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Es war vier Uhr, kaum dämmerte der Tag; der erste rosige Maimorgen brach an. Die Gebäude der Borderie schlummerten noch schattenumhüllt unter dem lichter sich tönenden Firmament. Rechts begrenzten den großen viereckigen Hof die Scheunen; in der Mitte streckte sich die Schäferei; links lagen der Kuh- und Pferdestall und das Wohnhaus; die vierte Seite schloß das verriegelte Tor. Auf dem Misthaufen stand ganz allein ein großer, gelbgefiederter Hahn und schmetterte sein hell tönendes »Wach auf!« Ein zweiter Hahn antwortete, dann ein dritter. Von Hof zu Hof lockte das Echo; von einem Ende der Beauce zum anderen krähte der Weckruf.
Diese Nacht hatte Hourdequin wie fast allnächtlich Jacqueline in ihrer Kammer aufgesucht, einem kleinen Dienstbotenstübchen, das sie mit einer blumengemusterten Tapete, Kattunvorhängen und Mahagonimöbeln ausstaffierte. Trotz ihrer wachsenden Macht war sie nämlich jedesmal auf energischen Widerstand gestoßen, wenn sie verlangte, mit ihrem Herrn das Ehezimmer, das Gemach seiner verstorbenen Frau, zu teilen, das er mit einer letzten Achtung verteidigte. Seine Weigerung verletzte sie aufs höchste; sie begriff, daß sie nicht die wirkliche Herrin sei, bevor sie in dem alten, rotverhangenen eichenen Bett schlafe.
Bei Tagesanbruch erwachte Jacqueline und starrte, auf dem Rücken liegend, zur Decke empor; während der Besitzer an ihrer Seite fortfuhr zu schnarchen. Die Wärme des Bettes erregte die Sinne der kleinen Frau; ein Frösteln schwellte die nackten Glieder einer zarten, hübschen Frau. Sie zögerte einen Augenblick; dann plötzlich kletterte sie über ihren Gebieter hinweg aus der Bettstatt und warf mit fieberhafter Hast einen Rock über ihr Hemd. Aber sie stieß an einen Stuhl; Hourdequin erwachte.
»Du kleidest dich schon an ... Wohin gehst du?«
»Ich bin besorgt um das Brot; ich will in der Backstube nachschauen.«
Halb wieder entschlummert, lallte er ein paar Worte. Dieser Vorwand verblüffte ihn; was hatte sie jetzt nach dem Brote zu sehen? Sonderbarer Gedanke! Der Schlaf wollte seiner Herr werden; doch ein Verdacht riß den Mann jählings von seinem Lager empor. Sie war verschwunden. Sein schlaftrunkener Blick irrte durch diese Mägdekammer, in der seine Pantoffel, seine Pfeife, sein Rasiermesser lagen. Hatte ein plötzliches Gelüst dieses Weib wieder zu einem der Knechte entführt? Er brauchte zwei volle Minuten, um seine Gedanken zu sammeln. Sein ganzes Leben flog an seinem Geiste vorüber.
Sein Vater, Isidor Hourdequin, war der Nachkomme einer alten Bauernfamilie von Cloyes, die sich im sechzehnten Jahrhundert zum Bürgerstand erhoben hatte. Seit jener Zeit waren allerhand Ämter des Salzsteueramtes in den Händen der Hourdequins gewesen; der eine war Speichermeister in Chartres, ein anderer Kontrolleur in Chateaudun. Isidor, der früh verwaist war, besaß an sechzigtausend Franken Vermögen, als die Revolution ihn um sein Amt brachte; er faßte den Entschluß, sich zu bereichern an dem Raub dieser »diebischen« Republikaner, welche das Nationalgut versteigerten. Er kannte die Gegend um Rognes sehr genau, sah, daß die Gelegenheit günstig war, und erstand um dreißigtausend Franken, das heißt, um den fünften Teil ihres Wertes, die von der einstigen Besitzung Rognes-Bouqueval übrig gebliebenen hundertfünfzig Hektar Land. Nicht ein einziger Bauer hatte damals sein Geld wagen wollen, nur Bürger, Finanzleute und findige Beamten zogen aus der revolutionären Maßnahme Vorteil. Übrigens war der Kauf Isidors eine einfache Spekulation gewesen. Er beabsichtigte keineswegs, sich ein Gut aufzubürden, sondern dachte vielmehr, die erworbenen Ländereien, sobald die politischen Unruhen beendet seien, wieder zu veräußern und so sein Geld zu verfünffachen. Doch es kam das Direktorium; die Minderbewertung des Grund und Bodens hielt an, und es ward ihm unmöglich, mit dem erhofften Gewinst zu verkaufen. Er wurde der Gefangene seines Grundstücks, und da er sich nicht dazu verstehen konnte, den Plan aufzugeben, mit ihm ein Vermögen zu machen, so blieb ihm nichts übrig als zu versuchen, dieses Ziel durch Bewirtschaftung seines Gutes zu erreichen. Er heiratete damals die Tochter eines benachbarten Gutsbesitzers, die ihm fünfzig Hektar mitbrachte. So besaß er zweihundert, und der Bürger, dessen Familie seit drei Jahrhunderten dem Bauernstande entwachsen, ward der Bodenbebauung zurückgegeben; der großen Bebauung diesmal, der Aristokratie des Grundbesitzes, die an die Stelle der einst gewaltigen Feudalmacht getreten war.
Alexander Hourdequin –Isidors einziger Sohn –wurde im Jahre 1804 geboren. Er machte höchst mittelmäßige Fortschritte auf der Schule zu Chateaudun. Die Landwirtschaft interessierte ihn mehr, er zog es vor, seinem Vater zu helfen, und durchkreuzte so die Pläne des Alten, der, als die Verwirklichung seiner Träume vom großen Geldgewinne auf sich warten ließ, seinen Besitz am liebsten veräußert und den Sohn in eine gelehrte Laufbahn hätte eintreten sehen. Alexander zählte zwanzig Jahre, als sein Vater starb und er der Herr der Borderie wurde.
Er war Anhänger der modernen Bodenbebauung. Als er ein Weib wählte, suchte er nicht durch ihre Morgengabe seinen Grundbesitz zu erweitern, sondern war vielmehr darauf bedacht, Geld zu erheiraten; denn er lebte der Überzeugung, nur der Mangel ausreichender Kapitalien sei schuld, daß die Borderie nicht genügend einbringe. Er fand die erwünschte Mitgift bei der Schwester des Notars Baillehache, einem fünf Jahre älteren, häßlichen, doch sanften Mädchen, das ihm fünfzigtausend Franken mitbrachte. Jetzt begann zwischen ihm und seinen zweihundert Hektaren eine jede Jahreszeit, jeden Tag erneuertes Ringen, das mit Vorsicht in Szene gesetzt wurde, ihn dann in der leidenschaftlichen Aufregung seiner Mißerfolge immer weiter hineinriß und ihm dabei, ohne ihn zu bereichern, wenigstens gestattete, das üppige Leben zu führen, das diesem lebensfrohen Mann, der sich keinen Genuß versagen mochte, Bedürfnis war.
Seit einigen Jahren ging es ihm weniger gut. Seine Frau hatte ihm zwei Kinder geschenkt, einen Sohn, der nichts vom Landleben wissen wollte, Soldat wurde und nach Solferino zum Hauptmann ernannt ward; und eine Tochter, ein reizendes, zartes Kind, das er leidenschaftlich liebte, und dem einst die Borderie als Erbteil zufallen sollte. Im Zeitraume von zwei Monaten verlor er Frau und Tochter. Das war ein furchtbarer Schlag für ihn. Der Sohn ließ sich nur alljährlich einmal bei ihm sehen; sein Leben war plötzlich vereinsamt; das tröstende Bewußtsein, für seine Nachkommen zu schaffen, ward ihm genommen. Doch wenn auch der Schmerz darüber an ihm zehrte, ließ er sich nichts merken. Während die Bauern über seine Maschinen spotteten und den Untergang des Bürgers herbeisehnten, der sich unterfing, in ihr Handwerk zu pfuschen, arbeitete er unentwegt weiter. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig. Er war mehr und mehr an seine Scholle gefesselt; die jahrelange Arbeit, das vollkommen von seinem Besitztum verschlungene Barvermögen zogen die Grenzraine der Borderie wie Gefängnismauern um ihn zusammen; nur eine Katastrophe hätte noch vermocht, ihn daraus zu befreien.
Hourdequin mit seinen breiten Schultern, mit dem hochgeröteten Gesicht, mit dieser mächtigen Gestalt, an der nur die kleinen Hände an das bürgerliche Leben seiner Vorfahren erinnerten, war schon bei Lebzeiten seiner Frau seinen Dienerinnen gegenüber ein harter Herr gewesen. Alle waren ihm tributpflichtig und dies ohne weitere Folgen wie eine natürliche, selbstverständliche Sache. Die Töchter armer Bauern, welche die Eltern in die benachbarten Städte schicken, um die Näherei zu erlernen, mögen bisweilen rein bleiben; die anderen, die auf den Pachthöfen arbeiten, verfallen ausnahmslos den Knechten oder dem Herrn.
Frau Hourdequin lebte noch, als Jacqueline aus Mitleid in der Borderie Aufnahme fand; denn der alte Cognet, ein ausgepichter Saufbold, prügelte das Kind so umbarmherzig und gab ihm so schmale Kost, daß es buchstäblich verkam, und die Knochen des zum Gerippe abgemagerten Geschöpfes durch seine Lumpen blickten.
Dabei schien sie so häßlich, daß die Knaben sie verhöhnten. Mit achtzehn Jahren sah sie noch einem zwölfjährigen Kinde gleich. Sie mußte damals der Magd zur Hand gehen, wurde zum Geschirrwaschen, beim Stallreinigen, auf dem Hof, kurz bei allerhand niedriger Arbeit verwendet, wobei sie noch unansehnlicher und schmieriger ward, als sie gewesen.
Erst nach dem Tode der Hausfrau fing sie an, sich etwas herauszumustern. Damals schon gehörte sie allen Knechten der Borderie; ja selbst jedem Fremden, der auf das Gut kam, fiel sie in die Hände. Als sie eines Tages den Herrn in den Keller begleiten mußte, wandelte auch diesen die Laune an, einmal das bisher verschmähte, unansehnliche Ding besitzen zu wollen. Sie aber verteidigte sich heftig gegen diesen Angriff, kratzte und biß; Herr Hourdequin war genötigt, das Feld zu räumen; mit jenem Tage war das Glück der Kleinen besiegelt. Sechs Monate lang leistete sie ihrem Gebieter Widerstand und ließ sich dann nach und nach jeden Fleck ihres Körpers von ihm abbetteln. Inzwischen gelangte sie vom Hof in die Küche als wirkliche Magd, nahm dann ein Kind, das ihr die groben Arbeiten abnehmen mußte, und endlich eine Untermagd zu ihrer persönlichen Bedienung.
Jetzt entwickelte sich aus dem unscheinbaren Mädchen eine schlanke Brünette mit feinen, hübschen Gesichtszügen, einer drallen Brust und elastischen, wohlgeformten Gliedmaßen. Sie war kokett und liebte besonders, für wohlriechende Wasser viel Geld zu verschwenden, ohne daß sie darum ihre einstige Unsauberkeit vollkommen abgelegt hätte. Die Leute von Rognes und die Grundbesitzer der Umgegend verwunderten sich über dies Abenteuer, wollten nicht begreifen, wie ein so reicher Mann sich in solch eine winzige Person, die nicht einmal rund und schön war, vergaffen konnte; in die Cognette, die Tochter Cognets, des alten Säufers, den man seit zwanzig Jahren auf den Chausseen die Steine klopfen sah. Ein prächtiger Schwiegervater das und eine famose Dirne!
Die Bauern begriffen nicht einmal, daß diese »Dirne« ihre Rache war, die Vergeltung des Dorfes dem Gute gegenüber, des armen Ackermannes gegenüber dem reichen Bürger, der sich zum Großgrundbesitzer gemacht. In dem kritischen Alter des Fünfzigers gewöhnte sich Hourdequin dermaßen an den Umgang mit Jacqueline, daß sie ihm schließlich ein leibliches Bedürfnis ward, ein Bedürfnis wie das Brot und das Wasser. Wenn sie es wollte, verstand sie, seine Sinne mit schamlosen Liebkosungen zu bestricken, und für solch eine Stunde demütigte er sich; solch einer Stunde zuliebe kroch er zu Kreuze, wenn er mit ihr gestritten, und bat sie zu bleiben, wenn er in aufloderndem Zorn gedroht hatte, sie hinauszuwerfen.
Noch am vorhergehenden Tage hatte er sich fast so weit vergessen, sie zu schlagen; es war infolge eines Auftrittes, den sie ihm gemacht, um in dem Bett zu schlafen, in dem seine Frau gestorben. Die ganze Nacht hatte sie ihn hartnäckig von sich gestoßen; denn wenn sie sich auch mit den Knechten des Gutes abgab, sooft es ihr einfiel, ihn hielt sie kurz, um ihre Macht zu vergrößern. Als er sich jetzt in dem warmen Bett, in dem sie eben an seiner Seite gelegen, allein fand, packte ihn Zorn und Verlangen. Seit geraumer Zeit argwöhnte er ihren Verrat. Mit einem Satz sprang er auf und rief:
»Kanaille, wenn ich dich erwische!«
Rasch kleidete er sich an und stieg die Treppe hinab.
Jacqueline hatte sich leise durch das stumme, kaum vom Morgendämmern erhellte Haus gestohlen. Auf dem Hofe prallte sie zurück, als sie den Schäfer, den alten Soulas, schon auf fand. Doch ihre Begier beherrschte sie dermaßen, daß ihr keine Umkehr mehr möglich war: mochte er's wissen! Sie vermied es, den Pferdestall zu passieren, wo vier Knechte bei den fünfzehn Rossen schliefen, und wandte sich zu dem Hängeboden ganz im Hintergrunde des Hofes, wo sich das Nachtlager von Hans befand: loses Stroh und eine Decke ohne Leintuch und Polster. Sie umarmte den Schläfer, schloß ihm den Mund mit einem Kusse, um seinen Ruf der Überraschung zu ersticken, und flüsterte erregt mit ganz leiser Stimme:
»Ich bin's, Dummkopf, erschrick nicht! Spute dich, machen wir's rasch!«
Doch er mochte sich nicht dazu verstehen, sie hier in seiner Schlafstatt zu behalten. Dicht daneben befand sich der Aufstieg zum Heuboden; sie kletterten empor, ließen die Falltür offen und legten sich ins Heu.
»0 du herziger Schatz!« rief Jacqueline und warf sich an seine Brust, wobei ein girrendes Turteltaubenlachen aus ihrer Kehle perlte.
Hans Macquart befand sich fast schon zwei Jahre auf dem Gute. Als er vom Militär ging, kam er mit einem Kameraden, der wie er Tischler war, nach Bazoches-le-Doyen und fand Beschäftigung bei dem Vater seines Freundes, einem kleinen Meister, der zwei oder drei Gesellen beschäftigte. Doch die Arbeit behagte ihm nicht mehr; der siebenjährige Dienst hatte ihn verdorben; Hobel und Säge waren ihm zuwider. Es war, als sei er nicht mehr derselbe; früher in Plassans hatte er wacker auf das Holz losgeschlagen.
Er hatte schwer gelernt und brachte es notdürftig zum Lesen, Schreiben und Rechnen; doch als Mann ward er fleißig, verläßlich und überlegt und betätigte den festen Willen, sich eine von seiner schrecklichen Familie unabhängige Stellung zu schaffen. Der alte Macquart hielt ihn in einer Abhängigkeit, als sei er ein Mädchen, ging jeden Sonnabend in die Werkstatt, wo er arbeitete, und zog seinen Lohn ein, nahm ihm sogar seine Geliebte vor der Nase weg. Als Schläge und übermäßige Arbeit die Mutter hingerafft hatten, machte deshalb Hans es wie seine Schwester Gervaise, die mit ihrem Liebsten nach Paris durchgegangen war: auch er suchte das Weite, um nicht seinen Faulenzer von Vater ernähren zu müssen.
Nach Beendigung seines Dienstes erkannte er sich selbst nicht wieder: nicht etwa, daß er nun ebenfalls träge geworden wäre wie sein Vater, nein. Aber der Aufenthalt im Regiment hatte seinen Gedankenkreis erweitert; die Politik, die ihn einst gelangweilt, beschäftigte ihn heute, ließ ihn über Gleichheit und Brüderlichkeit sprechen. Auch die Gewohnheit des zeitweisen Nichtstuns war ihm ins Blut übergegangen; der harte und doch untätige Schildwachdienst, das schläfrige Kasernenleben, das freie, wilde Treiben in der Kriegszeit steckten ihm noch in den Gliedern. Es gab Stunden, wo ihm das Handwerkzeug aus den Händen fiel; er dachte an seinen italienischen Feldzug: ein unbezwingliches Bedürfnis zu ruhen, sich ins Gras hinzustrecken und zu träumen, überkam ihn.
Eines Tages schickte ihn sein Meister zur Borderie, um einige Ausbesserungen zu machen. Es gab für einen guten Monat Arbeit; Zimmer waren neu zu dielen, Fenster, Türen mußten hier und da ausgebessert werden. Ihm gefiel es dort; er zog die Arbeit sechs Wochen hinaus. Inzwischen starb plötzlich der Tischlermeister, und sein Sohn, der sich verheiratet hatte, zog in die Heimat seiner Frau. Hans arbeitete noch einige Tage für eigene Rechnung in der Borderie, wo sich immer noch ein paar morsche Bretter und Pfosten vorfanden; als dann gerade die Erntezeit anbrach, griff er mit zu, blieb weitere sechs Wochen, bis ihn endlich der Besitzer, weil er so willig war und sich so gut anließ zur Feldarbeit, ganz behielt.
In weniger als einem Jahre ward der einstige Gesell ein tüchtiger Bauernknecht; pflügte, säte, mähte. Er ließ sich's wohl sein in diesem Frieden des Landes, der sein Verlangen nach Ruhe zu stillen schien. So war's denn vorüber mit dem Sägen und Hobeln; er interessierte sich für etwas Neues und schien für dieses Leben geschaffen; seine vorsichtige Langsamkeit, seine Vorliebe für eine regelmäßige Beschäftigung, dieses Wesen eines Arbeitsochsen, das ihm von seiner Mutter überkommen, schienen ihn für seine neue Tätigkeit vorbestimmt zu haben. Hans war im Anfang glücklich über sein Los. Er genoß die Reize des Landes, von denen der Bauer nichts gewahrt; genoß sie, indem er sich an Stellen aus allerhand rührseligen Schriften erinnerte, in denen von patriarchalisch einfachen Sitten und vollkommener Glückseligkeit die Rede gewesen, wie man es in kleinen moralischen Geschichten für Kinder findet.
In Wirklichkeit war es ein anderer Grund, der ihn in der Borderie festgehalten und ihm den Aufenthalt daselbst so angenehm machte. Als er noch die Türschwellen und Gesimse ausbesserte, hatte sich die Cognette ihm an den Hals geworfen, verführt von seinem kräftigen Gliederbau, seinem regelmäßigen, gesunden Gesicht. Sie tat in Wirklichkeit den ersten Schritt des Entgegenkommens; er gab nach und setzte das Verhältnis fort, um nicht als Tropf zu gelten.
Dieses Weib, das so trefflich des Mannes Sinne anzuregen verstand, gefiel ihm. Doch machte seine angeborene Gewissenhaftigkeit ihm Vorwürfe; er sagte sich, daß er Unrecht tue, ein Verhältnis mit der Freundin Hourdequins zu unterhalten, dem er zu Dank verpflichtet war. Er wußte diese Bedenken zum Schweigen zu bringen durch die Erwägung, daß Jacqueline ja nicht die Frau seines Herrn sei, daß sie sich bloß seiner Laune füge und ihn übrigens mit all und jedem hintergehe; so daß es wahrlich gescheiter sei, ebenfalls zu ihren Freunden zu zählen, statt nur Zuschauer zu bleiben. Aber trotz dieser Milderungsgründe vermochte Hans nicht, sich eines gewissen Unbehagens zu erwehren, das in dem Maße wuchs, wie er die Leidenschaft des Besitzers für seine Geliebte zunehmen sah. Die Sache mußte ein böses Ende nehmen.
Hans und Jacqueline lagen noch in dem weichen Heu des Bodens, als er plötzlich die Leiter knacken hörte. Mit einem Satz war er auf den Beinen und ließ sich auf die Gefahr hin, das Genick zu brechen, durch die Öffnung hinabgleiten, die zur Beförderung des Viehfutters diente. Im selben Augenblick tauchte Hourdequins Kopf drüben oberhalb der Falltür empor. Der Bauer sah den Schatten des fliehenden Mannes und den Bauch des Weibes, das noch mit gespreizten Beinen dalag. Ihn übermannte eine solche Wut, daß er vergaß wieder hinabzusteigen, um den Liebhaber zu erkennen. Mit einem furchtbaren Schlag streckte er das Mädchen, das sich halb erhoben hatte, nieder.
»Dirne!«
Sie schrie auf und rief dann mit zornerstickter Stimme:
»Es ist nicht wahr!«
Er hielt an sich, um nicht diesen Bauch zu zertreten, diese hingelagerte Nacktheit eines brünstigen Tieres.
»Ich hab's gesehen! ... Gestehe –oder ich bring' dich um!
»Nein, nein, nein, nicht wahr!«
Nachdem sie sich wieder aufgerichtet und ihren Rock in Ordnung gebracht hatte, ward sie keck und rief im Bewußtsein der Herrschaft, die sie über ihn ausübte, herausfordernd:
»Und wenn's wäre, was geht's dich an? Bin ich deine Frau? ... Wenn du nicht erlaubst, daß ich in deinem Bette schlafen darf, kann ich wohl schlafen, wo es mir beliebt, scheint mir?«
Wieder girrte wie ein frecher Hohn das eigentümliche Lachen durch ihre Kehle.
»Also mach' Platz, ich will hinunter ... Heute abend geh' ich.«
»Du gehst sofort!«
»Nein, heute abend! Überlege dir's inzwischen.«
Er war außer sich und wußte nicht, an wem er seinem Groll Luft machen sollte; schon fehlte ihm der Mut, sie auf der Stelle aus dem Hause zu jagen; doch mit welcher Lust hätte er den Liebhaber hinausgeworfen! Aber wo ihn jetzt finden? Er war vorher, durch die offen gebliebenen Türen geführt, geradeswegs zum Heuboden gekommen, ohne einen Blick auf die Lagerstätten der Knechte zu werfen, und wie er jetzt wieder hinabstieg, waren bereits Hans und die vier Stallburschen im Begriff, sich in dem Verlaß unter dem Hängeboden anzukleiden. Wer war es von den fünfen? Der eine oder der andere konnte es sein; vielleicht betrog sie ihn mit allen fünfen? Er hoffte, daß der Schuldige sich verraten werde; er erteilte seine Befehle für den Morgen, schickte niemand aufs Feld hinaus, setzte selbst keinen Fuß vor die Tür, sondern durchirrte mit geballten Fäusten den Gutshof und spähte wutschielenden Blickes nach einem Opfer.
Nach dem Frühstück um sieben Uhr zitterte bereits das ganze Haus infolge der Zornesausbrüche des Herrn. Es waren in der Borderie fünf Pflugknechte, drei Drescher, zwei Kuhjungen, ein Schäfer und ein kleiner Schweinehirt, im ganzen zwölf Diener, ungerechnet die Dienstmagd. Hourdequin stellte zuerst diese zur Rede, weil sie die Backschaufeln nicht an Ort und Stelle gehängt hatte. Danach streifte er durch die beiden Scheunen, die Haferscheuer und die riesengroße Roggenscheuer, einen kirchenhohen Raum, mit fünf Meter messenden Torflügeln; dort stritt er mit den Dreschern, denen er vorwarf, daß sie das Stroh zerhieben. Von da stürmte er in den Kuhstall. Die dreißig Kühe waren wohlgehalten, die Fliesen des Mittelweges gewaschen, die Krippen sauber. Grimmig suchte er, an wem er sein Mütchen kühlen könne; da fiel sein Blick auf die Wasserbehälter am Hofe, deren Instandhaltung ebenfalls den Kuhjungen oblag, und er bemerkte, wie eines der Rohre, die in der Beauce das Regenwasser von den Dächern in eigene Gruben leiten, von Sperlingsnestern verstopft war. Polternd rief er, ob man den Spatzen zuliebe verdursten wolle?
Doch erst auf die Pferdeknechte entlud sich all sein Groll. Obwohl die fünfzehn Pferde reine Streu hatten, schrie er, es sei ein Frevel, die Tiere so zu vernachlässigen. Danach schämte er sich selbst über seine Ungerechtigkeit, regte sich dabei noch mehr auf und war froh, als er in den Winkeln, wo das Gerät lag, einen Pflug entdeckte, dessen Handhabe zerbrochen war. Jetzt brach er los:
»Ihr verdammten Lümmel verderbt mir also meine Sachen? Ich werf' euch alle miteinander hinaus; jawohl, alle fünf, wie ihr da seid, damit keinem Unrecht geschieht, ihr Lumpe!«
Während er so wütete, musterte sein flammender Blick die fünf Knechte und suchte an einem Zittern oder Erbleichen den Verräter zu erkennen. Keiner rührte sich; mit verzweifelter Miene verließ der Herr den Stall.
In der Schäferei beschloß Hourdequin seinen Rundgang; hier kam ihm der Gedanke, den Schäfer Soulas auszufragen. Der fünfundsechzigjährige Alte diente seit einem halben Jahrhundert auf dem Hof und hatte sich doch keinen Sou ersparen können, weil seine Frau, ein liederliches, dem Trunk ergebenes Weibsbild, alles vergeudet hatte. Letzthin war es ihm endlich vergönnt gewesen, die Person zu Grabe zu tragen, und jetzt sparte er mit ängstlicher Hast für seinen Lebensabend; denn ihm war bange, man möge ihm wegen seines hohen Alters bald den Abschied geben. Vielleicht, tröstete er sich zuweilen, zahle ihm Herr Hourdequin eine Pension? Doch war er sicher, ob dieser nicht vor ihm das Zeitliche segne? Würde man ihm dann so viel geben, daß für seinen Tabak und seinen Schnaps etwas abfiel? Dazu kam noch, daß er sich Jacqueline zur Feindin gemacht, deren großes Glück ihn, den älteren Diener, mit Neid und Haß erfüllt hatte; daß sie, die er einst in Lumpen gesehen, ihm befahl, hatte er nicht verwinden können; nur die Furcht, sie könne ihn aus dem Brot jagen, sobald sie Gewalt genug besitze, machte ihn vorsichtig ihr gegenüber. Er wollte um jeden Preis seinen Platz behalten; darum vermied er ängstlich allen Zwist, so sehr er sich auch von seinem Herrn beschützt wußte.
Die Schäferei im Hintergrunde des Hofes war ein Bau von achtzig Meter Länge, in der die achthundert Schafe des Gutes durch Hürden getrennt waren. In mehreren Gruppen lagen die Mutterschafe beieinander; dann kamen die Lämmer, und noch weiter drüben die Widder. Im zweiten Monat beschnitt man die zum Verkauf bestimmten jungen Böcke, während die Weibchen das Heer der Mutterschafe verjüngen mußten, von denen alljährlich die ältesten auf den Markt kamen. Es war eine prächtige Rasse, die Hourdequin züchtete, eine Kreuzung von Dishleys und Merinos, herrliche Tiere, mit dicken Köpfen und großer, runder Nase. Ein scharfer, ammoniakhaltiger Geruch entströmte dem Mist, über den drei Monate hindurch immerwährend frisches Stroh geschüttet wurde, so daß die Sohle des Stalles emporschwoll und die Krippen nach und nach erhöht werden mußten. Breite Fenster lüfteten den Stall; der Fußboden des darüber gelegenen Futterraumes bestand aus beweglichen Brettern, die in dem Maße, wie die Vorräte abnahmen, ausgehoben wurden. Die lebende Wärme, die Gärung der heißen Mistschicht war dem Gedeihen der Lämmer unentbehrlich.
Wie Hourdequin die Tür öffnete, bemerkte er Jacqueline, die durch eine andere entschlüpfte. Auch sie hatte an Soulas gedacht; denn sie war überzeugt, daß er um ihre Zusammenkunft mit Hans wisse. Doch der Alte hatte sich nichts merken lassen; kein Wort verriet, daß ihm bekannt war, warum sie heute gegen ihre Gewohnheit so liebenswürdig mit ihm tat. Die Anwesenheit seiner Geliebten im Schafstall aber bestärkte des Bauern Verdacht.
»Nun, Papa Soulas,« fragte er, »nichts Neues diesen Morgen?«
Der Schäfer, ein hochgewachsener, magerer Mann mit einem langen, faltigen Gesicht, das aussah, als sei es mit stumpfem Messer in knorriges Eichenholz geschnitzt, versetzte langsam:
»Nein, Herr Hourdequin, nicht das geringste; ausgenommen, daß die Scherer gekommen sind und gleich anfangen werden.«
Der Bauer plauderte noch einen Augenblick, damit es nicht aussehe, als habe er seinen Diener nur ausfragen wollen. Die Schafe, die man seit dem ersten Froste zu Allerheiligen hier im Stall fütterte, sollten gegen Mitte Mai ins Freie geführt werden, sobald der Klee sich genügend entwickelt habe. Die Kühe pflegte man erst nach der Ernte auf die Weide zu treiben; denn wenn auch die Kleewiesen gutes Rindfleisch gebracht hätten, war in der Beauce nach altem Herkommen die Rindviehzucht vernachlässigt. Selbst Schweine wurden nur für den Hausbedarf gehalten.
Mit seiner fiebernden Hand streichelte Hourdequin die Schafe, die zu ihm herankamen und ihn mit ihren sanften, hellen Augen anblickten, während die weiter abseits eingesperrten Lämmer blökend an die Hürden drängten.
»Also, Vater Soulas, Ihr habt nichts gesehen heut morgen?« wiederholte er und blickte den Alten fest an.
Der Greis hatte sehr wohl bemerkt, was vorgegangen; seine Selige, dies ewig trunkene, liederliche Frauenzimmer, hatte ihn vertraut gemacht mit den Streichen schlechter Weiber. Doch warum reden? Vielleicht blieb die Cognette, selbst wenn er sie verriet, die Stärkere, und dann würde man ihn, den unbequemen Zeugen, aus dem Wege räumen.
»Nichts gesehen, gar nichts gesehen!« antwortete er mit unbeweglichem Gesicht und leerem Blick.
Als der Bauer wieder auf den Hof hinaustrat, gewahrte er Jacqueline, die sich lauernd beim Stall aufhielt, um zu horchen, was darin geredet werde. Sie tat, als beschäftige sie sich mit den sechshundert Hühnern, Enten, Tauben, die schnatternd und gackernd im Mist scharrten; um ihrer nervösen Überreizung etwas Luft zu machen, schlug sie den Schweinejungen, der einen Eimer weißlichen Wassers,, das er seinen Tieren hintrug, verschüttet hatte. Mit einem Blick erkannte die kleine Frau, daß ihr Herr nichts wisse: der Schäfer hatte reinen Mund gehalten. Ihre Keckheit wuchs.
Beim Frühstück um zwölf Uhr entwickelte sie eine herausfordernde Munterkeit. In jener Jahreszeit, wo die schweren Feldarbeiten noch nicht begonnen hatten, wurden täglich nur vier Mahlzeiten gehalten: um sieben Uhr früh gab's Milch und Brot; dann kam das »Weinbrot« auf Mittag; um vier Uhr aß man Käse und Brot, und um acht Uhr abends eine Suppe und Speckschnitten. Gespeist wurde in der Küche, einem großen Räume mit einem Tisch in der Mitte und zwei Bänken daneben. Den Fortschritt vertrat ein eiserner Herd in einem Winkel der geräumigen Esse. Im Hintergrund öffnete sich der schwarze Schlund des Backofens. Die Magd, ein häßliches, dickes Mädchen, hatte heute früh gebacken; ein guter Geruch frischen Brotes füllte die Luft. Blanke Schüsseln, ein altes Familiengeschirr, hingen wohlgeordnet an den verräucherten Wänden.
»Mir scheint, Ihr habt heute keinen Appetit?« rief Jacqueline dreist dem zuletzt eintretenden Bauer entgegen.
Um nicht allein zu speisen, setzte sich Hourdequin seit dem Tode seiner Frau und Tochter mit den Dienern zu Tisch, wie es in früheren Zeiten Brauch gewesen. Er nahm auf einem Stuhle am Ende der Tafel Platz; die Obermagd und Geliebte tat dasselbe ihm gegenüber. Es waren vierzehn Personen; die Magd wartete auf.
Ohne zu antworten, ließ der Bauer sich nieder. Cognette befahl, man solle das Weinbrot recht sorgfältig machen. Es waren geröstete Brotschnitten, die man in eine Schüssel brockte, mit Wein übergoß und mit Sirup süßte. Sie verlangte zweimal davon, witzelte und scherzte dabei, so daß die Männer in lautes Lachen ausbrachen. Jedes ihrer Worte hatte eine doppelte Bedeutung; alles, was sie sagte, spielte darauf an, daß sie den Abend den Hof verlasse: »Man nimmt sich, man verläßt sich wieder, das ist der Lauf der Welten ... Die Gegenwart genießen, ist die Weisheit des Lebens; weil man nie weiß, ob man morgen wieder am selben Tische sitzt, langt man nochmal zu.« Der Schäfer mit seinem stumpfblickenden Gesicht aß ruhig vor sich hin; der Bauer saß so unbeweglich da, als vernehme er nichts. Um sich nicht zu verraten, war Hans genötigt, mit den anderen zu lachen; und doch berührten ihn Jacquelines Reden höchst peinlich, und seine Rolle kam ihm unwürdig vor.
Nach dem Frühstück erteilte Hourdequin seine Befehle für die Arbeit des Nachmittags. Im Felde gab's wenig zu tun: der Hafer mußte gewendet werden, und die Bestellung der Brachfelder war zu beenden, bevor das Mähen des Klees beginnen sollte. Darum behielt er zwei Knechte, Hans und einen andern, daheim und trug ihnen auf, den Heuboden zu säubern. Ihm brummte der Schädel infolge der gehabten Aufregung; höchst unglücklich irrte er umher; er wußte nicht, mit welcher Beschäftigung er seinen Kummer töten solle. Die Schafscherer hatten sich unter einem der Schuppen im Winkel des Hofes niedergelassen; der Bauer pflanzte sich da auf und schaute ihnen zu.
Ihrer fünf saßen die schmächtigen, gelbhäutigen Burschen am Boden mit der glänzenden Stahlschere in der Hand.
Der Schäfer band den Schafen die Füße, so daß sie nur noch blökend den Kopf bewegen konnten, und legte sie wie Weinschläuche eins nach dem andern auf den Boden. Sobald er eines der Tiere dem Scherer reichte, verstummte es, überließ sich willenlos in seinem schweren Pelz, den Fett und Staub mit einer Kruste überzogen. Dann ging das Schaf unter der flink blitzenden Schere aus seiner Umhüllung hervor wie eine Hand aus einem dunklen Handschuh; rosig lag's in dem goldgetönten Schnee der frisch geschnittenen Wolle. Zwischen den Knien eines hagern Burschen ruhte auf dem Rücken ein Mutterschaf; mit ausgespreizten Beinen, gerade emporgerichtetem Haupte bot es seinen Leib den Blicken dar: eine weißschimmernde, leise zitternde Haut, wie der Körper eines Weibes, das man entkleidet. Die Scherer bekamen drei Sous für ein Tier; ein guter Arbeiter konnte zwanzig an einem Tage scheren.
Hourdequin dachte an den Preis der Wolle, der auf acht Sous das Pfund herabgesunken war, und erwog mit Sorge, daß er sich beeilen müsse, seine Schur zu verkaufen, damit sie nicht an Gewicht verliere. Im vorigen Jahre hatte der Milzbrand die Herden in der Beauce stark vermindert. Alles ging schlecht und schlechter; seit der Preis des Getreides von Monat zu Monat fiel, drohte der Ruin, der Bankerott des Grundbesitzes. Dem Bauern ward die Brust so schwer bei diesen Gedanken, daß es ihm zu eng wurde im Hofe. Er machte sich auf den Weg, um nach seinen Äckern zu schauen. Das war der Ausgang all seiner Zwiste mit der Cognette; erst fluchte er und ballte die Fäuste, und danach räumte er das Feld, von Sorgen übermannt, die nichts zu bannen vermochte wie der Anblick seiner Roggen- und Haferfelder, die, soweit das Auge reichte, ihr helles Grün vor ihm ausbreiteten.
Wie er die Mutter Erde lieben gelernt hatte! Aber nicht lieben mit dem hungrigen Geiz des Bauers; nein, mit einer rührenden, fast verständnisvollen Leidenschaft liebte er die Erde, in der er die Urmutter erkannte, die ihm das Leben gegeben, seine Substanz, zu der er einst wieder zurückkehre. In seiner Kindheit war er auf dem Lande erzogen; sein Haß gegen die Schule, seine Sehnsucht, die Bücher zu verbrennen und auf dem Lande zu bleiben, hatten ihren Ursprung in den in freier Luft verlebten ersten Jahren, in den herrlichen tollen Jagden über die weiten Gefilde. Als er später nach dem Tode seines Vaters das Gut übernommen, reifte seine Liebe zur Erde; er begann, sie wie eine Braut zu verehren, die er heimgeführt, der er sich in rechtmäßiger Ehe verbunden, aus deren fruchtbarem Schoße er Glück erhoffte. Diese zärtliche Neigung wuchs, je mehr er der geliebten Erde seine Zeit, sein Geld, sein ganzes Leben hingab; er liebte sie wie ein tüchtiges Weib, deren Launen und selbst deren Verrat man verzeiht. Zuweilen zwar brachte es ihn auf, wenn sie sich zu widerhaarig zeigte; wenn sie zu feucht war oder zu dürr und die Saat in sich aufnahm, ohne ihm dafür eine Ernte zu geben. Dann wieder verzweifelte er an sich selbst, klagte sich der Unfähigkeit und Schwäche an, meinte, diese Unfruchtbarkeit sei sein eigen Verschulden.
In jener Zeit fing er an, sich auf die neuen Methoden zu werfen, und bereute bitter, daß er auf der Schule kein besserer Schüler gewesen, daß er keine der landwirtschaftlichen Akademien besucht habe, über die sein Vater und er selbst einst so gespottet. Wieviel nutzlose Versuche mußte er jetzt machen, wieviel Versuche mißlangen! Die Knechte verdarben ihm die teuren Maschinen, und eine Menge Geld ward nutzlos vom Kunstdünger verschlungen, mit dem er sich betrog. Sein ganzes Vermögen mußte in der Borderie festgelegt werden; und doch reichte ihr Erträgnis kaum hin, ihn zu ernähren, und er lebte in immerwährender Bange, daß eine Ackerbaukrise ihn zugrunde richte.
Immerhin! Er war entschlossen, der Gefangene seines Besitztums zu bleiben, er wollte ausharren bis zum Ende; bis sie einst in der Erde, die er liebend hegte und pflegte, seine Gebeine verscharrten.
Als er an jenem Nachmittag auf die Felder hinauskam, erinnerte er sich seines Sohnes, des Hauptmanns. Wie prächtig hätte er im Verein mit diesem arbeiten können! Doch er verscheuchte sofort den Gedanken an diesen Tropf, der es vorzog, einen Säbel zu schleppen; nein, er hatte kein Kind mehr, er war verurteilt, allein seine Tage zu beschließen! Und jetzt gedachte er seiner Nachbarn, zumal der Coquarts, einer Grundbesitzerfamilie, die Vater, Mutter, drei Söhne und zwei Töchter, ihr Gut, Sankt-Justin, selbst bewirtschafteten, und denen es nicht viel besser ging als ihm. In der Chamade hinwiederum lief der Kontrakt des Pächters zu Ende; er düngte die Äcker nicht mehr und ließ alles verkommen. Gewiß, überall blieb zu wünschen übrig; es hieß arbeiten und zufrieden sein.
Hourdequin wandelte die grünenden Felder entlang.
Leichte Regen im April hatten das Futterkraut zu schöner Entwicklung gebracht; der Teppich roter Kleeblüten bereitete, ihm eine große Freude; er überschaute zufriedenen Sinnes die sprossende Aussaat des Roggens und vergaß die trüben Gedanken. Er bog in die frisch gepflügten Äcker, um nach der Arbeit der beiden Pflugknechte zu schauen; die fruchtbare, fette Erde heftete sich an seine Sohlen, als wolle sie sich an ihn klammern; und sie nahm wieder all sein Sinnen gefangen, machte ihn sich ganz zu eigen. Er fühlte von neuem, daß er nur sie allein liebe, nur ihr gehöre, und dies Bewußtsein verjüngte ihn förmlich; Freude und Tatlust schwellten ihm die Brust. Mutter Erde war ihm alles; was bedeutete daneben das andere? Wie nichtig waren seine Liebeleien: was galten ihm die Cognette oder diese oder jene? So eine Magd ist wie ein Teller, aus dem alle essen, –wenn nur der Teller rein ist. Dieser tröstende Schluß seiner Gedanken gab ihm seine gute Laune zurück. Er marschierte drei Stunden in der frischen Luft und ward bald so guter Dinge, daß er mit der Magd Coquarts, die auf einem Esel reitend des Weges daherkam, über ihre nackten Beine scherzte.
Als der Gutsherr wieder den Hof betrat, begegnete er Jacqueline. Sie nahm von den Katzen Abschied, deren es immer zwölf, fünfzehn oder zwanzig im Gehöft gab; niemand wußte genau wieviel. Die Katzen warfen ihre Jungen in versteckten Winkeln im Stroh und kamen dann eines Tages plötzlich mit fünf oder sechs Kleinen zum Vorschein. Danach ging die kleine Frau zu den Hütten von Empereur und Massacre, den beiden Schäferhunden, um ihnen ebenfalls Lebewohl zu sagen; doch die Köter knurrten sie an, denn sie mochten sie nicht leiden. Das Abendessen verlief trotz dieser Abschiedsszenen genau wie alle Tage. Der Herr aß und plauderte wie immer. Nachdem der Tag zur Neige gegangen, war von niemandes Fortgehen mehr die Rede. Alle legten sich schlafen, die Schatten des Abends umhüllten den stillen Hof.
In jener Nacht schlief Jacqueline im Zimmer der verstorbenen Frau Hourdequin. Es war dies das beste Gemach des Hauses: dort standen ein schöner Schrank, ein Spiegeltischchen, ein Lehnsessel; über einem Mahagoni-Schreibtisch blinkten unter Glas die Medaillen, die der Gutsherr auf den landwirtschaftlichen Ausstellungen erhalten; und im Hintergrunde stand in einem rot verhangenen Alkoven das breite Ehebett.
Als die Cognette im Hemde in die Bettstatt gestiegen war, dehnte sie sich, streckte Arme und Beine auseinander, um das weite Lager ganz allein zu füllen; und dabei girrte ihr Taubenlachen zwischen den Kissen hervor.
Als sie Hans am nächsten Tage wieder um den Hals fallen wollte, wies er sie zurück. Sobald die Sache mit Herrn Hourdequin ernst wurde, erschien ihm eine Fortsetzung seines Verhältnisses zu Jacqueline als etwas Unanständiges.