Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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10. Das neue Hausschild.

Vierzehn Tage später ward ihm ein großes Schreiben der fürstlichen Kammer überbracht. Darin zeigten wenige Zeilen an: daß die allerunterthänigste Gabe mit allergnädigster Zufriedenheit empfangen worden sei, und Seine Durchlaucht geruht habe, dem Gürtlermeister Jonas Jordan das Prädikat »fürstlicher Hof-Gürtlermeister« beizulegen, welches derselbe auch auf seinen Hausschild zu setzen habe.

Das bescheidene Ehepaar begriff anfangs gar nicht, was mit der unverlangten Ehrenbezeugung anstellen? Dann brachen beide in herzliches Gelächter über ihre eigne Verlegenheit aus. Denn bisher hatte keines von ihnen an Ausstellung eines Thürschildes gedacht.

»Der alte Herr aber hat Recht!« sagte sie: »denn wer weiß denn, daß wir jetzt am Schloßplatz wohnen? So wird's doch aller Welt bekannt, und ein Schild schmückt dazu noch mit den goldenen Buchstaben das ganze Haus.«

»Mag sein,« entgegnete er: »Mir wäre jedoch lieber, der Fürst hätte es unterlassen. Bloß Schnurrpfeiferei das, und nichts weiter! Aber, sei es! Zu großen Herren darf man nicht sagen: Ich bin Ich! Man muß sich auch für einen Nasenstüber von ihnen bedanken. Ein Stückchen Band von ihnen im Knopfloch bezahlt ihren tapfersten Männern den Verlust von Arm und Bein.«

Das Schild ward also verfertigt und aufgehängt. Meister Jordan hatte den Malerlohn nicht zu bereuen.

Schon der Besitz eines Hauses am Schloßplatz und dann darin der reich mit glänzenden Waaren ausgezierte Laden, brachten den bisher wenig beachteten Mann in Ruf einer Zutrauen erwerbenden Gehäbigkeit. Und nun gar dazu den Titel eines »fürstlichen Hof-Gürtlermeisters!« Das brachte die Eifersucht sämmtlicher Meister seiner Profession in Harnisch. Sie machten scheele Gesichter, so oft sie das Schild erblickten; höhnten und spöttelten darüber unter einander; konnten nicht begreifen, wie solch ein armseliger Schlucker zu der Auszeichnung gelangt sein möge; und jeder glaubte von sich, er hätte wohl eher den Vorzug verdient.

Jeder aber ward zugleich fortan mit Jonas zuthunlicher und kameradlicher, weil man sich einbildete, er stehe bei Hofe in besondern Gunst. Jeder schüttelte ihm im Begegnen kräftiger die Hand; erkundigte sich nach Wohlbefinden von Frau und Kind, und strafte ihn mit Vorwürfen, daß er sich nie, in ihrer Gesellschaft Abends, auf der Zunft, oder bei dem und diesem Gastwirth, sehen lasse.

Auch Herr Gideon Kürbis nahm nicht länger Anstand, den höflichen Nachbarschaftsbesuch zu erwiedern, welchen Jonas und Martha dem reichen Goldschmied längst abgestattet hatten.

»Ja, ja!« rief er bei seinem Eintritt, indem er umherschaute: »Das ist hier eine ganz schmucke, schickliche Wohnung für Euch. Ich hoffe, wir werden gute Nachbarn werden, Meister Jordan. Es freut mich, wenn unsre Kinder mit einander spielen. Freilich, mein Edwin ist achtzehnjährig; künftiges Jahr, Notabene! geht er auf die Universität. Er muß Jura studiren. Aus ihm wird mit der Zeit etwas werden. Euer Veit hingegen paßt noch ganz zu meiner kleinen Ida. Und, Notabene, daß ich's nicht vergesse, gratulire, Herr Hofgürtler, zur neuen Würde.«

Jonas verbarg das Gesicht schalkhaft und sagte: »Was mehr? Ein Flicken von Seidensammet auf einem schäbigen Zwillichkittel.«

»Hm!« versetzte Herr Gideon und warf den Kopf etwas zurück: »Nicht also! Ehre geht über Alles.«

»Und Ehrlichkeit noch über Ehre!« erwiederte der Hofgürtler.

»Davon sprech' ich nicht, Meister Jordan. Ich meine nur, überall gibt ein Titel doch mehr Respekt et cetera

»Ueberall, Herr Kürbis, wo man lieber den Einband, als das Buch, ansieht. Man soll sich aber in die liebe Narrenwelt schicken, wenn man nicht beständig das Pritschholz der Hanswurste auf dem Rücken fühlen will.«

»Ihr seid immer noch der wunderliche Kauz, wie vor Zeiten, Meister. Ja, ja, Ihr müßt jetzt andere Sprache führen; andern Ton annehmen.«

»Sehen Sie, Herr Kürbis, wenn man den Hahn im Hühnerhof auch Truthahn nennt, oder wohl gar Vogel Strauß: er kräht dennoch, nach wie vor, wie ein Hahn.«

Der edle Gideon, welcher sich von jeher gefiel, den ehemaligen Jugendgenossen, als Unwissenden zu hofmeistern und Geistesüberlegenheit fühlen zu lassen, schüttelte unzufrieden den Kopf und suchte ihn eines Bessern zu belehren. »Ihr dürfet,« fuhr er nach einer langen, wohlgesetzten Rede fort: »Ihr dürfet, zum Exempel, anständiger Weise nicht mehr mit der Schürze und aufgestreiften Hemdärmeln, über die Gasse laufen. Wenn das Se. Durchlaucht erfahren sollte! Auch, und das begreift Ihr wohl selbst, wär' es sehr unangemessen, wenn ein Herr Hofgürtler, wie ein hausirender Jude, mit Kram auf dem Karren, bald hierhin, bald dorthin, zu Markt führe. Das wäre ja ein Schimpf für Euch!«

»Schimpf! Pah!« rief Jonas: »Man muß die alten Schuhe nicht wegwerfen, bevor man neue hat.«

»Ihr vergeßt,« warf Gideon ein: »daß Titel doch immer eine gewisse Bedeutung geben.«

»Ei was!« rief Jonas ärgerlich: »Alles muß in der Welt seinen Namen haben von Adams Zeiten her; aber Titel sind Schatten des Namens und kaum das; nur Schatten eines Schattens. Dergleichen Ehre ist ein Schaugericht, davon keine Fliege satt wird. Vor Geld ziehen die Leute den Hut am tiefsten ab; das ist auch Ehre.«

»Mag sein, wenn man's eben hat!« sprach Herr Gideon und zupfte die Hemdkrause etwas weiter vor, indem er die Goldringe an den Fingern funkeln ließ. Darauf trat er vertraulich näher, und sagte, den Kopf bedeutsam auf- und abwiegend: »Es fällt mir eben ein, . . . wie dünkt es Euch, . . . zum Exempel, wenn ich fürstlicher Hof-Goldschmied et cetera, werden könnte? Es wäre mir, Notabene! aus gewissen Gründen nicht ganz unlieb. Sagt, wie habt Ihr Eure Sache so klug bei Hof angestellt?«

Meister Jordan, den das lange und leere Geschwätz in der Arbeit hinderte, und den die eitle Hoffart des Mannes nicht wenig anwiderte, antwortete kurz: »Ei man wirft nur einen nichtsnutzigen Strohwisch in die Höhe, dann regnen Stoppeln zurück. Nun wissen Sie's!«

Der Goldschmied ließ sich durch die seltsamen Antworten des Murrkopfs gar nicht zurückschrecken. Er fuhr in seinen Forschungen unermüdlich fort. Der Hofgürtler hinwieder, der nicht die mindeste Lust hatte, ihm oder andern Neugierigen zu beichten, was seine Haussachen anging, fertigte ihn eben so beharrlich mit räthselhaften Sprüchen ab. Denn es gehörte zu seiner und Martha's Hauspolitik, keinen Fremden in ihre besondern Verhältnisse, auch nicht in die unbedeutendsten einzuweihen, um jeder Klatscherei zu entkommen.

Das war inzwischen so leicht nicht. Denn gerade dies zurückhaltende Wesen und daß man von den beiden Leutchen nicht zu reden wußte, gab am meisten zu reden. Es verbreitete sich plötzlich das Gerücht, Jonas sei ein Glückskind; überreich geworden; habe das große Loos der Frankfurter Lotterie gewonnen; Haus und Titel gekauft; große Kapitalien außer Landes an Zins stehen. Das sei das ganze Geheimniß, und der Mann nebenbei ein schlauer Fuchs, ein Knicker, ein Filz, der nie genug habe, der Frau und Kind hungern lasse, und jedes Schwefelhölzchen zwölfmal spalte.

Wenn Martha solcherlei Geschwätz vernahm, ward sie oft empfindlich. Er aber lachte und sagte: »Nicht doch, Herzchen, warum grämst du dich? Ich bin den Leuten dankbar, daß sie mit christlicher Liebe uns nur Worte nachwerfen, nicht Steine. Es ist mit dem Mundloch am Kopf, wie mit dem Spundloch am Faß. Geht der Zapfen auf, fährt kein besserer Wein heraus, als der im Faß. Gönne also den Schwätzern die Lust am Lästern, wie den Gänsen das Zischen und den Hunden das Bellen. Gegen Cholera und Pestilenz sind Heilmittel erfunden, aber noch keins gegen ein böses Maul. Gib dich also zufrieden; Kaiser und König müssen's eben so thun.

»Heut ist die Reihe an uns, morgen sind wir vergessen und schießt man nach andern Scheiben. Das ist das Beste vom Ganzen.«

Schlecht und recht lebte der Hofgürtler mit seiner Frau, nach wie vor; thätig in Werkstatt und Laden, auf Messen und Märkten. Und doch vergingen Jahr um Jahr, eh' an der Geldschuld vom Hause der letzte Gulden bezahlt werden konnte. Fröhliche und traurige Tage wechselten. Sie wurden, die einen wie die andern, mit Dank gegen Gott empfangen.

Am schmerzlichsten war für die kleine Familie der Verlust ihrer einzigen Freunde, mit denen sie von jeher am vertrautesten gelebt hatten. Frau Wester starb nämlich an den Folgen des Kindbettes, als sie ihrem Gatten das erste Töchterlein geschenkt hatte. Seitdem kränkelte auch er, von stillem Gram verzehrt, und heimlichen Nahrungssorgen gedrückt. Dann, was man erst spät erfuhr, war der größte Theil seines Vermögens durch Bürgschaften verloren gegangen, zu denen er sich allzu unbehutsam oder zu gutmüthig, gegen leichtsinnige Personen verpflichtet hatte. Als er, vier Jahre nach dem Tode seiner Frau, ihr in die Ewigkeit folgte, hinterließ er nichts, als sein unmündiges Kind und einige Schulden. Meister Jordan zahlte diese für seinen Freund; und Martha nahm das Töchterlein zu sich, dessen Pathin sie geworden. Herr Wester war ruhig, ja freudig aus diesem Leben geschieden, weil er seine kleine Christiane nun wohl aufgehoben wußte.


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