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Sechstes Kapitel.

Seit zwei Tagen arbeitete Hans auf den bei Rognes gelegenen Feldern des Herrn Hourdequin. Der Farmer hatte von einem Maschinenbauer von Chateaudun eine Dampfdreschmaschine entliehen, die ihr Besitzer auf den großen Gutshöfen zwischen Bonneval und Cloyes zu vermieten pflegte. Korporal fuhr mit einem zweispännigen Wagen die Garben der nächstliegenden Schober heran und beförderte dann ebenso das Getreide zur Borderie. Um die von morgens bis abends geheizte Maschine tanzte ein gelber Staub im Lichte der Sonne, ein schnaubendes Keuchen tönte unaufhörlich über die Felder.

Hans war krank vor Herzeleid, denn immer noch war sein Mühen, von Franziska ein zweites Stelldichein zu erlangen, vergeblich gewesen. Schon ein Monat war vergangen, seit er sie gerade hier in dem Getreide, das man heute drosch, umarmt, und seitdem wich sie ihm mit scheuer Furchtsamkeit beharrlich aus; er begann zu verzweifeln, daß es ihm jemals gelingen werde, sie wieder an die Brust zu schließen. Sein Verlangen wuchs und ward zu einer Leidenschaft, die sein ganzes Sinnen gefangen hielt. Während er seine Pferde über den Acker leitete, fragte er sich, warum er nicht einfach zu den Buteaus gehen und um ihre Hand anhalte? Es hatte doch zwischen ihm und seinem einstigen Kameraden kein offener und endgültiger Bruch stattgefunden, man begrüßte sich, wo man einander begegnete; nichts anderes als eine Art verlegenen Schuldbewußtseins war's, das ihn abgehalten, die Schwelle des alten Hauses zu betreten. Kaum glaubte Hans, in einer Verheiratung mit Franziska das einzige Mittel zu erkennen, die Geliebte wieder zu besitzen, so wurde in ihm die Überzeugung wach, es sei seine Pflicht, diese Verbindung zu schließen, er handle unehrenhaft, wenn er es nicht tue.

Doch als er am nächsten Tage wieder zu der Dreschmaschine hinauskam, packte ihn Furcht, und er hätte gewiß nicht den Mut gefunden, sein Vorhaben auszuführen, wenn er nicht in der Ferne Buteau und Franziska gesehen, die gemeinschaftlich ihren Äckern zuschritten. Lise mußte allein zu Hause sein; sie war ihm stets freundlich begegnet, ihr wollte er sich anvertrauen. Er übergab seine Rosse eine Weile einem Kameraden und eilte in ihre Wohnung.

»Ihr seid's, Korporal?« rief Lise, die ihr Wochenbett in bestem Wohlbefinden verlassen. »Man sieht Euch nicht mehr. Was gibt's?«

Er entschuldigte sich. Dann brachte er mit der hastigen Überstürzung, die schüchternen Leuten eigen ist, sein Anliegen vor. Er tat's so ungeschickt, daß sie im ersten Augenblick vermuten mußte, er mache ihr selbst eine Liebeserklärung, denn er sprach davon, daß er sie einst geliebt und sie gern zur Frau genommen haben würde. Doch rasch setzte er hinzu:

»Darum möchte ich gerne Franziska heiraten, wenn man sie mir geben wollte.«

Sie blickte ihn so erstaunt an, daß er stotternd fortfuhr:

»Ach, ich weiß wohl, daß es nicht so geht ... Ich dacht' nur mit Euch darüber zu reden.«

»Mein Gott!« entgegnete sie endlich. »Das überrascht mich nur, weil ich des Altersunterschiedes wegen so etwas nicht erwartet hätt' ... Vor allen Dingen müßte man hören, wie Franziska darüber denkt.«

Er war mit dem festen Vorsatze gekommen, alles zu sagen, in der Hoffnung, solch ein unumwundenes Geständnis werde die Heirat als notwendig erscheinen lassen. Doch im letzten Augenblick schloß ihm ein Bedenken den Mund: Wenn Franziska sich ihrer Schwester nicht anvertraut hatte, wenn niemand um die Sache wußte, hatte er dann ein Recht, zuerst davon zu reden? Diese Erwägung gab ihm seine Schüchternheit zurück, ihm fielen seine dreiunddreißig Jahre ein, und er kam sich lächerlich vor.

»Selbstverständlich,« murmelte er, »man muß mit ihr darüber sprechen, man wird sie nicht zwingen.«

Nachdem übrigens Lise ihr erstes Befremden verwunden, schien ihr die Sache durchaus nicht zu mißfallen. Munter blickte sie den Brautwerber an und erwiderte freundlich:

»Es soll nach meiner Schwester Willen geschehen, Hans. Ich teile nicht Buteaus Meinung, der Franziska für zu jung hält; sie geht in ihr achtzehntes Jahr und ist so gesund und kräftig, daß sie ebensogut zwei Männer heiraten könnte, wie einen ... Und dann, wenn man unter Geschwistern sich noch so lieb hat, wissen Sie, jetzt, wo sie herangewachsen ist, möchte ich schon lieber an ihrer Stelle eine Magd nehmen, der ich befehlen kann ... Wenn sie ja sagt, nehmt sie; Ihr seid ein ordentlicher Mensch; die ältesten Hähne sind oft die besten.«

Die Worte, die ihr eben entschlüpft, waren das unfreiwillige Bekenntnis einer langsamen, aber stetig zunehmenden Mißstimmung zwischen den Geschwistern, einer Mißstimmung, die, aus den geringfügigsten Reibungen des täglichen Verkehres entstammend, von Neid und Eifersucht genährt ward, seit ein Mann mit seinem Willen und seinem Begehren im Hause war.

»Wir haben heut gerade Kindstaufe,« fing Lise wieder an, »und die Familie speist bei uns ... Ich lade Euch ein; Ihr könnt Papa Fouan, der Franziskas Vormund ist, Euer Anliegen vortragen, wenn das Mädel einverstanden ist.«

»Abgemacht!« sagte er. »Auf Wiedersehen heute abend.«

In seiner Freude umarmte er sie und drückte ihr auf jede Wange einen Kuß. Danach kehrte Hans eilenden Schrittes wieder zu seinen Pferden zurück und arbeitete froh und guter Dinge bis zum Sonnenuntergang, wobei er lustig seine Peitsche schwang, daß es knallte wie die Büchsenschüsse bei Eröffnung einer Kirchmeß.

Die Taufe von Lises Jüngstem hatte sich etwas verzögert. Zunächst hatte die Mutter darauf bestanden, daß man ihre vollkommene Wiederherstellung abwarte, denn sie wollte an dem Festmahl teilnehmen. Dann aber hatte es Lise aus Eitelkeit durchsetzen wollen, daß Herr und Frau Karl bei ihrem Kinde Pate stehen sollten. Die beiden ließen sich auch herbei zuzusagen; doch war man genötigt, auf Frau Karl zu warten, die nach Chartres gefahren war, um ihrer Tochter ein wenig zu helfen; denn dort fand gerade die Septembermesse statt, und das Haus in der Judengasse war überfüllt mit Besuchern. Im übrigen blieb man ganz in der Familie, wie Lise Hans gesagt, außer dem Paten und der Patin waren nur Fouan, die Große und das Ehepaar Delhomme geladen.

Doch im letzten Augenblick hätte des Abbé Godard gereizte Stimmung den Bewohnern von Rognes gegenüber fast die Taufe noch weiter hinausgeschoben. Der Geistliche hatte sich geduldig darein ergeben, für jede in dem Dorfe zu lesende Messe sechs Kilometer zu marschieren, hatte selbst die nörgelnden Zumutungen dieser nichts weniger als frommen Gemeinde über sich ergehen lassen, solange er gehofft, der Gemeinderat werde sich endlich dazu verstehen, sich den Luxus einer eigenen Pfarrei zu gönnen. Doch ihm riß die Geduld; jedes Jahr verweigerte der Ortsrat von neuem die Ausbesserung des Pfarrhauses, der Schulze Hourdequin erklärte, das Budget sei schon zu sehr belastet, und nur der Schreiber Macqueron nahm, von einem dunklen Ehrgeiz getrieben, die Partei der Geistlichkeit. Der Abbé sah ein, daß er von diesen Leuten nichts zu hoffen habe, darum fing er an, Rognes mit schroffer Härte zu behandeln, und ließ den Bauern nur noch den unumgänglich notwendigen Gottesdienst zuteil werden, jedes Extra an Gebeten, an Kerzen und Weihrauch unterblieb fortan. Die Folge war ein unablässiger Krieg mit den Weibern, ein Krieg, der im Juni bei Gelegenheit der ersten Kommunion den Höhepunkt der Erbitterung erreichte. Fünf Kinder, zwei kleine Mädchen und drei Knaben, waren in den jeden Sonntag nach der Messe stattfindenden Religionsstunden zur Firmung vorbereitet worden. Um sich einen Weg zu ersparen, verlangte der Abbé, daß die Kinder nach Bazoches-le-Doyen zur Beichte kommen sollten. Das gab das Zeichen zur Eröffnung der Feindseligkeiten. Die Frauen erklärten aufgebracht, das werde nicht stattfinden, man dürfe die Kinder nicht einen so weiten Weg sich selbst überlassen, man wisse nicht, was geschehen könne. Furchtbar brach der Sturm los, als der Pfarrer rund heraus verweigerte, in Rognes das Hochamt und was sonst zur Feier der Firmung gehört, zu begehen. Er firme in seinem Sprengel, die Kinder möchten sich dorthin begeben, wenn es ihnen beliebe. Vierzehn Tage lang fanden die Frauen am Brunnen keine Worte, um ihren Zorn auszudrücken: Wie! er taufte, er verheiratete und beerdigte sie hier und weigerte sich, sie ordentlich zu firmen? Der Abbé aber blieb bei seiner Weigerung; er las nur eine stille Messe, machte die ganze Sache in ein paar Minuten ab, keine Blume schmückte den Altar, kein »Oremus« beschloß die Feier. Außer sich über diese weihelose Feier, beschworen ihn die erregten Frauenzimmer mit Tränen in den Augen, er möge wenigstens am Nachmittag die Vesper singen. Er aber versetzte zornig, nicht das geringste bekämen sie, er gebe ihnen, was er ihnen schuldig sei, nicht mehr; sie hätten in Bazoches Hochamt, Vesper, alles mit einem Worte haben können, wenn sie nicht eigensinnig gewesen wären. Seit diesem Vorkommnis schien ein Bruch zwischen dem Priester und der Gemeinde Rognes unvermeidlich, der geringste Anlaß mußte die Katastrophe herbeiführen.

Als Lise den Geistlichen aufsuchte, um die Taufe ihrer Kleinen zu verabreden, wollte er diese auf den Sonntag unmittelbar nach Beendigung der Messe verlegen. Sie aber bat, er möge doch am Dienstagnachmittag um zwei Uhr herüberkommen, denn die Patin werde erst an diesem Tage von Chartres zurückerwartet. Endlich gab er nach, empfahl aber, daß man pünktlich sei, denn er werde nicht eine Sekunde warten.

Pünktlich um zwei Uhr erschien Abbé Godard in der Kirche; er war erschöpft von seinem Marsche, ein plötzlicher Regen hatte ihn durchnäßt. Noch war niemand zugegen. Nur Hilarion räumte beim Eingang der Taufkapelle einen Haufen verwitterter Fliesen fort, die seit undenklicher Zeit dort gelegen. Seit dem Tode seiner Schwester lebte der Trottel auf Kosten der öffentlichen Mildtätigkeit, und der Pfarrer, der ihm zuweilen ein Zwanzigsousstück zusteckte, hatte den Einfall gehabt, ihn diese hundertmal beschlossene und wieder unterlassene Arbeit ausführen zu lassen. Einige Minuten lang schaute er dem Burschen zu. Plötzlich fuhr er auf:

»Ja, wo bleiben sie denn? Es ist schon zehn Minuten über zwei.«

Er schaute zu dem Hause der Buteau hinüber, das stumm wie schlummernd jenseits des Platzes lag; dabei bemerkte er den Feldhüter, der unter der Kirchentür seine Pfeife rauchte.

»Läute 'mal, Bécu,« rief er, »damit die schläfrige Gesellschaft endlich kommt.«

Bécu, betrunken wie immer, hängte sich an den Glockenstrang. Inzwischen zog der Pfarrer sein Chorhemd an. Er hatte schon am Sonntag den Taufakt ins Kirchenbuch eingetragen und gedachte, die Feier allein vorzunehmen ohne Beihilfe seiner Ministranten, denn die gottlosen Burschen entweihten nur die heilige Handlung. Als alles bereit war, riß dem Abbé von neuem die Geduld: wieder waren zehn Minuten verstrichen; verzweifelt bimmelte die Glocke über dem toten Schweigen des ausgestorbenen Dorfes.

»Was treibt denn das Volk? Soll man sie bei den Ohren herbeizerren?«

Endlich sah er die Große aus Buteaus Hause treten; majestätisch wie eine böse, alte Königin, dürr und kerzengrad wie eine Distel, trotz ihrer fünfundachtzig Jahre, kam sie daher. In der Familie hatte eine große Bestürzung Platz gegriffen: alle Eingeladenen waren erschienen, nur die Patin fehlte; seit dem Vormittag erwartete man vergeblich ihre Rückkehr aus Chartres. Verlegen wiederholte Herr Karl unaufhörlich, die Sache befremde ihn aufs höchste, noch am vorigen Abend habe er aus Chartres einen Brief erhalten, vermutlich sei Frau Karl in Cloyes aufgehalten worden; sie müsse jeden Augenblick eintreffen. Lise war sehr besorgt, denn sie wußte, daß der Priester nicht zu warten liebte; darum kam ihr der Gedanke, ihm die Große zu schicken, damit er sich einstweilen gedulde.

»Was gibt's?« rief er ihr entgegen. »Soll heut oder morgen getauft werden?... Bildet ihr euch etwa ein, der liebe Gott habe Zeit auf euch zu warten?«

»Es kommt schon, geistlicher Herr, es kommt schon«, antwortete die alte Frau mit ihrer unerschütterlichen Ruhe.

Hilarion schleppte gerade die letzten Steintrümmer aus der Kirche. Mit den Händen eine mächtige Fliese haltend, ging er vorüber; sein Leib schaukelte auf den krummen Beinen, und doch schien er fest und unerschütterlich, denn er hatte eiserne Muskel. Aus seinem verwachsenen Munde floß ihm der Speichel übers Kinn; kein Tropfen Schweiß feuchtete seine harte Haut.

Den Abbé Godard reizte die Ruhe der Großen noch mehr.

»Sagt mal, Große,« fuhr er sie an, »ist das christlich von Euch, die Ihr so reich seid: Ihr habt nur ein Enkelkind und laßt es betteln gehen?«

Rauh versetzte sie:

»Die Mutter war mir ungehorsam, das Kind ist nicht da für mich.«

»Gut! Ich hab's Euch oft genug gesagt, und ich wiederhole es, Ihr kommt in die Hölle, wenn Ihr ein schlechtes Herz habt ... Neulich wär' der Bursch verhungert, wenn ich ihm nicht geholfen hätte, und heute hab' ich Arbeit erfinden müssen, damit er was erwirbt.«

Beim Worte Hölle hatte die Große gelächelt. Sie wußte es genau, wie sie oftmals sagte, die Hölle ist auf der Erde für die armen Leute. Doch der Anblick des eine so große Last schleppenden Hilarion machte nachdenklich. Sie war überrascht; niemals hatte sie in dem hinkenden Burschen solche Kraft vermutet.

»Wenn er Arbeit sucht,« versetzte sie nach einer Pause, »die kann man für ihn vielleicht finden.«

»Sein Platz ist bei Euch, nehmt ihn, Große!«

»Woll'n seh'n, er soll morgen kommen.«

Hilarion, der verstanden hatte, begann dermaßen zu zittern, daß ihm der Stein aus den Händen glitt. Er hob ihn wieder auf und drückte sich scheu damit auf die Seite, einen erschreckten Blick auf die Großmutter werfend wie ein gezüchtigtes, überwundenes Tier.

Noch eine Weile verstrich. Bécu, der müde geworden zu läuten, hatte seine Pfeife wieder in Brand gesteckt und rauchte in der Sonne. Stumm, mit unerschütterlicher Ruhe stand die Große in der Kirche, als sei mit ihrer Gegenwart allein der dem Geistlichen schuldige Tribut der Höflichkeit geleistet. Der Abbé aber, dessen Verzweiflung immer mehr wuchs, lief jeden Augenblick unter die Kirchentür und warf über den leeren Platz einen flammenden Blick nach Buteaus Haus hinüber.

»So läutet doch, Bécu!« schrie er plötzlich. »Wenn sie in drei Minuten nicht zur Stelle sind, geh' ich!«

Während jetzt die Glocke ein ungestümes Lärmen erhob, so daß die hundertjährigen Raben des Turmes krächzend emporschraken, sah man die Buteaus und ihre Eingeladenen einen nach dem andern aus dem Hause treten und über den Platz schreiten. Lise war ganz fassungslos, denn die Patin ließ sich noch immer nicht blicken. Sie hatte sich entschlossen, sachte die hundert Meter zur Kirche hinüberzugehen, vielleicht kam Frau Karl inzwischen.

»Wollt Ihr mich zum besten haben?« schrie der Abbé sie an. »Seit einer Stunde warte ich ... Vorwärts, beeilt Euch!«

Er schob sie der Taufkapelle zu, die Mutter mit dem Neugeborenen voran, Vater, Großvater Fouan, Onkel Delhomme, Tante Fanny hinterher. Ganz zuletzt schritt Herr Karl, der als Pate in seinem schwarzen Tuchrock ungemein würdig aussah.

»Hochwürdiger Herr,« bat Buteau mit einer übertriebenen Unterwürfigkeit, aus der ein klein wenig Spott klang, »würden Sie die große Güte haben, noch einen Augenblick zu warten?«

»Worauf warten?«

»Auf die Patin, geistlicher Herr.«

Die Zornesröte stieg dem Pfarrer so plötzlich ins Gesicht, als rühre ihn der Schlag. Seiner selbst kaum mächtig, stieß er hervor:

»Nehmt eine andere!«

Alle blickten einander an: Delhomme und Fanny schüttelten das Haupt; Fouan antwortete:

»Das geht nicht an.«

Herr Karl als Mann von guter Erziehung wollte die Sache in höflicher Form erklären:

»Bitte tausendmal um Vergebung, Herr Pfarrer, die Verantwortung dieses Vorfalles trifft mich, ich muß hinzusetzen: ohne mein Verschulden ... Meine Frau hatte mir ausdrücklich geschrieben, daß sie diesen Morgen kommen wolle. Sie ist nämlich in Chartres ...«

Dieses Wort nahm dem Geistlichen den letzten Rest der Selbstbeherrschung.

»In Chartres ... in Chartres ... Ich bedauere es Ihretwegen, Herr Karl, daß Sie so etwas treiben. Aber das kann nicht so weiter fortgehen, nein! Ich dulde es nicht länger ...

Und jetzt brach er los.

»Man weiß nicht mehr, welchen Schimpf man in meiner Person dem lieben Gott antun soll; jedesmal wenn ich nach Rognes komme, ist mir's, als bekäme ich einen Schlag ins Gesicht ... Ich hab' euch oft genug gewarnt; heut geh' ich und komme nicht wieder. Sagt das eurem Schulzen. Wenn ihr einen Pfarrer haben wollt, sucht euch einen und bezahlt ihn ... Ich werde dem Bischof Bericht erstatten, werd' ihm erzählen, wer ihr seid, ich bin gewiß, er wird mein Vorgehen billigen ... Wir wollen schon sehen, wen die Strafe trifft. Man wird euch ohne Priester lassen wie das Vieh ...«

Sie hörten ihm verwundert zu, im Grunde sehr wenig berührt von seinen Worten; sie waren praktische Leute, denen die Furcht vor seinem Gott des Zornes und der Strafe lang verlorengegangen. Warum sich ducken und Verzeihen erbitten? Die Vorstellung des Teufels brachte sie ja nur zum Lachen, und daß Wind, Donner und Hagel in der Hand eines Herrn der Rache lagen, war ein Ammenmärchen, an das sie aufgehört hatten zu glauben. Gescheiter war es, seinen Respekt für die Gendarmen der Regierung aufsparen, das sind die wirklich Stärkeren.

Der Abbé Godard sah, wie Buteau spöttisch dreinblickte, sah das verächtliche Lächeln der Großen und die gleichgültige Kälte, welche die Delhommes und selbst Fouan hinter scheinbarer Unterwürfigkeit verbargen; diese Haltung seiner Gläubigen vollendete den Bruch.

»Ich weiß, eure Kühe haben mehr Religion als ihr ... Lebt wohl! Steckt den Heidenbankert in eine Pfütze, um ihn zu taufen.«

Er lief in die Sakristei, riß sein Chorhemd vom Leibe, stürzte wieder heraus, und rannte so spornstreichs zur Kirche hinaus, daß die verblüffte Taufgemeinde nicht Zeit fand, ein Wort zu erwidern.

Das Ärgste war, daß während der Abbé die neue Straße nach Macquerons Haus zu hinabeilte, auf der Chaussee ein Wagen herankam, in dem Frau Karl und Elodia saßen. Die erstere erzählte, sie habe sich in Chateaudun aufgehalten, von dem Wunsche getrieben, die liebe Kleine zu sehen, die man ihr für zwei Tage mitzunehmen erlaubt. Sie war untröstlich, so spät gekommen zu sein, hatte sie doch nicht einmal den Umweg nach Roseblanche gemacht, um sich ihres Koffers zu entledigen.

»Du mußt dem Pfarrer nachlaufen,« rief Lise ihrem Manne zu, »nur die Hunde tauft man nicht.«

Buteau stürmte jetzt seinerseits den Weg hinab. Doch der Geistliche hatte einen Vorsprung; der Bauer lief über die Brücke, eilte durch den Vorort hinauf; erst oben am Berge bei der Biegung der Landstraße gewahrte er den Abbé.

»Herr Pfarrer! Herr Pfarrer!«

Dieser blieb endlich stehen und wandte sich um.

»Was gibt's?«

»Die Patin ist da ... Sie werden doch nicht die Taufe verweigern?«

Einen Augenblick blieb Godard stehen. Dann begann er mit demselben hastigen Schritte die Talwand wieder hinabzusteigen. Buteau ging voran. So kamen sie wieder zur Kirche zurück, ohne ein Wort weiter gewechselt zu haben. Die heilige Handlung wurde schnellstens erledigt. Das Credo, die Einsegnung, die Taufe, alles ging Hals über Kopf. Schon unterzeichneten die Zeugen im Kirchenbuch.

»Herr Pfarrer,« sagte Frau Karl, »ich habe eine Schachtel Bonbons mitgebracht, doch sie ist im Koffer.«

Er winkte dankend mit der Hand, wiederholte noch einmal: »Und jetzt lebt wohl!« Dann verschwand er.

Die Buteau und ihre Gäste, noch ganz verdutzt von der abgehaspelten Feier, blickten ihm nach, bis seine flatternde Sutane am Ende des Platzes verschwand. Das ganze Dorf war auf den Feldern; nur drei Knaben warteten bei der Kirche auf das übliche Taufbackwerk. In der großen Stille vernahm man aus der Ferne das unaufhörliche Keuchen der Dreschmaschine.

Sobald die Gesellschaft in Buteaus Haus getreten war, vor dessen Tür der Wagen der Frau Karl mit dem Koffer wartete, kam man überein, sich zu trennen um dann abends zum Essen wieder zusammenzukommen. Was hätten sie alle miteinander bis sieben Uhr machen sollen? Bevor man sich trennte, wollte der Hausherr noch ein Glas Wein anbieten.

Als die beiden Liter und Gläser auf dem Tisch der Küche standen, wollte Frau Karl unbedingt, daß man den Koffer ablade, damit sie ihre Geschenke machen könne. Man brachte ihn herein. Sie zog das etwas spät erscheinende Taufkleid und Häubchen daraus hervor und dann sechs Schachteln Bonbons, die sie der Mutter gab.

»Kommen die Bonbons aus der Konditorei der Mama?« fragte Elodia.

Nur eine Sekunde ward Frau Karl verlegen. Dann versetzte sie ruhig:

»Nein, mein Herz, diese Sorte hat deine Mama nicht.«

Und sich an Lise wendend:

»Weißt du, ich habe auch an dich gedacht, ich hab' dir Wäsche mitgebracht ... Es ist nichts so wertvoll in einem Hausstand wie altes Leinenzeug. Meine Tochter hat alle ihre Schränke für mich ausgeräumt ...«

Beim Worte Wäsche waren alle herzugetreten. Franziska, die Große, die Delhommes, selbst Fouan umstanden im Kreise den Koffer und schauten zu, wie jetzt die Patin einen ganzen Ballen alter Fetzen auskramte, ausgebleichtes Hadernwerk, das, trotzdem es gewaschen war, ein durchdringenden Moschusgeruch ausströmte. Da waren zunächst zerrissene Bettücher aus feiner Leinwand; dann eine Menge zerfetzter Frauenhemden, von denen augenscheinlich die Spitzen abgetrennt waren.

Frau Karl entfaltete alles, breitete es aus und erklärte:

»Mein Gott, die Bettücher sind nicht neu, die dienen bald fünf Jahre, und auf die Länge der Zeit macht das Reiben des Körpers das Leinen mürbe. Ihr seht, sie haben alle ein großes Loch in der Mitte, aber die Ränder sind noch recht gut, man kann eine Menge Sachen daraus zuschneiden.

Sie nickten zustimmend bei den Erläuterungen der Frau Karl; besonders die Frauen, die Große und Fanny, deren gespitzte Lippen ihren Neid verrieten, waren ganz bei der Sache. Buteau lächelte mit einer Miene, die verriet, daß sich ihm allerhand zotige Bemerkungen auf die Lippen drängten, die er aus Schicklichkeitsrücksichten verschwieg. Fouan und Delhomme blieben sehr ernst, waren ganz erfüllt von der Achtung, die der Bauer vor dem Linnen hat, dem schätzbarsten Gute nächst Grund und Boden.

»Die Hemden«, fuhr Frau Karl fort, indem sie jetzt diese einzeln vorzeigte, »seht, sind noch gar nicht verbraucht ... Natürlich, Löcher haben sie die Menge; man kann es nicht immer stopfen und ausbessern, es macht dicke Stellen und sieht nicht fein aus; deshalb wirft meine Tochter sie lieber unter das alte Leinenzeug ... Aber du, Lise, kannst sie noch zu allem Möglichen verwenden.«

»Ich werde sie tragen,« rief Lise, »mir macht es nichts, wenn meine Hemden geflickt sind.«

»Und mir,« äußerte Buteau und blinzelte pfiffigen Gesichtes mit den Augen, »mir wär's nicht zuwider, wenn du mir Sacktücher daraus machtest.«

Alle lachten verständnisvoll; die kleine Elodia aber, die jedes Leintuch, jedes Hemd mit den Augen verfolgte, rief:

»O, dieser merkwürdige Geruch! wie stark es duftet ... Ist das alles Mamas Wäsche, Großmutter?«

Ohne Zaudern antwortete Frau Karl:

»Selbstverständlich, mein Herz ... Das heißt, es ist das Linnen ihrer Ladenjungfern. Man braucht viel Weißwäsche im Geschäft!«

Lise brachte mit Franziskas Hilfe alles in ihren Schränken unter; alsdann stieß man miteinander auf das Wohl des Täuflings an, dem die Patin ihren eigenen Namen Laura gegeben. Während die anderen noch ein Weilchen miteinander plauderten, fragte Herr Karl, der sich auf den Koffer gesetzt hatte, seine Frau, wie die Geschäfte in Chartres gingen. Seine Neugier ließ ihn nicht warten, bis sie allein waren; er interessierte sich immer noch lebhaft für dieses einst mit so viel Tatenlust von ihm erneuerte Haus, dessen er sich nie anders wie mit heimlichem Bedauern erinnern konnte. Die Nachrichten waren nicht günstig. Zwar erwies sich ihre Töchter Estelle als umsichtig und führte eine kräftige Faust, doch Vaucogne, der Schwiegersohn, dieser schlaffe Patron unterstützte sie in keiner Weise. Er rauchte den ganzen Tag seine Pfeife und ließ alles verschmutzen und verderben: so zum Beispiel hatten die Vorhänge von Nummer 3 Flecke, der Spiegel des kleinen, runden Salons war gesprungen; überall war an den Wasserkannen und Waschbecken ein Stück ausgebrochen; er bekümmerte sich nicht darum, und doch war der Arm eines Mannes so unentbehrlich, um einer Beschädigung der Einrichtungsgegenstände vorzubeugen! Bei jedem Schaden, den ihm seine Frau aufzählte, seufzte Herr Karl, seine Arme sanken mutlos herab, er ward blaß und gebrochen. Doch ein Letztes, das sie ihm mit leiser Stimme zugeflüstert, brachte ihn vollends aus seiner Fassung:

»Und denk' dir, er geht mit der Dicken aus Nummer 5 aufs Zimmer!«

»Was sagst du da?«

»Ich kann's verbürgen, ich hab's gesehen.«

Herr Karl erbebte, ballte die Fäuste und rief in fabelhafter Entrüstung:

»Der Elende, sein eigenes Personal abnützen, sein Haus systematisch zugrunde richten! ... Das ist stark!«

Mit einem Pst! gebot ihm Frau Karl Schweigen, denn Elodia kam vom Hofe herein, wo sie sich die Hühner angeschaut. Man trank noch einen Liter; der Koffer wurde auf den Wagen geladen und nach Roseblanche gefahren; das Ehepaar Karl schritt hinterdrein. Auch die anderen gingen, eine Weile daheim Nachschau halten, bis die Essenszeit heranrücken werde.

Sobald Buteau allein war, zog er, unzufrieden mit diesem verlorenen Nachmittag, sein Wams aus und begann, in dem gepflasterten Winkel des Hofes zu dreschen, denn er brauchte für den nächsten Tag einen Sack Getreide. Doch es langweilte ihn bald, allein zu dreschen; es fehlte ihm der ermunternde Einfall von zwei im Takt schlagenden Flegeln bei der Arbeit. Er rief Franziska, die ihm oft hierbei half; denn ihre Lenden waren stark, und die Muskel ihrer Arme konnten es mit einem Manne aufnehmen. Trotz der Langwierigkeit dieser einfachen Dreschart und ungeachtet der Mühe, welche sie verursachte, hatte Buteau sich nie entschließen können, ein Göpelwerk zu kaufen; wie alle kleinen Grundeigentümer zog er vor, sein Korn von einem Tag zum andern nach Bedarf zu dreschen.

»He! Franziska, kommst du?«

Lise, die gerade ein Kalbsragout mit gelben Rüben bereitete, wollte Franziska, die auf einen am Spieß röstenden Schweinebraten achtgab, verhindern, dem Rufe Folge zu leisten; aber Buteau schrie schlecht gelaunt:

»Verwünschtes Weibervolk, ich schlag' euch eure Schüsseln um den Schädel, wenn ihr nicht folgt ... Das hat nichts wie's Essen im Kopf!«

Franziska, die, um sich nicht zu beflecken, bereits ihr Kleid ausgezogen hatte und in einem Unterrock, dessen sie sich zur Hausarbeit bediente, am Herde stand, mußte ihm gehorchen. Sie kam in den Hof heraus und nahm den Flegel mit einem langen, glatten Griff, der von einem Bindfaden umschnürt war, damit er nicht aus der Hand gleite, und daran an ledernem Riemen der wuchtige Schläger aus Kornelholz hing. Mit beiden Händen schwang sie den ihren über ihrem Kopfe; dann sauste der Schläger herab und fiel mit kurzem Prall in seiner ganzen Länge auf die Roggengarbe. Sie aber schwenkte von neuem den Flegel hoch in die Luft, drehte ihn wie in einem Gewinde und ließ ihn fallen mit mechanischem, gleichmäßigem Auf und Nieder; gleich einem Schmiede. Buteau ihr gegenüber tat dasselbe im Gegenschlag. Bald darauf wurden sie warm, der Schlag ward lebendiger; man sah nichts mehr als diese fliegenden Holzarme, die vom Boden abprallten, sich hinter den Köpfen der beiden um sich selbst drehten, dem Aufflattern an den Füßen gebundener Vögel vergleichbar.

Nach zehn Minuten ließ Buteau einen kurzen Ruf hören, die Dreschflegel hielten in ihrem Fluge inne, er wandte die Garbe. Von neuem kreisten die polternden Hölzer. Nach wiederum zehn Minuten kommandierte er eine zweite Pause, jetzt öffnete er die Garbe. Sechsmal mußte dies wiederholt werden, bis alle Körner sich aus den Ähren gelöst hatten und das Stroh gebunden werden konnte. Eine Garbe nach der andern ward vorgenommen. Zwei Stunden lang vernahm man im Hause nichts wie das regelmäßige Tok-Tok der Dreschflegel, und das langgezogene Schnaufen der Dampfmaschine draußen auf dem Felde tönte dazwischen.

Die Backen Franziskas waren jetzt blutrot, die Handgelenke schwollen, ihr ganzer Leib glühte und umgab ihre Person mit einem heißen Flimmern. Ihr offener Mund stieß ein keuchendes Atmen hervor. Strohhalme hingen an den fliegenden Zöpfen ihres Haares. Jedesmal, wenn sie den Flegel hob, zeichnete sich ihr rechtes Knie in dem Röckchen ab, Hüfte und Brust strafften sich unter dem dünnen Gewand, die junge, kräftige Gestalt malte sich wie unbekleidet in diesem Umriß. Ein Knopf des Leibchens sprang ab; Buteau erblickte unter dem sonnenverbrannten Halse ein Stück weiße Brust, das die schwingenden Arme, die spannenden Muskel der Schulter wogend schwellten. Ihn erhitzte dieser Anblick noch mehr als die Nachhilfe eines guten Weibchens, das kräftig am Werke ist; hastig sausten die Schläger, hüpfend sprangen die Körner empor und regneten wie Hagel unter dem keuchenden Tok-Tok des dreschenden Paares.

Um dreiviertel auf Sieben, als es zu dämmern begann, kamen Fouan und das Ehepaar Delhomme.

»Wir müssen es fertig machen«, schrie ihnen Buteau zu, ohne sich zu unterbrechen ... Drauf los, Franziska!«

Auch sie ließ nicht nach, klopfte immer heftiger, hingerissen von dem hurtigen Lärm der Arbeit. So fand sie Hans, der die Erlaubnis erhalten, auswärts zu essen, und der jetzt in den Hof trat. Ihn überkam eine plötzliche Eifersucht, er stierte sie an, als habe er sie bei einer Umarmung überrascht. In der Tat war es, wie die beiden so hingebend bei dieser heißen Arbeit schwitzten, halb entblößt, im Takte klopfend, als seien sie im Zuge, miteinander ein Kind zu machen. Franziska, die so ganz bei der Sache gewesen, mochte eine ähnliche Empfindung haben, denn sie hielt plötzlich verlegen inne. Buteau blickte sich starr vor Überraschung und Zorn um.

»Was willst du hier?«

Doch Lise, die gerade Fouan und die Delhommes begrüßt, trat mit ihnen gemeinschaftlich auf den Hof und rief mit ihrer muntern Stimme:

»Ach, das ist wahr, ich hab' es dir nicht erzählt: ich traf ihn heute morgen und hab' ihn zum Essen eingeladen.«

Das erhitzte Gesicht ihres Gatten bekam einen so wilden Ausdruck, daß sie, wie sich entschuldigend, fortfuhr:

»Ich glaub', Papa Fouan, er will Ihnen eine Bitte vortragen.

»Welche Bitte?« fragte der Alte.

Hans ward ungemein verlegen, daß die Sache so plötzlich hier vor allen zur Sprache gekommen, er errötete und fing an zu stottern. Übrigens fiel ihm Buteau, den ein lächelnder Blick, welchen seine Frau auf Franziska geworfen, hinreichend aufgeklärt, ins Wort:

»Bist du nicht bei Trost! Die ist nicht für dich, du Dummkopf!«

Dieser unhöfliche Empfang gab Hans seinen Mut zurück, er drehte sich zum Alten herum:

»Die Sache ist die, Papa Fouan ... Da Sie der Vormund der Franziska sind, muß ich mich an Sie wenden, nicht wahr, wenn ich sie haben will? ... Wenn sie mich möchte, wollt' ich sie nämlich heiraten.«

Franziska ließ vor Schreck den Dreschflegel, den sie immer noch in der Hand gehalten, auf die Erde gleiten. Zwar hätte sie wohl auf die Sache gefaßt sein müssen, doch war es ihr nicht in den Sinn gekommen, daß Hans so bald und so ohne weiteres um ihre Hand anhalten könne. Warum hatte er nicht zuerst mit ihr gesprochen? Es brach so unvermutet über sie herein, sie erbebte und vermochte sich keine Rechenschaft abzulegen, ob es Hoffnung oder Furcht war, die sie durchschauerte. Noch fiebernd von der Arbeit, stand sie mit halboffenem Mieder, mit wogendem Busen zwischen den beiden Männern, welche die Gluthitze ihres Leibes bis zu sich hinandampfen fühlten.

Buteau ließ dem Familienhaupte keine Zeit zu antworten. Mit wachsendem Jähzorn rief er:

»Deine Frechheit ist einzig ... Ein Alter von dreiunddreißig Jahren, der ein Mädel von achtzehn zur Frau will! Nur die Kleinigkeit von fünfzehn Jahren Unterschied! Das ist ekelhaft, meiner Seele! Troll' dich weiter, alter Esel!«

Jetzt verlor auch Hans seine Ruhe.

»Was schert's dich, wenn ich sie mag und sie mich?«

Er wandte sich zu Franziska herum, damit sie ihre Meinung ausspreche. Sie aber war noch ganz verstört; steif und starr stand sie da, als verstehe sie nicht, was man von ihr wolle. Sie konnte nicht nein sagen, und doch sagte sie nicht ja. Buteau aber schaute sie mit einem so furchtbaren Blick an, als wolle er ihr das Ja gewaltsam in der Kehle festhalten. Wenn sie sich verheiratete, verlor er sie und verlor gleichzeitig den Acker. Der plötzliche Gedanke an diese Folge brachte seine Wut aufs äußerste.

»Ich bitte dich, Vater, ich bitt' Euch, Delhomme, empört Euch nicht der Gedanke, das Kind diesem alten Lumpen zu geben, der nicht 'mal aus unserer Gegend ist, der, weiß Gott woher kommt, und sich in der halben Welt herumgetrieben? ... Ein abgedankter Tischler, der Bauer geworden, weil er sicher irgendeine unsaubere Geschichte verheimlichen will.

All sein Haß gegen den Arbeiter in den Städten machte sich in diesen Worten Luft.

»Was liegt an allem, wenn ich sie mag und sie mich?« wiederholte Hans, sich bemeisternd. Er hatte sich vorgenommen, ihr rücksichtsvoll zu überlassen, daß sie zuerst von ihrem beiderseitigen Verhältnis rede ... Also, Franziska, sprich!«

»Aber es ist wahr!« fiel Lise ein, von dem Wunsche beseelt, ihre Schwester zu verheiraten, um sich ihrer zu entledigen. »Was hast du einzuwenden, wenn sie einander recht sind? Sie braucht deine Zustimmung nicht; sie könnte dir merkwürdig übers Maul fahren ... Geh, langweil uns nicht!«

Buteau sah ein, daß die Sache nicht mehr zu hintertreiben sei, sobald Franziska sich ausgesprochen. Was er vor allem befürchtete, war, daß durch das Bekanntgeben des zwischen beiden bestehenden Verhältnisses die Heirat als geboten erscheine. Er sah die Große in den Hof treten und dicht dahinter Herrn und Frau Karl mit Elodia. Er winkte sie heran, ohne noch zu wissen, was er sagen wolle. Plötzlich hatte er's gefunden; mit aufgedunsenem Gesicht, mit geballten Fäusten maß er seine Frau und Schwägerin und schrie:

»Verwünschte Vetteln! ... Jawohl, Vetteln, eine wie die andere! ... Wollt ihr's wissen? ich schlafe mit allen beiden, darum sind sie so keck! ... Mit beiden, sag' ich euch! Und wenn die eine genug hat, kommt die andere dran bis zum Überdruß!«

Das Ehepaar Karl war wie versteinert, als ihm diese Worte so jählings ins Gesicht geworfen wurden. Dann aber stürzte sich Frau Karl auf Elodia, als wolle sie diese mit ihrem Körper decken; das Mädchen nach dem Gemüsegarten schiebend, erhob sie ebenfalls sehr laut die Stimme und rief:

»Komm, den Salat anschauen und den Kohl ... Oh, sieh! dieser schöne Kohl!«

Buteau aber fuhr fort, erdichtete allerhand Einzelheiten und gab die haarsträubendsten Dinge in den gemeinsten Ausdrücken zum besten. Lise verstand nicht recht seinen Zorn; sie zuckte die Achseln und sagte:

»Er ist verrückt, so was ist ja unmöglich! Er ist verrückt!«

»Sag ihm doch, daß er lügt«, rief Hans der Geliebten zu.

»Natürlich lügt er«, versetzte das junge Mädchen gelassen.

»So, ich lüge, ich lüge?« gab Buteau zurück. »Ist es vielleicht auch nicht wahr, daß du bei der Ernte im Schober mir keine Ruh' gegeben? Ist das auch eine Lüge? ... Wir wollen 'mal sehen, ob ich euch nichtsnutziges Weibsvolk kirre machen werd'?«

Diese fabelhafte Keckheit lähmte und betäubte Hans. Konnte er jetzt sagen, daß er Franziska besessen? Es schien schändlich, zumal wenn sie selbst ihm nicht zu Hilfe kam. Die anderen, Delhomme, Fouan, die Große hielten sich zurück. Sie taten keineswegs erstaunt und schienen zu denken, daß, wenn Buteau beide Schwestern besaß, er wohl über sie nach Gutdünken bestimmen dürfe. Wenn man ein Recht hat, macht man es geltend.

Buteau aber triumphierte und fühlte sich als siegreicher Herr des Platzes. Er wandte sich an Korporal:

»Und du, Schuft, laß dir nicht einfallen, noch 'mal den Fuß über meine Schwelle zu setzen ... Pack dich fort! Auf der Stelle hinaus mit dir! ... Du willst nicht? ... Wart!«

Er ergriff seinen Dreschflegel und schwang ihn über seinem Haupte. Hans hatte kaum Zeit, Franziskas Flegel zu ergreifen, um sich damit zu verteidigen. Die anderen schrien und wollten sich zwischen sie werfen; doch die beiden waren so furchtbar anzuschauen, daß alles zurückwich. Die ein paar Meter weit greifenden Schläger fegten im Umsehen den Hof rein, es blieben nur die beiden Kämpfenden auf dem leeren Platze.

Niemand gab mehr einen Ton von sich, aller Augen blickten auf die Feinde. Man vernahm nichts wie das kurze Knacken des Holzes bei jedem Schlage.

Buteau hatte den ersten Schlag geführt, und Hans, der noch im Begriff gewesen, seine Waffe vom Boden aufzunehmen, hätte es den Schädel zerschmettert, wäre er nicht hurtig zurückgesprungen.

Sofort hob auch er das wuchtige Holz mit jäh sich spannenden Muskeln und ließ es hinabsausen. Doch schon hieb der andere zum zweitenmal; die beiden Schläger begegneten sich, prallten aneinander ab und schlenkerten wild hin und her, dem erschreckten Flattern verwundeter Vögel vergleichbar.

Dreimal wiederholte sich dieses Manöver; man sah nur noch die an ihren Lederriemen sich schwingenden Keulen sausend die Luft teilen; jeden Augenblick schien es, mußte ein tödlicher Streich dem Kampfe ein Ende machen.

Delhomme und Fouan stürzten hinzu, um ein Unglück zu verhüten.

Da plötzlich stießen die Frauen einen Schrei aus. Hans war ins Stroh gestürzt, verräterisch von Buteau mit einem am Boden hinschleifenden Hiebe am Beine getroffen. Ohne seinen Flegel aus der Hand zu lassen, sprang er empor und schwang ihn, von Schmerz zu namenloser Wut aufgerüttelt. Der Schläger beschrieb einen großen Kreis und fiel nach rechts, während ihn Buteau links erwartete. Eine Linie weiter und der Kopf wäre gespalten gewesen; er traf nur das Ohr, glitt ab und prallte auf den Arm. Man vernahm ein Geräusch, wie wenn Glas zersplittert; der Knochen war gebrochen. Die Hand fiel hinab und ließ den Flegel, welchen sie hielt, entgleiten.

»Der Mörder!« heulte Buteau, »er hat mich getötet!«

Hans stand mit wildem, blutgetränktem Blick da und schaute sie alle der Reihe nach an, verblüfft von dem, was sich hier so blitzschnell zugetragen. Er warf seinen Dreschflegel fort und verließ, in namenloser Verzweiflung hinkend, den Hof ...

Als er bei der Ecke des Hauses auf die Ebene hinaustrat, begegnete er Dreckbatzen, die über die Hecke hinüber dem Zweikampf zugeschaut hatte. Sie war hier herumgestrichen aus Anlaß der Kindtaufe, zu der weder ihr Vater noch sie geladen worden.

Was wird Jesus für eine Freude haben, wenn sie ihm von dem kleinen Familienfest erzählt und von der zerbrochenen Pfote seines Bruders. Sie wand sich vor Lachen, solch einen riesigen Spaß machte ihr die Sache.

»O, Korporal, was für eine famose Balgerei war das! Krack hat's gemacht, und der Knochen war hin! Zum Totlachen!«

Er antwortete nicht; zögernden Schrittes schleppte er sich bekümmert übers Feld. Das Mädchen pfiff ihre Gänse heran, die sie dort gehütet hatte, um einen Vorwand zu haben, sich hinter den Mauern herumzutreiben und zu spionieren.

Hans kehrte mechanisch zu der Dampfmaschine zurück, die im dunkelnden Abend immer noch arbeitete. Er dachte darüber nach, daß alles vorüber sei, daß er niemals zu den Buteau zurückkehren könne, daß man ihm nimmermehr Franziska geben werde.

Welch ein Unglück! Kaum zehn Minuten hatte es gedauert; ein Streit, den er nicht gesucht, ein so unseliger Zufall, gerade im Augenblick, wo er seinem Ziele so nah geschienen! Nie, nie wieder! Das Keuchen der Maschine stöhnte wie Wehklagen durch die Dämmerung.

Am Kreuzpunkt zweier Wege hatte er eine Begegnung. Die Gänse von Dreckbatzen stießen dort auf die Gänse des Papa Saucisse, die allein ins Dorf zurückkehrten. Die beiden an der Spitze ihrer Herde stelzenden Gänseriche blieben stehen, stellten sich auf ein Bein und kehrten ihre gelben Schnäbel einander zu; und die Gänse jeder Bande streckten alle dasselbe Bein wie er. Einen Moment blieb alles unbeweglich gleich zwei Patrouillen, die das Losungswort wechseln. Jetzt warfen die runden Augen der Gänseriche einen zufriedenen Blick; dann setzte der eine seinen Weg geradeaus fort; der andere bog nach links, und jeder Trupp folgte mit gleichmäßig watschelndem Gang seinem Häuptling.


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