Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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6. Lust und Leid.

»Wohl hab' ich zu Reckendorf eine böse Meisterin,« sagte Martha, als sie beide auf der Straße standen: »Aber diese ist wohl zehnmal ärger, fürcht' ich. Ich weiß nicht, was anfangen? Bis Pfingsten muß ich noch dort verbleiben.«

»Besser im Fegfeuer, Kind, als in der Hölle!« tröstete Jonas und führte sie zu seiner Behausung. um mit ihr sein Mittagsmahl zu theilen. Zwar weigerte sie sich anfangs verschämt, und doch folgte sie gern. Sie hätte so Vielerlei vom Freund ihrer Kinderjahre wissen und erfahren mögen; auch bat er gar zu inständig, nicht zu verschmähen, was ihm die Garküche aufs Tischtuch schicken werde; er wollte sie dann auf dem Heimweg begleiten in ihr Dorf. So gingen sie langsam neben einander durch die Straßen; beide mit Bangigkeit und Freude im Herzen. Ihm gefiel die aufgeblühte, schüchtere Jungfrau gar wohl, und er hätt' es ihr gestanden, wär' er nicht, je öfter er sie ansah, immer blöder geworden. Sie betrachtete ihn von Zeit zu Zeit, doch immer nur flüchtig und nur seitwärts, mit Augen, worin ein Gemisch von Erstaunen, Freude und Zärtlichkeit blitzte. »Aber nein!« rief sie beständig, sich im Plaudern unterbrechend: »Aber nein! wie bist du groß geworden, wie ein ganz Anderer! Jonas, gewiß, es schickt sich für mich nicht; ich darf dich nicht mehr so nennen.«

Mit mädchenhafter Verzagtheit trat sie in die Wohnung ihres ehemaligen Gespielen; und in die saubere Wohnstube, wo sie, was sie nicht erwartete, keine Spur von gewohnter Junggesellen-Wirtschaft fand. Es war da hell und freundlich; am Fußboden keine Fleckchen; im Winkel keine Staubwolle. Längs den Wänden sechs Strohsessel; zwei Tische von Weißtannenholz, dazu beim Ofen eine neue Wälderuhr. Zwischen den Fenstern und ihren weißen Umhängen, ein kleiner Spiegel.

»Du wohnst hier recht lieblich, Jonas!« sagte sie, indem ihr Blick das Alles schnell überflog: »Wer hält dir das so reinlich und in schönster Ordnung?«

Meister Jordan, durch die Frage ein wenig geschmeichelt, antwortete schmunzelnd: »Wer anders, als meines Vaters einziger Sohn?«

»Woher nimmst du aber die Zeit?« fragte sie wieder: »Du hast den ganzen Tag mit deiner Arbeit zu schaffen.«

Er lachte und erwiederte: »Wer Alles nur immer an den rechten Ort, und Jedes nur zur rechten Zeit thut, hat zum Vielthun im Tage sechszehn Stunden übrig.«

Während sein Lehrbursch die Speisen vom Garkoch abholt, führte Meister Jordan den weiblichen Gast auch in seinen engen Waarenladen, in die aufgeräumte Werkstätte, in die leere Küche, und endlich selbst in die Schlafkammer, wo sein und des Lehrlings Bett stand, eins wie das andere von schneeweißem Baumwollenteppich überhangen. Martha ging ganz sachverständig musternd umher, und dachte sich dabei dies und das. Dann lächelte sie ihn an und sagte: »Hör, Jonas, du bist so reich, wie ein Prinz. Du kannst wohl zufrieden sein, mein' ich.«

Er zuckte mit einer wunderlichen Miene die Achseln, und seufzte: »Ach, es ist Niemand in der Welt, ohne ein »Aber!« Und wenn das Wörtlein »Wenn« nicht unterm Himmel wäre, säßen wir schon hienieden im Himmel. Auch im Paradiese blieb Adam nicht gern allein.«

Martha sah etwas verlegen nach den Fenstern und nach der Thür, als würd' ihr bange, sie wußte nicht warum? Dann hob sie an: »Ich meinte bloß, es sei hier Alles gar wohnlich.«

Er ergriff ihre Hand und fragte leise: »Möchtest du hier wohnen, Martha?«

»Das Essen steht bereit auf dem Tisch,« sagte der Lehrjunge, indem er durch die offene Kammerthür eintrat; höchst ungelegen für seinen Meister, höchst gelegen für die ängstliche Jungfrau.

Man ging ins Zimmer, trat zum Tisch, auf welchem ein Paar Schüsseln dampften, und Jonas verrichtete mit lauter Stimme sein gewohntes Tischgebet; doch diesmal vielleicht nicht mit gewohnter Herzensandacht.

Die Gegenwart des mitessenden Burschen ließ die Unterhaltung sehr ins Allgemeine verlaufen. Doch allerlei unwillkürliche Nebengedanken mochten wahrscheinlich wichtiger sein, als die Gespräche. Die weibliche Gesellschaft wirkte, wenigstens auf Meister Jordan, ganz wunderbar. Seine Stube schien ihm wirklich zehnmal schöner geworden, denn sonst; die Speisen schmeckten weit besser; sogar die Sonnenstrahlen glänzten weit festlicher und sonntäglicher durch die Gardinen der Fenster herein.

Sobald, nach aufgehobener Mahlzeit, der Knabe sich entfernte, kehrte die frühere Traulichkeit zurück, und Jonas erzählte, wonach schon mehr denn einmal gefragt war, von seinen Fahrten und Geschichten in der Fremde, wie er nun Meisterschaft erworben, aber leider noch bei weniger Arbeit und Kundschaft. Martha ihrerseits wußte viel von ihrem harten Schicksal und dem Tode ihres Vaters zu berichten, und von der strengen Behandlung während des vierjährigen Aufenthalts im Waisenhause. Doch unterließ sie auch nicht, dankbar anzuerkennen, daß sie da in allerlei häuslichen Verrichtungen, in Küchen, Keller und Gartengeschäften, sowie in den mannigfaltigsten weiblichen Handarbeiten Unterricht und Uebung genossen habe, um selbst in den vornehmsten Häusern einen anständigen Dienstplatz annehmen zu können. Freilich solches Glück sei ihr noch nicht zu Theil geworden. Sie wäre um kümmerlichen Lohn bisher immer in wenig bemittelten bürgerlichen Haushaltungen, als Magd, gestanden, und bald durch Grobheit oder Schamlosigkeit der Hausherren, bald durch Bissigkeit und Zanksucht der Frauen fortgetrieben. Das sei auch noch jetzt beim Strumpfwirker Kneller ihr Loos; weshalb sie sich nach einem andern Dienst umsehe.

Die freudenarme Vergangenheit und trübe Aussicht in künftige Tage lieferte so reichen Stoff der Verhandlungen, daß er weder in Jordans Stübchen, noch auf dem Wege gen Reckendorf erschöpft werden konnte, wohin der junge Meister Fenchels Tochter begleitete. Beim Abschied ward Abrede getroffen, sich Sonntag um Sonntag wieder zu sehen; doch zur Schonung von Martha's Füßen, oder gutem Namen, nur in den Umgebungen ihres Wohnortes, nicht in der zungenreichen Stadt.

Meister Jordan hatte auf dem Heimwege nach Altenheim allerlei schwere Gedanken, wie jeder, der ihm auf der Landstraße begegnete, beim ersten Blick, am wechselnden Spiel seiner Mienen wahrnehmen konnte. Ihn reute und freute Vieles. Es freute ihn, das Kind des unglücklichen Fenchel wiedergefunden zu haben, welches einst, nach Vater Thaddäus Tode, seine erste und beste Freude gewesen war. Ihn freute ihre zarte, niedliche Gestalt, ihr liebherziges natürliches Wesen, der schmeichelnde Klang ihrer Worte, und die fromme, schöne Seele, die in ihren Augen bald betete, bald weinte, bald recht selig lächeln konnte. Aber ihn reute, daß sein Verstand, am Morgen beim Wiedererkennen Martha's, vollkommen das Gleichgewicht verloren hatte; daß er den Goldschmied Gideon in dessen eignem Hause, beim ersten freundschaftlichen Besuch, schwer gekränkt und beleidigt hatte. – Das reute ihn bitterlich.

Zwar wußte er sich, zur Entschuldigung des übereilten Betragens, Mancherlei zu sagen; zwar war ihm an Freundschaft und Gunst des stolzen Herrn Kürbis blutwenig gelegen; aber desto mehr an Zufriedenheit mit sich selber, und am Bewußtsein, immer zu thun, was Recht, was Pflicht und Christentum gebieten. Er beschloß auf der Stelle, Buße zu thun; und that sie. Sobald er in die Stadt eintrat und über den Schloßplatz an Gideons Haus vorüber kam, kehrte er ohne Zögern zu diesem ein.

»Herr Kürbis und Madame,« sagte er zu ihnen, als er sie am Theetisch beisammen fand: »Ich habe mich am Morgen gegen Sie vergessen: ich will's jetzt am Abend wieder abbitten. Lassen Sie die Sonne nicht über Ihren Zorn untergehen. Sie wissen, hitzig ist nicht witzig; und ich weiß noch immer nicht, wie mir heut das Feuer so schnell ins Dach fuhr. Darum bitt' ich: Vergeben und Vergessen! Friede ernährt, Unfriede verzehrt.«

Anfangs wollte das edle Ehepaar den gutmüthigen Bittsteller zur Thür hinausweisen; dann zankten Herr und Frau ihn um die Wette tüchtig aus; dann ließen sie doch seiner Anerkennung ihrer höhern Stellung und Vornehmheit einiges Recht angedeihen; dann endlich wurden sie, eben deswegen, allmälig freundlicher und zuletzt versöhnt.

Jonas bemitleidete in seinem Herzen die Menschen, und seelenvergnügt, sie und sich selbst besiegt zu haben, begab er sich nach Hause.


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