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Die ganze nächstfolgende Woche blieb Franziska bei ihrer hartnäckigen Weigerung, in das Haus ihrer Schwester zurückzukehren, und es kam zu einer furchtbaren Szene auf offener Straße. Buteau wollte das Mädchen mit Gewalt heimschleppen; er zerrte sie an den Haaren und mußte sie endlich freigeben, nachdem sie ihn in den Daumen gebissen. Macqueron ward unter solchen Umständen bange und forderte selbst die Kleine auf, sein Haus zu verlassen, da er als Vertreter der Obrigkeit ihre Widersetzlichkeit den Verwandten gegenüber nicht ermutigen könne.
Als hiervon die Rede war, kam gerade die Große vorüber, und diese nahm Franziska mit sich. Das einzige Sinnen und Trachten dieser jetzt achtundachtzigjährigen Frau war, einst ihren Erben mit ihrer Hinterlassenschaft allerhand Prozeßverwickelungen anzuhängen. Vergeblich machte sie, um niemandem Unrecht zu tun, ein sorgfältig so verquicktes Testament, daß nach ihrem Tode ein heller Krieg unter den Verwandten entbrennen mußte; da sie ihre Habe nicht mit sich nehmen konnte, war es ihr eine Genugtuung zu wissen, daß es den Erben nichts anderes werden würde, als ein Zankapfel. Auch schon jetzt an ihrem Lebensabend machte es ihr ein besonderes Vergnügen, die Glieder der Familie sich untereinander befehden zu sehen. Deshalb entschloß sie sich auch, Franziska in ihr Haus zu nehmen, nachdem ihr Bedenken, des Mädchens Anwesenheit unter ihrem Dache könne ihr Geld kosten, durch den Vorsatz beschwichtigt ward, ihr möglichst schmale Kost gegen desto größere Arbeitsleistung zu verabfolgen. Bereits am ersten Abend ließ sie das ganze Haus von der Kleinen scheuern und waschen. Als Buteau sich einfand, empfing sie ihn stehend und blickte so drohend drein mit ihrem bösen Raubvogelgesicht, daß er, der erklärt hatte, bei Macqueron alles kurz und klein schlagen zu wollen, vor ihr kleinlaut ward und in Ansehung des einst zu erwartenden Erbes jeden Versuch unterließ, ihren Willen zu bekämpfen.
»Ich brauche Franziska, ich behalte sie, da es ihr bei euch nicht gefällt. Übrigens ist sie jetzt großjährig. Ihr habt mit ihr Abrechnung zu halten. Wir reden noch darüber.«
Wütend verließ Buteau das Haus, mit Schreck erfüllt vor den Verdrießlichkeiten, die er kommen sah.
Acht Tage später gegen Mitte August hatte Franziska ihr einundzwanzigstes Jahr erreicht. Jetzt konnte sie frei über sich verfügen. In Wirklichkeit war ihre gegenwärtige Lage nicht viel rosiger als die Vergangenheit. Auch sie zitterte vor ihrer Tante, und die Arbeit, welche sie leisten mußte, war fast übermenschlich. In dieser kalten Wohnstätte des Geizes sollte alles blank und rein sein, ohne daß dabei Seife oder Bürste verbraucht werden durften; die Arme und kaltes Wasser mußten ausreichen. Als sie eines Tages sich erlaubt hatte, den Hühnern einige Körner Getreide hinzuwerfen, versetzte ihr die Große einen so mächtigen Hieb mit ihrem Stecken, daß die Striemen wochenlang sichtbar blieben. Man erzählte sich, die furchtbare Frau spanne ihren Enkel Hilarion vor den Wagen, um ihr Pferd zu schonen. Es war wohl erfunden, doch der Bursch wurde gewiß schlechter gehalten als ein Haustier; sie prügelte ihn bei jedem Anlaß, überbürdete ihn dermaßen mit Arbeit, daß er trotz seiner Riesenkraft oft wie tot zusammenbrach; dabei wurde er gleich den Schweinen mit Abfall und trockenen Brotrinden ernährt und aß sich niemals satt. Als Franziska sah, daß es ihr nicht besser gehen werde, hatte sie nur noch den einen Wunsch, das Haus der Tante zu verlassen. Darum faßte sie plötzlich den Entschluß, sich zu verheiraten.
Sie wollte sich um jeden Preis aus ihrer augenblicklichen Lage befreien. Ehe sie sich mit Lise ausgesöhnt hätte, wäre sie ins Wasser gesprungen; sie fühlte sich in ihrem Rechte, und wie schon in ihrer Jugend ward ihr dies Bewußtsein allein maßgebend; sie warf sich nur das eine vor, daß sie sich so lange Zeit hatte quälen lassen; dabei vergaß sie fast Buteaus Schändlichkeiten und klagte nur immer ihre Schwester an, der sie alle Schuld beimaß. Heute, wo man gebrochen, für immer gebrochen hatte, lebte Franziska nur in dem Verlangen, ihr Erbe anzutreten. Dieser Gedanke beschäftigte sie von früh bis spät, und es bekümmerte sie, daß so viele Förmlichkeiten zu erfüllen waren. Wie? Dies ist mein, dies ist dein, und das ließ sich nicht in drei Minuten abwickeln? Man mußte sich gegen sie verschworen haben. Sie hatte die ganze Familie im Verdacht und war schließlich mit sich darüber einig, daß nur ein Gatte sie aus dieser mißlichen Lage befreien könne. Zwar besaß Hans nicht eine Handbreit Feld und war außerdem fünfzehn Jahre älter als sie. Doch kein anderer Bursch hielt um sie an, nicht einer fand den Vorkommnissen mit dem in ganz Rognes gefürchteten Buteau gegenüber den Mut hierzu. Und dann hatte sie doch schon einmal intim mit Hans verkehrt; allerdings war es kein bindender Grund, da die Sache keine Folgen gehabt. Andererseits aber war Hans ein braver, anständiger Mann; also warum ihn nicht nehmen, da sie keinen anderen liebte und sich nur verheiratete, um einen Verteidiger zu haben und Buteau zu ärgern? Jetzt werde auch sie einen Mann haben!
Hans war dem Mädchen sehr zugetan geblieben. Sein Verlangen nach ihrem Besitze hatte sich während des mehrjährigen vergeblichen Sehnens um ein Bedeutendes abgeschwächt; dessenungeachtet kam er ihr stets aufs liebevollste entgegen, denn sie hatten sich ja einander versprochen. Er hatte geduldig bis zu ihrer Großjährigkeit gewartet, hatte sie stets ermahnt, sich in Geduld zu fügen und nicht durch einen unklugen Schritt die öffentliche Meinung gegen sich herauszufordern. Jetzt mußten alle anständigen Leute auf ihrer Seite stehen. Ob er auch ihren plötzlichen Bruch mit den Verwandten mißbilligte, wiederholte er deshalb ihr tröstend, sie sei in ihrem Rechte; sobald sie wolle, könne man von dem übrigen reden, er sei bereit.
So wurde die Heirat eines Abends beschlossen, als er sie hinter dem Stall der Großen aufgesucht. Ein verwitterter Zaun schloß dort einen verlassenen Winkel des Gehöftes ab, sie stand innerhalb, er draußen, der Abfluß des Stalles rieselte zwischen ihren Füßen durch den Sand.
»Weißt du, Korporal,« begann sie und schaute ihm in die Augen: »Wenn es dir noch recht ist, ich bin jetzt einverstanden.«
Auch er blickte sie an, indem er langsam versetzte:
»Ich bin nicht mehr darauf zurückgekommen, weil es so ausgesehen hätte, als habe ich es auf deinen Besitz abgesehen ... Aber du hast recht, jetzt ist es Zeit.«
Er hatte seine Hand auf die ihre gelegt, die auf dem Bretterzaun ruhte. Beide schwiegen. Endlich hub er wieder an:
»Du darfst dir keine Sorge betreffs der Cognette machen; seit fast drei Jahren habe ich nicht mal mehr ihre Hand berührt.«
»Das ist so wie mit mir,« antwortete sie, »ich will nicht, daß du mich im Verdacht mit Buteau haben sollst ... Der Schuft sprengt überall aus, daß er mich gehabt hat. Vielleicht glaubst du es gar?«
»Alle hier glauben es ...« versetzte er ausweichend.
Da sie ihn noch immer anblickte, fügte er hinzu:
»Ja, ich hab' es geglaubt ... Und ich wunderte mich nicht, weil ich den Lumpen kenne; du mußtest ihm schließlich in die Hände fallen.«
»Versucht hat er's mit List und Gewalt. Aber wenn ich dir schwöre, daß es ihm niemals gelungen ist, niemals, glaubst du mir dann?«
»Ich glaube dir.«
Um ihr seine Freude auszudrücken, preßte er ihre Hand in der seinen, indem er die Ellbogen auf das Staket lehnte. Er merkte, daß die Jauche am Fußboden seine Schuhe näßte; er spreizte die Beine, indem er fortfuhr:
»Es sah so aus, als bliebest du gern bei ihm, es konnte ja sein, daß dir sein Nachstellen gefiel.«
Sie senkte verlegen den Blick, der eben noch so freimütig zu ihm aufgeschaut.
»Um so mehr als du mit mir nichts zu tun haben wolltest; erinnerst du dich? Nun, alles wendet sich zum Guten. Ich war so unglücklich, daß wir kein Kind hatten; aber besser, es kommt jetzt, das ist anständiger.«
Er unterbrach sich und deutete auf ihre Füße:
»Sieh dich vor, du machst dich naß in der Rinne.«
Sie trat ebenfalls einen Schritt vom Zaun zurück, indem sie sagte:
»Also wir sind einig.«
»Gewiß, wir sind einig, bestimme den Tag, wann die Hochzeit sein soll.«
Sie küßten sich nicht einmal. Sie schüttelten sich wie ein paar gute Freunde die Hände über der hölzernen Wand.
Hierauf ging jedes seinen Geschäften nach.
Als Franziska abends der Großen ihren Entschluß, Hans zu heiraten, mitteilte, indem sie ihr erklärte, daß sie eines Mannes bedürfe, um in den Besitz ihres Eigentums zu gelangen, antwortete die Große zuerst nichts. Stumm blickte sie das Mädchen mit ihren runden Augen an, berechnete den Vorteil und Nachteil, der ihr aus dieser Verbindung erwuchs, und das Vergnügen, das es ihr verursachte, wenn Buteau sich ärgerte. Erst am nächsten Tage drückte sie ihre Zufriedenheit mit der Heirat aus. Die ganze Nacht hatte sie über die Sache nachgegrübelt, denn sie schlief fast nie mehr; offenen Auges hatte sie mit höhnischer Schadenfreude an die Folgen des Bündnisses gedacht und war zu dem Entschlüsse gelangt, es müsse der ganzen Familie im höchsten Grade ungelegen kommen und allseits die größte Unzufriedenheit hervorrufen. Diese Erwägungen erweckten in ihr ein mächtiges Interesse an der Sache, ein ungestümes Verlangen, sie persönlich zu fordern; sie erklärte ihrer Nichte, sie wolle alles in die Hand nehmen; »aus Freundschaft«, setzte sie hinzu, indem sie ihren Stock schwang: »Weil die anderen dich verlassen, werde ich deine Mutter sein. Jetzt wird man was erleben!«
Zunächst ließ die Große ihren Bruder Fouan vor sich erscheinen, um mit ihm über die Rechnungslegung seiner Vormundschaft zu reden. Doch der Alte vermochte ihr keinerlei Aufschlüsse zu geben. Es sei nicht seine Schuld, daß man ihn zum Vormund ernannte; übrigens habe Herr Baillehache alles gemacht, diesen müsse man fragen. Als er merkte, daß man gegen Buteau arbeite, tat er noch bestürzter; das Alter und das Bewußtsein seiner Hilflosigkeit machten ihn furchtsam, feig und abhängig von aller Welt. Warum sollte er es mit den Buteau verderben? War er doch schon zweimal drauf und dran gewesen, zu ihnen zurückzukehren nach einigen in Todesangst verlebten Nächten, wo Jesus und Dreckbatzen an sein Bett geschlichen und ihre nackten Arme bis unter sein Kopfpolster gesteckt hatten, um ihm seine Papiere zu rauben; sicher würden die beiden ihn eines Tages umbringen, wenn er nicht beizeiten das Schloß verließe. Als die Große von ihm keine Aufklärung erlangen konnte, rief sie aufgebracht, er werde vors Gericht kommen, wenn Franziskas Erbe angetastet worden. Delhomme, den sie darauf als Mitglied des Familienrates mit ihren Fragen beunruhigte, kehrte so aufgeregt nach Hause heim, daß Fanny hinter seinem Rücken zur Großen gelaufen kam und beteuerte, sie zögen vor, aus ihrer eigenen Tasche Geld herzugeben, ehe sie es auf einen Prozeß ankommen ließen. Die Sache war im Zuge und versprach sehr lustig zu werden.
Die Frage war, ob man sofort die Erbschaftsteilung in Angriff nehmen oder vorher das Paar verheiraten solle. Die Große überlegte während zweier Nächte, dann erklärte sie sich für die Eheschließung: wenn Franziska mit dem ihr angetrauten Hans zur Seite ihr Erbe forderte, war die Verlegenheit der Buteau nur noch größer. Darum beschleunigte die alte Frau nach Möglichkeit die Angelegenheit. Sie ward förmlich wieder jung vor Eifer; sie besorgte die Papiere Franziskas, ließ sich die von Hans einhändigen, machte die nötigen Schritte auf dem Schulzenamte und in der Kirche, ja, sie trieb ihren Eifer so weit, daß sie das erforderliche Geld vorstreckte; allerdings nicht ohne sich von den beiden Brautleuten einen Schein unterzeichnen zu lassen, auf dem die geliehene Summe der Zinsen wegen verdoppelt wurde. Hart kamen ihr die verschiedenen Gläschen Wein an, die sie nicht umhin konnte, bei Gelegenheit der Vorbereitungen zur Hochzeit anzubieten; doch sie hatte ihren Freundschaftswein, der so ungenießbar war, daß jedermann nur der Form wegen davon nippte.
Die Große entschied, daß man in Ansehung der Zerwürfnisse zwischen den Verwandten kein Hochzeitsmahl gebe: einfach eine Messe und darauf ein Gläschen Freundschaftswein, um auf das Wohl der Neuvermählten anzustoßen. Das Ehepaar Karl, das man eingeladen, entschuldigte sich mit den Sorgen, die ihm der Schwiegersohn Vaucogne mache. Fouan legte sich bange zu Bett und ließ sich krank melden. Von den Verwandten erschienen nur Delbomme, der sich bereit fand, einer von Franziskas Zeugen zu sein, aus Achtung für Korporal, wie er sagte, den er für einen braven Mann halte. Hans seinerseits lud nur seine beiden Zeugen, seinen Herrn, den Besitzer Hourdequin, und einen Knecht von der Borderie.
Diese so hurtig betriebene Heirat, der soviel bewegte Familienszenen vorangegangen, war ein Ereignis für Rognes; unter jeder Haustür standen Neugierige, als man zum Standesamt aufbrach. Wie Macqueron beim Trauungsakte seinem Vorgänger im Amte gegenüberstand, blähte er sich förmlich auf im Bewußtsein seiner Würde; er nahm den Mund sehr voll und verlieh der Feier ein übertrieben salbungsvolles Gepräge. In der Kirche fand ein bedauerlicher Zwischenfall statt; der Abbé Madeline wurde bei der Messe ohnmächtig. Der Pfarrer kränkelte seit einiger Zeit: das Heimweh nach seinen Bergen beklomm seine Brust; der Mangel religiösen Sinnes in seiner neuen Gemeinde erfüllte ihn mit Betrübnis: und die Klatschereien und Streitigkeiten der Weiber machten ihn so mutlos, daß er nicht einmal mehr wagte, ihnen mit der Hölle zu drohen. Sie fühlten, daß es ihm an jeder Willenskraft fehle; diese seine Schwäche mißbrauchten sie und gingen so weit, ihn selbst in der Ausübung seines geistlichen Amtes mit allerhand Anforderungen und Zumutungen zu tyrannisieren. Doch als er jetzt vor dem Altar zusammenbrach, leisteten Celine, Flora und die anderen voll Mitleid hilfreiche Hand; der Vorfall bedeute Unglück, versicherten die Frauen und verkündeten den baldigen Tod der Neuvermählten.
Man war übereingekommen, daß die junge Frau fortfahren solle, bei der Großen zu wohnen, bis die Erbschaftsteilung erledigt sei. Franziska hatte in ihrer eigensinnigen Art erklärt, sie müsse das Haus des Vaters haben: warum also für zwei Wochen eine andere Wohnung mieten? Hans, der inzwischen auf dem Gut in Dienst verblieb, sollte jeden Abend zu seinem Weibe nach Rognes herüberkommen.
Ihre Hochzeitsnacht war abgeschmackt und freudlos, trotzdem beide ganz zufrieden waren, endlich vereint zu sein. Als er sein junges Weib in die Arme schloß, begann sie so bitterlich zu weinen, daß es ihr den Atem nahm, und doch war er keineswegs brutal mit ihr. Mitten in ihren Tränen versicherte sie ihm, sie habe nichts gegen ihn; sie weine, ohne selbst zu wissen warum, sie könne sich nicht helfen. Solch eine Szene war nicht dazu angetan, eines Mannes Sinne anzuregen. Zwar zog Hans ein zweitesmal seine Frau an seine Brust, behielt sie zärtlich in seiner Umarmung; aber keines von beiden empfand ein Vergnügen dabei; es war noch dümmer als an jenem ersten Tage in dem Getreide. Diese Dinge, erklärte Hans, verlieren zuviel von ihrem Reize, wenn man sie nicht gleich tut. Übrigens war trotz dieses Mißbehagens, dieser Art Verlegenheit, die zwischen ihnen Platz gegriffen, keines dem anderen gram; sie vermochten nicht zu schlafen; wie gute Freunde verbrachten sie die Nacht, darüber zu plaudern, wie sie alles einrichten wollten, sobald sie Haus und Acker besitzen würden.
Am nächsten Tage verlangte Franziska die Teilung. Doch die Große hatte es nicht mehr so eilig; zunächst wünschte sie das Vergnügen, die Familie mit Nadelstichen zu quälen, zu verlängern; dann aber hatte sie soviel Vorteil aus der Dienstleistung der Kleinen gezogen und fand sich so wohl dabei, daß Hans jeden Abend die Miete seiner Kammer mit einer zweistündigen Arbeit abzahlte, so daß ihr keineswegs damit gedient war, wenn die beiden sie verlassen und ihr eigenes Heim beziehen würden. Die Alte mußte sich nichtsdestoweniger bequemen, zu Buteau zu gehen, um zu fragen, wie diese es mit der Teilung halten wollten. Im Namen Franziskas beanspruchte sie das Haus, die Hälfte des Ackers und die Hälfte der Wiese, während sie als Entgelt für das Haus auf den Anteil am Weingarten verzichtete. Diese Vorschläge waren nicht unbillig; eine gütliche Verständigung in diesem Sinne schien jedenfalls das Klügste, weil man dadurch die kostspielige Einmischung der Behörde vermied. Doch Buteau geriet beim Eintritt der Großen in eine furchtbare Aufregung; weil er sich aus Rücksicht auf das Vermögen der alten Frau nicht hinreißen lassen wollte, verließ er heftig das Zimmer. Lise blieb allein bei der Tante, sie war feuerrot vor Zorn und stieß wütend hervor:
»Das Haus will dieses herzlose Ding, dieser Fetzen, der sich verheiratet hat, ohne uns ein Sterbenswort davon zu sagen! ... Sagt ihr, daß, solange ich leb', das Haus mein bleibt.«
Die Große behielt ihre Ruhe.
»Gut, gut, meine Tochter, reg' dich nicht unnötig auf ... Du willst auch das Haus, das ist dein Recht; wir werden sehen.«
Drei Tage hintereinander ging sie so von einer Schwester zur andern, hinterbrachte jeder, was die andere über sie gesprochen, und regte die beiden Frauen dermaßen auf, daß sie vor lauter Ärger krank wurden. Dabei wiederholte sie ihnen unermüdlich, wie sie ihnen zugetan sei, wieviel Dank man ihr schulde, daß sie sich zu dieser aufreibenden Vermittlerrolle hergebe. Endlich kam man überein, daß sämtlicher Grund und Boden geteilt werde, während das Haus, die Wirtschaftseinrichtung und das Vieh gerichtlich versteigert werden sollten. Jede der beiden Schwestern versicherte, daß sie das Haus um jeden Preis erstehen werde, und solle sie ihr letztes Hemd dabei lassen.
Grosbois erschien also, um die Felder abzumessen und in zwei gleiche Teile zu sondern. Es gab einen Hektar Wiese, ein Hektar Weingarten und zwei Hektar Ackerland. Dieses letztere gerade war es, was Buteau sich seit seiner Heirat so fest vorgenommen, niemals aus der Hand zu geben; denn es stieß unmittelbar an das Grundstück, das ihm von seinem Vater überkommen, und bildete mit diesem ein Gebiet von fast drei Hektaren, wie kein Bauer in Rognes ein ähnliches besaß. Darum war seine Verzweiflung grenzenlos, als er Grosbois seine Meßinstrumente auf diesem ihm so teuren Boden aufstellen sah. Die Große war erschienen, um den Vorgang zu überwachen; Hans hatte vorgezogen, fernzubleiben, damit keine Rauferei stattfinde. Es entstand eine Meinungsverschiedenheit, indem Buteau verlangte, daß die Grenzlinie parallel mit dem Aigretal gezogen werde, damit sein eigener Acker mit dem ihm zufallenden Teile in Verbindung stehe; die Tante aber forderte, daß man in derselben Weise teile, wie es in der Familie seit undenklicher Zeit geschehen, nämlich im rechten Winkel gegen das Tal zu. Sie setzte ihren Willen durch; Buteau ballte die Fäuste.
»Kreuzdonnerwetter! wenn ich also das erste Los ziehe, ist mein Besitz in zwei Stücke geschnitten, ich hab' das da drüben, hier meinen Acker, und dazwischen liegt das zweite Los ...«
»Ja, mein Junge, du mußt eben das Los ziehen, das dir in den Kram paßt.«
Seit einem Monat kam Buteau nicht aus der Aufregung heraus. Zunächst war ihm das Mädchen entschlüpft, er ward förmlich krank vor unbefriedigtem Verlangen; es fehlte ihm etwas, seit er nicht mehr über sie herfallen, mit keckem Griff ihr nacktes Fleisch packen konnte, in der Hoffnung, sie einst doch zu bewältigen. Jetzt wußte er sie im Besitze des anderen, der sich mit ihr gütlich tat, soviel er wollte! Dieser Gedanke konnte ihn rasend machen. Jetzt riß ihm der andere auch dieses Land aus den Händen. Ebenso gern hätte er sich einen Arm abnehmen lassen. Das Mädchen mochte noch hingehen, dergleichen findet sich wohl wieder; aber das Land, dieser Boden, den er sein genannt, den er sich geschworen, nimmermehr herauszugeben! Es wurde ihm rot vor den Augen; er suchte immerfort nach einem Ausweg, hatte verworrene Gedanken von einem Gewaltstreich, einem Morde, Gedanken, welche nur die Furcht vor den Gendarmen hinderte, zur Tat zu werden.
Es wurde eine Zusammenkunft bei Herrn Baillehache vereinbart, wo sich zum erstenmal Buteau und Lise dem neuen Paare Franziska und Hans gegenüberbefanden. Die Große hatte sich zu ihrem Vergnügen den letzteren angeschlossen, mit dem Vorgeben, sie wolle verhindern, daß die Dinge sich zum Bösen wendeten. Alle Fünf traten steif und Stumm in das Büro des Notars. Die Buteau setzten sich rechts nieder; links saß Franziska; Hans stellte sich hinter ihren Stuhl, wie um anzudeuten, das er nicht direkt beteiligt sei, sondern nur erscheine, um die Handlung seiner Frau zu bekräftigen. In der Mitte nahm die Tante Platz. Dürr und hochgereckt saß sie da, drehte ihre runden Augen, ihre Raubvogelnase bald zu dem einen, bald zu dem andern; sie war zufrieden.
Die beiden Schwestern schienen sich nicht zu kennen, sie wechselten kein Wort, keinen Blick, ihre Gesichter waren hart und verschlossen. Die Männer tauschten einen einzigen Blick: tief dringend flammte es auf unter ihren Lidern wie ein Messerstich.
»Meine Freunde,« begann Herr Baillehache, unberührt von dieser feindlichen Haltung seiner Klienten, »wir wollen zunächst die Teilung des Grund und Bodens erledigen, über die ihr einig seid.«
Diesmal verlangte er vor der Auslosung ihre Unterschriften. Die Urkunde war fertig, hinter jedem Namen war ein freier Platz gelassen für die gezogene Nummer. Alle mußten unterzeichnen: darnach nahm der Notar sofort die Verlosung vor.
Aber Franziska zog die Nummer zwei; Lise mußte Nummer eins nehmen. Buteaus Gesicht wurde dunkelblau, so heftig trieb ihm der Zorn das Blut ins Gehirn. Dieses verwünschte Pech! Jetzt lag der Acker dieses Landstreichers und seiner Dirne mitten eingekeilt zwischen seinen Feldern!
»Himmel Kreuz Donnerwetter! Himmel Kreuz Donnerwetter!« murmelte er.
Der Notar bat ihn zu warten, bis er auf der Straße sei.
»Es ist nur, weil es unser Grundstück in zwei Stücke zerschneidet,« erklärte Lise, ohne die Schwester mit einem Blicke zu streifen. »Vielleicht möchte man einen Tausch machen. Uns wäre damit gedient, und niemand kommt dabei zu kurz.«
Die Große nickte zustimmend: es bringe Unglück, wenn man die Bestimmungen des Loses umstoße. Diese boshafte Tücke des Schicksals machte der Alten eine ersichtliche Freude. Hans hinter dem Sessel seiner Frau blieb ruhig; er war entschlossen, sich nicht einzumengen, kein Zug in seinem Antlitz bewegte sich.
»Also fahren wir fort,« nahm der Notar wieder das Wort; »vertrödeln wir die Zeit nicht.«
Die Schwestern ernannten ihn übereinstimmend zum Versteigerer des Hauses, des Mobiliars und der Haustiere. Er übernahm es, die Versteigerung öffentlich bekannt zu geben und setzte sie auf den zweitnächsten Sonntag fest. Sie sollte in seinem Büro stattfinden; es wurde bestimmt, daß der Käufer das Recht habe, am Tage der Versteigerung Besitz von dem Gehöft zu ergreifen. Nach dem Verkaufsakt aber werde man die noch schwebende Rechnungslegung zwischen den Geschwistern erledigen. All dies wurde mit lautlosem Kopfnicken genehmigt.
In diesem Augenblick trat Fouan ein, während ein Schreiber den ebenfalls zur Tür drängenden Jesus zurückhielt, denn der Strolch war total betrunken. Obwohl Franziska seit einem Monat für großjährig erklärt worden, hatte Fouan noch keinen Rechenschaftsbericht seiner Vormundschaft geliefert; das verwickelte die Sache, es war erforderlich, dies zunächst zu erledigen, um den alten Mann seiner Verantwortlichkeit zu entheben. Mit seinen kleinen, kreisrunden Augen schaute der Greis von einem zum andern; er zitterte; eine große Bange, mit den Gerichten zu tun zu bekommen, erfüllte ihn.
Der Notar hatte einen Entwurf dieser Vormundschaftsrechnung entworfen; er las ihn vor. Alle hörten mit zwinkernden Lidern aufmerksam und ängstlich zu; sie verstanden nicht alles und fürchteten, wenn ihnen ein Wort entschlüpfe, könne gerade dieses Wort ihnen zum Nachteil gereichen.
»Habt ihr Einspruch zu erheben?« fragte Herr Baillehache, als er mit dem Lesen zu Ende war.
Sie blickten verdutzt drein. Welchen Einspruch? Vielleicht vergaßen sie etwas und erlitten einen Verlust?
»Halt!« rief plötzlich die Große, »dabei kommt Franziska durchaus nicht auf ihre Rechnung. Mein Bruder muß sich wahrlich absichtlich Augen und Ohren verstopfen, um nicht zu sehen, daß sein Mündel bestohlen ist.«
Fouan stotterte:
»Wie? Was? ... Ich hab' ihr nicht einen Sou genommen, ich schwöre es vor Gott!«
»Ich sage, daß Franziska seit der Verheiratung ihrer Schwester, das heißt seit fast fünf Jahren, bei ihren Verwandten gearbeitet hat und man ihr einen Lohn schuldet.«
Buteau fuhr bei diesem unvermuteten Worte auf seinem Stuhle empor, Lise erschrak nicht minder.
»Lohn? ... Wie? einer Schwester? ... Wahrhaftig, das wäre zu erbärmlich!« riefen sie durcheinander.
Herr Baillehache brachte sie zum Schweigen, indem er bemerkte, die minderjährige Schwester habe vollkommen das Recht, einen Lohn zu beanspruchen, es handle sich darum, ob sie dies Recht geltend machen wolle.
»Ja, ich will,« sagte Franziska, »ich will alles, was mein Recht ist.«
»Und was sie gegessen hat?« schrie Buteau außer sich. »Sie hat tüchtig dreingehauen ins Brot und ins Fleisch; sie ist nicht umsonst fett geworden.«
»Und die Linnen und die Kleider?« fiel Lise wütend ein. »Und die Wäsche? In zwei Tagen machte sie ein Hemd schmutzig, so hat sie geschwitzt.«
»Wenn ich soviel schwitzte, so muß ich wohl tüchtig gearbeitet haben.«
»Der Schweiß trocknet, er schmutzt nicht,« meinte die Große.
Von neuem griff Herr Baillehache ein. Er erläuterte ihnen, daß man die Sache berechnen müsse, daß der Lohn einerseits, der Unterhalt und die Kleidung andererseits einander gegenüberzustellen seien, um die Ansprüche der jungen Frau festsetzen zu können. Er ergriff eine Feder und versuchte, nach ihren Angaben diese Rechnung aufzustellen. Das ward entsetzlich. Franziska, von der Großen unterstützt, übertrieb ihre Forderungen, schätzte ihre Arbeit sehr teuer, machte alles namhaft, was sie im Hause geleistet: die Pflege der Kühe, die Wirtschaft, das Geschirrwaschen und dann die Feldarbeit, wo ihr Schwager sie wie einen Mann schaffen ließ. Die Buteau hinwiederum wollten die Kosten möglichst hoch anschlagen; sie zählten die Mahlzeiten, schlugen den Preis der Bekleidungsgegenstände auf, beanspruchten selbst das Geld für die Geschenke, die sie der Schwester zu ihren Namenstagen gemacht. Doch trotz alledem stellte es sich heraus, daß sie hundertsechsundachtzig Franken schuldig blieben. Den Zweien zitterten die Hände vor Aufregung, und ihre Augen brannten wie im Fieber, während sie ratlos ins Leere starrten, als suchten sie, was sie noch abziehen könnten.
Man war im Begriffe, diese Ziffer anzunehmen, als Buteau doch noch etwas einfiel:
»Halt! und der Arzt, als sie krank war? ... Er ist zweimal gekommen. Das macht sechs Franken.«
Die Große wollte der Gegenpartei nicht diesen Sieg lassen; sie drang in Fouan, er solle sich erinnern, wieviel Tage Franziska sich auf dem Hofe verdingte, als der Alte im Hause gewohnt. Waren es fünf oder sechs Tage zu dreißig Sous? »Sechs!« ... »Fünf!« riefen Franziska und Lise hin und zurück, als würfen sie sich mit Steinen. Der Alte klopfte sich verwirrt mit beiden Fäusten an die Stirn und gab bald der einen recht, bald der andern. Franziska siegte; die Gesamtsumme war hundertneunundachtzig Franken.
»Also das ist alles?« fragte der Notar.
Buteau saß wie zerschmettert auf seinem Stuhl, wie vernichtet von dieser immer mehr angewachsenen Rechnung. Er kämpfte nicht mehr, er meinte, es sei zu Ende. Mit kläglicher Stimme murmelte er:
»Wenn man mein Hemd will, so werd' ich's ausziehn.«
Aber die Große hatte noch einen letzten großen Schlag vorbehalten, eine sehr beträchtliche und doch ganz natürliche Forderung, die alle vergaßen.
»Hört mal! Und die fünfhundert Franken Entschädigung, die ihr für die Chaussee da oben einkassiert habt?«
Mit einem Satze stand Buteau auf den Beinen; die Augen wollten ihm aus dem Kopfe, sein Mund stand weit offen. Er konnte nichts dagegen einwenden, jeder Streit war ausgeschlossen: er hatte das Geld eingenommen, er mußte die Hälfte herausgeben. Einen Augenblick suchte er, und da er keinen Ausweg fand, fiel er in der Raserei, die wie Wahnsinn in ihm emporkroch und ihm ans Hirn hämmerte, auf Hans los:
»Elender Hund, der unsere Freundschaft zerstört hat! Ohne dich wären wir noch einträchtig beieinander ...«
Hans, der sich bisher mit keinem Worte an dem Streite beteiligt, trat einen Schritt vor und sagte ruhig:
»Nicht näher, oder ich schlag' drein!«
Hastig sprangen Franziska und Lise auf und warfen sich zwischen die beiden; jede vor ihrem Manne aufgepflanzt, standen sie einander gegenüber; all der langsam angesammelte Haß sprühte aus ihren Blicken, sie schienen bereit, sich gegenseitig mit ihren Nägeln zu zerfleischen. Zweifelsohne wäre eine allgemeine Schlägerei ausgebrochen, wäre der Notar nicht, seine dienstliche Ruhe aufgebend, dazwischengetreten.
»Alle Wetter, wartet doch, bis ihr draußen seid! Es ist ja fabelhaft, daß man zu keinem Ziel mit euch kommt ohne Balgerei!«
Als alle, noch zitternd vor Aufregung, voneinander abließen, fuhr er fort:
»Einig seid ihr, nicht wahr? Ich will also die Vormundschaftsrechnung fertigmachen, man unterzeichnet, und wir gehen an die Versteigerung des Hauses, um alles zu Ende zu bringen ... Geht jetzt nach Hause und seid vernünftig; die Dummheiten kommen zuweilen teuer zu stehen.«
Diese Worte beruhigten sie vollends. Doch als sie das Zimmer verließen, beschimpfte Jesus, der draußen den Vater erwartet hatte, die ganze Familie, indem er schrie, es sei eine Schande, einen armen Alten in diese schmutzigen Geschichten zu verwickeln, vermutlich um ihn zu bestehlen. Sein Rausch erzeugte ihm eine zärtliche Rührung, er nahm den Arm des Vaters und führte ihn zu dem Marktkarren, den ihm ein Nachbar geliehen, und auf dem er den Greis wieder heimfuhr. Das Ehepaar Buteau verschwand; die Große ließ sich von Franziska und Hans im »Wackern Landmann« einen schwarzen Kaffee zahlen. Sie war in bester Laune.
»Das hat mir einen famosen Spaß gemacht,« versicherte sie, den Zucker in ihre Tasche steckend.
Sie hatte noch einen ausgezeichneten Einfall. Als man nach Rognes heimkam, begab sie sich zu Papa Saucisse, einem ihrer früheren Liebhaber, wie man behauptete. Da die Buteau geschworen hatten, sie würden bei der Versteigerung Franziska das Haus nicht lassen, und sollte es ihre Haut kosten, so dachte die Große, wenn der alte Bauer mitbiete, werde die Gegenpartei vielleicht keinen Argwohn schöpfen und ihm das Gehöft zuschlagen lassen; denn Saucisse war ihr Nachbar, es schien nicht unwahrscheinlich, daß er das Anwesen zu erstehen wünschte, um sich zu vergrößern. Der Alte erklärte sich gegen ein Geschenk bereit, diese Strohmannrolle zu übernehmen. Am Tage der Versteigerung kam es, wie die Große vorausgesehen. Wieder befanden sich in dem Büro des Herrn Baillehache das Ehepaar Buteau auf der einen Seite, Hans und Franziska auf der anderen mit ihrer Tante; außerdem hatten sich einige Bauern eingestellt, die meinten, man könne vielleicht kaufen, falls es umsonst zu bekommen sein sollte.
Die Auktion begann. Lise und Franziska riefen mit kurzer Stimme hin und wieder ihre Angebote; in ein paar Augenblicken war man bis dreitausendfünfhundert Franken gekommen, eine Summe, welche dem wirklichen Werte des Hauses entsprach. Bei dreitausendachthundert verstummte Franziska. Jetzt trat Papa Saucisse in Tätigkeit. Er trieb bis viertausend und ging noch fünfhundert Franken höher. Erschrocken blickten Buteau und Lise einander an: es wurde unmöglich, der Gedanke an dies viele Geld machte ihnen das Blut erstarren. Doch ließ sich Lise noch bis fünftausend hinreißen; aber sie schien vollständig zerschmettert, als der alte Bauer mit einmal auf fünftausendzweihundert sprang. Das war zuviel, das Gehöft wurde ihm für diese Summe zugeschlagen. Die Buteau schmunzelten; es war nicht übel, diese große Summe einzunehmen, sobald Franziska und ihr Mann das Haus ebenfalls nicht bekamen.
Doch als Lise in dies alte Gemäuer zurückkam, darin sie geboren war und ihr ganzes Leben verbracht, brach sie in Tränen aus. Auch Buteau drückte es wie ein Alp auf der Brust. Er machte seinem Schmerze Luft, indem er über seine Frau herfiel. Er, beteuerte er, hätte alles bis auf seine letzte Hose hergegeben, aber die Weiber! Die Weiber, die tun den Beutel und die Schenkel nur auf, wenn es eine Unterhaltung gibt. Er log, denn er selbst war es gewesen, der den Kampf abgebrochen; und beide schlugen sich! Dieses liebe, alte Haus der Fouans! Vor drei Jahrhunderten war's von den Voreltern gebaut; heute stand's zitternd da auf seinen alten Mauern, seine Vorderseite war mit Sprüngen und Rissen durchfurcht, seine Wände waren zusammengesickert, überall war's geflickt, gestützt, und die Winde der Beauce hatten es vornübergebeugt zur Erde. Seit drei Jahrhunderten bewohnte es die Familie, man hatte es lieben und verehren gelernt wie eine Reliquie, und in den Erbschaftsteilungen spielte es eine große Rolle. Mit einer mächtigen Ohrfeige streckte Buteau sein Weib zu Boden; sie erhob sich und versetzte ihm einen Fußtritt.
Am nächsten Abend aber brach das Unglück herein. Saucisse war am Vormittag nach Rognes gegangen und hatte bei der Behörde seine Erklärung abgegeben; und bald wußte ganz Rognes, daß der Alte das Haus für Rechnung von Franziska erstanden mit Einverständnis ihres Gatten; nicht bloß das Haus hatte die Kleine an sich gebracht, sondern auch die Möbel, den Esel Gideon und Coliche. Bei den Buteau erhob sich nach Bekanntwerden dieser Neuigkeit ein Jammern und Wehgeheul, als habe der Blitz eingeschlagen. Mann und Frau wälzten sich weinend und schreiend am Boden, so groß war ihr Schmerz, daß sie unterlagen, daß die Schwester sie überlistet. Besonders brachte sie in Verzweiflung, daß das ganze Dorf sich darüber lustig machte, wie sie so wenig schlau gewesen. Sich so überrumpeln, sich so mir nichts dir nichts aus seinen vier Pfählen hinausdrängen lassen. Nein, das durfte nicht sein!
Als die Große sich am selben Abend in Franziskas Namen einfand, um sich mit Buteau gütlich zu verständigen, wann sie das Haus räumen wollten, warf er, alle Rücksicht beiseite setzend, die Tante hinaus, indem er ihr nachrief:
»Dreck!«
Ihr war es nicht zuwider; sehr guter Laune trollte sie sich ihres Weges, nachdem sie ihm geantwortet, man werde den Gerichtsvollzieher schicken. In der Tat kam am nächsten Tage Vimeux noch zerlumpter als früher, bleich und verstört die Straße herauf und klopfte leise an Buteaus Tür. Von allen Haustüren spähten die Weiber herüber, zu sehen, wie die Sache enden werde. Niemand antwortete; der kleine Mann klopfte stärker und getraute sich selbst zu rufen, er bringe die gerichtliche Aufforderung, den Wohnsitz zu räumen. Da öffnete sich eine Dachlucke, ein Nachtgeschirr kam zum Vorschein und entleerte seinen Inhalt über den unglücklichen Gerichtsvollzieher. Er war von Kopf bis Fuß besudelt. Monatelang lachte Rognes über das Abenteuer.
Jetzt ging die Große mit Hans zum Rechtsanwalt nach Chateaudun. Dieser setzte ihnen auseinander, daß der Austreibung ein Richterspruch und verschiedene Förmlichkeiten vorausgehen müßten; erst in fünf Tagen könne der Gerichtsvollzieher tätlich einschreiten, wobei man ihm im Notfalle zwei Gendarmen zu seiner Unterstützung zuteilen werde. Die Große drängte und wußte einen Tag zu gewinnen. Man war am Dienstag; als sie nach Rognes zurückkehrte, erzählte sie überall, Sonnabend werde Buteau mit bewaffneter Macht hinausgeworfen werden wie ein Dieb, wenn er nicht bis dahin die Wohnung geräumt habe.
Als man Buteau diese Drohung hinterbrachte, schrie er, lebend verlasse er das Haus nicht, die Soldaten müßten die Mauern niederreißen, um ihn daraus zu verjagen. Er gebärdete sich so toll, daß sich die Leute fragten, ob er wirklich den Verstand verloren habe. Aufrecht in seinem Wagen stehend, fuhr er im Galopp über die Chaussee, ohne der Vorübergehenden zu achten oder anderen Fuhrwerken auszuweichen; selbst des Nachts begegnete man ihm bald hier, bald dort in rasender Schnellfahrt; niemand wußte, woher er kam, noch wohin er eilte. Ein Mann, der ihm zu nahe gekommen, erhielt einen Peitschenhieb. Er verbreitete überall Schrecken; das Dorf lebte in fortwährender Aufregung. Eines Tages hatte er die Haustür verrammelt, und die Nachbarn vernahmen ein furchtbares Schreien und Heulen hinter den verschlossenen Türen, worin sie die Stimmen von Lise und ihren beiden Kindern Julius und Laura zu erkennen meinten. Die Bauern bekamen Angst und gingen zu Rate; ein alter Mann gewann es über sich, lehnte eine Leiter an ein Fenster und kletterte hinauf, um zu sehen, was im Hause vorgehe. Doch das Fenster öffnete sich; Buteau warf die Leiter mit dem Alten um, so daß dieser schier die Beine brach. Könne man nicht in seinem Heim tun und lassen, was man wolle? schrie der Unhold mit geballten Fäusten; er werde ihnen allen den Garaus machen, wenn sie ihn nicht ungeschoren ließen. Lise zeigte sich ebenfalls mit ihren beiden Kindern, beschimpfte die Versammelten und rief, sie sollten ihre Nase nicht in Dinge stecken, die sie nichts angingen. Niemand wagte eine weitere Einmischung. Doch die Besorgnis der Dorfbewohner wuchs bei jedem neuen Lärm; die Leute legten das Ohr an die Spalten der Fensterläden und bekamen die entsetzlichsten Dinge zu hören, aus denen kein Mensch klug ward; die einen meinten, Buteau verfolge irgendeinen Plan, die anderen versicherten, er sei verrückt geworden; niemals erfuhr man, was die Wahrheit sei.
Am Freitag, am Vorabend der gerichtlichen Austreibung, fand eine Szene statt, die mehr wie alles Vorhergegangene die Gemüter erregte. Buteau, der unweit der Kirche seinem Vater begegnete, kniete vor ihm nieder, weinte wie ein Kind und bat den Alten um Vergebung, daß er ihn schlecht behandelt. Vielleicht bringe ihm das solch Unglück. Er beschwor den Greis, er solle wieder zu ihm ziehen, und schien zu meinen, daß dies allein das Glück wieder in sein Haus bringen könne. Gelangweilt von dem Geplärr seines Sohnes und im höchsten Grade von seiner scheinbaren Reue in Erstaunen versetzt, versprach Fouan, seine Gastfreundschaft eines Tages anzunehmen, wenn erst der Familienzwist beigelegt sei.
Endlich kam der Sonnabend. Die Aufregung Buteaus hatte noch zugenommen; von früh bis spät spannte er ein und wieder aus ohne irgendeinen Anlaß; die Leute liefen diesen Fahrten erschreckt aus dem Wege. Um acht Uhr morgens schirrte er sein Pferd nochmals an, doch er ließ den bespannten Wagen im Hof; hierauf stellte er sich unter die Pforte, rief die Vorübergehenden an, lachte, weinte, schrie und sprach in den rohesten Ausdrücken von seinen Angelegenheiten.
»He? ist es nicht schnurrig, daß man sich von einer Dirne vor die Tür setzen lassen muß, die einem fünf Jahre lang als Matratze gedient? Eine ganz gemeine Gassendirne, nichts anderes, und die Schwester auch! Zwei Menscher, die sich alle Tage geprügelt, weil jede die erste sein wollte.«
So wiederholte er in den schändlichsten Reden die elende Lüge; es schien, als wolle er sich in dem unflätigen Wortschwall berauschen, sich damit entschädigen für das Ungemach, das ihm widerfuhr. Lise kam aus dem Hause; ein scheußlicher Streit brach zwischen den Gatten aus. Buteau prügelte sein Weib in Gegenwart des versammelten Dorfes durch; ihr ward darauf leichter zumute, und sie kehrte beruhigt ins Haus zurück; auch ihm hatte es wohlgetan, daß er tüchtig dreingeschlagen. Er blieb unter der Tür und erwartete die Polizei. Als sich diese immer noch nicht sehen ließ, wurde er übermütig, triumphierte und machte sich über die Behörde lustig.
Endlich um vier Uhr erschien Vimeux mit zwei Gendarmen. Buteau erbleichte, er mochte nicht geglaubt haben, daß es doch ernst werde. Schnell verschloß er das Hoftor. Das Haus ward totenstill. Vimeux war ein anderer, als ihm jetzt die bewaffnete Macht zur Seite stand. Mit beiden Fäusten hieb er an die Tür. Nichts antwortete. Die Gendarmen traten herzu und bearbeiteten mit Kolben die alte Pforte. Eine Menge Männer, Weiber und Kinder waren im Gefolge des Gerichtsvollziehers und seiner Bedeckung erschienen; ganz Rognes wartete der Dinge, die da kommen sollten. Plötzlich öffneten sich die Torflügel wieder; Buteau, auf seinem Wagen stehend, ward sichtbar. Er peitschte sein Pferd, fuhr gerade auf die auseinanderstiebende Menge los und schrie, während die Weiber und Kinder aufkreischten:
»Ich geh' ins Wasser! Ich geh' ins Wasser!«
Er gab das Spiel auf und wollte sich mit Pferd und Wagen in die Aigre stürzen.
»Platz da! Ich geh' ins Wasser!«
Alles machte vor den knallenden Peitschenhieben Platz. Doch wie Buteau jetzt das Tal hinabraste, stürzten die Bauern ihm nach. Dieser Starrkopf war imstande, gerade in den Fluß zu fahren, um dem Dorfe einen Possen zu spielen. Man holte ihn ein; die einen fielen dem Pferde in die Zügel, die anderen sprangen in den Wagen und rangen mit dem aufgeregten Manne. Als man ihn endlich bewältigt nach dem Dorfe zurückfuhr, gab er keinen Ton mehr von sich; mit geballten Fäusten und knirschenden Zähnen ergab er sich in sein Schicksal.
In diesem Augenblicke brachte die Große Franziska und Hans, damit diese von ihrem Hause Besitz ergreifen sollten. Buteau maß sie mit wilden Blicken, doch Lise gebärdete sich wie eine Wahnsinnige. Die Gendarmen befahlen ihr, ihre Sachen zusammenzupacken und das Feld zu räumen. Aber die Hände in die Hüften gestemmt, fiel sie über ihren Mann her.
»Feigling, du siehst zu, wie sie uns auf die Straße werfen? Du Elender hast kein Herz in der Brust, sonst würdest du die Hunde niederschlagen ... Memme! Memme! Du bist kein Mann mehr!«
Wie sie außer sich über ihre Ohnmacht ihm dies ins Gesicht schrie, packte er sie und warf sie mit so heftigem Stoß zur Seite, daß sie aufschrie. Dabei starrte er sie wild an, ohne einen Laut von sich zu geben.
»Vorwärts, Mutter, beeilt Euch,« mahnte Vimeux triumphierend. »Wir gehen nicht eher vom Fleck, bis Ihr den neuen Besitzern die Schlüssel ausgeliefert habt.«
Jetzt begann Lise mit wütender Miene ihre Sachen zu sammeln. Seit drei Tagen hatte sie bereits mit Buteau mancherlei aus dem Wege geräumt und das Ackerwerkzeug und das schwere Gerät zu ihrer Nachbarin, der Frimat, getragen. Sie mußten sich also doch auf die Katastrophe gefaßt gemacht haben; denn sie waren mit der alten Frau übereingekommen, daß diese ihnen, bis sie sich ein neues Heim gegründet hätten, ihr Haus vermiete, in dem sie nur eine Kammer für sich und ihren lahmen Mann behielt. Da die Möbel wie auch die Tiere mit dem Hause verkauft waren, blieb der Lise nur übrig, ihre Wäsche, ihre Matratzen und allerhand Kleinigkeiten fortzuschaffen. Alles flog durch Tür und Fenster auf den Hof hinaus. Die beiden Kinder heulten, als sei ihre letzte Stunde gekommen; Laura klammerte sich an die Röcke der Mutter, Julius lag mitten zwischen all den herumgeworfenen Sachen.
Da Buteau keine Hand rührte, halfen die Gendarmen, zwei brave Burschen, der Frau die Pakete auf den bespannten Wagen laden.
Doch noch einmal gab's einen lärmenden Auftritt, als Lise hinter der Großen Franziska und Hans gewahrte.
»Scheusal!« schrie sie. »Du weidest dich an unserem Schmerze mit deinem alten Schurken von Mann. Es ist gerade so, als ob du unser Blut tränkest ... Du Räuberin, du Diebin!«
Jedesmal, wenn sie etwas in den Hof hinausbrachte, wiederholte sie »Diebin! Diebin!« Franziska stand bleich und wortlos da mit zusammengekniffenen Lippen und loderndem Blick; jeden Gegenstand, den Lise aus dem Hause schaffte, musterte sie mit beleidigendem Argwohn, damit man ihr nichts forttrage. Sie entdeckte einen Küchenschemel, der ins Verkaufsinventar einbegriffen war.
»Das gehört mir!« rief sie rauh.
»Dir? So hol' dir's,« gab die andere zurück, indem sie den Schemel in den Mistpfuhl schleuderte.
Das Haus war geräumt. Buteau faßte das Pferd am Zügel, Lise nahm ihre beiden Kinder, Julius auf den rechten Arm, Laura auf den linken; den alten Stammsitz verlassend, trat sie noch einmal auf die Schwester zu und spie ihr ins Gesicht.
»Das ist für dich!«
Franziska spie ebenfalls: »Das für dich!«
Ohne die Blicke voneinander abzuwenden, wischten sich Lise und Franziska den Speichel von den Wangen. Sie waren getrennt fürs Leben.
Buteau aber öffnete jetzt endlich den Mund; drohend hob er die Faust gegen das Haus.
Die Große folgte ihnen mit den Blicken, um die Sache bis zum Ende auszukosten. Jetzt waren die einen besiegt, sie dachte bereits daran, wie sie den anderen zu Leibe könne, die sich so rasch aus ihren Händen befreit hatten und jetzt so glücklich schienen. Noch lange blieben die Dorfbewohner, in Gruppen plaudernd, vor dem Gehöft. Franziska und Hans waren in die leere Behausung getreten.
Als die Buteau bei der Frimat ihre Habseligkeiten auspackten, wurden sie durch die Ankunft des alten Fouan überrascht. Verstört um sich blickend, als glaube er sich verfolgt, trat er ins Haus:
»Gibt es hier einen Winkel für mich? Ich bleibe bei euch.
Ein entsetzlicher Vorfall hatte ihn plötzlich aus dem Schlosse getrieben. Schon lange sah er fast allnächtlich Dreckbatzen im Hemd in seiner Schlafkammer erscheinen, um nach seinen Papieren zu suchen, die er in letzter Zeit im Freien in einem mit Gerölle verschütteten Felsloch versteckt hatte. Jesus schickte die Kleine, weil sie so leicht und geschmeidig war, sich auf ihren nackten Füßen unhörbar wie eine Eidechse zwischen den Sesseln durchschlich und unters Bett kroch. Sie war überzeugt, der Alte müsse die Papiere beim Ankleiden zu sich stecken, und es brachte sie auf, daß sie trotz ihres leidenschaftlichen Eifers nicht herausfinden konnte, wo er sie abends verbarg. Sie hatte alles durchsucht; selbst in das Bett glitt ihr dürrer Arm; fast ohne daß der Greis es gewahr wurde, untersuchte sie es nach allen Seiten mit unglaublicher Geschicklichkeit. An diesem Tage aber hatte nach dem Frühstück den alten Mann plötzlich ein Ohnmachtsanfall gepackt, und er war neben dem Tisch zur Erde gestürzt. Als er wieder zu sich kam und noch so betäubt war, daß er nicht vermochte, die Augen zu öffnen, lag er noch auf derselben Stelle am Fußboden und fühlte, wie Jesus und Dreckbatzen ihn entkleideten. Statt ihm hilfreiche Hand zu leisten, hatten die beiden nur den einen Gedanken, schnell die Gelegenheit zu benützen, den Alten auszusuchen. Das Mädchen zumal tat es mit roher Hast. Sie riß ihm die Jacke auf, streifte das Beinkleid ab, es ging ihr alles noch zu langsam; sie öffnete die geballten Fäuste des Großvaters, suchte den ganzen Körper ab, die Achselhöhle, die Fußsohlen, den Leib, drehte und wendete ihn wie eine alte leere Tasche. Nichts! Wo hatte er seinen Versteck? Sie hätte ihm den Bauch aufschlitzen mögen, um darin Nachschau zu halten. Fouan ergriff eine solche Angst, sie möchten ihn umbringen, daß er fortfuhr, den Bewußtlosen zu spielen; er hielt die Augen geschlossen und ließ Arm und Beine schlaff hängen. Als sie endlich von ihm abließen, entfloh er, fest entschlossen, nimmermehr zum Schloß zurückzukehren.
»Also, habt ihr einen Winkel für mich?« fragte er noch einmal.
Buteau war aufs freudigste von der Rückkunft des Vaters berührt. Das Geld zog wieder bei ihm ein.
»Natürlich, Alter! Man rückt ein wenig zusammen! Das wird uns Glück bringen ... Wenn es nur aufs Herz ankäme, wäre ich ein reicher Mann!«
Franziska und Hans hatten langsam die Schwelle ihres Heimes überschritten. Es dunkelte, ein letztes trübes Schimmern durchdämmerte die stillen Räume. Dieses Dach, das die Arbeit und die Not der Fouans während drei Jahrhunderten beherbergt, sah recht alt aus; etwas Ernstes lagerte in den grauen Gemäuern, gleichwie in schattigen Winkeln alter Dorfkirchen. Die Türen waren offen geblieben, Stühle und Schemel lagen am Boden, als sei ein Sturmwind durch die Stube gefahren. Das Haus schien tot.
Franziska ging mit kleinen Schritten durch die Küche, das Zimmer, warf überallhin einen Blick. Verworrene Empfindungen, traumhafte Erinnerungen erwachten in ihr. In jener Ecke hatte sie als kleines Kind gespielt. In der Küche dicht beim Tische war ihr Vater gestorben. Im Schlafzimmer vor den leeren Betten dachte sie an Lise und Buteau, deren Liebesächzen sie oft durch die Decke bis in ihre Dachkammer vernommen. Sollte sie jetzt auch noch von den beiden gequält werden?
Buteau –sie fühlte es wohl –war hier noch überall gegenwärtig. Dort hatte er sie eines Abends überfallen, und sie hatte ihn gebissen. Dort auch, dort auch. In allen Winkeln tauchten aufregende Bilder in ihrer Erinnerung empor.
Als Franziska sich umwandte, war sie ganz erstaunt, Hans zu erblicken. Was wollte dieser. Fremde hier? Er sah so verlegen aus und wagte nichts zu berühren, als komme er auf Besuch. Ein Gefühl der Einsamkeit überkam die junge Frau; sie war verzweifelt, daß ihr Sieg ihr keine größere Freude bereitete. Sie hatte gemeint, hier triumphierend, lachend und frohlockend einzuziehen, und empfand nicht die geringste Freude, ihr Herz war beklommen vor Mißbehagen. Vielleicht mochte diese düstere Dunkelheit daran schuld sein. Es war jetzt ganz finster. Franziska schritt noch immer mit ihrem Manne von Raum zu Raum; sie hatten noch nicht einmal den Mut gefunden, ein Licht anzuzünden.
Doch ein Geräusch rief das Ehepaar zur Küche zurück. Sie fanden Gideon, der sich seiner Gewohnheit gemäß dort hineingestohlen und jetzt in dem offenen Speiseschrank schnupperte. Die alte Goliche blökte nebenan im Stall.
Da nahm Hans sein junges Weib in den Arm und küßte es sanft auf den Mund, als habe er sagen wollen, man werde trotz alledem glücklich sein.