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Es war wieder die Zeit der Heuernte. Ein leichter Wind wehte erfrischend unter dem blauen, heißglühenden Himmel. Die Hochzeit war auf den Johannistag festgesetzt worden, der auf einen Sonnabend fiel.
Die Fouans hatten Buteau eindringlich anempfohlen, die Einladungen bei der Großen, dem ältesten Mitgliede der Familie zu beginnen; der reichen und gefürchteten Frau war man diese Auszeichnung schuldig. So also machten Lise und ihr Zukünftiger sich eines Abends sonntäglich geputzt auf den Weg, um die Alte zu bitten, sie möge der Trauung beiwohnen sowie dem Hochzeitsmahle, das im Hause der Braut stattfinden sollte.
Die Große strickte in der Küche. Ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, sah sie die beiden scharf an und ließ sie ihr Anliegen vorbringen, zweimal dieselben Redewendungen wiederholen; endlich versetzte sie mit ihrer scharfen Stimme:
»Zur Hochzeit? Nein! Nein! ... Was soll ich auf einer Hochzeit machen? Das ist etwas für das junge Volk.«
Sie hatten gesehen, wie sich ihr Gesicht gerötet bei dem Gedanken an den Schmaus, der sie nichts koste. Buteau und Lise waren sicher, daß sie die Einladung annehmen werde; doch der Brauch wollte, daß man lange bitten mußte.
»Tante, welch Gedanke! Ohne Euch wäre ja das Fest gar nicht möglich!«
»Nein, nein! Es ist nichts für mich. Hab' ich was zum Anziehen? So was kostet immer Geld. Nein, man kann ganz gut leben ohne solche Sachen.«
Sie mußten zehnmal ihre Bitte wiederholen. Endlich bequemte sich die Alte, mißmutigen Tones zu entgegnen:
»Gut; wenn man mich zwingt, muß ich am Ende gehen. Aber wäret ihr es nicht, wahrhaftig, ich ließ mich nicht aus meiner Ruhe stören.«
Die Große sah, daß das Paar sich nach diesen Worten noch nicht zum Aufbruche entschloß. Sie kämpfte mit sich selbst; denn der Brauch verlangte, daß man bei solcher Gelegenheit ein Glas Wein anbiete. Endlich entschloß sich die alte Frau und ging in ihren Keller hinab, obwohl eine angegossene Flasche im Küchenschranke stand. Sie hatte nämlich für derlei Fälle einen Rest verdorbenen Weines, den sie selbst nicht zu trinken vermochte, denn er war essigsauer; sie nannte ihn Familienwein. Die Große füllte zwei Gläser, und als die Brautleute sie an die Lippen gesetzt, begann sie die beiden so starr anzublicken, daß sie, ohne mit den Wimpern zu zucken, austranken, um das Familienhaupt nicht zu verletzen. Mit brennenden Kehlen verließen Lise und Buteau das Haus.
Am selben Abend begab sich das Paar nach der Villa Roseblanche zu Herrn Karl. Dort aber fielen sie mitten in ein tragisches Ereignis.
Herr Karl stand ungemein erregt in seinem Garten. Es mußte ihm etwas Außergewöhnliches zugestoßen sein, als er gerade im Begriffe gewesen, an seinen Kletterrosen zu arbeiten, denn er hielt noch die Gartenschere in der Hand, und die Leiter lehnte an der Mauer. Er beherrschte sich beim Anblicke der Verwandten und nötigte sie, in den Salon zu treten, wo Elodia fleißig und sittsam am Stickrahmen saß.
»Ihr verheiratet euch in acht Tagen? Das ist sehr hübsch, Kinder. Aber wir können nicht teilnehmen, Frau Karl ist in Chartres und wird dort zwei Wochen zubringen.«
Er hob seine schweren Lider, warf einen Blick zu seiner Enkelin hinüber und fuhr fort:
»Ja, wenn viel zu tun ist zur Zeit der großen Märkte, pflegt Frau Karl ihrer Tochter etwas zur Hand zu gehen ... Ihr wißt, das Geschäft stellt seine gebieterischen Anforderungen; da muß man sich rühren, besonders an Tagen, wo der Laden gesteckt voll ist. Estelle mag sich noch so gut eingearbeitet haben, ihre Mutter ist ihr doch unendlich viel nützlich um so mehr, als unser Schwiegersohn Vaucogne wirklich nicht viel leistet. Und dann sieht Frau Karl gerne von Zeit zu Zeit ihr Haus wieder. Ich bitte euch, wir haben dort dreißig Jahre unseres Lebens gelassen, das ist doch etwas!«
Er wurde gerührt; seine Augen feuchteten sich, blickten verschleiert ins Leere und schauten in die Vergangenheit zurück. Es verhielt sich, wie er gesagt. In ihrem weichen und warmen Rentnersitz, inmitten der Blumen und Vögel empfand seine Frau zuweilen ein unbezwingliches Heimweh nach dem kleinen Häuschen der Judengasse. Wenn sie die Augen schloß, sah sie das alte Chartres wieder mit seinem sanft abdachenden Häusermeere von dem Platze der Kathedrale bis hinab ans Ufer der Eure. Sie schlüpfte im Geiste durch die Elstergasse, dann durch die Straße Porte-Cendreuse und die Stallmeistergasse, stieg die Treppe des Pied-Plat-Hügels hinab und erblickte auf der letzten Stufe ihr einstiges Heim. An der Ecke der Juden- und Karpfengasse lag es heimlich und traut mit seiner weißen Vorderseite und den stets geschlossenen grünen Rolläden. Es waren zwei elende Straßen, die das Häuschen begrenzten; dreißig Jahre lang hatten die erbärmlichsten Hütten ihre Nachbarschaft gebildet, von verkommenem, schmutzigem Volke bewohnt, und die große Gosse inmitten des Pflasters wälzte ein schwarzes Wasser an ihrer Tür vorüber. Doch wochen-, monatelang überschritt sie nicht ihre Schwelle, sondern lebte glücklich in ihrem schattigen Winkel. Noch heute gedachte sie mit Genugtuung der Sofas und Spiegel des Salons, der schönen Betten und Mahagonimöbel, all dieses strengen und doch wohligen Luxus, der ihr Werk war und dem sie ihr Vermögen verdankte. Gewisse lauschige Plätze weckten wehmütige Erinnerungen in ihrer Seele; der Geruch der Toilettewasser, dieser eigene Geruch des ganzen Hauses, der noch heute ihrer Person anhaftete, zog sie mächtig an. Wenn die Zeit heranrückte, wo das Geschäft am stärksten ging, litt es sie deshalb nicht länger in ihrem Landhause; frohen Mutes und förmlich verjüngt machte sie sich auf den Weg, nachdem ihre Enkelin ihr zwei herzliche Küsse gegeben, die sie der Mama im Konditorladen zu überbringen versprach.
»Das ist ärgerlich, das ist ärgerlich!« rief Buteau, sehr verstimmt bei dem Gedanken, daß er das Ehepaar Karl nicht auf seiner Hochzeit haben werde. »Wenn vielleicht die Base unserer Tante schriebe, daß sie zurückkommt?«
Elodia, die in das fünfzehnte Jahr ging, hob ihr schwammiges, bleiches Gesicht mit dem spärlichen Haar, mit dem kranken, armen Blute in den Wangen, das die scharfe Landluft nicht zu vertragen schien.
»Nein,« murmelte sie, »Großmama hat mir ausdrücklich gesagt, daß sie zwei Wochen mit den Bonbons zu tun hat. Sie hat versprochen, mir eine Tüte mitzubringen, wenn ich artig bin.«
Es war dies eine fromme Lüge; man brachte ihr von jeder Reise Zuckersachen heim, die sie von den Eltern hergestellt glaubte.
»So kommen wenigstens Sie, lieber Onkel,« bat Lise. »kommen Sie mit der Kleinen.«
Aber Herr Karl schenkte ihr keine Aufmerksamkeit. Die vorige Erregung war wieder seiner Herr geworden; er trat ans Fenster und schien jemand aufzulauern; dabei drängte er gewaltsam eine zornige Aufwallung in sich zurück, die sich Luft machen wollte. Schließlich vermochte er es nicht über sich zu gewinnen zu schweigen; er schickte die Kleine aus dem Zimmer.
»Geh spielen, liebes Kind!«
Elodia war gewohnt entfernt zu werden, wenn die großen Leute plauderten; sie ging. Er aber pflanzte sich mitten im Salon auf, warf sich in die Brust und kreuzte die Arme; und sein würdiges, feistes und gelbes Gesicht, das an einen pensionierten Staatsbeamten erinnerte, zitterte vor Entrüstung, als er anhub:
»Wollt ihr es glauben? Hat man jemals so etwas Empörendes erlebt?! ... Ich beschnitt meine Rosen ... Ich steige auf die Leiter, klettere bis zur letzten Sprosse, blicke mechanisch, nichts Böses ahnend, über die Mauer, und was muß ich sehen? Was muß ich sehen? ... Honorine, denkt Euch, unsere Magd Honorine, liegt da mit einem Manne im hellen Tageslicht, und ... oh, dieser Frevel, dieser schamlose Frevel, dicht bei meiner Gartenmauer!«
Ihm versagte die Sprache; er durchmaß das Zimmer und breitete die Arme aus.
»Ich erwarte sie, um sie hinauszuwerfen, diese verkommene Dirne! ... Nicht eine können wir behalten; man verführt sie uns alle ... Nach sechs Monaten gehen sie mit ihren Bäuchen herum, daß es eine Schande ist ... In einem ehrenwerten Hause, ich bitte euch! ... Und diese muß ich mit meinen eigenen Augen überraschen! Nein, das ist der Untergang der Welt; die Ausschweifung kennt keine Grenzen mehr!«
Buteau und Lise stimmten ihm achtungsvoll bei.
»Allerdings, das ist nicht anständig. Gewiß, das ist nicht anständig.«
Er blieb von neuem vor ihnen stehen.
»Stellt euch nur vor, daß Elodia auf die Leiter gestiegen wäre und diese Entdeckung gemacht hätte, stellt euch das vor! Sie, dieses unschuldige Geschöpf, die nicht das geringste weiß, deren Gedanken selbst wir peinlich überwachen! Ach, das bringt mich außer mir, mein Ehrenwort! ... Wie hätte sich Frau Karl aufgeregt, wäre sie hier gewesen! ...«
Gerade in diesem Moment bemerkte er durch das Fenster, wie das Kind neugierig auf die Leiter zu klettern begann. Er stürzte zur Tür, riß den Flügel auf und schrie mit angsterstickter Stimme, als stehe die Kleine am Rande eines Abgrundes:
»Elodia! Elodia! Steig herunter! Um alles in der Welt, mein Kind, geh fort von der Mauer!«
Erschöpft sank er in einen Sessel und fuhr fort, über die Entartung der Dienstmädchen zu klagen. Hatte er nicht sogar einmal eine überrascht, als sie in der Küche der Kleinen gezeigt, wie der Steiß der Hühner beschaffen sei! Als ob er nicht genug zu wachen habe, damit dem Auge der Kleinen das anstößige Benehmen der Bauern und die Schamlosigkeit der Haustiere verborgen bleibe! Nein, wahrhaftig, ihm sinke der Mut, wenn sein eigenes Heim eine Wohnstätte der Unsittlichkeit werde.
»Da kommt sie«, unterbrach er sich plötzlich. »Jetzt sollt ihr mal sehen!«
Er empfing Honorine sitzend mit strenger Miene, aber voll Würde und sich gewaltsam beherrschend.
»Packen Sie Ihre Sachen und verlassen Sie auf der Stelle mein Haus. Ihre acht Tage werde ich Ihnen bezahlen.«
Die Magd, ein mageres, unansehnliches Ding, stand armselig und verschämt vor dem harten Manne und versuchte stotternd sich zu entschuldigen.
»Umsonst! Alles, was ich tun kann, ist, daß ich Sie nicht wegen Sitten vergebens der Polizei überliefere.«
Bei diesen Worten aber empörte sich das Mädchen und entgegnete keck:
»Ach so! Wohl weil ich vergessen hab', die Halbscheid zu zahlen?!«
Er erhob sich, stand hoch aufgerichtet vor ihr da und deutete mit majestätischer Gebärde stumm nach der Tür. Als sie verschwunden war, machte er sich Luft.
»Diese Dirne! Diese Dirne, die mein Haus besudelt!«
»Ja, das ist eine! Eine wirkliche!« bestätigten Lise und Buteau gefällig.
Der letztere setzte hinzu:
»Nicht wahr, es bleibt dabei, Onkel, Sie kommen mit der Kleinen?«
Herr Karl war noch sehr aufgeregt. Er trat vor den Spiegel; nachdem ihn ein flüchtiger Blick darüber beruhigt, daß ihm die Erregung nicht geschadet, antwortete er:
»Wohin? Ach ja, zu eurer Trauung ... Ihr tut wohl daran, euch zu verheiraten ... Zählt auf mich, ich werde erscheinen; aber ich verspreche euch nicht, Elodia mitzubringen, weil ... Ihr wißt, auf einer Hochzeit werden oft Sachen gesprochen ... Gelt, hab' ich die liederliche Person vor die Tür gesetzt! Oh, ich laß mir nicht von dem Weibervolk auf der Nase spielen! ... Auf Wiedersehen; rechnet auf mich.«
Das Ehepaar Delhomme, zu dem sich Buteau und Lise zunächst begaben, nahm nach dem gebräuchlichen Ausschlagen und wiederholten Bitten die Einladung an. Es blieb von den Verwandten nur noch Jesus übrig. Dieser aber machte sich wirklich unmöglich; er verfeindete sich mit allen und warf durch seinen Lebenswandel ein höchst ungünstiges Licht auf die ganze Familie. Darum kamen die Brautleute überein, ihn auszuschließen, obwohl sie sich nicht der Furcht erwehren konnten, er möchte ihnen dies durch irgendeine Bosheit entgelten.
Diese so lange aufgeschobene Hochzeit war ein Ereignis für Rognes. Selbst Hourdequin, der Schulze, sicherte sein Erscheinen in der Kirche zu. Doch als man ihn bat, auch dem Hochzeitsmahle beizuwohnen, mußte er ablehnen, denn er war genötigt, eines Prozesses wegen in Chartres zu übernachten; hingegen versprach er, daß Frau Jacqueline, die ebenfalls gebeten worden, erscheinen werde. Einen Augenblick dachte das Paar daran, zur Verherrlichung des Festschmauses auch den Abbé Godard einzuladen. Kaum aber vernahm der heißblütige Pfarrer, daß man die Trauung auf den Johannistag angesetzt habe, so wurde er grob. Er hatte ein Hochamt in Bazoches-le-Doyen; wie sollte er am Vormittag in Rognes trauen? Lise, Rose und Franziska bestanden auf dem von ihnen gewählten Tag, ohne indessen von dem Festmahle zu sprechen. Er gab endlich nach und fand sich zur Mittagstunde ein; aber er werkelte die Zeremonie in so zorngepeitschter Hast ab, daß alle Beteiligten sich aufs tiefste verletzt fühlten.
Übrigens kam man in Ansehung der Lage der Braut mit ihrem bald dreijährigen Kinde nach manchem Hin- und Widerreden schließlich überein, das Mahl nur auf den engen Familienkreis zu beschränken. Nur um zu zeigen, daß man verstehe, bei Gelegenheit etwas draufgehen zu lassen, wurden beim Zuckerbäcker in Cloyes eine Fleischpastete und der Nachtisch bestellt. In letzterem besonders leistete man sich etwas: wie bei der Hochzeit der ältesten Tochter Bordiers, des reichen Besitzers von Mailleville, gab es eine riesenhafte Torte, zwei Cremekuchen, vier Schalen mit Zuckersachen und eine Menge kleines Backwerk. Hierzu bereiteten Lise und Franziska eine Bouillon, Schlackwurst, vier gesottene Hühner, vier Kaninchen als Ragout, Rinder- und Kalbsbraten. Dies alles war für fünfzehn bis zwanzig Personen bestimmt; die genaue Zahl der Gäste mußte sich erst später ergeben. Sollte etwas übrigbleiben, so konnte man es am nächsten Tage verzehren.
Der am Morgen bedeckte Himmel klärte sich nachmittags auf; eine laue Helle erfüllte die Luft. Die Tafel war in der Küche gedeckt gegenüber dem Kamin und dem Herde, wo die Braten sich am Spieße drehten, wo die Schmortöpfe über mächtigem Feuer brodelten. Die Flammen überheizten den Raum dermaßen, daß man die beiden Fenster und die Türe offen lassen mußte, durch welche der kräftige Geruch des frisch geschnittenen Heues hereindrang.
Rose und Fanny waren den Geschwistern seit dem vorherigen Tage bei der Bereitung der Speisen zur Hand gegangen. Um drei Uhr hielt der Wagen des Zuckerbäckers seinen Einzug ins Dorf; das rief eine große Bewegung hervor: alle stürzten vor die Haustüren. Sofort wurde der Nachtisch auf der Tafel aufgepflanzt, damit er ins Auge falle. Im selben Augenblick erschien etwas verfrüht die Große. Sie nahm sofort Platz, zwängte ihren Stock zwischen die Knie und heftete ihren durchdringenden Blick auf die teuren Sachen. Ist es erlaubt, soviel Geld auszugeben? Sie hatte den ganzen Tag nichts zu sich genommen, um dem Mahle so recht Ehre erweisen zu können.
Die Männer: Buteau, Hans, der ihm als Zeuge gedient, der alte Fouan, Delhomme und dessen Sohn Ernst, alle in schwarzen Röcken und Beinkleidern und mit Zylinderhüten, die sie auf den Köpfen behielten, vergnügten sich auf dem Hofe mit dem Korkspiel. Herr Karl erschien allein, denn er hatte Elodia den Tag vorher nach Chateaudun ins Pensionat zurückgebracht; ohne selbst am Spiele teilzunehmen, interessierte er sich dafür, schaute zu und gab seine Meinung ab.
Um sechs Uhr war alles fertig; doch man mußte noch auf Jacqueline warten. Die Frauen lösten ihre Kleider wieder, die sie hinaufgesteckt hatten, um sie vor dem Herde nicht zu beflecken. Lise war in Blau, Franziska in Rosa; Seidenkleider von grellen und unmodernen Farben, die Lambourdieu ihnen um das Doppelte des Wertes als letzte Pariser Neuheiten verkaufte. Frau Fouan hatte ihr Kleid aus violetter Halbseide hervorgezogen, das sie seit vierzig Jahren auf allen Hochzeiten im Lande trug. Fanny, in Grün, war mit all ihrem Geschmeide behangen, Uhr und Kette, Brosche, Ringe und Ohrgehänge. Jeden Augenblick ging eine der Frauen auf die Straße hinaus und lief bis zur Kirche, um zu schauen, ob die Dame vom Gute noch nicht komme. Die Soßen verbrannten, die Suppe, die man unklugerweise schon aufgetragen hatte, wurde kalt. Endlich hörte man einen Schrei:
»Sie kommt! Sie kommt!«
Der Kutschwagen hielt. Leichten Fußes sprang Jacqueline herab. Sie sah reizend aus; die hübsche Person hatte den Geschmack besessen, sich in einfaches Leinen, weiß mit roten Tupfen zu kleiden, ohne irgendeinen anderen Schmuck als zwei kleine Brillantohrringe, ein Geschenk Hourdequins, das alle Gutshöfe der Umgegend in Aufruhr gebracht hatte. Man war erstaunt, als sie den Knecht, der sie gefahren, nicht heimschickte, nachdem er den Wagen im Schuppen untergebracht. Es war ein gewisser Tron, ein Koloß mit weißer Haut, rötlichem Barte und einem Kindergesichte; er kam aus der Perche und war seit zwei Wochen Stallknecht in der Borderie.
»Tron bleibt, wißt Ihr«, rief sie munter. »Er fährt mich wieder nach Hause.«
In der Beauce waren die Percheronen nicht sehr beliebt; man warf ihnen Hinterlist und Falschheit vor. Alle blickten einander an. Dieser große Kerl war also ein neuer Liebhaber der Cognette. Buteau, der seit dem Morgen besonders gut aufgelegt war, versetzte liebenswürdig:
»Natürlich kann er bleiben. Er kommt mit Ihnen, das genügt.«
Lise erklärte, man könne anfangen. Alle nahmen schwatzend und lärmend Platz. Es fehlte an Stühlen; darum wurden zwei etwas ungleiche Schemel herbeigebracht, auf die man ein Brett legte. Schon begannen die Löffel in den Suppentellern zu klappern. Die Bouillon war kalt und mit gestockten Fettaugen bedeckt, doch das machte nichts; der alte Fouan bemerkte sehr treffend, sie werde sich im Magen erwärmen; seine Worte riefen eine stürmische Heiterkeit hervor.
Jetzt hub ein Schlingen und Fressen ohnegleichen an. Die Hühner, die Kaninchen, die Braten verschwanden unter dem fabelhaften Geräusch der Kinnbacken. So mäßig diese Leute zu Hause leben, so furchtbare Massen von Speise und Trank vertilgen sie bei anderen. Die Große sprach kein Wort, um mehr essen zu können; ohne Pause zermalmte ihr ungewöhnliches Gebiß ein Gericht nach dem andern. Es war erschreckend zu sehen, was alles dieser hagere, achtzigjährige Leib in sich aufnehmen konnte, ohne nur anzuschwellen. Man war übereingekommen, daß Franziska und Fanny bei Tisch bedienen sollten, damit die Braut nicht nötig habe, sich zu erheben; doch Lise vermochte nicht auf ihrem Platze zu bleiben; jeden Augenblick stand sie auf, half mit emporgestreiften Ärmeln eine Soße in den Kochtopf gießen oder einen Braten vom Spieße lösen. Bald empfanden übrigens alle das Bedürfnis, mit zuzugreifen; immerwährend war einer auf den Beinen, sei es, um sich Brot abzuschneiden, sei es, um einer vorübergegangenen Schüssel noch einmal habhaft zu werden.
Buteau, der es übernommen, seine Gäste mit Wein zu versorgen, vermochte nicht den an ihn gestellten Anforderungen zu genügen. Zwar hatte er, um das Öffnen der Flaschen zu ersparen, ein Faß aufgelegt; doch man ließ ihm nicht Zeit zum Essen; Hans mußte ihn ablösen und seinerseits die Krüge füllen. Delhomme, der breit und behaglich dasaß, erklärte in seiner bedächtigen Art, man müsse Flüssiges haben, wenn man nicht ersticken wolle. Als man die Pastete brachte, die groß wie ein Wagenrad war, lief ein Beifallsgemurmel um den Tisch; das mit Kalbfleischragout gefüllte Ungetüm erregte allgemeine Bewunderung; Herr Karl trieb die Höflichkeit so weit zu versichern, daß er selbst in Chartres niemals eine bessere Pastete gegessen. Der alte Fouan aber ließ in vortrefflicher Laune seinen zweiten Witz los:
»Wenn man sich da hineinsetzte, gelt, das würde einem das Gesäß verkleistern?!«
Man wälzte sich vor Lachen. Jacquelinen kamen die Tränen in die Augen dabei, und sie setzte sich schüttelnd etwas hinzu, das man nicht verstand.
Die Neuvermählten saßen einander gegenüber: Buteau zwischen seiner Mutter und der Großen, Lise zwischen Papa Fouan und Herrn Karl. Die anderen hatten nach ihrem Belieben Platz genommen; Jacqueline an der Seite Trons, der sie mit seinen sanften, dummen Augen anstarrte; Hans unweit Franziskas, nur das Kind, der kleine Julius, den sie beide zu überwachen versprochen, saß zwischen ihnen. Doch nach der Fleischpastete stellte sich heraus, daß der Kleine zuviel gegessen: ihm wurde unwohl, und er mußte von seiner Mutter ins Bett gebracht werden; jetzt befanden sich Hans und Franziska nebeneinander. Sie war hochgerötet vom Feuer des Herdes und ganz erschöpft; nichtsdestoweniger blieb sie frisch und war unausgesetzt auf den Beinen. Er wollte sich galant statt ihrer erheben; aber sie entschlüpfte ihm regelmäßig. Buteau, der eine Vorliebe für Neckereien hatte, wenn er gut gelaunt war, kniff sie in die Hüften, sobald sie an ihm vorüber mußte; sie versetzte ihm dann einen zornigen Schlag; aber nach kurzer Pause fand sie einen neuen Vorwand, um in seine Nähe zu kommen, ließ sich von neuem kneipen und hieb wieder nach ihm. Sie habe überall blaue Flecke, klagte sie.
»Bleib doch sitzen!« meinte Hans.
»Nein! Er soll nicht glauben, er sei auch mein Mann, weil er die Lise geheiratet hat.«
Als es vollkommen finster geworden, wurden sechs Lichter angezündet. Man war bereits seit drei Stunden bei Tische, als endlich gegen zehn Uhr der Nachtisch in Angriff genommen wurde. Hierauf kam der Kaffee, und zwar nahm die Gesellschaft nicht eine Tasse oder zwei, sondern man trank ganze Kannen voll. Dabei wurden immer kräftigere Scherze zum besten gegeben. Der Kaffee, hieß es, verleihe Spannkraft, sei höchst empfehlenswert für die Eheherren, die an zuviel Schlaf leiden. Jedesmal, wenn einer der verheirateten Männer seine Schale an den Mund setzte, hielt man sich die Seiten.
»Dir kann er gewiß nicht schaden!« rief Fanny, die heute ungewöhnlich ausgelassen war, lachend ihrem Gatten zu.
Er wurde rot, entschuldigte sich weitläufig, er müsse so schwer arbeiten. Die Tafelrunde stimmte einen lauten Jubel an bei diesen ehelichen Enthüllungen; man schlug sich auf die Schenkel und lachte unbändig. Delhommes Sohn Ernst grinste offenen Mundes zu diesem Ausbruch lärmender Lustigkeit; der Junge hatte soviel zu sich genommen, daß er zu platzen drohte, bald verschwand er; beim Aufbruch fand man ihn im Stalle neben den Kühen schlafen.
Am längsten hielt die Große stand. Um Mitternacht machte sie sich über das Backwerk her, wobei sich in ihrem Gesicht ein tiefes Bedauern ausdrückte, daß sie sich außerstande fühlte, es bis aufs letzte Stück zu vertilgen. Die Schüsseln mit Schaumkuchen wurden sorgsam ausgekratzt, die Krümel der Torte zusammengelesen. Ein linder Rausch teilte sich den Tafelnden mit; die Frauen lösten die Mieder, die Männer öffneten die Schnallen ihrer Beinkleider; man wechselte die Plätze, plauderte in kleinen Gruppen um den mit Soße befetteten, mit Wein begossenen Tisch.
Jemand schlug vor, man wolle singen; doch die Sache fand keinen Anklang. Nur die alte Rose trällerte mit dünner Stimme ein pikantes Lied des vorigen Jahrhunderts, eine Erinnerung aus ihrer Jugend, wozu ihr wackelnder Kopf den Takt angab. Man war in zu geringer Anzahl, um Lust zum Tanze zu empfinden; die Männer zogen es vor, einige Liter Branntwein zu trinken und zu rauchen, wobei sie ihre Pfeifen am Tischrande ausklopften. In einem Winkel rechneten Fanny und Delhomme den beiden Burschen Hans und Tron bis auf einen Sou die Geldmittel der Neuvermählten vor. Es war ein endloses Rechnen; jeder Quadratmeter Land wurde nach seinem Werte taxiert; die beiden kannten den Vermögensstand sämtlicher Bewohner von Rognes bis zum Besitz an Wäsche. Am anderen Ende der Küche hatte sich Jacqueline des Herrn Karl bemächtigt, den sie mit einem unbezwingbaren Lächeln betrachtete, während in ihren sündhaften hübschen Augen eine heftige Neugierde zutage trat. Sie fragte ihn aus.
»Also Chartres ist amüsant? Man kann sich dort vergnügen?«
Er antwortete mit einer Lobpreisung des Ringes, einer schattigen Promenade um die ganze Stadt. Besonders unten am Ufer der Eure sei dieser Baumgang im Sommer von einer köstlichen Frische. Dann war da die Kathedrale; er erging sich mit Kennerschaft und mit frommer Achtung vor der Religion über die Kathedrale. Ja, eines der schönsten Baudenkmäler, das leider für unser Zeitalter schlechter Christen zu groß geworden, und das fast immer leer bleibe inmitten des öden Platzes, den an Wochentagen nur die wenigen Gottesfürchtigen überschreiten. Als er eines Sonntags zur Vesper die Kirche betreten, hatte sie in ihm den Eindruck einer mächtigen Ruine geweckt: man fröstelte darin, und die farbigen Fenster verbreiteten ein trübes Dunkel, in dem er erst nach längerem Verweilen einem Völkchen Ameisen vergleichbar Kinder aus einem Mädchenpensionat entdeckte, die mit durchdringenden Stimmchen wie Pfeifengequirl unter den weiten Hallen sangen. Wahrhaftig es blute einem das Herz, wenn man so sehe, wie heute die Kirchen dem Wirtshause zuliebe vernachlässigt würden!
Erstaunt fuhr Jacqueline fort, ihn mit ihrem lächelnden Blick zu fixieren. Endlich flüsterte sie:
»Aber sagen Sie mal, die Frauen in Chartres ...?«
Er verstand und wurde sehr ernst. Doch in dem auch ihn ergreifenden Dusel des allgemeinen Rausches bekannte er schließlich Farbe und machte Enthüllungen. Sie mit ihren rosigen Wangen setzte sich sehr angeregt dichter zu ihm, damit ihr kein Wort entgehe. Doch sie erlebte eine Enttäuschung: statt der lustigen Unterhaltungen, die sie zu hören erwartet, berichtete er von der schweren Arbeit, welche die vielen Besucher solch einem Hause machen; denn Herr Karl neigte zu einer Art väterlicher Trübseligkeit, wenn er zuviel getrunken hatte. Er wurde erst lebhaft, als sie ihm erzählte, wie sie eines Tages aus Neugierde vor dem öffentlichen Hause in Chateaudun vorübergegangen: einen armseligen, halbverfallenen Häuschen mit geschlossenen, verrotteten Rolläden an der Ecke der Davignon- und Loiseaustraße. Hinten in einem schlecht gepflegten Garten warf eine große, weiße Glaskugel ihren Widerschein auf die Rückwand, während um den in einen Taubenschlag verwandelten Giebel girrende Tauben in der Sonne flatterten. An jenem Tage spielten ein paar Kinder unter der Haustür, und über die Mauer der benachbarten Kavalleriekaserne tönten Kommandorufe. Heftig unterbrach Herr Karl ihre Erzählung. Ja, ja, er kannte das Haus sehr wohl: zwei ekelhafte, ausgemergelte Weibsbilder, nicht einmal Spiegel im Empfangssalon. Solche Spelunken entehren das Gewerbe.
»Aber was wollen Sie machen in einer Unterpräfektur?« schloß er endlich beruhigt, mit der duldsamen Philosophie eines überlegenen Mannes.
Es war ein Uhr früh. Man meinte, es sei Zeit zum Aufbruch. Die herkömmlichen Hochzeitsscherze, das Auseinanderreißen des Brautbettes, die kleinen Spielsachen, die einen weinerlichen Ton geben, wenn man sie drückt, das alles hatte keinen Sinn bei diesem Ehepaare, das schon ein dreijähriges Kind sein nannte; dergleichen Ulk hieße Senf zum Nachtisch aufwarten. Darum war das Gescheiteste, noch eins trinken und sich gute Nacht sagen.
Plötzlich stießen Lise und Fanny einen Schrei aus. Durch das offene Fenster war eine Handvoll Kuhmist hereingeflogen und hatte die beiden Frauen von oben bis unten besudelt; die Kleider waren verdorben.
Welche Bestie hat das getan? Man lief hinaus, suchte in der Straße, auf dem Platze, hinter der Hecke. Sie fanden niemand. Übrigens waren alle darüber eins, daß es Jesus gewesen, der sich gerächt hatte, weil man ihn nicht eingeladen.
Die Ehepaare Fouan und Delhomme brachen auf, ebenso Herr Karl. Die Große ging um die Tafel herum und suchte, ob nichts übriggeblieben. Endlich machte auch sie sich auf den Weg, nachdem sie Hans versichert, die Buteaus würden einst auf der Streu enden. Während die anderen in ihrer Trunkenheit an den Steinen am Wege stolperten, hörte man ihren sicheren und harten Schritt, begleitet von dem regelmäßigen Tippen des Stockes, sich durch die Nacht entfernen.
Tron bespannte den kleinen Wagen für Frau Jacqueline. Sie stieg ein, während sie sich zu Hans umwandte:
»Fahrt Ihr mit uns, Korporal? ... Nein, nicht wahr?«
Er war im Begriff gewesen, ihr in das Gefährt zu folgen; doch er besann sich: er war froh, sie Tron zu überlassen, wie sie es zu wünschen schien. Lächelnd sah er, wie sie sich eng an den großen Körper ihres neuen Galans herandrückte; der Wagen verschwand im Dunkel. Er werde zu Fuß heimgehen, dachte er und nahm noch einen Augenblick auf der Steinbank im Hofe neben Franziska Platz, die, erhitzt und ermüdet, dort wartete, bis die Gäste sich entfernt hatten. Das neuvermählte Paar hatte sich schon in seine Kammer zurückgezogen, während die Kleine versprochen, Tür und Tor zu schließen, bevor sie selbst sich schlafen lege.
»Ach, hier ist es angenehm«, seufzte sie, nachdem beide fünf Minuten lang geschwiegen.
Von neuem blieben sie stumm. Der Himmel war mit Sternen besät; die Nacht war köstlich frisch. Der Geruch des Heues drang so kräftig von den Wiesen an der Aigre herauf, daß er die Luft mit Blumenduft erfüllte.
»Gewiß, hier ist es angenehm,« bestätigte Hans endlich; »hier erholt man sich wieder.«
Sie antwortete nicht; er gewahrte, daß sie schlief. Sie glitt zur Seite und lehnte an seine Schulter. So blieb er eine Stunde neben ihr sitzen. Allerhand Gedanken und Wünsche wurden in ihm wach und zerstreuten sich wieder. Sie war zu jung; es schien ihm, wenn er noch warte, werde sich dieser Unterschied mit der Zeit ausgleichen.
»Hör', Franziska, du mußt zu Bette gehen, du kannst dich erkälten.«
Sie erwachte und fuhr empor.
»Ja, du hast recht, man ruht besser in seinem Bette ... Auf Wiedersehen, Hans.«