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Mesmer, der alle Erregungszustände mit seiner magnetischen Methode zu beschwichtigen verspricht, bringt zunächst selbst eine neue Erregungskrankheit nach Paris: die Mesmeromanie. Seit Jahrzehnten hat nichts den Faubourg Saint-Germain, jene gute Gesellschaft von damals und immer, die sich in ihrem Luxus langweilt, dermaßen in Leidenschaft, ja sogar in einen Paroxysmus der Begeisterung versetzt, wie die magnetische Heilpraxis. Mesmer und der Magnetismus werden in wenigen Monaten in Paris la grande mode, le dernier cri. Vor seiner luxuriösen Wohnung auf der Place Vendôme stehen von Morgen bis Abend die Karossen und Kabrioletts des Adels; es warten Lakaien in den Hausfarben der ersten Familien Frankreichs bei den wappengeschmückten Tragsesseln; und da die Ordinationsräume sich für so unerwarteten Andrang als zu eng erweisen und nur drei große Gesundheitszuber für die gut zahlenden Patienten zur Verfügung stehen, mietet man sich schon Tage vorher einen Platz am Baquet voraus, so wie heute eine Opernloge zu einer Premiere. Da aber Philanthropie gleichfalls zur Zeit Mode ist, stellt Mesmer auch Baquets – freilich kleinere – für die minder Begüterten auf, denn jeder, reich oder arm, soll dieses Heilmittels der »Harmonie« teilhaftig werden. Einzig Kranke mit offenen Wunden, zweifellose Epileptiker, Geisteskranke und Verstümmelte schließt er von der Kur aus, redlich damit bekennend, daß er nur von den Nerven her Besserung im Gesamtbefinden erzielen, nicht aber die Struktur des Organismus durch ein Wunder ändern könne.
In diesen magnetischen Räumen und bald auch in einem eigenen Palais, dem Hôtel Bouillon in der Rue Montmartre, das sich Mesmer als Klinik einrichtet, drängen sich nun fünf Jahre lang Patienten aus allen Ständen, wirkliche und eingebildete Kranke, Neugierige und Snobs jedes Standes. Jeder neugierige Pariser – und welcher Pariser der guten Gesellschaft wäre es nicht? – muß unbedingt einmal das mirakulöse Fluidum an sich selbst erprobt haben, und man rühmt sich dann in den eleganten Salons dieser nervenprickelnden Sensation etwa mit derselben dilettantischen Oberflächlichkeit, wie man heute beim Five o'clock tea von der Relativitätstheorie oder der Psychoanalyse spricht. Mesmer ist Mode, und seine von ihm sehr ernst gemeinte Wissenschaft wirkt darum auf die Gesellschaft nicht als Wissenschaft, sondern als Theater.
Daß tatsächlich etwas beabsichtigt Theatralisches in der Aufmachung seiner Kuren liegt, hat Mesmer niemals geleugnet, im Gegenteil sogar offen einbekannt. »Mes procédés, s'ils n'étaient pas raisonnés, paraîtraient comme des grimaces aussi absurdes que ridicules, auxquelles il serait en effet impossible d'ajouter foi.« Er weiß als guter Seelenkenner, daß jede Glaubensheilung zur Verstärkung ihrer Wirkung eines gewissen magischen oder religiösen Zeremoniells bedarf: so umgibt er aus psychologischer Überzeugung seine Person mit einer magischen Aura; wie jeder seelenkundige Arzt erhöht er seine Autorität durch Geheimnis. Schon der Raum selbst wirkt auf den Besucher durch sein besonderes Arrangement beunruhigend und erregend. Die Fenster sind mit Vorhängen abgedunkelt, um ein dämmerndes Clair-obscur zu schaffen, schwere Teppiche und Wandvorhänge dämpfen den Schall, Spiegel reflektieren von allen Seiten das golden getönte Licht, sonderbare symbolische Sternzeichen reizen die Aufmerksamkeit, ohne sie zu befriedigen. Unbestimmtes steigert immer die Erwartung, Geheimnis die Spannung, Schweigen und Verschweigen die mystische Gefühlskraft; darum werden in Mesmers Zauberstube alle Sinne, Auge, Ohr und Gefühl auf die raffinierteste Weise gleichzeitig beschäftigt und gereizt. In der Mitte des hohen Raumes steht breit wie ein Brunnen der große Gesundheitszuber. In tiefem Schweigen, wie in einer Kirche, sitzen atemlos die Kranken um diesen magnetischen Altar, keiner darf sich bewegen, kein Laut darf gesprochen werden, um die Spannungsschwingung im Räume nicht zu stören. Von Zeit zu Zeit bilden auf ein Zeichen hin die um den Zuber Gereihten die berühmte (später von dem Spiritismus übernommene) magnetische Kette. Jeder berührt die Fingerspitzen seines Nachbarn, damit der vermeintliche Strom, durch die Überleitung von Körper zu Körper verstärkt, die andächtige Reihe durchflute. In dieses tiefatmende, von keinem Wort, nur manchmal von leichten Seufzern unterbrochene Schweigen klingen vom Nebenzimmer her unsichtbare Akkorde eines Klaviers oder zarte Vokalchöre; manchmal spielt sogar Mesmer selbst auf seiner Glasharmonika, um durch sanfte Rhythmen die Erregung zu beschwichtigen oder durch eindringlichere wieder zu steigern. So wird eine Stunde lang der Organismus mit magnetischer Kraft geladen (oder, wie wir neuzeitlich sagen würden: die suggestive Spannung vorbereitet durch den Nervenreiz der Monotonie und Erwartung). Dann tritt endlich Mesmer selbst herein.
Er tritt ein, ernst, ruhig, langsam, mit hoheitsvoller Gebärde, Ruhe ausstrahlend in die allgemeine Unruhe, und kaum daß er den Kranken naht, läuft schon leises Zittern wie von anklingendem Wind durch die Kette. Er trägt eine lange lila Seidenrobe, an Zoroaster erinnernd oder an die Tracht indischer Magier, und ernst, ganz in sich zusammengefaßt wie ein Tierbändiger, der mit einer winzigen Gerte in der Hand nur durch seine Willensmacht den Ansprung bändigt, schreitet er mit seinem dünnen Eisenstäbchen von einem Kranken zum andern. Bei einem bleibt er stehen, fragt ihn leise nach seinem Leiden, dann streicht er mit seinem Magnetstab in bestimmter Richtung die eine Seite des Körpers hinab, die polare wieder empor, während er gleichzeitig scharf und dringend den erwartungsvollen Blick des Kranken festhält. Bei manchen unterläßt er überhaupt jene Berührung mit dem Stäbchen und umkreist nur, eine unsichtbare Aura in die Luft zeichnend, bedeutungsvoll die Stirn oder das Zentrum des Schmerzes, immer aber mit starrer Pupille die Aufmerksamkeit auf den Leidenden konzentriert und damit dessen Aufmerksamkeit festbannend. Während dieser Prozedur halten die andern ehrfürchtig den Atem an, und man hört eine Spanne Zeit nichts in dem weiten, mit Teppichen gedämpften Raum als seinen langsamen Schritt und manchmal einen erleichterten oder gepreßten Atemzug. Aber gewöhnlich dauert es nicht lange, und einer der Kranken beginnt unter Mesmers Berührung zu zittern, konvulsivisches Zucken springt über seine Glieder, er fängt an zu schwitzen, zu schreien, zu seufzen oder zu stöhnen. Und kaum hat sich bei diesem Ersten ein ersichtliches Zeichen der nervenaufrüttelnden Kraft eingestellt, so vermeinen die andern in der Kette Angeschlossenen gleichfalls schon die berühmte, die heilbringende »Krise« zu spüren. Elektrisch flattern in der festgeschlossenen Reihe die Zuckungen weiter, eine Massenpsychose bricht aus, ein zweiter, ein dritter Patient verfällt in Krämpfe, und plötzlich ist der Hexensabbat vollkommen. Einige wälzen sich mit verdrehten Augen in Zuckungen auf dem Fußboden, andere beginnen grell zu lachen, zu schreien, zu schlucken, zu stöhnen, manche tanzen, von Nervenkrämpfen hin und her gerissen, wie Teufel, andere scheinen – all diese Beobachtungen sieht man auf den zeitgenössischen Stichen übersichtlich dargestellt – unter dem Einfluß des Stäbchens oder unter Mesmers eindringlichem Blick in Ohnmacht oder hypnotischen Schlaf gesunken. Ein stilles und stummes Lächeln auf den Lippen, liegen sie teilnahmslos in kataleptischer Starre da, und dazwischen spielt die Musik von nebenan weiter, um die gespannten Zustände noch höher und höher zu steigern, denn nach Mesmers berühmter »Krisentheorie« muß jede nervös bedingte Krankheit auf den höchsten Punkt ihrer Entwicklung getrieben, gewissermaßen ausgeschwitzt werden, um dem Körper Heilung zu ermöglichen. Die von der Krise allzu heftig Ergriffenen, die Schreienden, die Tobenden und in ihren Zuckungen sich Windenden, werden von den Dienern und Hilfsmagnetiseuren rasch hinübergebracht in ein dick ausgepolstertes, schalldicht abgeschlossenes Nebenzimmer, die »salle de crises«, um dort beruhigt zu werden (was natürlich hundert Spottschriften Gelegenheit gab, zu behaupten, nervöse Damen würden dort auf höchst physiologische Weise beruhigt). Die erstaunlichsten Szenen ereignen sich alltäglich in Mesmers Zauberkabinett: Kranke springen vom Zuber auf, reißen sich aus der Kette, erklären sich für gesundet; andere werfen sich in die Kniee und küssen dem Meister die Hände, andere wieder flehen ihn an, den Strom noch einmal zu verstärken, sie noch einmal zu berühren. Allmählich wird der Glaube an die Magie seiner Persönlichkeit, an seine persönliche Zauberkraft für seine Patienten eine Art religiösen Wahns und er selbst zum Heiligen und Heilhelfer unzähliger Menschen. Kaum daß Mesmer auf die Straße tritt, laufen ihm Bresthafte entgegen, nur um seine Kleider zu berühren; Fürstinnen und Herzoginnen bitten ihn kniefällig um seinen Besuch; die zu spät Gekommenen, die keinen Zutritt zu seinem Baquet erlangt haben, kaufen sich zu ihrem Privatgebrauch sogenannte kleine Zuber, »petits baquets«, um sich nach seiner Methode zu Hause selbst magnetisieren zu können. Und eines Tages erlebt Paris das Narrenspiel, daß mitten auf der Fahrbahn der Rue Bondi sich Hunderte von Menschen mit Seilen an einen von Mesmer magnetisierten Baum anbinden und auf die »Krise« warten. Niemals hat ein Medikus einen so rapiden und rauschenden Erfolg erlebt wie Mesmer; fünf Jahre lang spricht die Gesellschaft in Paris von nichts anderem als von seinen magnetisch-magischen Kuren.
Aber nichts Gefährlicheres kann einer werdenden Wissenschaft geschehen, als daß sie Mode wird und Gesellschaftsschwatz. Wider seinen Willen gerät Mesmer in ein gefährliches Quidproquo: als redlicher Arzt wollte er der Forschung ein neues Heilverfahren zeigen, und nun gibt er in Wirklichkeit der Mode und den Überallmitläufern ein gefälliges Thema für ihre müßige Langweile. Man debattiert für Mesmer oder gegen ihn mit dem gleichen inneren Unernst wie für Gluck oder Piccini, für Rousseau oder Voltaire. Außerdem verschiebt ein so kantharidisches Zeitalter wie das achtzehnte Jahrhundert jede Angelegenheit sofort ins Erotische: die Herren vom Hofe suchen als Hauptwirkung des Magnetismus eine Belebung ihrer nachgelassenen Manneskräfte, den Damen schwätzt man nach, daß sie in der salle de crises höchst natürliche Nervenkühlung suchten. Jeder kleine Skribler wirft jetzt seine dumme, ekstatische oder verächtliche Broschüre in den Streit, Anekdoten und Pamphlete pfeffern den ärztlichen Zwist literarisch auf, schließlich bemächtigt sich sogar das Theater der Mesmeromanie. Am 16. November 1784 spielen die italienischen Schauspieler des Königs eine Posse, betitelt »Les docteurs modernes«, in der Radet, ein Dichterchen dritten Ranges, den Magnetismus zur Farce macht. Aber er kommt damit übel an, denn die Fanatiker Mesmers lassen nicht einmal im Theater über ihren Heiland spaßen. So schicken die Herren aus den hohen Familien – natürlich zu nobel, sich selbst die Lippen zu bemühen – ihre Lakaien ins Theater, damit sie das Stück auspfeifen. Mitten während der Vorstellung wirft ein königlicher Staatsrat eine gedruckte Broschüre zur Verteidigung des Magnetismus aus einer Loge unter die Zuschauer, und als der unkluge Autor Radet am nächsten Tage den Salon der Herzogin von Villerois besuchen will, läßt sie ihm glatt durch ihre Diener die Tür weisen: sie empfange ein Individuum nicht, das gewagt habe, »den neuen Sokrates als Aristophanes zu verspotten«. Von Tag zu Tag steigert sich die Tollheit, und je mehr Unberufene sich mit dem neuen Gesellschaftsspiel beschäftigen, um so grotesker und tollwütiger überbieten sich die Übertreibungen; in Gegenwart des Prinzen von Preußen und in Anwesenheit sämtlicher Magistratspersonen in voller Amtstracht magnetisiert man in Charenton ein altes Pferd. In den Schlössern und Parks entstehen magnetische Haine und Grotten, in den Städten geheime Zirkel und Logen, es kommt zwischen den Anhängern und Verächtern zu offenen Prügeleien, sogar zu Duellen – kurzum, die von Mesmer beschworene Kraft überflutet ihre eigentliche Sphäre, die Medizin, und erfüllt ganz Frankreich mit einem gefährlich ansteckenden Fluid von Snobismus und Hysterie: der Mesmeromanie.