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Drittes Kapitel.

Jesus war sehr »windreich«; fortwährende Winde wehten durch das Haus und erhielten ihn in einer frohen Stimmung. Bei dem Kerl langweilte man sich nicht; denn er ließ nicht einen fahren, ohne einen Spaß hinzuzufügen. Die schüchternen Schleicher verschmähte er; bei ihm gab es nur freie Entladungen, fest und hell wie Kanonenschläge; und jedesmal, wenn er mit erhobenem Beine dastand, rief er im Kommandotone seine Tochter herbei:

»Dreckbatzen, komm schnell!«

Dann lief sie herbei, und es ging los, daß die Luft erzitterte. »Lauf nach! schau, ob Knoten dran sind!« befahl er dann.

Ein andermal reichte er ihr die Hand und sagte:

»Zieh' an! zieh' an! es muß krachen!«

Wenn dann die Explosion vorüber war, sagte er:

»Ha, es ging schwer! Ich danke.«

Oder auch legte er die Hände an die Backen wie eine Flinte, und wenn der Knall vorüber war, befahl er:

»Such', such', Tagediebin!«

Dreckbatzen wälzte sich vor Lachen auf der Erde. Obgleich ihr das Spiel schon bekannt war, mußte sie doch immer wieder lachen. Wie spaßig ist doch dieser Vater! Bald sprach er von einem Mieter, der seinen Zins nicht bezahlte und darum hinaus mußte; bald wandte er sich überrascht um, grüßte ernst, als ob der Tisch ihm guten Tag gewünscht hätte; bald hatte er ein Sträußchen für den Herrn Bürgermeister, bald für die geehrten Damen. Man war versucht zu glauben, daß er aus seinem Bauche soviel herausziehen konnte, wie er wollte; es war eine rechte Musikbüchse. Im Wirtshaus »zum guten Arbeiter« in Cloyes pflegte man ihm Wetten anzubieten: »Ich zahle dir ein Glas Wein, wenn du sechs machst.« Er machte sechs und gewann immer.

Der Einzug des alten Fouan in das alte »Schloß«, wie man das Kellerloch nannte, das Jesus bewohnte, wurde mit einem festlichen Mahle begangen. Der Greis hatte fünf Franken hergegeben, Dreckbatzen bereitete ein Kalbsragout mit Zwiebeln und roten Bohnen und tischte die trefflich gelungenen Speisen ihrem Vater und Großvater auf; sie selbst stand gleich einer Dienerin respektvoll hinter ihren Stühlen.

Jesus war in bester Laune; bevor man sich zu Tische setzte, ließ er drei Schläge in regelmäßigen Zwischenräumen ertönen und sagte:

»Das ist die Festsalve! Es kann angehen.«

Dann noch einen einzelnen mächtigen, schimpflichen.

»Dieser ist für die Buteau! Sie sollen sich das Maul damit stopfen.«

Der alte Fouan, bisher sehr herabgestimmt, ward bald aufgeheitert. Auch er galt seinerzeit für einen rechten Spaßvogel, und seine Kinder waren unter dem väterlichen Bombardement ruhig aufgewachsen. Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und überließ sich dem Behagen diesem langen Burschen Jesus gegenüber, der ihn mit seinen gutmütigen feuchten Augen anblickte und ausrief:

»Mein Gott, Papa, wollen wir ein herrliches Leben führen! Du sollst sehen, wie ich's versteh'! Ich werde dir die Grillen austreiben, verlaß dich darauf! ... Sei gescheit. Wenn du mal mit den Maulwürfen Erde frißt, was hast du dann davon, daß du bei Lebzeiten dir einen guten Bissen versagt hast?«

Der alte Mann vergaß die nüchterne Enthaltsamkeit seines ganzen Lebens; er fühlte das Bedürfnis, sich zu betäuben, und rief überzeugt:

»Hast recht, besser alles verpuffen, als es den anderen lassen ... Sollst leben, mein Junge!«

Dreckbatzen machte das Kalbsragout mit Zwiebeln. Ein kurzes Schweigen trat ein. Um das Gespräch nicht fallen zu lassen, ließ Jesus einen längeren fahren, der mit dem singenden Tonklang einer menschlichen Stimme durch das Strohgeflecht des Stuhles drang. Sogleich wandte er sich zu seiner Tochter und fragte mit ernster Miene:

»Was sagst du?«

Sie hatte nichts gesagt, sondern mußte sich setzen, um nicht vor Lachen umzusinken. Vollends vernichtet war sie, als nach beendeter Mahlzeit Vater und Sohn sich um die Wette gehen ließen, wobei sie rauchend vor einem Liter Branntwein einander gegenübersaßen. Sie sprachen jetzt gar nichts mehr, denn sie waren sehr betrunken.

Jesus hob langsam ein Bein, knallte los und wandte sich zur Tür:

»Herein!«

Fouan fand die Leistungsfähigkeit seiner Jugend wieder, ließ seinerseits einen knallen und erwiderte:

»Da bin ich!«

Und sie klatschten in die Hände und grinsten einander vergnügt an. Das war zuviel für Dreckbatzen; von einem tollen Lachen geschüttelt, fiel sie zu Boden, und inmitten ihrer Zuckungen entfuhr auch ihr einer, doch das war leicht, fein und melodisch wie der Ton einer Schalmei neben Orgelpfeifen.

Entrüstet erhob sich Jesus, wies nach der Tür und schrie: »Hinaus, Sau! Hinaus, Gestank! Ich werde dich Respekt vor Vater und Großvater lehren!«

Niemals hatte er eine solche Vertraulichkeit bei ihr dulden wollen. Er fächelte mit der Hand die Luft weg und meinte, die seinigen röchen nur nach Schießpulver. Als die Schuldige sehr rot über ihre Vergeßlichkeit leugnete, um nicht die Stube verlassen zu müssen, warf er sie hinaus.

»Schüttle dir die Röcke aus!« schrie er. »Vor einer Stunde darfst du nicht zurückkommen.«

Mit jenem Tage begann ein sorgenloses, lustiges Leben. Man gab dem Alten das Zimmer der Kleinen, die eine Hälfte des durch eine Bretterwand geteilten Kellerraumes. Dreckbatzen zog sich in eine Art Höhle zurück, die sich im Hintergrunde des Gewölbes befand und die, wie die Sage erzählte, der Rest eines verschütteten unterirdischen Ganges war. Von Jahr zu Jahr vergrub das vom Regen den Berg hinabgespülte Geröll mehr und mehr diesen Fuchsbau, in dem Jesus hauste; lange wären auch die alten Mauern und die von Jesus errichtete und unermüdlich geflickte Wand hinweggewaschen worden, wenn nicht die Wurzeln hundertjähriger Linden, die das »Schloß« beschatteten, der Zerstörung Einhalt getan hätten. Aber sobald das Frühjahr ins Land zog, war dies Gemäuer ein Schlupfwinkel von köstlicher Frische, eine unter Himbeersträuchern und Hagedorn versteckte heimliche Grotte. An dem Haiderosengebüsch, welches das Fenster überwucherte, knospeten blaßrote Blüten; die Tür verhing ein dichtes Gezweige von Jelängerjelieber, das man beim Eintritt wie einen Vorhang beiseiteschieben mußte.

Allerdings konnte Dreckbatzen nicht alle Tage Kalbsragout und rote Bohnen auf den Tisch bringen; dergleichen ereignete sich nur, wenn der Alte ein Silberstück herausrückte. Jesus geizte nicht mit seinen Erpressungsversuchen, doch ging er dabei nicht gewaltsam vor; vielmehr wußte er den Alten beim Herzen zu packen und benutzte dessen plötzlich erwachte Leidenschaft für gutes Essen und Trinken, um ihm die Taschen zu leeren. Man tafelte ausgiebig die ersten Tage jedes Monats, wenn Delhomme die sechzehn Franken Rente hergegeben, und besonders bei jedem Quartalsbeginn, wenn der Notar die siebenunddreißig Franken fünfzig auszahlte, wurde in Saus und Braus gelebt. Im Anfang rückte Fouan nur immer Zehnsousstücke von seinem Gelde heraus; sein alter Geiz hatte noch die Oberhand, er wollte, es solle möglichst lange anhalten. Nach und nach überließ er sich den Händen des großen Schlingels Hyacinth, der ihm zu schmeicheln wußte, ihm die abenteuerlichsten Dinge vorschwatzte, oder ihn zu Tränen rührte. Er gab zwei, drei Franken auf einmal, fand Gefallen an dem Wohlleben und der Schlemmerei, sagte sich, es sei besser, alles ohne Bedenken und frohen Mutes zu verzehren, weil es früher oder später doch draufgehe.

Jesus teilte, man muß es ihm nachrühmen, übrigens redlich mit seinem Vater; wenn er ihm das Geld aus der Tasche lockte, verpraßte er es dafür wenigstens in Gemeinschaft mit ihm. Bei all seiner nichtsnutzigen Faulheit hatte er ein besseres Herz als der Schurke Buteau. Solang' man aß und trank, vergaß er selbst großmütig den geheimen Schatz des Alten; der Vater mochte immerhin seine Freude daran haben; sobald er willig das Geld für die Schmausereien hergab, konnte man nicht mehr verlangen. Erst in den zweiten Monatshälften, wenn die Taschen Fouans leer waren, begann sein Sohn über das an jenem Tage erblickte und irgendwo verborgene Geld nachzudenken. Nicht ein Liard kam davon zum Vorschein. Er brummte über Dreckbatzen, die nichts als Kartoffelbrei ohne Butter auf den Tisch brachte; er ärgerte sich, daß man darbe, um irgendwo das Geld zu verstecken, und es ward ihm klar, eines Tages müsse dieser Schatz ans Licht und verputzt werden.

Fouan langweilte sich übrigens auch in diesen mageren Monatsenden nicht; denn Vater und Tochter zogen dann auf Raub aus, um den Tisch zu versorgen, und der Alte ließ sich schließlich dazu verführen, an diesen Fahrten teilzunehmen. Als Dreckbatzen zum erstenmal ein Huhn heimbrachte, das sie hinter einer Mauer versteckt mit der Angel gefangen, murrte der Großvater. Doch er konnte sich nicht enthalten, herzlich zu lachen, als sie ihm tags darauf ein zweites Stücklein erzählte: Das findige Ding hatte sich in den Zweigen eines Baumes versteckt und von dort mitten in ein vorüberschnatterndes Entenvolk eine Schnur hinabgeworfen, an der ein Stück Fleisch an einem Haken hing. Gierig stürzte sich ein Enterich auf die Lockspeise, verschlang alles, Fleisch, Haken, Bindfaden, und ward plötzlich mit jähem Ruck zum Baum emporgerissen und erwürgt, eh' er nur einen Laut von sich gegeben. Das war vielleicht nicht ganz ehrlich gehandelt; doch gehören die Tiere, die im Freien leben, nicht dem, der sie zu fangen weiß? Solange man kein Geld stiehlt, mein Gott, ist man ehrlich, erklärte Jesus.

Von jetzt an interessierte sich Fouan für die Räubereien des Mädchens. Es kamen die unglaublichsten Dinge vor: sie stahl einen Sack Kartoffeln und besaß die Keckheit, den ihr begegnenden Eigentümer zu bitten, ihr denselben ein Stück Weges tragen zu helfen; sie melkte in eine Flasche die Kühe auf der Weide; sie entwendete den Wäscherinnen an der Aigre Leinenzeug, versenkte es, mit Steinen beschwert, in den Fluß und holte es nachts daraus hervor. Man sah sie überall, auf allen Wegen; ihre Gänse gaben ihr einen immerwährenden Vorwand ab, sich auf den Straßen herumzutreiben; stundenlang paßte sie mit dem harmlosen Gesicht einer Gänsehirtin in den Straßengräben die Gelegenheit zu irgendeinem Diebstahl ab; ja, die Gänse dienten ihr dabei gleich Hunden als Wächter: beim Nahen irgendeines Verdächtigen ließ der Gänserich einen warnenden Ruf hören. Dreckbatzen war damals achtzehn Jahre alt und kaum größer, als sie im zwölften Jahre gewesen; sie war geschmeidig und schlank wie eine Haselstrauchgerte, hatte einen Kopf wie eine Ziege, grüne, seitwärts geschlitzte Augen, einen breiten, links verwachsnen Mund. In der alten Bluse ihres Vaters glich sie mit ihrem winzigen Busen einem Knaben; sie liebte nur ihre Herde, machte sich nichts aus den Männern, und wenn ihre Spiele mit den gleich alten Burschen regelmäßig auf dem Rücken endeten, geschah es nur, weil das Ding nun mal dazu gehört und ihr schließlich daraus kein Schaden erwuchs. Übrigens beschränkte sie sich auf den Verkehr mit Taugenichtsen und Landstreichern ihrer Gattung; wirkliche Männer fanden sie zu kümmerlich entwickelt und gingen ohne Verlangen an ihr vorüber. Der Großvater gewann ihr munteres Wesen lieb und erklärte, abgesehen davon, daß sie zuviel Diebereien verübe und sich ein wenig zu liederlich aufführe, sei sie ein drolliges Ding, sei weniger dumm, als es den Anschein habe.

Aber ganz besonders gefiel es Fouan, Jesus auf seinen Raubzügen durch die Fluren zu begleiten. In jedem Bauer, selbst dem anständigsten, steckt etwas von einem Wilddiebe; darum interessierten den Alten die Dohnen, die sein Sohn aufstellte, die Grundangeln im Flusse, all die listigen Erfindungen, dieser ewige, ununterbrochene Krieg gegen Feldhüter und Gendarmen. Sobald ein Dreimaster oder eine Säbelquaste auf der Straße oder über dem Getreide auftauchte, warfen sich Vater und Sohn ins Gras und schienen zu schlafen; war der Mann des Gesetzes vorüber, so schlich Jesus durch die Straßengräben auf allen Vieren zu seinen Fallen und Netzen, während der Vater mit dem harmlosen Gesicht eines braven, alten Mannes Dreimaster und Säbel mit den Blicken verfolgte. In der Aigre gab es köstliche Forellen, die man für vierzig bis fünfzig Sous an einen Fischhändler in Chateaudun verkaufte; doch sie waren nicht leicht zu fangen; es galt, stundenlang auf dem Bauche liegend, den scheuen Tieren nachzustellen. Zuweilen auch gingen Vater und Sohn bis zum Loire-Flusse, in dessen schlammigem Grund prächtige Aale gediehen. Lieferten Jesus' Angeln keine Beute, so plünderte er nachts die Fischkästen der Bürger.

Doch all dies war nur ein nebensächliches Vergnügen; Hyacinths wahre Leidenschaft war die Jagd. Mehrere Meilen weit suchte er die Felder ab; er verschmähte kein Wild: gab's keine Rebhühner, so stellte er den Wachteln nach oder den Lerchen oder selbst den Staren. Selten bediente er sich der Flinte, deren Schuß auf dem flachen Lande weithin hallte. Wo nur irgendein junges Rebhuhnvolk in den Kleefeldern heranwuchs, er machte es ausfindig und paßte Ort und Zeit ab, wenn die Küchlein, schlaftrunken und feucht vom Tau der Nacht, sich mit der Hand fangen ließen. Er besaß ausgezeichnete Leimruten für die Lerchen und Wachteln; mit Steinwürfen erlegte er die Stare, die zur Zeit der großen Herbststürme in Scharen ins Land kamen. Da er in dieser Weise seit zwanzig Jahren dem Wild im Lande nachstellte, waren zum Leidwesen der Jäger in dem Buschwerk längs der Talwände die Kaninchen fast ausgestorben; nur die allerdings selten vorkommenden Hasen entschlüpften dem Wilderer, indem sie sich in die Ebene flüchteten, wo es bedenklich war, sie zu verfolgen. Welch ein Herzeleid ihm die paar Hasen machten, wie heftig ihn darnach verlangte; er riskierte, sich ins Gefängnis stecken zu lassen, um von Zeit zu Zeit einem eine Kugel auf das Fell zu brennen. Wenn Fouan ihn seine Flinte von der Wand nehmen sah, begleitete er ihn nicht: das sei zu dreist, meinte der Alte; Jesus werde sich sicher eines Tages ertappen lassen.

Es kam so, wie es kommen mußte. Aufgebracht wegen der Ausrottung des Wildes, hatte Hourdequin dem Feldhüter die schärfsten Befehle erteilt, und Becu, den es ärgerte, niemals jemanden zu erwischen, hatte sich entschlossen, in einem Schober zu übernachten, um die Wilddiebe zu überraschen. Eines Morgens kurz nach Tagesanbruch weckte ihn ein Flintenschuß, der dicht an seinem Gesicht vorüberstreifte; es war Jesus, der hinter dem Schober verborgen, einen Hasen ins Gras gestreckt hatte.

»Blitz und Kanonen! Du bist es!« schrie Bécu auf und bemächtigte sich der Schußwaffe, die jener an den Schober gelehnt hatte, um den Hasen zu holen. Kanaille! ich hätt' es ahnen können!«

Im Gasthause waren die beiden Freunde und Brüder; doch auf den Feldern war ihre Begegnung stets bedenklich; der eine mußte immerfort gefaßt sein, den Kameraden auf der Tat zu ertappen, während dieser wiederum in solchem Falle entschlossen war, ihm den Schädel einzuschlagen.

»Gut, ich bin's, was ist da weiter? Ich pfeife auf dich! ... Gib mir mein Gewehr zurück!« versetzte der andere grob.

Dem Bécu war sein Fang nichts weniger als willkommen. Meist bog er geflissentlich nach rechts ab, wenn er Jesus zu seiner Linken gewahrte; warum den Freund in eine unangenehme Geschichte verwickeln? Doch diesmal gebot die Pflicht; es war unmöglich, ein Auge zuzudrücken. Und dann ist man wenigstens höflich, wenn man sich etwas hat zuschulden kommen lassen.

»Dein Gewehr, Schuft! das behalte ich und werde es auf dem Amt abgegeben ... Und kusch, oder ich schicke dir die zweite Ladung in den Bauch.«

Jesus war wütend; schon machte er Miene, den Feldhüter an der Gurgel zu packen. Doch als er sah, wie jener sich auf den Weg zum Dorfe machte, schloß er sich ihm an, indem er den Hasen in seiner Rechten schlenkerte. Wortlos legten sie einen Kilometer mitsammen zurück und maßen sich immerfort mit drohenden Seitenblicken; es schien, als solle es jeden Augenblick zu einem Zweikampfe kommen. Dabei waren beide gleich verdrossen über das Abenteuer; welch ein fatales Zusammentreffen!

Als sie hinter der Kirche in die Nähe des Schlosses kamen, machte der Wilderer einen letzten Versuch.

»Mach' keine Dummheiten, Alter ... Komm herein zu mir und laß uns eins trinken!«

»Nein, ich muß meinen Bericht schreiben,« versetzte der Feldhüter.

Steif wie ein alter Soldat, der nichts wie seine Vorschrift kennt, wiederholte er diese Worte. Dabei aber war er stehengeblieben, und als der andere ihn jetzt am Arm faßte und ihn zu seinem Wohnsitz ziehen wollte, setzte er hinzu:

»Wenn du Tinte und Feder hast, meinetwegen ... Bei dir oder anderswo, mir ist's gleich, wenn nur der Bericht geschrieben wird.«

Als Bécu bei Jesus anlangte, stand die Sonne bereits am Himmel. Papa Fouan, der schon vor der Tür seine Pfeife rauchte, sah, was vorgegangen; der Alte ward um so besorgter, als die Dinge sich sehr ernst anließen. Man suchte Tinte hervor, sowie eine alte, verrostete Feder, und der Feldhüter begann mit einer fabelhaften Amtsmiene und gespreizten Ellbogen sein Schriftstück aufzusetzen. Doch gleichzeitig hatte Dreckbatzen auf einen Wink ihres Vaters einen Liter und drei Gläser her beigebracht; bei der fünften Zeile verstand sich Bécu dazu, die Erfrischung anzunehmen, denn er war gerade genötigt, eine Pause zu machen, um den in der verwickelten Darstellung der Tatsachen verlorenen Faden wiederzufinden. Nach und nach gewann die Lage ein freundliches Gepräge. Ein zweiter Liter erschien, dann ein dritter. Zwei Stunden später schrien die beiden Kumpane freundschaftlich aufeinander los: sie waren sehr betrunken und hatten das Vorkommnis des Morgens ganz vergessen.

»Verwünschter Hahnrei,« rief Jesus, »du weißt, daß ich's mit deiner Frau halte.«

Er sprach die Wahrheit. Seit dem Kirchweihfeste gab er sich in allen Winkeln mit der Bécu ab, trotzdem er sie ungeniert eine trockene, alte Schachtel nannte. Bécu jedoch, der im Rausch unbequem werden konnte, wurde böse. Wenn er auch in nüchternem Zustand über dies Verhältnis ein Auge zudrückte, sobald er volltrunken war, verletzte ihn die Sache. Er packte eine leere Flasche, schwenkte sie und brüllte:

»Verdammter Schweinehund!«

Die Flasche flog an die Wand an Jesus vorüber, der mit geifernden Lippen lächelnd dreinschaute. Um den Hahnrei zu besänftigen, ward beschlossen, daß man zusammenbleiben und sofort den Hasen verspeisen wolle. Wenn Dreckbatzen ein Hasenragout bereitete, duftete der gute Geruch bis ans andere Ende von Rognes. Es ward ein prächtiges Mahl, das den ganzen Tag ausfüllte. Sie waren noch bei Tisch und knabberten von neuem an den schon abgenagten Knochen, als die Nacht hereinbrach. Es wurden zwei Lichter angezündet, und das Fest nahm seinen Fortgang. Fouan fand zwei Vierzigsousstücke, wofür Dreckbatzen einen Liter Kognak holte. Alles schlief bereits im Dorfe, als die drei immer noch schnapsten. Jesus, dessen tastende Hand etwas suchte, um seine Pfeife wieder in Brand zu stecken, faßte unversehens den angefangenen Bericht, der, mit Wein und Soße befleckt, auf der Tischecke lag.

»Richtig, das muß fertiggemacht werden,« lallte er, wobei er übermäßig lachte.

Er blickte das Papier an und suchte etwas, womit er recht deutlich seine Verachtung gegen dieses amtliche Schriftstück ausdrücken könnte; dann hob er einen Fuß, ließ einen Ausgiebigen fahren und rief:

»Jetzt ist's unterzeichnet!«

Bécu lachte mit den andern. Man war diese Nacht sehr guter Dinge im Schloß.

Um diese Zeit gewann Jesus einen Freund. Als er eines Tages in einen Graben geschlüpft war, um die Gendarmen vorüber passieren zu lassen, fand er darin einen Mann versteckt, der ebenfalls kein Verlangen trug, gesehen zu werden. Die beiden begannen zu plaudern. Der Fremde war eine gute Haut, ein gewisser Leroi, genannt Canon, ein Zimmermann, der vor zwei Jahren infolge mißlicher Abenteuer Paris verlassen hatte und sich seitdem auf den Dörfern herumtrieb.

Er ging von Hof zu Hof, suchte Beschäftigung, war bald hier, bald dort eine Woche lang, und als er keine Arbeit mehr fand, als man ihn überall hinausgewiesen, bettelte er auf den Straßen, lebte von gestohlenen Gemüsen und Früchten und war froh, wenn er in einem Heuschober übernachten durfte. Seine Erscheinung flößte nichts weniger als Vertrauen ein: er steckte in Lumpen, war sehr schmutzig und abstoßend häßlich; Elend und Laster hatten seine Züge verroht; sein Gesicht war so mager und fahl und blickte so unheimlich aus dem wilden, dünn gesäten Barthaar, daß die Frauen Fenster und Türen schlössen, wenn sie ihn kommen sahen. Dazu kam, daß er allerhand wüste Reden führte; er sagte, er werde den Reichen den Hals abschneiden, werde sich an ihren Weinen und ihren Weibern berauschen. Dabei ballte er die Fäuste und rollte fürchterlich die Augen, wenn er diese in den Vorstädten von Paris erhaschten revolutionären Drohungen hervorstieß, so daß die Bauern vor ihm zurückwichen. Seit zwei Jahren sah man ihn plötzlich abends auf den Höfen auftauchen; er bat um ein Bund Stroh zum Nachtlager, setzte sich zu den Leuten ans Herdfeuer und erstarrte ihnen das Blut mit seinen wilden Reden. Am nächsten Morgen war er verschwunden, um acht Tage später zu derselben trüben Dämmerstunde sich wieder einzustellen, und alle von neuem mit seinen Mord- und Brandprophezeiungen zu erschrecken. Deshalb wollte man ihn nirgends mehr aufnehmen; alle Türen schlossen sich vor dem unheimlichen Gaste.

Jesus und Canon verstanden sich sofort.

»Donnerwetter!« rief der erstere, »ich hätt' sie im Jahre 1848 alle niedermachen sollen in Cloyes! ... Komm, Alter, wir müssen eins trinken zusammen.«

Er nahm ihn zu sich und ließ ihn im Schloß übernachten. Je mehr und je toller der andere sprach, um so höher stieg er in der Achtung seines Wirtes; Jesus fühlte ihn sich überlegen, bewunderte, was er alles wisse, meinte, er kenne das Geheimnis, mit einem Schlage die Dinge umzustürzen. Achtundvierzig Stunden später zog Canon wieder von dannen. Zwei Wochen darauf erschien er von neuem und machte sich bei Tagesanbruch wieder davon. Seither tauchte er von Zeit zu Zeit im Schloß auf, aß, trank, schnarchte, als liege er in seinem Bette, und schwor jedesmal, daß den Bürgern vor Ablauf von sechs Wochen der Garaus gemacht werde. Als eines Nachts der Vater auf die Jagd gegangen war, wollte der Gast sich die Tochter zu Willen machen; aber Dreckbatzen war empört, wehrte sich und biß; er mußte von seinem Vorhaben abstehen. Wofür hielt sie der alte Lump? Er schalt sie ein dummes Ding.

Auch Fouan mochte den unsauberen Patron nicht leiden, er sei ein Faulenzer, erklärte der Alte, und wolle Dinge, die zum Schafott führen. Wenn der Bandit im Hause war, war der Greis so trübe gestimmt, daß er vorzog, seine Pfeife im Freien zu rauchen. Dem alten Manne fing übrigens das Leben im Schloß an weniger zu behagen als im Anfang, denn es hatte sich zwischen Vater und Sohn etwas Mißliches ereignet. Bisher hatte Jesus die verpfändeten Äcker nur an Buteau und Delhomme verkauft, und Fouan, dessen Unterschrift bei diesen Verkäufen erforderlich war, hatte sie stets ohne Widerrede gegeben; er war zufrieden, daß das Land in der Familie bleibe. Jetzt aber handelte es sich um ein letztes Stück Feld, auf das der Wilderer ebenfalls Geld aufgenommen, und das der Darleiher unter den Hammer bringen wollte, weil er nicht einen Sou der vereinbarten Zinsen erhielt. Herr Baillehache, den man um Rat gefragt, riet, den Acker sofort zu verkaufen, wenn man nicht wolle, daß die Gerichtskosten überhandnehmen. Buteau sowohl wie Delhomme aber waren erbost, daß der Vater den Taugenichts Hyacinth aushalte, und verweigerten diesmal den Ankauf, sie waren entschlossen, sich um nichts mehr zu bekümmern, so lange der Alte bei dem Bruder bleibe. So stand also der gerichtliche Verkauf des Feldes bevor, das Stempelpapier regnete ins Haus; es war das erste Stück Land, das aus der Familie gehen sollte. Dem Alten raubte der Gram den Schlaf. Dies Land, das sein Vater, sein Großvater mit so saurer Mühe erworben! Dies Land, das er selbst gepflegt und eifersüchtig gehütet wie ein Weib! jetzt mußte er zusehen, wie es sich in Prozessen verkrümelte, wie es um die Hälfte seines Wertes einem Fremden, einem Nachbar zugeschlagen wurde. Er fieberte vor namenlosem Zorn, der Schmerz zerfleischte ihm dermaßen die Brust, daß er seufzte wie ein Kind. Dieser Schurke! dieser Lump!

Es fanden furchtbare Szenen zwischen Vater und Sohn statt. Der letztere übrigens antwortete nicht und ließ den andern sich in Vorwürfen und Wehklagen erschöpfen. Mit verzweifelter Gebärde, ein Bild übermächtigen Schmerzes, stand der alte Mann vor dem liederlichen Menschen und tobte:

»Du bist ein Mörder! Es ist nicht anders, als schnittest du mir mit einem Messer ein Stück Fleisch aus der Brust ... Ein gutes Feld! Es gibt weit und breit kein besseres! Ein Feld, auf dem alles von selbst gedeiht; man hat nur nötig, darüber zu blasen ... Mußt du erbärmlich und feig sein, daß du dir nicht lieber eine Kugel in den Kopf jagst, statt diesen Acker einem andern zu überlassen ... Heiland der Welt! Einem andern! Der Gedanke stockt mir das Blut! Du mußt gar kein Herzblut haben, du verwünschter Saufbold! ... Und das alles, weil du das Land versoffen hast, du Schuft, du Schlemmer, Strolch, Schwein, elendes!«

Wenn's ihm den Atem nahm und er erschöpft auf einen Stuhl sank, versetzte der andere ruhig:

»Bist du dumm, Alter, dich so zu grämen! Schlage auf mich los, wenn es dich erleichtert: wahrhaftig, du hast verflucht wenig Philosophie! ... Was ist denn weiter dabei! Man kann doch das Land nicht essen; du würdest ein schnurriges Gesicht machen, wenn man es dir vorsetzen wollte. Ich hab' mir darauf Geld gepumpt; das ist meine Art, Fünffrankenstücke daraus zu ernten. Jetzt verkauft man es; hat man nicht auch meinen Schutzpatron Jesus Christus verkauft? Wenn noch ein paar Taler dabei herauskommen, vertrinkt man sie halt, das ist das einzig Wahre! ... Hol' mich der Fuchs, man wird zeitig genug sein eigen Stück Land bekommen, wenn sie einen dahinein verscharren.«

Doch Vater und Sohn begegneten einander in ihrem Hasse gegen den Gerichtsvollzieher Vimeux. Es war ein unsauberer Patron, dem man die Amtshandlungen übertrug, mit denen sein Kollege in Cloyes sich nicht befassen mochte. Eines Tages mußte er im Schloß eine Urteilskundmachung des Gerichtshofes niederlegen. Vimeux war ein schmieriges, kleines Männchen, die ganze Person schien ein einziger struppiger, gelber Bart, aus dem nichts hervorschaute wie eine rote Nase und triefende Augen. Er trug stets einen schwarzen Hut, Rock und Beinkleider von derselben Farbe. Alles war unglaublich schäbig und fleckig. Im ganzen Lande erzählte man sich, wie jämmerlich diesem Kerl von den Bauern mitgespielt wurde, sooft er allein und vollkommen wehrlos in einem Gehöfte erschien, um irgendein unliebsames Amtspapier zu übergeben. Bald bläuten sie ihm den Rücken durch, bald stießen sie ihn in die Mistjauche, jagten ihn mit Heugabeln übers Feld, oder die Weiber fielen über ihn her, zogen ihm die Hosen herab und hieben auf ihn ein.

Im Augenblick, wo der Gerichtsvollzieher im Schloß vorsprach, kam gerade Jesus mit der Flinte auf der Schulter vom Felde heim. Fouan, der vor der Tür seine Pfeife rauchte, rief ihm grollend entgegen:

»Da schau, die Schande, die du Lump uns ins Haus bringst!«

»Warte mal!« murmelte der Wilderer zähneknirschend.

Doch als Vimeux das Gewehr erblickte, blieb er dreißig Schritt vor dem Mauerloch stehen, und seine ganze elende Gestalt schlotterte vor Furcht in dem schwarzen, schmutzigen Gewand.

»Herr Jesus,« hub er mit seiner dünnen Stimme an, »ich komme in Ihrer Angelegenheit, Sie wissen schon ... Ich leg' es hierher. Schön' guten Abend!«

Er hatte das Stempelpapier auf einen Stein gelegt und begann bereits rückwärts schreitend das Weite zu suchen, als der andere ihn anschrie:

»Donnerwetter, vermaledeiter Tintenkleckser, soll ich dich Mores lehren? ... Willst du mir sofort das Papier hierher bringen!«

Als der arme Kerl vor Angst starr und steif blieb und nicht einen Schritt vor- oder rückwärts wagte, legte Jesus auf ihn an.

»Ich jag' dir das Blei in den Leib, wenn du dich nicht tummelst ... Vorwärts, nimm dein Papier und komm' heran ... Näher, näher, aber zum Henker näher, verwünschter Hasenfuß, oder ich drück' los!«

Der Gerichtsvollzieher zitterte wie Espenlaub. Flehend blickte er zu Fouan hinüber; doch dieser rauchte ruhig seine Pfeife und schielte mit kaltem Haß nach dem Manne des Gesetzes, den der Bauer für alle Maßnahmen der Obrigkeit verantwortlich macht.

»Heran, oder ich schieß' los! ... Endlich! Es war Zeit. Gib mir deinen Wisch. Nein, nicht so halb, als wenn du's nicht gern tätest. Höflich, zum Teufel auch! gib mir ihn ordentlich in die Hand! ... So, jetzt bist du brav.«

Vimeux stand wie gelähmt von den Quälereien des unheimlich langen Strolches, mit zuckenden Wimpern des Fausthiebes oder der Ohrfeige gewärtig, die er kommen fühlte.

»Jetzt, kehrt!«

Er verstand; er rührte sich nicht, sondern kniff ängstlich die hagern Schenkel zusammen.

»Kehrt! oder ich dreh' dich um!«

Er sah wohl, daß er gehorchen mußte. Mit kläglicher Duldermiene bot er sein armseliges Hinterteil dar. Jesus aber trat einen Schritt zurück, dann versetzte er ihm einen so wohlgezielten und kräftigen Fußtritt, daß sein Opfer zu Boden stürzte. Mühsam raffte er sich auf und rannte, so schnell ihn seine kurzen Beine tragen wollten, davon.

Hinter sich hörte er den Ruf:

»Aufgepaßt! ich schieße!«

Jesus hatte angelegt; doch er begnügte sich ein Bein zu heben und paff! ließ er einen fahren, so hell und stark, daß Vimeux, durch den Knall zu Tode erschreckt, neuerdings hinfiel.

Diesesmal rollte sein schwarzer Hut unter die Kiesel; er lief ihm nach, erhaschte ihn und rannte dann noch schneller weiter. Hinter ihm tönten die Schüsse unaufhörlich fort, piff! paff! puff! ein wahres Kleinfeuer, begleitet von einem tollen Gelächter, das dem Unglücklichen vollends die Besinnung raubte. Dreckbatzen wälzte sich am Boden, und Fouan hatte die Pfeife aus dem Munde genommen, um besser lachen zu können. Ein drolliger Nichtsnutz, dieser Hyacinth!«

In der nächsten Woche mußte sich der Alte entschließen, seine Unterschrift zum Verkauf des Ackers herzugeben. Herr Baillehache hatte einen Käufer; das Klügste war, den Rat des Notars zu befolgen. Man kam also überein, daß Vater und Sohn sich nach Cloyes begeben sollten; und zwar ward hierzu der dritte Sonnabend des Monats September bestimmt, der Tag vor dem Sankt-Lubin, einem der beiden Volksfeste der Stadt. Fouan, der bei dem Steuereinnehmer den Juliabschnitt der Staatspapiere, die er heimlich versteckte, einzukassieren hatte, gedachte diese Gelegenheit hierzu zu benutzen, indem er sich vornahm, seinem Sohne inmitten des Marktgetümmels zu entwischen. Den Hin- und Rückweg wollte man zu Fuß machen.

Als Fouan und Jesus beim Tor von Cloyes vor der geschlossenen Schranke die Vorüberfahrt eines Eisenbahnzuges abwarten mußten, wurden sie von Buteau und Lise eingeholt, die in ihrem Wagen zur Stadt kamen. Sofort brach zwischen den Brüdern ein Streit aus: sie überhäuften sich mit Schimpfreden bis zum Augenblick, wo der Übergang freigegeben ward; und selbst während Buteau mit vom Wind geblähter Bluse schon talwärts fuhr, drehte er sich noch einmal um und rief dem Jesus ein unflätiges Schimpfwort zu.

»Geh, Schuft! ich ernähre deinen Vater!« schrie dieser aus Leibeskräften, indem er die beiden Hände wie ein Sprachrohr vor den Mund hielt.

In der Grouaise-Straße bei Herrn Baillehache verbrachte Fouan eine recht traurige Stunde in der übervollen Amtsstube, wo eine Menge zu Markt fahrender Bauern die Gelegenheit benutzte, ihre Geschäfte mit dem Notar abzuwickeln. Er erinnerte sich jenes Sonnabends, an dem er hierher gekommen, um die Besitzabtretung vollkommen zu machen: sicher hätte er an dem Tage besser getan, sich aufzuhängen. Endlich empfing sie der Notar. Der Alte mußte unterschreiben. Er suchte in allen Taschen seine Brille, wischte sie ab; doch die mit Tränen gefüllten Augen trübten von neuem die Gläser, und seine Finger zitterten: man mußte ihm die Hand auf den richtigen Fleck im Aktenstück legen; dort malte er in einen großen Tintenklecks hinein seinen Namen. Es hatte ihm soviel Schmerz und Überwindung gekostet, daß ihm brühheiß ward; er zitterte am ganzen Leibe und blickte verstört um sich wie jemand, dem man ein Bein abgenommen, und der sich umschaut, wo es geblieben. Herr Baillehache redete strengen Tones Jesu ins Gewissen; dann verabschiedete er sie, indem er erklärte: die Vermögensabtretung bei Lebzeiten sei der guten Sitte zuwider, man werde unbedingt dahin gelangen, sie gesetzlich zu untersagen und einzig nur die Übertragung des Vermögens durch Erbschaft gelten zu lassen.

Draußen in der Großen Gasse vor der Tür des »Wackern Landmannes« verschwand Fouan inmitten des Markttrubels. Jesus war des Alten Absicht, sich loszumachen, sehr wohl gewahr geworden; er lachte in sich hinein, denn er ahnte, was der Vater vorhabe. Dieser drückte sich eiligst in die Beaudonnièregasse, wo Herr Hardy, der Steuereinnehmer, ein freundliches, zwischen Hof und Garten gelegenes Haus bewohnte. Hardy war ein gemütlicher Herr mit frischer Gesichtsfarbe und wohlgepflegtem, schwarzem Bart; die Bauern fürchteten ihn, da er, wie sie behaupteten, ihnen mit allerhand Reden den Kopf verdrehe.

Seine Amtsstube war ein schmales, durch eine Schranke geteiltes Büro; auf der einen Seite saß er, die andere war für die Leute bestimmt. In diesem Augenblick befand sich niemand dort wie der eben angekommene Buteau.

Niemals konnte sich Buteau dazu verstehen, seine Steuer auf einmal zu bezahlen. Wenn er im Monat März den Steuerzettel erhielt, so war er acht Tage lang schlechter Laune. Wütend ging er das Papier in seinen Einzelheiten durch: die Grundsteuer, die Kopfsteuer, die Mobiliarsteuer, die Tür- und Fensterabgabe; doch jedesmal entflammte seinen Zorn hell der Steuerzuschlag, der, wie er behauptete, von Jahr zu Jahr zunehme. Hierauf wartete er die erste kostenfreie Aufforderung zur Zahlung ab, wodurch er immerhin eine Woche gewann, und zahlte sodann in monatlichen Raten bei Gelegenheit seiner Marktfahrten. Jeden Monat ward ihm dies gleich schwer; schon am Vorabend war er förmlich krank vor Gram; er trug sein Geld nicht anders zur Stadt, wie jemand seinen Kopf gebracht hätte, den man ihm abschneiden wollte.

»Aha, Ihr seid's!« begrüßte ihn Herr Hardy munter. Ihr tut recht zu kommen, ich wollt' Euch gerade Unkosten machen.«

»Das fehlte noch,« versetzte Buteau grollend. »Wissen Sie, ich zahle die sechs Franken nicht, um die Sie meine Grundsteuer gesteigert haben ... Nein, nein, das ist nicht, gerecht.«

Der Einnehmer lachte.

»Ist's möglich, Ihr fangt schon wieder an? Soll denn das alle Monat so fortgehen? Ich hab' Euch schon erklärt, daß Eure Einnahmen sich infolge Eurer Anpflanzungen an der Aigre gehoben haben müssen. Darauf gründen wir ganz einfach unsere Berechnungen.«

Buteau widersprach heftig. Seine Einnahmen sich heben! Schöne Hebung das! Das war dieselbe Ungerechtigkeit wie mit seiner Wiese: Früher besaß er siebzig Ar; seit der Fluß sein Bett verschoben und ihm zwei Ar abgeschnitten, hatte er nur achtundsechzig und mußte nichtsdestoweniger immer noch für siebzig zahlen. War das Gerechtigkeit? Herr Hardy antwortete ihm ruhig, daß die Grundsteuerabschätzung nicht seine Sache sei, man müsse die nächste Schätzung abwarten. Wie um ihm alles eingehend zu erklären, übergoß er ihn mit einer Flut von Ziffern und technischen Ausdrücken, von denen jener gar nichts verstand. Dann schloß er in seiner halb scherzenden Art:

»Übrigens, zahlt nicht, mir ist's gleich. Ich werde Euch den Gerichtsvollzieher schicken.«

Betroffen würgte Buteau seinen Unmut hinunter. Wenn man nicht der Stärkere ist, muß man wohl nachgeben. Diese dunkle und verzweigte Macht aber, die er über sich fühlte, die Verwaltungsbehörde, der Gerichtshof, all dieses hündische Bürgerpack, wie er sich ausdrückte, flößte ihm eine Furcht ein, die den hundertjährigen Haß der Bauern gegen die Städter schürte. Langsam zog er seine Börse hervor. Seine dicken Finger zitterten; er hatte viel Kupfergeld auf dem Markte bekommen, und jeden Sou, den er hergab, befühlte er vorher. Dreimal rechnete er die Summe, die er aufzählte, durch, es waren lauter Sous; daß er einen solchen Haufen Geld hergeben mußte, erhöhte seinen Schmerz. Mit verschleiertem Blick sah er zu, wie der Einnehmer das Geld in Empfang nahm. Da erschien Papa Fouan.

Der Alte hatte den Rücken seines Sohnes nicht erkannt; er war wie versteinert, als dieser sich umwandte.

»Geht's Ihnen gut, Herr Hardy?« stotterte er. »Ich ging hier gerade vorüber, und da kam mir der Gedanke, Ihnen guten Tag zu sagen. Man sieht sie ja, sozusagen, nicht mehr.«

Buteau ward keineswegs durch diese Worte getäuscht. Hastig empfahl er sich, als wenn er es sehr eilig habe; und fünf Minuten später trat er unter dem Vorwand, den Einnehmer noch etwas fragen zu wollen, von neuem ins Büro, in dem Augenblick, wo Herr Hardy gerade dem Alten ein Quartal, fünfundsiebzig Franken, in Fünffrankenstücken aufzählte. Das Auge des Burschen blitzte auf. Doch er beherrschte sich, vermied, den Vater anzublicken und tat, als habe er nicht gesehen, wie dieser sein Taschentuch über das Geld schleuderte und dann die Silberstücke wie in einem Wurfnetz zusammenraffte und in die Tasche schob. Diesmal verließen sie zusammen die Amtsstube. Fouan musterte seinen Sohn mit mißtrauischen Seitenblicken; Buteau war in bester Laune und legte plötzlich ein besonderes Wohlwollen für den alten Mann an den Tag. Er wich nicht von seiner Seite, bot ihm an, er wolle ihn in seinem Wagen heimfahren und begleitete ihn bis zum »Wackern Landmann«, wo Jesus mit einem Freunde, einem Weinbauer aus Brinqueville, namens Sabot, beim Weine saß. Dieser Sabot war ebenfalls ein so windreicher Kerl, daß er Mühlen in Bewegung setzen konnte, wie er sich rühmte. Wenn die beiden einander trafen, wetteten sie um die Zeche, wer von beiden mit seinen Winden mehr Kerzen auslösche. Neugierig und belustigt wurden sie von den Freunden und Bekannten in die große Trinkstube begleitet, wo man einen Kreis um sie bildete. Der eine arbeitete rechts, der andere links, mit herabgelassener Hose und hervorgestrecktem Hintern, mit jedem Schlage die Kerze auslöschend. Sabot war bei zehn angelangt, während Hyacinth nur neun zählte, weil einer zu kurzatmig geraten war. Er war darüber sehr verdrossen, sein guter Ruf stand auf dem Spiele. Los drauf! Wird Rognes sich von Brinqueville schlagen lassen? Und er blies wie noch nie ein Schmiedebalg geblasen: neun! zehn! elf! zwölf! Der Tambour von Cloyes, der die Kerze wieder anzündete, wäre von den Winden fast mit weggefegt worden. Sabot war bei dem zehnten völlig ausgepumpt, während Hyacinth triumphierend noch zwei zugab, wobei er dem Tambour zurief, sie anzuzünden wegen des Duftes. Der Tambour zündete sie an, und sie brannten mit schöner, goldgelber Flamme.

»Ei, hat der Kerl einen Darm! Er verdient eine Ehrenmedaille!«

So hieß es in der Runde, und die Leute vergingen schier vor Lachen. In diesem Rufe lag Bewunderung und Neid zugleich, denn es mußte einer fest gebaut sein, um soviel zusammenzuhalten, um nach seinem Belieben fahren zu lassen. Man trank die zehn Liter; das währte zwei Stunden, und es war von nichts anderem die Rede.

Während Jesus die Hose wieder heraufzog, versetzte ihm Buteau einen freundschaftlichen Klaps auf den Hintern, und der Friede schien hergestellt. Die Familie fühlte sich durch den Sieg geschmeichelt. Vater Fouan war wie verjüngt und erzählte eine Geschichte aus seiner Kindheit aus der Zeit, wo die Kosaken in Beauce lagen. Ein Kosak war am Ufer der Aigre eingeschlafen und er –Fouan –habe dem schlafenden Kosaken einen ausgiebigen in das offene Maul gesandt.

Der Markt war zu Ende; alle waren stark angeheitert; man brach zur Heimkehr auf; Fouan und Jesus fuhren auf Buteaus Wagen nach Rognes zurück. Auch Lise, die mit ihrem Manne eine heimliche Unterredung gehabt, war ungemein leutselig mit ihrem Schwiegervater, kein herbes Wort fiel, der alte Mann war noch nie so herzlich behandelt worden.

Jesus aber, den die Fahrt ernüchterte, machte sich seine Gedanken: wenn Buteau plötzlich so freundlich mit dem Alten tat, so mußte er bei dem Einnehmer den Schatz des Vaters entdeckt haben. Aufgepaßt! Er, Jesus, war so anständig gewesen, diesen Schatz zu achten, und sollte jetzt vielleicht zuschauen, wie der Alte wieder zu dem Bruder zurückkehre? So dumm war er nicht. Ganz in Milde und Güte werde er die Sache schlichten, da die Familie jetzt in versöhnlicher Stimmung war.

Als man in Rognes anlangte und der Greis abstieg, waren beide Söhne eifrig um ihn bemüht.

»Papa, stütze dich auf mich!«

»Papa, gib mir die Hand!«

Sie fingen ihn in ihren Armen auf und hoben ihn auf den Boden. Wie er jetzt zwischen den beiden stand, sah er plötzlich klar.

»Was habt ihr denn, daß ihr mich gar so sehr liebt?«

Ihre Blicke erschreckten ihn, ihm wäre lieber gewesen, sie brutal zu sehen und achtungslos wie früher. Verwünschtes Los; was werde er jetzt von ihnen auszustehen haben, wo sie wissen, daß er Geld besitzt. Ganz gebrochen kehrte der alte Mann ins Schloß zurück.

Canon, den man seit zwei Monaten nicht gesehen, war eben da; auf einem Stein sitzend, erwartete er die Rückkehr seines Freundes. Sobald er ihn erblickte, rief er ihm zu:

»Hör' mal! Deine Tochter ist im Lausewald, und ein Mann liegt auf ihr!«

Der Vater barst schier vor Entrüstung. Die Zornesröte färbte ihm das Gesicht.

»Schanddirne, die mich entehrt!« rief er.

Er langte die große Peitsche herab, die hinter der Tür an der Wand hing, und lief den steinigen Abhang hinunter nach dem kleinen Walde. Allein die Gänse behüteten Dreckbatzen wie treue Hunde, wenn sie auf dem Rücken lag. Der Gänserich witterte sogleich den Vater und rückte vor, gefolgt von seiner Truppe. Mit erhobenen Flügeln und gestrecktem Halse ließ er ein andauerndes, schrilles Pfeifen vernehmen, während die Gänse, in Schlachtordnung entwickelt, ebenfalls die Hälse streckten und die großen, gelben Schnäbel aufrissen, bereit zum Beißen. Dreckbatzen war gewarnt und hatte die Flucht ergriffen.

Als Jesus die Peitsche wieder an ihren Platz hängte, schien er von einer tiefen, philosophischen Traurigkeit ergriffen. Die unverbesserliche Ausgelassenheit seiner Tochter stimmte ihn vielleicht mitleidig mit den menschlichen Leidenschaften. Vielleicht auch war ihm der in Cloyes geholte Triumphrausch verflogen. Er schüttelte den ungepflegten weinseligen Christuskopf und sagte zu Canon:

»Weißt du? All das ist nicht einen Furz wert!«

Er hob den Schenkel über die schlafende Landschaft und ließ einen mächtigen, verachtungsvollen fahren, wie um die Erde niederzupracken.


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