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Nun hat Franz Anton Mesmer, bisher nur simpler Arzt und Liebhaber der schönen Wissenschaften, einen Lebensgedanken, oder vielmehr der Gedanke hat ihn. Denn bis zu seinem letzten Atemzug wird er als unnachgiebiger Forscher diesem Perpetuum mobile, dieser Triebkraft des Alls nachsinnen. Sein ganzes Leben, sein Vermögen, sein Ansehen, seine Zeit setzt er von nun einzig an diese seine Uridee. In dieser Hartnäckigkeit, dieser starren und doch glühenden Unbelehrbarkeit liegt Mesmers Größe und Tragik, denn was er sucht – das magische Allfluid – kann er niemals klar beweisbar finden. Und was er findet – eine neue Psychotechnik –, das hat er gar nicht gesucht und zeitlebens nie erkannt. So erlebt er eigentlich ein ganz verzweifelt ähnliches Schicksal wie sein Zeitgenosse, der Alchimist Böttger, der in seiner Gefangenschaft chemisches Gold anfertigen will und dabei durch Zufall das tausendmal wichtigere Porzellan entdeckt: da wie dort entsendet der Urgedanke nur einen wichtigen seelischen Antrieb, und die Entdeckung entdeckt sich gleichsam selbst in dem leidenschaftlich fortgetriebenen Experimentieren.
Mesmer hat im Anfang nur die philosophische Idee eines Allfluids. Und er hat den Eisenmagneten. Aber der Leistungsradius des Magneten ist verhältnismäßig gering, das sieht Mesmer schon bei den ersten Versuchen ein. Seine Anziehung wirkt bloß einige Zoll weit, und doch läßt Mesmers mystisches Ahnen sich nicht irremachen im Glauben, er verberge weit stärkere, gleichsam latente Energieen, die man kunstvoll hervorlocken und durch richtige Anwendung steigern könne. So beginnt er die kuriosesten Künsteleien. Statt wie jener Engländer bloß ein einziges Hufeisen auf die schmerzende Stelle zu legen, appliziert er seinen Kranken zwei Magnete, einen links oben, einen rechts unten, damit in geschlossenem Strom das geheimnisvolle Fluid den ganzen Leib lebendig durchstreiche und so in Ebbe und Flut die gestörte Harmonie wiederherstelle. Um seine eigene mithelfende Influenz zu vermehren, trägt er, in einem Ledersäckchen eingenäht, selbst einen Magneten um den Hals, und nicht genug an dem, er überträgt diesen kraftspendenden Strom auf alle erdenklichen Gegenstände. Er magnetisiert Wasser, läßt die Kranken darin baden und davon trinken, er magnetisiert durch Bestreichen Porzellantassen und Teller, Kleider und Betten, er magnetisiert Spiegel, damit sie das Fluid weiterstrahlen, er magnetisiert Musikinstrumente, damit auch die Schallschwingung die Heilmacht fortleite. Immer fanatischer verrennt er sich in die fixe Idee, man könne (ähnlich wie später die elektrische Kraft) die magnetische durch Leitung weiter übermitteln, auf Flaschen ziehen und in Akkumulatoren sammeln. So konstruiert er schließlich den berüchtigten Gesundheitszuber, das vielverspottete »Baquet«, ein zugedecktes großes Holzschaff, in dem zwei Reihen von Flaschen, die mit magnetisiertem Wasser gefüllt sind, konvergent zu einem Stahlstab laufen, von dem der Patient einzelne bewegliche Überleitungsspitzen an seinen Schmerzpunkt hinführen kann. Um diese magnetische Batterie reihen sich die Kranken, Fingerspitze an Fingerspitze ehrfürchtig haltend, zur Kette, weil Mesmer erprobt haben will, daß die Durchleitung durch mehrere menschliche Organismen den Strom abermals verstärke. Aber auch die Experimente am Menschen genügen ihm nicht – bald müssen schon Katzen und Hunde daran glauben; schließlich werden sogar die Bäume in Mesmers Park und jenes Wasserbassin magnetisiert, in dessen zitternden Spiegel die Patienten andächtig ihre entblößten Füße tauchen, den Bäumen durch Seile mit den Händen verbunden, während der Meister gleichzeitig auf der gleichfalls magnetisierten Glasharmonika spielt, um mit ihren zarten und schmiegsamen Rhythmen die Nerven dem Universalbalsam gefügiger zu machen.
Unsinn, Schwindel und Kinderei, sagt selbstverständlich unser Gefühl von heute entweder entrüstet oder mitleidig zu diesen tollen Extratouren: hier wird man tatsächlich an Cagliostro und die anderen Zauberdoktoren erinnert. Mesmers erste Experimente stolpern – wozu hier eine Beschönigung? – völlig ratlos, völlig hilflos im krausen Dickicht mittelalterlichen Unkrauts herum. Uns Nachfahren erscheint es natürlich eitles Possenspiel, magnetische Kraft auf Bäume, Wasser, Spiegel und Musik durch bloßes Bestreichen übertragen und damit Heilwirkungen erzielen zu wollen. Aber man messe, um nicht in Ungerechtigkeit zu verfallen, doch einmal redlich die physikalische Situation jener Zeit. Drei neue Kräfte reizen damals die Neugier der Wissenschaft an, drei Kräfte, kinderklein alle drei, jede ein Herkules in der Wiege. Durch den Papinischen Topf, durch die neuen Maschinen Watts konnte man gerade eine erste Ahnung von der motorischen Kraft des Dampfes haben, von der gewaltigen Energiefülle der atmosphärischen Luft, die früheren Geschlechtern bloß als passives Nichts, als ein unfaßbares farbloses Weltgas galt. Ein Jahrzehnt noch, und zum ersten Male wird das erste Luftschiff einen Menschen über die Erde erheben, ein Vierteljahrhundert noch und zum ersten Male das Dampfschiff das andere Element, das Wasser, besiegen. Damals aber ist diese ungeheure Macht der gepreßten oder entleerten Luft einzig in Laboratoriumsexperimenten wahrnehmbar, und ebenso winzig und schüchtern offenbart sich die Elektrizität, dieser Ifrit, damals noch in der winzigen Leydener Flasche verschlossen. Denn was gilt 1775 als elektrische Wirkung? Noch hat Volta nicht seine entscheidende Beobachtung gemacht, nur aus spielzeughaft kleinen Batterieen vermag man ein paar unnütze blaue Funken und schwächliche Kraftschläge auf den Knöchel überspringen zu lassen. Das ist alles, was Mesmers Zeit von der schöpferischen Kraft der Elektrizität weiß, genau so viel oder so wenig wie vom Magnetismus. Aber doch muß ein dumpfes Ahnen damals in der menschlichen Seele herrlich drängend gewesen sein, daß die Zukunft dank einer dieser Kräfte, vielleicht vermittels des gepreßten Dampfes, vielleicht mit jener elektrischen oder magnetischen Batterie die Form der Welt ändern und den zweibeinigen Säugetieren die Herrschaft über die Erde für Millionen Jahre sichern werde – ein Ahnen jener selbst heute noch unermessenen, von Menschenhand gebändigten Energieen, die jetzt unsere Städte mit Licht überschütten, die Himmel durchpflügen und den Schall vom Äquator zum Pol im infinitesimalen Bruchteil einer Sekunde hinüberholen. Gigantische Gewalten sind in diesen winzigen Anfängen keimhaft geballt: das fühlt schon damals die Welt, das fühlt Mesmer – nur daß er, wie der Prinz im »Kaufmann von Venedig«, in seinem Mißgeschick das falsche Kästchen von den dreien greift und die ungeheure Expansionserwartung der Zeit gerade an das schwächste Element, an den Magneten, wendet, – ein Irrtum unleugbar, aber doch ein zeitbegreiflicher, ein menschlich begreiflicher.
Erstaunlich sind also nicht Mesmers erste Methoden, sein Spiegelbestreichen, sein magnetisches Bassin – erstaunlich ist für uns bei seinem Verfahren nur die unvorstellbare therapeutische Wirkung, die ein einzelner Mann mit diesem nichtigen Magneteisen hervorbringt. Aber selbst diese scheinbaren Wunderkuren erweisen sich, psychologisch richtig gewertet, als gar nicht so wunderbar; denn wahrscheinlich, ja gewiß, ist seit Anbeginn aller Medizin die leidende Menschheit viel öfter durch Suggestion geheilt worden, als wir ahnen und die Heilkunde zuzugeben geneigt ist. Welthistorisch erweislich war noch nie eine medizinische Methode so widersinnig, daß nicht doch durch den Glauben an sie den Kranken eine Zeitlang geholfen worden wäre. Unsere Großväter und Ahnen sind durch Mittel geheilt worden, über die unsere Medizin von heute mitleidig lächelt, eben dieselbe Medizin, deren Behandlungsarten wiederum die Wissenschaft der nächsten fünfzig Jahre mit dem gleichen Lächeln als unwirksam und vielleicht sogar gefährlich abtun wird. Denn wo immer überraschende Heilung sich vollzieht, hat die Suggestion ungeahnt mächtigen Anteil. Von der Beschwörungsformel der Antike bis zum Theriak und gekochten Mäusedreck des Mittelalters und zum Radiumstab etwa eines Zeileis danken alle Behandlungsmethoden aller Zeiten ein Großteil ihrer Wirkung dem im Kranken aufgerufenen Gesundheitswillen und dies in so hohem Grade, daß eigentlich das jeweilige Vehikel dieses Heilglaubens, ob Magnet oder Blutstein oder Injektion, bei vielen Erkrankungen fast gleichgültig ist gegenüber der vom Kranken dem Heilmittel entgegengesendeten Kraft. Es ist also nicht wunderhaft, sondern durchaus logisch und natürlich, daß immer die zuletzt entdeckte Kur die unerwartetsten Erfolge erzielt, weil ihr als der noch unbekannten das Höchstmaß von Hoffnung bei den Menschen helfend entgegenkommt: so auch bei Mesmer. Kaum daß sich die Heilwirkung seiner Eisenmagneten bei einzelnen besonderen Fällen kundgibt, läuft das Gerücht von Mesmers Allwirksamkeit durch Wien und über das ganze Land. Von nah und fern pilgert man zum Magus am Donaustrand, jeder will mit dem wundertätigen Magneten bestrichen werden. Vornehme Magnaten berufen den Wiener Arzt auf ihre Schlösser, in den Zeitungen erscheinen Berichte über die neue Methode, man streitet, man bestreitet, man verhimmelt, man beschimpft Mesmers Kunst. Aber Hauptsache: jeder will sie erproben oder von ihr wissen. Gicht, Zuckungen, Ohrensausen, Lähmungen, Magenkrämpfe, Menstruationsstörungen, Schlaflosigkeit, Leberschmerzen – die hundertfältigsten Krankheiten, die bisher jeder Behandlung spotteten, werden geheilt durch sein Magneteisen; Mirakel über Mirakel ereignet sich in dem bisher nur vergnüglichen Haus auf der Landstraße 261. Nach kaum einem Jahre, seit jener reisende Ausländer die Neugier Mesmers auf das Zaubermittel gelenkt, ist der Ruhm des bisher unbekannten Arztes schon so weit über Österreich hinausgedrungen, daß aus Hamburg, aus Genf, aus den entlegensten Städten Doktoren ihn bitten, ihnen die Anwendungsart seiner angeblich so wirksamen Magnetkur zu erklären, damit sie selbst seine Versuche fortsetzen und ihrerseits sorgfältig überprüfen könnten. Und – gefährliche Versuchung für Mesmers Selbstgefühl! – beide Doktoren, denen der Wiener Arzt sich brieflich anvertraut, sowohl der Dr. Unzer in Altona als auch der Dr. Harsu in Genf, bestätigen vollinhaltlich die großartige Heilwirkung, die sie nach Mesmers Methode mit Hilfe des Magneten erzielt hätten, und sie beide lassen spontan eine begeisterte Schrift über die mesmerischen Kuren drucken. Dank solcher überzeugt gegebener Anerkennungen findet Mesmer immer mehr leidenschaftliche Adepten, schließlich beruft ihn sogar der Kurfürst nach Bayern. Was sich in Wien so überraschend kundgetan, bewährt sich ebenso verblüffend in München. Dort erzielt die Magnetauflegung bei völliger Lähmung und Augenschwäche des Akademierats Osterwald einen so aufsehenerregenden Erfolg, daß der Akademierat 1776 in Augsburg einen Bericht über seine Heilung durch Mesmer in Druck gibt: »Alles, was er allhier bei verschiedenen Krankheiten geleistet, läßt vermuten, daß er der Natur eines ihrer geheimsten Triebwerke abgesehen habe.« Klinisch genau schildert der Genesene den verzweifelten Zustand, in dem ihn Mesmer gefunden und wie mit einmal die magnetische Kur ihn zauberisch von alteingewurzelten Leiden erlöst habe, die bisher keiner ärztlichen Heilung zugänglich gewesen. Und um jedem möglichen Einspruch der Ärzte von vornherein zu begegnen, schreibt der vernünftige Akademierat: »Wollte jemand sagen, die Historia mit meinen Augen sei eine bloße Einbildung, so bin ich es zufrieden und verlange von keinem Arzt der Welt mehr, als daß er es zuwege bringe, daß ich mir fest einbilde, gesund zu sein.« Unter dem Eindruck dieser unwidersprechlichen Erfolge wird zum ersten (und letzten) Male Mesmer offiziell anerkannt. Am 28. November 1775 ernennt die kurbayerische Akademie Mesmer feierlich zu ihrem Mitglied, »denn sie ist vergewisset, daß die Bemühungen eines so vortrefflichen Mannes, der seinen Ruhm durch besondere und unwidersprechliche Proben einer so unerwarteten als nützlichen Gelehrsamkeit und Entdeckungen verewigt hat, zu ihrem Lustre viel beitragen werde«. Innerhalb eines einzigen Jahres ist der vollkommenste Sieg erfochten, Mesmer könnte zufrieden sein: eine Akademie, ein Dutzend Ärzte und Hunderte von geheilten und ekstatisch dankbaren Patienten bezeugen unwidersprechbar die Heilkraft des Magneten.
Aber wunderbar: gerade in dem Augenblick, da unbeeinflußte Zeugen Mesmer recht geben, gibt er sich selber unrecht. Innerhalb dieses einen Jahres hat er in der Rechnung schon den Anfangsfehler erkannt, nämlich, daß es gar nicht das Magneteisen sei, das in seiner Hand wirke, sondern die Hand selbst. Daß also seine erstaunliche Influenz auf die Menschen nicht vom toten Mineral ausgehe, mit dem er manipuliere, sondern von ihm, dem lebenden Menschen, daß gar nicht der Magnet der Gesundheitszauberer war, sondern der Magnetiseur. Mit dieser Erkenntnis hat das Problem plötzlich eine neue Richtung bekommen: ein weiterer Vorstoß noch, und die wirkliche, die persönliche Wirkungskausalität könnte erkannt sein. Jedoch Mesmers geistige Spannkraft ist nicht groß genug, ein ganzes Jahrhundert zu überspringen. Nur Schritt für Schritt kommt er weiter auf seinen Irrwegen und Umwegen. Aber: indem er ehrlich und entschlossen seinen Zauberstein, den Magneten, wegwirft, hat er sich aus dem magischen Pentagramm mittelalterlichen Wunderkrams befreit; der Punkt ist erreicht, wo seine Idee uns verständlich und fruchtbar wird.