Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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13. Die Wahrzeichen für wandernde Handwerksbursche.

Veit war indessen zwanzig Jahre alt geworden, und Gesell. Er sollte auf die Wanderschaft gehen. Dem jungen Burschen ward's dabei eng und schwer ums Herz. obgleich er sich aufs Reisen freute. Aber mit Vater und Mutter war er, wie zusammengewachsen; und, von ihnen getrennt, noch athmen zu können, konnte er kaum glauben. Und die muntere Christiane im Hause, Krämer Westers Tochter, galt ihm, wie eine liebe, kleine Schwester; und – eine andre dann, außer dem Hause, die er Niemandem nannte, wie noch viel mehr.

Fast jeden Sonntag, besonders in den zwei letzten Jahren, brachte er in der Familie des Herrn Kürbis zu, wo man ihn gern sah. Denn er war ein bescheidener, gefälliger junger Mensch; fast zu hübsch für einen Gürtlergesellen, glaubte Madame Rosine oder Rosa Kürbis. Ida, ihre Tochter, glaubte es auch. Das Mädchen war sechzehn Jahr alt, und machte also Anspruch auf Urtheil. Sie benahm sich gegen alle Welt sehr nein und vornehm, aber gegen den artigen Veit gar nicht. Sie wollte auch keine Jungfer mehr sein, sondern Mademoiselle oder Fräulein heißen; hingegen von Veit hörte sie sich lieber Ida nennen und unter vier Augen blieb es auch zwischen beiden beim Du und Du der Kinderjahre. Sie hatte nichts an ihm auszusetzen, als seine Unbekanntschaft mit ihren Lieblingsdichtern; seine Blödigkeit und Entbehrung aller schwärmerischen Gefühle für das Erhabene und Schöne. Darum las sie ihm, um seinen Geschmack auszubilden, die gelungensten Stellen aus ihren Lieblingsbüchern vor; oder spielte und sang, um ihn empfindsamer zu machen, was sie auf dem Klavier gelernt hatte. Sie unterrichtete ihn in Vielem, sogar mehr, als dem guten Jungen zu seinem Frieden diente.

Daraus erklärt es sich, warum es ihm so schmerzlich fiel, in die Fremde zu ziehen und sich von allen seinen Himmeln loszureißen. Und doch mußte es sein. Es war ein hartes Scheiden.

Am Abend vor der Abreise schloß ihn Vater Jonas noch einmal in seine Arme, drückte ihn fest an seine Brust und sprach: »Höre, Veit, Du bist ein guter Bursch, bleib' Dir, bleib' Deinen Aeltern, bleib' Gott getreu; dann ist Alles gut! – Ich will Dir aber noch guten Rath auf den Weg mitgeben. Setz' Dich zu mir, Höre mich.«

Veit nahm einen Strohsessel. Ihm zur Seite saß die tiefbewegte Mutter, die seine Hand fest in der ihrigen hielt; vor ihm der Vater, der nun also sprach:

»Handwerk, sagt's Sprüchwort: hat goldenen Boden; doch nicht jeder versteht ihn zu legen. Das lerne! Vielen Handwerkern fehlt hier zu Lande Lust, Trieb und Geschick, ihr Gewerb zu verbessern. So was muß man in der Fremde suchen und lernen.«

»Um mit Nutzen zu reisen, mußt du unterwegs nichts sehen, wovon du nicht das Wie? und Wozu? erfährst. Wer andere reiset, ist nur, wie im Schlaf, durch die Welt gelaufen, und hat draußen grüne Bäume, bunte Häuser, und zweibeinige Menschen gesehen, was er daheim auch findet. Ich habe Handwerksbursche gekannt, die von großen Städten nichts zu sagen wußten, als das Wahrzeichen, in Straßburg das große Münster, in Basel den Lallenkönig.«

»Wie man oft aus Gesichtszügen eines Menschen auf dessen Gemüthsart schließen kann: so haben auch Länder und Städte ihre prophetischen Gesichtszüge. Dies sind die eigentlichen Wahrzeichen, die jeder wandernde Handwerksbursch beobachten soll. Die helfen ihm auf die Spur, was er zu erwarten hat.«

»Findest du in einer Stadt viel Wirthshäuser, Wein-, Bier- oder Schnappsschenken: so verlaß dich darauf, da gibt's viel lustige Gesellen; aber am Zahltag betrübte Gesichter und selten häusliches Glück.«

»Kömmst du in eine Stadt, wo Misthaufen auf den Straßen liegen: so zähle nicht viel auf Arbeit bei einem Meister. Denn die Bürger sind dort ehrsame Bauern in Perrücken.«

»Wo die Glocken allzuoft läuten und Sonn- und Festtage kein Ende nehmen, versieh dich mit kleiner Münze: denn du wirst sie für die Bettler brauchen.«

»Fahren am Tage prächtige Karrossen durch die Straßen, aber fehlen des Abends die Straßenlaternen: so gleicht die Stadt einer gernschönen Dirne, die unter seidenen Kleidern ein zerrissenes Hemd trägt.«

»Wo die Alten daheim arbeiten, und die jungen Herren in den Wochentagen mit den Bürgertöchtern Lustparthien machen, kannst du Bankerotte prophezeien.«

»Schließe nicht von vielen Kirchen und hohen Thürmen eines Ortes auf viele und hohe Frömmigkeit daselbst; nicht von reichen Kleidern auf reiches Vermögen der Leute; nicht von Ordensbändern auf Verdienst ihrer Träger. Das und dergleichen sind Aushängeschilder; Wirtshäuser haben solche nicht allein in der Welt.«

»Wo dir stolze Denkmale entgegenprangen, dem und diesem zu Ehren, glaube nicht, sie sollen den und diesen verewigen, sondern Monumente der Eitelkeit derer sein, welche sie errichtet haben.«

»Wo du dem Bauer nicht schon mit Sonnenaufgang bei der Feldarbeit begegnest, sitzen gewiß Abends viele beim Bier und Branntewein beisammen, lange nach Sonnenuntergang.«

»Wo die Landleute grob und unhöflich sind, hat der Ochs an der Krippe bessere Lehre gegeben, als der Schulmeister; wo sie aber zu demüthig kriechen und hinterrücks tückisch grinsen: da hauset in der Gegend, glaub' mir's, ein böser Geist, irgend ein tirannischer Dorfkaiser.«

»Hast nicht nöthig um die Ringmauern der Stadt zu gehen, oder auf den Thurm zu steigen, um zu wissen, wie groß sie sei. Sie ist gewiß klein, wenn sich die Leute viel grüßen und abgegriffene Hüte tragen. Wächst aber Gras in den Gassen, so geh' deines Weges. Du findest schwerlich bei einem Meiste Arbeit, weil Handel und Wandel todt liegen.«

»Wo man keine Gesetze hat, bist du vogelfrei; da verlaß dich im Notfall auf deine Faust. Wo der Gesetze zuviel sind, und du bei jedem Schritt auf eine Verordnung stoßest: da nimm du beizeiten Reißaus. Dir passen Polizeidiener und Advokaten an allen Ecken auf.«

»Kömmst du in ein Land, wo nicht jedes Städtchen seinen eigenen Galgen, hingegen eigene Schul- und Armenhäuser hat; wo nicht jedes Dorf weite Almenden, hingegen gutgedüngte Aecker hält; wo die Landstraßen nicht mit Bettlern, aber mit Obstbäumen bepflanzt sind; wo Advokaten, Doktoren und Schenkwirte über schlechte Zeiten klagen: da, Veit, da ruhe aus; die Leute haben Kopf und Herz am rechen Fleck.«

»Siehst du zwischen prachtvollen Palästen viel altersschwache Häuser mit gebrochenen oder blinden Fensterscheiben, und fallsüchtige Hütten: da schlag' ein Kreuz und geh' vorüber.«

»Ich habe dir jetzt genug gesagt; nicht daß ich dir Alles gesagt hätte. Aber du kennst nun ungefähr die wirklichen Wahrzeichen, die ich meine.«

»Folge meinem Rath. Wohin du kömmst, frage viel, aber antworte wenig. Stelle dich unwissender, als du bist, und man wird dich gern unterrichten.«

»Lobe jedes Lobenswerthe; aber tadle nicht jedes Tadelnswerthe, und du wirst alle Herzen gewinnen, wenn's dir darum zu thun ist.«

»Sei auf der ganzen Reise fromm, fleißig, sparsam, – bescheinen, wißbegierig, verschwiegen, – dienstgefällig, beharrlich, muthig. So wirst du einst heimkommen zu deinen Aeltern, als ein ganzer Mann, frömmer, klüger, tüchtiger in Rath und That.«


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