Fedor von Zobeltitz
Der Kurier des Kaisers
Fedor von Zobeltitz

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Zwölftes Kapitel.

Des Dramas Ausgang.

Zu spät! – Die letzten Tage Kaiser Maximilians. – Heimkehr. – Ein Wiedersehen mit dem Marschall Bazaine.

Die breite Heerstraße zwischen San Luis Potosi und Queretaro war in diesen Tagen außerordentlich belebt. Besonders vor »Don Pedros Hof«, einer Straßenschenke ein paar Miglien vor der Festung, herrschte ein ungewöhnliches Treiben. Im Wagenschuppen stand eine ganze Reihe von Pferden und Maultieren angezäumt, und um die roh gezimmerten Tische vor der Hausthür saßen bei Wein und Pulqueschnaps die Treiber und Reisenden und kannegießerten nach Kräften, denn die Politik beherrschte nun einmal alle Interessen.

Es war am Vormittage und glühend heiß; die Zecher hatten infolgedessen ihre Tische in den Schatten unterhalb des Verandabaus gerückt, wo allerdings auch immer noch eine hübsche Temperatur herrschte. Der Wirt der Posada, ein dickes Männchen mit roter Zipfelmütze, stand mitten unter seinen Gästen 156 und machte sich eine Ehre daraus, sie durch allerhand Klatschgeschichten zu unterhalten.

»Santissima!« sagte er plötzlich und legte die rechte Hand als Schutzdecke gegen die Blendung der Sonne über die Augen, »was rast denn da wie toll und voll den Weg hinab? Sind das Kuriere des Juarez, die nach Queretaro wollen? Aber nein – sie tragen keine Uniformen –«

»Sehen mir mehr wie ein paar Strolche aus,« fiel einer der Maultiertreiber ein, und ein andrer schnellte plötzlich erregt in die Höhe:

»Caramba, da seht – das hat ein Unglück gegeben!«

Von den beiden Reitern war der eine gestürzt; Mann und Pferd wälzten sich im Staubpulver der Chaussee. Die ganze neugierige Gesellschaft war aufgesprungen und stürmte im Sonnenbrande nach der Stätte des Unglücks.

»Ein Bein gebrochen, Caballero, oder sonst was geschehen?«

»Cospetto, fragt nicht so dumm!« schimpfte der Gestürzte und klopfte sich den Staub von den Kleidern; »Ihr seht doch, daß mein Gaul nicht mehr weiter kann – ich schenke ihn Euch, wenn Ihr uns ein paar frische Pferde stellen könnt! Tausend Pesetos dafür – aber entschließt Euch schnell, denn wir haben keine Zeit, lange zu warten!«

Eine gewaltige Erregung kam unter die Gäste von »Don Pedros Hof«. Sacristi, was warf der Mann mit dem Gelde um sich! Und Don Pedro selbst, der dicke Wirt, drängte sich an den Gestürzten heran und raunte ihm zu:

»Ich habe zwei flinke Ponys im Stall, Señor – in zwei Stunden könnt Ihr in Queretaro sein. Aber, nicht wahr – tausend Pesetos sagtet Ihr – Ihr habt sie doch bei Euch?«

Statt jeder Antwort griff der Angeredete in die Tasche und hielt dem Padrone zwei Rollen unter die Augen. Sie mußten Goldmünzen enthalten, diese Rollen – Don Pedro hatte für dergleichen eine feine Witterung; er roch gewissermaßen den Mammon.

157 Das Geschäft war rasch abgeschlossen, und während einer der Treiber die Ponys sattelte, erkundigten sich die beiden Fremden nach den letzten Vorgängen in Queretaro. Schon unterwegs hatten sie gehört, daß Kaiser Maximilian mit seinen Generalen Miramon und Mejia von dem Juaristischen Kriegsgericht zum Tode durch Erschießen verurteilt worden seien, daß man auf Einspruch der preußischen Gesandtschaft die Exekution aber noch verschoben habe.

»Ganz richtig,« sagte der Wirt und nickte lebhaft mit dem Kopfe, so daß der rote Büschel seiner Mütze hin- und herflog; »die Exekution ist verschoben worden – das erzählte auch gestern ein Gendarm, der zum Präsidenten nach Potosi ritt – aber warten Sie mal« – und der Padrone rief zu den Gästen hinüber: »Miguel, erzähltest du vorhin nicht, die Hinrichtung in Queretaro sei nur auf drei Tage verschoben worden?«

»Ja – auf drei Tage,« antwortete der Gefragte.

»Das wäre also – i potztausend,« und Don Pedro schlug sich auf den Schenkel, »heute haben wir ja schon den Neunzehnten – und da wäre ja auch heute schon –«

»Zu Pferde, Berger!« rief einer der Fremden mit erblassenden Wangen. Im Nu saßen die beiden wieder im Sattel, und im Galopp ging es die Straße hinab. Hochauf schlug der weißgraue Staub und hüllte die Reiter in eine dichte Wolke ein.

Zu spät! – Schreckliche Worte! Fritz und Hodegg hatten das Rettungsmittel für den gefangenen Herrscher in der Tasche – das einzige Mittel, das in Mexiko alles vermochte. Kerkerthüren öffnete und Stellen und Ämter schuf – klingendes Gold! Und ohne Rast und Ruh waren sie von der Estancia Jacinto aus nach Süden geeilt, halb tot vor Erschöpfung, hungrig und durstig – und nun sollte es zu spät geworden sein!? – –

In flimmerndem Sonnenglanze stiegen die Felsenhöhen und die weißen Häuser Queretaros vor ihnen auf. Drüben 158 auf jenem Berge lag das Kloster la Crux, durch das der Schurke Lopez die Soldaten Escobedos in schweigender Nacht in die Stadt geführt hatte – und weiter westlich das Kloster Santa Teresita, das Gefängnis des Kaisers. Die Rechte Graf Hodeggs wies hinab auf die Stadt. Jedes Thor, jeder Felsenvorsprung, jeder Baum erinnerten ihn an die glorreiche Verteidigung der Festung, die sich zweiundsiebzig Tage hindurch gegen eine Armee von über fünfzigtausend Mann gehalten hatte und schließlich als das Opfer eines schändlichen Verrats fallen mußte.

»Er war zu gut für dieses Mexiko, mein Kaiser!« rief Hodegg in aufwallender Empfindung. »Zu gut für dieses Land, in dem Bestechung und Treubruch alltägliche Dinge sind und in dem die Schande regiert!«

Ja – es war so: zu gut war Maximilian für Mexiko! – –

Die kleinen Ponys der beiden Reiter brachen fast zusammen, als man das Nordthor der Festung erreicht hatte. Von hier aus konnte man die Ebene südlich des Rio Blanco, der das Thal durchströmt, ziemlich gut überschauen. Hier lag ein vereinzelter Bergkegel, der Cerro de las Campañas oder Glockenberg, auf dem der Kaiser bei Beginn der Belagerung sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Man sah, daß es auf der Höhe von Menschen wimmelte; der Berg glich aus der Ferne einem riesigen Ameisenhaufen.

Eine Wache stand vor dem Thore und ein Offizier trat den Reitern entgegen.

»Wohin, Caballeros?« fragte er, die Cigarette im Munde. »Kommen Sie aus Potosi? Und warum versteckt sich Don Juarez? Es wäre doch wahrlich ein Triumph für ihn gewesen, der Hinrichtung Maximilians beiwohnen zu können! – Schauen Sie hinüber nach dem Cerro de las Campañas – es wimmelt von Neugierigen! Heute früh um sieben Uhr sind da drüben Maximilian, Mejia und Miramon erschossen worden!«

159 Fritz taumelte, und mit einem Wehlaut sank Graf Hodegg ohnmächtig vom Pferde. – – –

 

Als ganzer Held und echter Habsburger war Kaiser Maximilian in den Tod gegangen. Dem Schurkenstreich des Obersten Lopez, den General Escobedo an den sich fern vom Schuß haltenden Juarez als »Triumph der nationalen Waffen« meldete, folgte auf republikanischer Seite eine traurige Komödie. Das Kriegsgericht, das über den Kaiser und die beiden mit ihm gefangenen Generale aburteilen sollte, bestand aus jungen Leuten, von denen der älteste das zwanzigste Lebensjahr kaum überschritten hatte – die Anklageschrift selbst aber war geradezu entwürdigend für Juarez. Am 13. Juni wurde im Theater Iturbide zu Queretaro – ein geeigneter Ort für das empörende Schauspiel – das Kriegsgericht eröffnet. Der Kaiser hatte verschmäht, persönlich zu erscheinen und sich durch Krankheit entschuldigen lassen. Aber es war ihm geglückt, vorzügliche Verteidiger zu gewinnen, die mit flammenden Worten auf die Ungerechtigkeit der Verhandlung und die ganze Schande dieses Possenspiels hinwiesen. Vergebens – der Tod des Kaisers war beschlossene Sache, und so lautete denn auch das einstimmige Verdikt auf »schuldig«.

Als der Spruch im Lande bekannt wurde, bemächtigte sich – zu Ehren Mexikos muß es gesagt sein – allerorten eine tiefe Trauer. Zahlreiche Deputationen von Bürgern und Frauen begaben sich nach Potosi zu Juarez und flehten für das Leben des Kaisers – von allen Höfen, aus allen Kulturvölkern der Welt trafen Telegramme mit der Bitte um Begnadigung ein – umsonst, umsonst! Nichts konnte Maximilian mehr retten, als ein paarmalhunderttausend Pesetos, die Bestechungssumme für die Ermöglichung der Flucht – und dies verdammte Geld, ein Pappenstiel, wo es sich um Leben oder Tod eines edeln Fürsten handelte, es war nicht aufzutreiben! –

Am Tage vor der Hinrichtung richtete Maximilian noch 160 ein Schreiben an Juarez, das in jedem Worte die edle Würde Maximilians kennzeichnete und schlagend darthat, wie bergehoch er an Seelengröße seinen Gegner überragte. ». . . Im Begriffe, zu sterben,« so hieß es in jenem Briefe, »weil ich den Versuch gemacht, ob ich durch Einführung neuer Institutionen nicht dem blutigen Bürgerkriege ein Ende machen könne, der seit einer Reihe von Jahren dies unglückliche Land zu Grunde richtet, würde ich mein Leben mit Freuden hingeben, wenn ich wüßte, daß dieses Opfer zum Frieden und zur Wohlfahrt meines neuen Vaterlandes beitragen könnte. Erschüttert von gewaltigen Schicksalsschlägen beschwöre ich Sie in feierlichster Weise und mit der Aufrichtigkeit, die mir die wenigen Augenblicke, welche ich noch zu leben habe, einflößen, kein andres Blut mehr als das meine fließen zu lassen. Ich beschwöre Sie auch, jene Ausdauer, welche ich mitten im Glücke erkennen und loben gelernt, und mit welcher Sie eine heute triumphierende Sache verteidigt haben, bei der erhabenen Aufgabe einer Versöhnung der Geister anzuwenden, um auf einer festen und dauerhaften Grundlage den Frieden und die Ruhe in diesem unglücklichen Lande wiederherzustellen . . .«

Der Morgen des 19. Juni dämmerte herauf, ein tropisch heißer Tag. Plakate an allen Straßenecken kündeten in Escobedos Namen jedem den Tod an, der Sympathien für die Verurteilten bezeugen würde, aber trotz dieser Drohung begleitete die Menge den Kaiser in Trauerkleidung auf den Hinrichtungsplatz und sandte ihm mit thränengefüllten Augen die letzten Grüße zu. In drei Wagen fuhren der Kaiser, Miramon und Mejia nach dem Cerro de las Campañas, wo sechstausend Mann unter dem Gewehr standen. Der Kaiser stieg aus, schüttelte den Straßenstaub von seinen Kleidern und schritt sodann die Front des Exekutionskommandos ab, die Soldaten, von denen ein jeder eine Goldunze als Geschenk von ihm erhielt, bittend, gut auf seine Brust zu zielen. Dann umarmte er Miramon. »General – ein Tapferer wird auch von 161 Monarchen bewundert, und vor dem Tode will ich Ihnen den Ehrenplatz überlassen,« sagte er zu ihm, und zu dem schmerzlich bewegten kleinen Mejia, der unmittelbar vorher sein Weib mit dem jüngsten Kinde im Arm hatte wahnsinnig durch die Straßen laufen sehen, sprach er: »General, was auf Erden nicht belohnt wird, wird es ganz gewiß im Himmel!«

Dann trat er einige Schritte vor, um ein letztes Wort an das schweigende Volk zu richten.

»Ich sterbe,« so sagte er, »für eine gerechte Sache: für die Freiheit und Unabhängigkeit Mexikos. Möge mein Blut das letzte sein, das als Opfer für das Vaterland vergossen wird! Es lebe Mexiko!«

Die Salve krachte – und stumm, von sechs Kugeln getroffen, sank der Kaiser um. Er war auf der Stelle tot.

»Era una alma grande« – »er war eine große Seele« – so hatte selbst einer seiner Feinde ihm nachgerühmt. – –

* * *

Monate waren verflossen. Die große Tragödie in Mexiko, welche die ganze Welt mit Trauer und Entsetzen erfüllte, hatte ausgespielt. Statt der kaiserlichen Fahnen wehte wieder das Banner der Republik im Reiche der Inkas. Nicht ohne neue Wirren und ohne neues Blutvergießen hatte sich der Umschwung vollzogen, aber im allgemeinen herrschte im Lande doch eine größere Ruhe, als man hätte erwarten können. Die kaiserlich Gesinnten bannte der Schrecken. Auch die Indianer blieben ruhig. Der Tod Wohannas und die Hinrichtung des Generals Mejia, ihres Stammeshelden, hatte alle Kriegsgedanken in den Pamas erstickt; es fand sich auch kein zweiter, der das revolutionäre Riesenwerk, das Wohanna geplant, hätte aufnehmen und durchführen können.

Fritz und Hodegg waren in Queretaro als kaiserliche Offiziere erkannt und gefangen genommen worden. Aber war es auch Ana von Hallstädt trotz flehentlicher Bitten nicht 162 gelungen, Escobedo und Juarez zu einem nochmaligen Aufschub der Exekution zu vermögen und damit vielleicht das Leben des kaiserlichen Märtyrers zu retten, so glückte es ihrer Fürsprache doch, den beiden nach achtwöchentlicher Gefangenschaft die Freiheit zu erwirken. Der Diktator wollte sich gegen die Tochter dankbar erweisen für die Hilfe, die ihm einst deren Vater gespendet hatte, als er in der Hacienda Panisca auf ein Haar in die Hände der Gegner gefallen wäre – und auch der blutige Escobedo trug noch immer ein Gefühl von Neigung für Ana in seinem harten Herzen, obschon er wohl wußte, daß sie ihn nie erhören würde.

Es war nur zu natürlich, daß der unerwartete Tod ihres Vaters Ana tief erschütterte. Was auch Fremdes zwischen ihr und ihm gestanden hatte – es war der Vater gewesen, den sie verloren, und sie weinte dem Toten ehrliche Thränen nach. Graf Hodegg war in der gemeinsamen Leidenszeit, die man durchlebt hatte, so befreundet mit Fritz geworden, daß er sich nicht von ihm trennen wollte, und Fritz wiederum fühlte die Verpflichtung, Mexiko nicht eher zu verlassen, bis er die Erbschaftsangelegenheiten Anas geordnet und diese selbst in Sicherheit wußte. So reiste man denn gemeinsam nach New-Orleans, wo ein geschickter Advokat in verhältnismäßig kurzer Zeit die Regelung der Hinterlassenschaft des verstorbenen Hallstädt besorgte. Noch eine besondere Freude harrte der neuen Freunde in der amerikanischen Hafenstadt: sie trafen eines Tages, als sie in ihr Hotel heimkehrten, den alten Kommandeur der Cazadores a caballo, Oberst von Leuthen, dem es gelungen war, aus der Gefangenschaft von Queretaro zu flüchten, und der sich von hier aus nach Europa einschiffen wollte. Selbstverständlich wurde das Wiedersehen bei einem kräftigen Trunke fröhlich gefeiert.

Es war an einem regenschaurigen Oktoberabend, als Fritz nach kurzem Anklopfen in das Zimmer Anas im Hotel Commercial trat.

163 »Ich komme soeben vom Advokaten, Fräulein Anna,« sagte er zu dem mit einer Handarbeit beschäftigten Mädchen – er liebte es, ihr an Stelle des spanischen Namens den voller klingenden deutschen mit dem doppelten n zu geben –, »die Angelegenheiten sind so weit geordnet, daß der Verkaufsvertrag in Bezug auf die Hacienda und das Minenterritorium dieser Tage vollzogen werden kann. Der Preis, den Sie erhalten, ist freilich ein mäßiger, dafür zahlt aber der Käufer bar aus, so daß spätere Verwickelungen unmöglich sind. Es handelt sich nun nur noch um die letzte Frage: was soll mit Ihnen geschehen? Ich lasse Sie – was soll ich es verschweigen – ungern in Amerika zurück, und ich habe mich deshalb schon von Queretaro aus nach Deutschland gewandt, um Ihnen dort eine neue Heimat zu schaffen – vorausgesetzt natürlich, daß Ihre Wünsche den meinigen entsprechen.«

Unter leichtem Erröten schlug Ana die Augen zu Fritz empor.

»Lassen Sie es mich gerade heraus sagen, lieber Freund,« antwortete sie, »ich habe dies gütige Anerbieten erwartet. Mit Mexikos blutgetränktem Boden verbinden mich nur trübe und unheilvolle Erinnerungen – ich habe auch keinen Menschen hier, der mir nahe steht – ich sehne mich fort. Und wollen Sie sich auch fernerhin meiner annehmen, wollen Sie ein Freund der Verwaisten bleiben« – und ihre Stimme zitterte, während sie ihm beide Hände entgegenstreckte – »Fritz, der gnädige Gott über uns wird Ihnen Ihre Gutthaten lohnen!«

Fritz hielt des Mädchens Hände fest in den seinen.

»Ich habe schon Lohn genug gefunden, Fräulein Anna,« erwiderte er bewegt, »da ich Sie kennen lernen und Ihnen nach meinen schwachen Kräften Hilfe angedeihen lassen durfte. Fürwahr – heute fühle ich es: es war eine höhere Hand, die mir den Weg nach Mexiko wies! Wäre mein Herz von Goldgier erfüllt, so könnte ich sagen: ich kann zufrieden sein, denn Mexiko hat mich zum reichen Manne gemacht. Aber dieser 164 Reichtum ist das Geringste, das ich mit in die Heimat nehme. Ich bin auch reicher geworden an Erfahrungen, und ich hoffe, sie werden mir in meinem künftigen Leben nutzbringend sein. Mein Freund Hodegg will den Soldatendienst quittieren und sich der diplomatischen Laufbahn widmen – ich selbst aber denke dem Schwerte treu bleiben zu können. Ich bin ein begeisterter Soldat geworden, und vielleicht werden Tage kommen, da ich dem alten Vaterlande drüben besser dienen kann, als ich dem mexikanischen Kaisertum zu dienen vermochte. Und was nun Sie anbetrifft, Fräulein Anna, so hoffe ich, Ihnen vorläufig im Hause meines ehemaligen Chefs ein stilles und freundliches Heim schaffen zu können. Eine halbe Deutsche sind Sie ja schon – vielleicht werden Sie es einmal aus voller Seele und ganzem Herzen!«

Und thränenden Auges entgegnete Ana nichts als:

»Ich hoffe es, Fritz!« – –

 

Acht Tage später stach von New-Orleans aus der Dampfer »Franklin« in die See. Ana, Leuthen, Hodegg und Fritz befanden sich an Bord des Schiffes. In der Richtung der mexikanischen Küste strichen weiße Nebel tief über die Wasser – und allen vieren war es, als zögen sie aus einem brauenden Chaos sonnenwärts in reinere Lüfte und nach glücklicheren Landen.

* * *

»Auf Wiedersehen, Marschall Bazaine!« hatte Fritz dem Oberstkommandierenden des französisch-mexikanischen Corps zugerufen, als er sich bei San Rafaëlo auf das ihm gestohlene Pferd geworfen hatte und geflüchtet war.

Und in der That – er sollte den Marschall noch einmal wiedersehen! – –

Es war an einem der letzten Oktobertage im blutigen, ruhm- und siegreichen Jahre 1870. Die bleiche Herbstsonne 165 zauberte etwas wie einen letzten schwermütigen Sommertraum über die Erde und warf verstreute Lichter ihres Goldschimmers auch in ein kleines Gemach des Mairiegebäudes von Verny bei Metz. Es war ein freundlich eingerichtetes Zimmerchen mit einem großen Himmelbett im Hintergrunde und einem gemütlichen Sorgenstuhl am Fenster, in dem, sorglich in Decken gewickelt, ein blasser junger Mann saß.

Das war unser Held aus den stürmischen Tagen von Mexiko, und neben der silbernen Verdienstmedaille Maximilians schmückte nunmehr auch das Eiserne Kreuz seine Brust.

Sein Wunsch, in eine deutsche Armee treten zu können, war in Erfüllung gegangen. Ein preußisches Kavallerieregiment nahm den mexikanischen Lieutenant und ehemaligen Kurier Kaiser Maximilians als Avantageur an – und ehe noch an den Ufern des Rheins die Kriegsdrommeten schmetterten, war Fritz Offizier geworden.

Furchtbar brach über Napoleon das Gottesgericht herein. Der unglückliche Herrscher, der dank der französischen Treulosigkeit auf den Felsen von Queretaro hatte sein Herzblut vergießen müssen, und die arme kaiserliche Dulderin, die Napoleons Wortbruch in unheilbaren Wahnsinn getrieben – sie sollten von stammesverwandter Hand bitter gerächt werden. Und wie Napoleon selbst, so sollte auch seinen hilfsbereiten Vasallen Bazaine, der alles gethan hatte, um Maximilian zu verderben, sein Schicksal erreichen. Nach seiner Rückkehr aus Mexiko blühte ihm zunächst die unzweideutige Ungnade seines Monarchen; den Gerüchten über die kein Mittel verschmähende Geldsucht und die selbstsüchtigen Sonderpläne Bazaines hatte auch Napoleon nicht das Ohr verschließen können. Erst 1869 wurde er wieder in Gnaden aufgenommen und als Kommandeur der Kaisergarde nach Paris berufen. Bei Beginn des deutsch-französischen Feldzugs erhielt er den Oberbefehl über das dritte Corps. Im August 1870 versammelte er, einsehend, daß die Mosellinie nicht mehr zu halten war, und immer noch hoffend, sich bei 166 Châlons mit der Armee Mac Mahons vereinigen zu können, seine Truppen bei Metz. Durch die Schlachten bei Colombey-Nouilly und Mars-la-Tour-Vionville verzögerte sich jedoch der Abmarsch seines Heeres, das am 18. August bei Gravelotte geschlagen und nach Metz hineingeworfen wurde. Bazaine versuchte umsonst, den ihn enger und enger umschließenden Eisenring der deutschen Streitkräfte zu durchbrechen – es blieb ihm endgültig nichts übrig, als sich mit seiner gesamten Macht und allem Kriegsmaterial dem Prinzen Friedrich Karl von Preußen zu übergeben.

Bei Vionville war Fritz verwundet worden. Im Lazarett hatte ihn die Tochter seines Quartierwirts, die nach ihrem gefangenen Bruder suchte, wiedererkannt und dafür gesorgt, daß er seine Rekonvaleszenz in ihrem väterlichen Hause verleben konnte, wo ihn liebevolle und gewissenhafte Pflege umgab. Um Ana von Hallstädt, die noch immer im Hause seines ehemaligen Chefs in Bonn lebte, nicht zu beunruhigen, hatte er ihr anfänglich nichts von seiner Verwundung geschrieben, bis sie es schließlich durch die offiziellen Listen erfuhr. Und so geschah es denn, daß am letzten Oktobertage ein großer Reisewagen vor dem Mairiegebäude von Verny hielt, und daß Fritz die Freundin wenige Minuten später voll jubelnder Herzensfreude begrüßen konnte.

Was hatte man sich nicht alles zu erzählen! – Ana saß Fritz gegenüber am Fenster, und ihm war, als habe sein guter Engel sich eingefunden, um ihm endliche Genesung zu bringen. Er fühlte sich so wohl und glücklich, daß in seine blassen Wangen die erste helle Röte trat. Und voll und goldig schien die Sonne in das Zimmer, und draußen vor dem Hause spielte der Herbstwind mit den schon buntgefärbten Ahornblättern und trieb sie lustig durch die Luft.

Doch plötzlich wurde es lebendig auf der Landstraße. Eine ganze Kolonne gefangener Franzosen rückte an, die nach der Grenze transportiert werden sollten, zum teil ernst und 167 niedergeschlagen ausschauende Leute in zerrissenen und beschmutzten Uniformen, zum teil heitere Burschen, die unbekümmert ihr Pfeifchen rauchten und lachend miteinander plauderten. Jetzt teilte sich der endlos scheinende Zug; man wich rechts und links zurück; Feldgensdarmen sprengten die Chaussee hinab, ein Zug Kürassiere folgte – dann ein geschlossener Wagen – und gerade, als dies Gefährt an dem Mairiehäuschen vorüberfuhr, sah Fritz, der sich in seinem Krankenstuhle aufgerichtet hatte, hinter der trüben Scheibe des Wagenfensters ein blasses, gedunsenes Gesicht – und beider Augenpaare trafen sich – –

Es durchschauerte Fritz. Unter der Sonne Mexikos hatte er vor drei Jahren den Marschall Bazaine zum erstenmale gesehen – blitzschnell huschten die Bilder der Erinnerung an ihm vorüber. Das Felsenthal am Hange des Pic von Orizaba that sich wieder vor ihm auf – er sah die weißen Häuser von San Rafaëlo leuchten, und die Kolonne des französischen Corps rückte staubwirbelnd heran. Und wieder hörte er die schnarrende Stimme des Majors Richebourg und das fettige, etwas asthmatische Organ Bazaines – man spöttelte darüber, daß er sich als »Deutscher« zu erkennen gegeben hatte . . .

Als Deutscher! Jetzt hatte Bazaine die deutsche Faust kennen und fühlen gelernt, der arme Marschall, den man nach Cassel in die Gefangenschaft führte. Es zuckte auf im Herzen Fritz Bergers. Hochmut, Ehrgeiz und schnöde Gewinnsucht – die stolzen mexikanischen Träume Bazaines, der Maximilian stürzen half, weil er selbst nicht zur Herrschaft gelangen konnte – das alles war untergegangen wie des Marschalls glorreiche Armee. Und nichts war geblieben, nichts – nicht einmal die Hoffnung auf bessere Zeiten. Was dem Gefangenen von Metz noch blühte, war der Undank seiner Landsleute, Schmach, Schande, Entehrung, die öde Festungshaft auf St. Marguerite und ein einsamer Tod auf fremder Erde. – –

Und unwillkürlich kehrte der Gedankenflug Bergers nach 168 Queretaro zurück – – schwer ruhte die Hand Gottes auf denen, die Maximilian in den Tod getrieben hatten. –

Ana stand dicht hinter Fritz – ihre Rechte berührte seine Schulter.

»So nachdenklich, Fritz?« sagte ihre liebe Stimme. »Hat der Anblick Bazaines die Erinnerung in Ihnen geweckt?«

Er drückte ihre Hände.

»Ja, Anna,« erwiderte er, »es war so. Aber lassen wir die Vergangenheit ruhen und denken wir an die Zukunft! Wir haben noch ein ganzes langes Leben vor uns, wir sind noch im Lenz. Auch dieser heiße Krieg wird zu Ende gehen, und Gott wird mich schützen. Dann kehre ich zu Ihnen zurück und –«

Unter seligem Lächeln errötend, legte sie ihre Rechte auf seinen Mund.

»Still,« sagte sie leise; »noch sind Sie Patient, lieber Fritz, und ich habe nicht umsonst die weite Reise unternommen. Respekt vor Ihrer Pflegerin! Seien Sie artig und setzen Sie sich – ich hole die Medizin.«

Er gehorchte, und ihr strahlendes Antlitz zauberte gleichsam als Wiederschein auch auf sein Antlitz ein glückliches Lächeln. Er dachte an kommende Zeiten.

 


 


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