, rief der junge Mann aufgeregt, »sondern eine Sache des Ungartums. Der Meister ist heute der berühmteste Ungar der Welt. Vielleicht noch berühmter als Kossuth. Auf das, was der Meister tut, achtet die ganze Welt. Wenn Franz Liszt dem Baron Bach die Hand reicht, dann heißt das: der berühmteste Ungar billigt die Politik der Ära Bach vor der ganzen Welt!«

Franzi blickte überrascht auf Alexander Bertha, den ungarischen Musiker. Der junge Mann weinte vor Erregung. Diese Aufgewühltheit mahnte den Meister zur Nachsicht.

»Sie sind jetzt sehr gereizt, mein Sohn, gehen Sie schön nach Hause, wir sprechen ein anderes Mal von dieser Angelegenheit.«

Alexander Bertha wandte sich um und ging. Franzi sah ihm aus dem Fenster nach. Der junge Mann weinte noch, als er die Treppen hinunterstieg und seinem Wagen zuschritt. Stirnrunzelnd sah Franzi ihm sinnend nach. Daß er die Politik der Ära Bach gutheißt? Was war diese Ära Bach? Ohne Zweifel jene Zeit von 1849 bis 59, als Bach an der Regierung war. Bach träumte von der einheitlichen Monarchie und war begreiflicherweise bestrebt, den Separatismus der Ungarn zu unterdrücken. Hatte er diesem Land eine so große Wunde geschlagen, daß dieser junge Mann auch heute noch darüber weinen mußte? Sonderbar. Und ihm fielen die Abende im Komlo-Garten ein, wo ihn die bittere wilde Stimmung der Zigeunermusik an die unterdrückten Polen erinnerte. Das Gedicht Johannes Vajdas kam ihm in den Sinn und Dopplers Brief von dem stillen Schmerz … Ja. Dieser junge Mann hat vielleicht recht. Er kann seine Empfindungen nicht teilen. Obwohl er Ungarn aus ganzem Herzen liebt. Warum ist das so? Doch wohl, weil er zu der Heimat keine innerlichen Beziehungen mehr hat, da er im Auslande lebt. Warum? Sein Vaterland ist klein und arm, dort kann sich die Begabung nicht frei entwickeln. Die Talente, die dieser wundersame Urboden zur Welt bringt, müssen anderswohin gehen. Weit westwärts. Wenn man sich das überlegt, dann sieht man erst, was für eine große Seele Stefan Széchenyi war, der den blutigen Umsturz, leidenschaftliche Reden und Fahnenschwenken verabscheute, der aber Reichtum, Entwicklung und Kultur in dieses kleine Land säen wollte. Ja. Das ist der wirkliche Weg des Herzens, das unbewußt, ungeschickt, aus Unwissenheit hundert Fehler begehend, sich trotzdem ehrlich der Heimat verbunden fühlt.

Als er in seinen Gedanken so weit gekommen war, hatte sich sein schmerzendes Gewissen einigermaßen beruhigt. Seine bloße Anwesenheit auf dieser Welt war für diese Station schon ein großer Nutzen. Denn bis in die fernsten Zeiten wird es jeder wissen, daß er als Ungar geboren war, er, der in der Geschichte der Menschheit am besten Klavier spielen konnte und der die Musikkultur seines Jahrhunderts mit kraftvollem Steuerschlag zu neuen Zielen lenkte. All das verdankte die Welt ihm. Damit auch Ungarn. Auch die Rhapsodien, auch der Erfolg der Graner Messe waren Erfolge der ungarischen Nation. Und wenn einst die Musikakademie, zu der er vor zwanzig Jahren den ersten Gulden spendete, steht und die Talente der ungarischen Erde erzieht, dann brauchen die nicht mehr nach Wien und nach Paris zu gehen, – und das wird ein wenig auch sein Werk sein. Ob es je dazu kommen wird?

Abermals übermannte ihn eine starke Sehnsucht nach der Heimat. Er unterdrückte sie aber. Gott hatte ihm jetzt einen anderen Weg gewiesen. Er würde Geistlicher in Rom werden, würde ganz in der heiligen Seligkeit der Psalmen der Kirche aufgehen und so leben, wie er es in seinem tiefsten Herzen schon immer ersehnt hatte: als einer, der sich vollständig aufgegeben hat und dessen mit der Unendlichkeit vereinte Seele nur noch äußerlich an diese Erde gebunden ist.

Durch einen sonderbaren Zufall erhielt er einige Tage später einen Brief aus Pest. Baron Gabriel Prónay, der Präsident der Musikschule, schrieb ihm, daß die Musikschule im Mai ihr fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiern würde und ob man zu dieser Gelegenheit nicht in Pest seine Legende von der heiligen Elisabeth in Anwesenheit des Komponisten aufführen könne. Franzi fühlte eine starke Versuchung. Aber seine Sehnsucht, der Kirche anzugehören, war stärker. In einem höflichen Brief entschuldigte er sich. Im Mai würde es für ihn kaum möglich sein, nach Pest zu kommen.

Seine kirchlichen Unterrichtsstunden nahmen ihren Lauf. Es waren keine Unterrichtsstunden mehr, sondern lange Besprechungen über das Wesen des Glaubens und der Kirche, die Bedeutung der Dogmen und über den Geist des Katholizismus. Und manchmal waren es auch nicht Besprechungen, sondern Debatten. Mehr als einmal mußte Pater Salua vor dem streitbaren Gegner zurückweichen, der einst mit der Gräfin Liline die Bücher Chateaubriands gelesen, der die inneren Kämpfe Lamartines verfolgt und den Abbé Lamennais über die zahlreichen Stationen seines Leidensweges begleitet hatte.

Die Weihe war vom Bischof Hohenlohe auf den 24. April festgesetzt. Fünf Tage zuvor gab Franzi noch ein Konzert im Palais Barberini. Er zog den Frack mit dem Gedanken an, daß er sich nach seinem Konzert für ewig von ihm verabschieden würde. Er legte seine sämtlichen Orden an und fuhr in dem eleganten Wagen Nardis vor. Lakaien mit Kandelabern in der Hand erwarteten ihn beim Eingang und gaben ihm treppaufwärts das Geleit. Im großen Salon umströmte ihn mit einem Male die ganze römische Aristokratie. Die Fürstin Caraman-Chimay hängte sich an seinen Arm und ließ ihn nicht mehr los. Die Fürstin pflegte ihn scherzhaft als einen Verwandten zu bezeichnen; sie war eine geborene Gräfin Montesquiou-Fezensac, also die Frau von Maries Bruder.

»Was werden Sie spielen, lieber Vetter?«

»Eine Aufforderung, der ich nicht genügen kann«, erwiderte er gutgelaunt und geheimnisvoll.

Das war das erste Vortragsstück seines Programmes: die Aufforderung zum Tanz von Weber. Er hatte dieses Stück wegen seines Finale gewählt. Zum Abschied, nur für ihn selbst verständlich, wollte er vorspielen, wie der Tanz im Ballsaale leise verklingt, das duftige Kerzenlicht der Welt und die Salonstimmung verweht, als der sich heimlich davonschleichende Kavalier leise die Tür hinter sich schließt. Dann spielte er noch den Erlkönig, dieses außerordentlich schwere Vortragsstück, mit dem er in jedem Lande Europas während so vieler Jahre die Zuhörer in den Staub zwingen und bis zum Himmel erheben konnte. Unbeschreiblicher Beifall wurde ihm zuteil, die Zuhörer erhoben sich von ihren Plätzen und klatschten stehend. Er verbeugte sich und dachte bebenden Herzens daran, daß in diesem Saale nicht eine einzige Seele war, die wußte, welchen Abschied dieser Erlkönig bedeutete. Prinzessinnen, Gräfinnen, Kirchenfürsten, Minister schlossen sich abermals zu einem engen Ring um ihn. Gregorovius, der berühmte deutsche Kunsthistoriker, der ständig in Rom lebte, rief über die von Diademen funkelnden Köpfe hinweg:

»Meinen herzlichsten Glückwunsch, Sie sind mit Ihrem Klavier der einzige lebende Zentaur.«

Und gerade jetzt war er im Begriff, mit einem schroffen, für das ganze Leben geltenden Entschluß das weltliche Klavier von seinem Körper zu trennen. Als er fortging, traf sein rückschauender Blick das feurige wehmütige Auge Olga Meyendorffs. Und im Gastzimmer Nardis, wo er seine letzte Nacht als Laie verbrachte, dachte er an den Abschiedsabend, mit dem er in Jelisawetgrad seine Virtuosenlaufbahn beendet hatte.

»Wieviel Schauspielerei war in meinem Leben«, sagte er zu sich, »wieviel Selbstgefälligkeit und Pose. Ich habe diese Pose nie geheuchelt, ich habe sie immer gefühlt. Sie hat meiner Eitelkeit geschmeichelt. Damit ist es nun zu Ende.«

Am anderen Tage, frühzeitig, zog er in das Kloster der Lazaristen zu einer viertägigen Meditation ein. Außer ihm wußten das nur drei: Carolyne, Hohenlohe und der Papst. Pio Nono hatte seinen Plan gebilligt. Im Kloster der Lazaristen hatte er keine weitere Aufgabe, als über sein unzulängliches Leben nachzudenken und seine Seele für das große Ereignis vorzubereiten. Er bekam eine kleine Zelle angewiesen, die auf den Hof des Klosters hinaussah. Um halb sieben Uhr stand er auf, seinen Kaffee brachte man ihm in die Zelle. Das Morgengebet verrichtete er bis einhalb acht Uhr. Dann ging er in die Lazaristenkirche zur Messe. Nachher mußte er in der Bibel lesen, Heiligenandacht üben und Nachdenken. Mittags aß er im Refektorium, wo man ihm zunächst an einem besonderen kleinen Tisch gedeckt hatte, ihm, dem vorerst Unwürdigen. Während des Mittagessens las einer der Ordensbrüder laut aus der Heiligen Schrift vor. Nach dem Mittagessen schlief er ein wenig, danach mußte er, in seine Zelle gesperrt, wieder in sich gehen, den ganzen Nachmittag. Hernach durfte er im Klostergarten ein wenig spazieren gehen. Um acht Uhr aß er zu Abend, dann hielt er eine Seelenübung mit dem Ordensprior Pater Guerini ab und legte sich um zehn Uhr zur Ruhe. Vier Tage lang in der gleichen Weise. Und während dieser vier Tage wiegte er sich mit tiefer Ergriffenheit in die große Freude ein, daß die schönste und reinste Sehnsucht seines Lebens nunmehr in Erfüllung gehen würde. Er zählte die Stunden wie ein auf seine Freilassung wartender Gefangener. Obwohl ihm nur eine neue, aber heißersehnte Gefangenschaft bevorstand.

Am frühen Morgen des fünften Tages ließ er sich in einem geschlossenen Wagen zum Vatikan fahren. Es war Sonntag, ein strahlender Frühlingsmorgen. Er wußte schon, wohin er sich wenden mußte: Carolyne hatte während der vier Tage in den Appartements des Bischofs Hohenlohe seine neue Wohnung eingerichtet, in dem Flügel mit Rafaels Stanzen. Auf seinem Bett lag die Sutane vorbereitet. Er legte sie an und verspürte eine unbeschreibliche Freude. Den Gürtel glättete er sorgsam auf seinen schlanken Hüften, und die Falten des Rockes ordnete er vorsichtig. Er machte einige Schritte und beobachtete seinen Gang. In seiner Freude ärgerte er sich, daß er nicht aus sich selbst heraustreten, daß er nicht von weitem Franz Liszt im Priesterrock betrachten könne. Dann bemerkte er auf dem Schreibtisch ein kleines Paket, darauf in Carolynes Handschrift seine Adresse. Er machte es auf. Es war eine Schachtel Visitenkarten: L'abbé François Liszt. Er freute sich so darüber, daß er am liebsten getanzt hätte; in dieser weihevollen Stunde hätte das aber nicht zum Priestergewand gepaßt.

Der Diener des Bischofs klopfte bei ihm an.

» Sono pronto«, erwiderte er.

Er ging nach einem Nebenaltar der Peterskirche auf einem langen und verwickelten, aber schon bekannten Weg, und endlich stand er vor dem Altar. Als er während der Zeremonie niederknien mußte und der Bischof symbolisch die Tonsur vollzog, fuhr er ein wenig zusammen. Mit seinem Haar war er immer ein bißchen heikel. Dann schämte er sich aber tief und war bestrebt, seine Seele zu Gott zu erheben. Die leise geraunten lateinischen Worte des Bischofs fielen auf ihn hernieder wie die rieselnden Tropfen des Weihwassers. Seine Andacht zog ihn vollständig in ihren Bann, wie in einem Traum fühlte er sich selbst und den sich bewegenden, farbigen Schatten des Bischofs, das Geräusch der entfernt Schreitenden auf den Steinfliesen.

Nun war er eine geistliche Person, ein Kleriker geworden. Er ging ganz anders den Weg nach den Stanzen zurück, als er von dort gekommen war. Er hatte das Gefühl, der ganze riesengroße Vatikan gehöre ihm. Wände und Säulen blickte er mit geschwisterlicher Seligkeit an. Als er wieder in seinem Zimmer oben war, kam der Bischof zu ihm.

»Ich gratuliere, nun wollen wir mal sehen, wie Sie ausschauen. Ganz gut. So ganz Geistlicher, daß Sie sogar eine Messe lesen könnten.«

»Ach, das Messelesen. Sagen Sie, lieber Bischof, was darf ich überhaupt? Habe ich denn zu keiner Zeremonie in der Kirche ein Recht?«

»Aber davon ist doch keine Rede. Sie dürfen nicht Messe lesen und keine Beichte abnehmen, das ist wahr. Nach dem Kirchenrecht können Sie aber das Amt eines Vorredners oder Türstehers übernehmen. Sie sind sogar Akoluth, haben also das Recht, die Kerze zu tragen, an Prozessionen teilzunehmen, bei der Messe den Wein zu reichen, mit einem Worte zu ministrieren, was Sie zwar bisher auch schon tun durften; vor dem siebenten Jahrhundert wäre es aber noch nicht erlaubt gewesen. Was aber das Wichtigste ist, durch die Priesterweihe haben Sie den Rang eines Exorzisten bekommen. Sie haben das Recht, den Teufel auszutreiben. Also kurz und gut, Sie sind ein Ostiarius, Kandelarius, Lektor, Akoluth und Exorzist. Ist das nicht auch genug?«

Franzi sah den Bischof an, ob er das wohl ernst meinte. Bei dem Bischof Hohenlohe konnte man das nie genau wissen. Sie plauderten noch eine Weile, dann ging der Bischof an seine Arbeit. Franzi aber ging zu Carolyne. Die Fürstin empfing ihn mit einem freudigen Aufschrei, dann kniete sie vor ihm nieder und küßte ihm die Hand.

»Aber Carolyne, wie können Sie denn so etwas …«

Die Fürstin achtete nicht auf diese Abwehr. Sie erhob sich, wandte sich ab und weinte. Franzi war zuerst der Meinung, daß sie vor Freude weine. Er sah aber alsbald, daß diese Tränen Tränen des Schmerzes waren. Zärtlich zog er die Frau an sich.

»Was fehlt Ihnen denn um Gottes willen? Warum weinen Sie?«

»Weil mir einfiel, wie schön es gewesen wäre, wenn wir uns hätten trauen lassen …«

»Carolyne, es ist noch nicht zu spät! Es kostet Sie nur ein Wort!«

»Nein, nein, das ist unmöglich. Sie müssen Priester werden. Gott der Herr will es auch so. Und wenn ich hundert Jahre leben würde, Sie werden Domherr in der St. Peterskirche.«

»Danach habe ich keine Sehnsucht, Carolyne. Ich möchte Messe lesen, das will ich Ihnen gestehen. Darüber hinaus aber nur komponieren und nichts anderes. Jetzt muß ich mich schon wieder verabschieden, denn ich habe sehr viel zu tun. Ich will an meine Mutter schreiben und auch an Cosima.«

Er ging nach Hause. Ganz von Freude erfüllt ging er zu Fuß, er konnte sich nicht genug an dem Gedanken entzücken, daß bei ihm von heute ab das »Nachhausegehen« den Vatikan bedeutete. Auf der Straße blickte er sehnsüchtig um sich, ob denn auch jedermann sehe, daß er ein Geistlicher sei. Den Menschen fiel das aber nicht allzusehr auf, sie gingen zumeist gleichgültig an ihm vorbei. Die Sutane war keine besondere Sehenswürdigkeit in den Straßen Roms. Wenn ihn eine fromme alte Frau oder ein Bettler eifrig begrüßten, erwiderte er diesen Gruß lebhaft und dankbar. Und er prüfte oft, ob die Falten des eleganten Pfarrocks auch gut fielen.

Sowohl seiner Mutter als auch Cosima berichtete er das große Ereignis. In seinem Brief an Cosima erkundigte er sich zärtlich nach dem Wohlbefinden des Neugeborenen. Denn im Hause Bülow war das dritte Kind angekommen, und zwar wieder ein Mädchen. Die für Wagner schwärmenden Eltern nannten es Isolde. Der Abbé gedachte mit einer beruhigten Freude seines neuen Enkelkindes. Das würde sicherlich die in Unordnung geratenen Gefühle der Eltern wieder zueinander führen.

Mutter Liszts altmodische Schriftzeichen waren die erste Antwort auf seine Mitteilung.

 

»Dein Schreiben vom 27. April, das ich gestern erhielt, erschütterte mich – und ich brach in Tränen aus. Verzeih' mir – ich war wirklich nicht gefaßt auf solche Nachricht von Dir! Nach Überlegung, man sagt la nuit porte conseil – ergab ich mich in Deinen, als auch in den Willen Gottes. Ich ward ruhiger – denn alle guten Eingebungen kommen von Gott! Dieser Entschluß, den Du nun gefaßt hast, ist nicht ein Entschluß vulgaire. Gott gebe Dir die Gnade, ihn zu Seinem Wohlgefallen zu erfüllen. Es ist eine große Sache – aber Du hast dich schon seit langer Zeit dazu vorbereitet, am Monte Mario. Ich merkte es aus Deinen Briefen an mich seit einiger Zeit. Sie lauteten so schön, so religiös, daß ich oft sehr gerührt war – und Dir einige Tränen weihte. Und nun in diesem letzten, mein Kind – tu me demandes pardon! Oh, ich habe Dir nichts zu verzeihen! Deine guten Eigenschaften übertrafen viel, viel Deine Jugendfehler. Du hast Deine Pflichten immer streng, in jeder Hinsicht erfüllt – wodurch Du mir Ruhe und Freude gewährtest. Ich kann ruhig und ohne Kummer leben, was ich nur Dir zu verdanken habe. Lebe nun glücklich, mein liebes Kind. Wenn der Segen einer schwachen sterblichen Mutter bei Gott etwas bewirken kann – so sei von mir tausendmal gesegnet. Ich befehle Dich dem lieben Gott und verbleibe Deine treue Mutter Anna Liszt.«

 

Die große Nachricht ging in der ganzen Weltpresse herum: Franz Liszt wurde Geistlicher. Unter den Zeitungsartikeln fand sich kaum einer, der diese überraschende Nachricht mit Wohlwollen zur Kenntnis nahm. Die meisten Zeitungen erblickten eine Sensationshascherei darin. Andere Zeitungen wiederum bemerkten nur leichthin, das sei nur ein neues Abenteuer dieses unbeherrschten, launischen Künstlers, es werde nicht lange anhalten.

Der neue Abbé saß im Gebäude des Vatikans, in der Nachbarschaft von Raphaels Stanzen, in demselben Hause, das dem Papst zur Wohnung diente, und las die Zeitungen. Außer ihm war niemand im Zimmer. Wenn jemand dagewesen wäre, so hätte er sich gegen den Zynismus und die spitzfindigen Angriffe der Presse heftig aufgelehnt. Er hätte leidenschaftlich die Aufrichtigkeit seiner Absicht betont und sich energisch dagegen verwahrt, daß jemand das Recht haben sollte, die Reinheit seiner Handlung anzuzweifeln. Ein alter Wunsch seines Lebens habe sich erfüllt, und er sei darüber sehr glücklich … Aber er war allein, er konnte nur mit sich selbst sprechen. Und sich selbst konnte er wiederum nur sagen:

»So habe ich es mir nicht vorgestellt.«

Er setzte sich ans Klavier. Er wollte seine Gedanken von dem, was ihn störte, ablenken mit dem, was er liebte. Er schlug die ersten Töne des Orchesterwerkes an, das sich wieder nur mit »Faust« beschäftigte, diesmal jedoch nicht durch Goethe, sondern durch Lenau angeregt. Zwei Abschnitte aus Lenaus Dichtung lagen seiner Tonschöpfung zugrunde. »Der nächtliche Zug« hieß das eine Stück. Es begann mit einer bewölkten, schwülen, sternenlosen Nacht, mit Nachtigallengesang im Gebüsch und heißem Wind. Dann ließ er Faust erscheinen, nicht im Galopp Mazeppas, sondern langsam einherschreitend. Zwischen den Lauben glitzern jetzt Lichter auf, eine Kirchenprozession naht, die die Melodie des » Pange lingua« singt. Die Wellen der Psalms werden immer stärker, und zum Schluß überfluten sie mit ihrem Strom die ganze Welt, als die Prozession in Fausts Nähe vorbeizieht. Der sich immer weiter entfernende Gesang erstirbt, und Faust, also er, Franz Liszt, bleibt weinend in der Nacht zurück, die nie auffindbare Ruhe seiner stürmischen Seele bitterlich beklagend.

Dann spielte er die zweite Episode, den »Tanz in der Dorfschenke«, den Mephisto-Walzer. Faust und Mephisto hören aus dem am Wege gelegenen Gasthaus den Klang der Musik, und ein Liebesabenteuer suchend, kehren sie ein. Drinnen tanzen die Bauern. Der Wirt hat eine sehr schöne Tochter. Mephisto ergreift die Geige eines Musikers und beginnt darauf einen teuflischen Walzer zu spielen. Der böse Zauber der Musik ergreift die Tanzenden, berauscht ergeben sie sich der Macht der Begierde. Paarweise schleichen sie sich in die von Vogelgesang widerhallenden Lauben, um sich zu küssen. Auch die Tochter des Wirts kann nicht widerstehen, und als sie allein bleiben, sinkt sie betäubt in Fausts Arme. Der satanische Walzer erklingt weiter, und endlich schleichen auch sie hinaus in die Nacht.

Die Töne des teuflischen Tanzes schlugen weite Wellen im Zimmer, ergossen sich über die Gänge und erzitterten an den alten Wänden des Vatikans. Mephisto selbst spielte in der Residenz des Papstes diesen Walzer, von dem sein Komponist stolz wußte, daß es in der Musik-Literatur der Welt nur wenig so vollkommen instrumentierte Stücke gab.

Die Türe ging auf. Franzi sah hoch. Ein Diener stand vor ihm.

»Der Herr Bischof lassen den Meister grüßen und ihn bitten, irgendeine Kirchenmusik spielen zu wollen.«

Franzi erhob sich vom Klavier, schloß den Deckel und entließ den Diener mit einem Kopfnicken.


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