Fedor von Zobeltitz
Der Kurier des Kaisers
Fedor von Zobeltitz

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Neuntes Kapitel.

Iquilisco.

Flucht aus Potosi. – Merola, das Pamamädchen. – Fritz findet Wohanna wieder. – Im Indianerdorf.

Stunden verrannen. Draußen senkte sich die Nacht über San Luis Potosi, in dessen Gassen der Siegesjubel der Juaristen verrauscht war. Berger lag mit offenen Augen auf seiner Pritsche und lauschte. Es war sehr still ringsum, und dann und wann hörte man draußen auf dem Gange den einförmigen Schritt des patrouillierenden Wachtpostens.

War die Flucht Hodeggs geglückt? – Mit sehnender Ungeduld wünschte Fritz die Entscheidung herbei, die auch ihm Freiheit oder Tod bringen sollte. Zuweilen schlich sich ein banges Gefühl in seine Brust. Er war sich bewußt, nicht einen Schritt vom Wege der Pflicht abgewichen zu sein – aber es war ein Weg, der Steine und Dornen voll. Und gerade jetzt, 107 wo er die Freiheit gewissermaßen schon vor Augen gesehen hatte, quoll es übermächtig in seinem Herzen auf – der heiße Drang nach dem Leben. Er liebte Hodegg, der ihm immer mehr ein Kamerad als ein Vorgesetzter gewesen war, den treuen Waffengefährten, den an seiner Seite im Waldthal des Rio Panuco das Blei des Feindes zu Boden geworfen hatte und der nun gleich ihm in Gefangenschaft schmachtete. Und unwillkürlich schlossen sich seine Hände zum Gebet.

Nahende Schritte und Stimmen – Riegelklirren – die Thüre öffnete sich. Im Scheine einer Laterne sah Fritz seinen Wärter, dahinter Hallstädt und das Pamamädchen.

»Geglückt,« sagte der Haciendero auf Deutsch. »Der Graf erwartet Sie an der Kapelle San Ildefonso auf dem Wege nach Santa Maria di Rio. Hier sind Kleider für Sie, und hier sind Ihre Passierkarten! Und nun Gott befohlen, und geben Sie nur bald Nachricht nach der Hacienda Panisca! Denken Sie an mein schmerzzerfleischtes Vaterherz!«

Die Stimme Hallstädts erstickte unter Thränen; er drückte krampfhaft die Hand Bergers.

In Eile wechselte Fritz seine Kleidung und trat dann an der Seite Merolas ins Freie. Mit Wonne atmete er die kühle Nachtluft ein, die Luft der Freiheit. Das Vorzeigen der Passierkarten genügte, um die beiden ungehindert durch die Postenketten und die Thore zu lassen.

Bis zur Kapelle San Ildefonso mußten sie zu Fuß wandern. Aber sie schritten rüstig aus, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, so daß sie schon nach dreiviertel Stunden den Wallfahrtsort erreichten. In seiner unmittelbaren Nähe lag eine kleine Posada etwas abseits vom Wege, eine Herberge für Schmuggler und andres lichtscheues Gesindel aller Art. Mit dem Wirt dieses verrufenen Hauses stand Pedro Martinez, der Gefangenwärter der Garita San Francisco, in vertrauter Verbindung, und hier hatte er auch den Grafen Hodegg untergebracht. In einem Hinterzimmer der Schenke fand Fritz den 108 Grafen vor. Junker und Lieutenant umarmten sich herzlich – in Zeiten wie den letztdurchlebten kitten die Bande der Freundschaft sich rasch und unauflöslich fest aneinander.

Man konnte nicht lange beisammen bleiben. Hodegg hatte die Tracht eines Waldgängers angelegt und wollte am folgenden Morgen einen Trupp Arbeiter bis Guomajuato begleiten. Von dort aus hoffte er sich bis nach Queretaro durchschlagen zu können. Mit lebhaftem Interesse hörte er Fritz von dem Auftrag erzählen, den dieser von Hallstädt erhalten hatte.

»Selbstverständlich gewähre ich Ihnen mit Freuden den Urlaub, dessen Sie bedürfen, lieber Berger,« sagte er. »Ihr Aufenthalt bei den Pamas kann übrigens auch für uns von Vorteil sein. Die Pamas haben immer zu den kaisertreuesten Stämmen der Sierra gehört. Wenn unsre Armee nun thatsächlich vom Feinde in Queretaro eingeschlossen worden sein sollte, so ist es wichtig für uns, bei einem etwaigen Durchbruch einen Hinterhalt zu haben. Den könnten die Pamas uns sichern, zumal in der Sierra Gorda auch noch der Oberst Orevalo mit tausend Mann der Unsern steht. Ich bin von Miramon behufs Gefangennahme des Juarez mit unbeschränkten Vollmachten ausgerüstet worden, und kraft dieser Vollmachten erteile ich Ihnen nicht nur den erbetenen Urlaub, sondern ernenne Sie zugleich zum Kurier des Kaisers. Sie wissen, daß dies der offizielle Titel für diejenigen ist, die, mit Aufträgen der Regierung ausgerüstet, in ihrer Diensten Reisen zu unternehmen haben. Versuchen Sie, Orevalo zu erreichen und die Pamas mobil zu machen; ich sende Ihnen, wenn ich glücklich Queretaro erreiche und mit den Generälen Rücksprache genommen habe, nach Iquilisco, dem größten Pamadorfe, einen Boten mit näheren Nachrichten.«

Schüchtern und scheu trat in diesem Augenblicke Merola an die beiden heran.

»Herr, vergieb,« sagte sie, »aber es ist Zeit. Wenn der Morgen dämmert, müssen wir die Vorberge erreicht haben!«

109 Graf Hodegg zog das Mädchen an sich heran.

»Auch dir hab' ich zu danken, du wackere Kleine,« sagte er in bewegtem Tone. »Du hast Licht in das Dunkel meiner Gefangenschaft gebracht und hast mir die Thore der Freiheit öffnen helfen! Ich danke dir!«

»Nein, Herr,« antwortete Merola verlegen, »danke mir nicht! Was ich that, that ich gern, denn du warst gütig zu mir, und ich habe dich lieb. Alle Heiligen mögen dich schützen!«

Sie küßte Hodeggs Rechte und trat rasch an die Thür zurück. Hastig wechselte der Graf noch einige Worte mit Fritz.

»Haben Sie Geld, Berger?«

»Herr von Hallstädt gab mir fünfhundert Pesetos.«

»Geben Sie mir hundert ab – ich erstatte Sie Ihnen bei Gelegenheit zurück. Die Juaristen haben mich völlig ausgeplündert. Nehmen Sie dafür eine Zeile von mir mit auf die Reise, damit Sie sich nötigenfalls bei Orevalo legitimieren können!«

Er riß ein Blatt aus seinem Notizbuch, warf ein paar Worte auf das Papier und reichte es Fritz. Dann eine letzte Umarmung.

»Gott befohlen, Berger! Es lebe der Kaiser!«

»Es lebe der Kaiser!«

 

Über die weißen Gipfel der Sierra dämmerte der Morgen herauf, und schon küßte das erste Frührot den ewigen Schnee der Firnen und färbte ihn rosig.

Fritz hatte für sich und seine Begleiterin durch Vermittelung des Wirts der Posada bei der Kapelle San Ildefonso ein paar tüchtige Maultiere gekauft und sich auch mit Proviant versehen. So ging dann die Reise ganz gut von statten. Merola saß nach Männerart auf ihrem Tiere und erwies sich als sichere Reiterin. Je weiter man in das Gebirge vordrang, um so seltener begegneten die beiden einmal einem menschlichen 110 Wesen. Es war daher erklärlich, daß Fritz sich durch Plaudern mit seiner Nachbarin die Zeit so gut als möglich zu vertreiben suchte.

Er erfuhr durch sie allerhand, was für ihn von Interesse war. Die Pamas wohnten nach ihrer Erzählung verstreut in einer Anzahl kleinerer Dörfer der Sierra. Nur ein einziges größeres Dorf gab es in den Bergen, Iquilisco, eine Art Festung, in der sich früher die Priester des Stammes zu versammeln pflegten, wenn die Pamas zu einem Kriege rüsteten, und in deren Nähe noch die Trümmer eines alten indianischen Tempels standen. Nun aber waren die Pamas Christen geworden, und an der Stelle, wo früher die Altäre ihrer blutigen Götzen gestanden hatten, erhob sich jetzt eine kleine, aus Lehm erbaute Kapelle mit einem wunderthätigen Marienbilde. Auch Wohanna kannte Merola noch, und auch von ihm wußte sie viel zu erzählen. Als er flüchten mußte, weil er es verabsäumt hatte, den Tod seines Bruders zu rächen, hatte ein junger Pama aus dem Geschlecht des großen Atuko die Häuptlingsschaft an sich gerissen, aber der Schwächling war nicht mehr als eine Puppe in den Händen der Medizinmänner, die den Stamm beherrschten. Und diese Medizinmänner, die ehedem zur Priesterkaste gehört hatten, setzten alle Hebel in Bewegung, das Volk wieder vom Christentum abspenstig zu machen, um in der Wirrnis heidnischen Aberglaubens eine breitere Grundlage für ihre Intriguen zu haben. Auch die Kaisertreue der Pamas war nicht nach ihrem Geschmack; sie strebten nach der alten Selbständigkeit, die sie in dem Wirrwarr einer wilden politischen Anarchie schneller zu erreichen hofften, als es naturgemäß unter einem straffen Regiment möglich war.

Fritz hörte Merola gern plaudern. Trotz der Naivität ihrer Anschauungen konnte er sich doch recht gut aus ihrer Erzählung entnehmen. Sie besaß einen regen Verstand und sprach das Spanisch ziemlich flüssig. Rührend war ihre Anhänglichkeit an Hodegg. Der deutsche Gefangene hatte es ihr angethan; 111 wenn sie von ihm sprach, glitt ein süßes, melancholisches Lächeln über ihr Gesicht, und ihre Augen leuchteten förmlich auf. Sie war auch behend in der Zubereitung von allerhand Speisen. Dann und wann schoß Fritz ein Wasserhuhn, eine Wildschnepfe oder einen Präriehasen, und Merola weidete beim Mittags- oder Abendlager die Tiere aus und briet sie an einem Spieße aus Eibischholz.

In dieser wonnigen Frühlingszeit bot der Marsch wenig Anstrengungen. Die Morgenluft war von Jasmindüften geschwängert, und auf den grünen Berghalden wuchsen zu Tausenden farbige Blumen, Rittersporn, weiße Euphorbien, blaues Vergißmeinnicht und orangegelbe Asclepien. Am Waldhange traf man im dichten Unterwuchs von Eibisch und wilden Korinthen auch häufig auf üppig blühenden blauen Flieder – die ganzen Bergterrassen glichen einem einzigen, wunderbar schönen Blumengarten.

Erst, als man höher stieg und die Pfade schlechter wurden, nahm der Reichtum der Natur allmählich ab. An die Stelle der Eichen trat Tannenforst, und die grünen Matten des Waldes verschwanden. Hier oben war auch die Luft herber; von den schneeumkrönten Höhen wehte zuweilen ein eisiger Wind herab.

Gegen Abend des dritten Tages erklommen die Reisenden auf schmalem Fußwege das Plateau nördlich von Jalpan. Die Vegetation war noch nicht karg; ein feines, aromatisches Gras, das der Lenz dem Boden entlockt hatte, bedeckte die Halde, auf der überall phantastische Klippen und Felsblöcke verstreut lagen. Tief unter den Reisenden dehnte sich eine grüne, unübersehbare Wildnis aus, Berge und Schluchten und dazwischen ein tiefblau schimmernder See.

»Ist der Herr müde?« fragte Merola, als sie sah, daß Fritz auf seinem Maultier mit krummem Rücken und vornüber geneigtem Kopfe saß.

Er richtete sich straffer auf.

112 »Nicht gerade müde, Kind,« erwiderte er, »aber wenn ich ehrlich sein soll, so muß ich sagen, daß ich wünschte, wir hätten bald unser Ziel erreicht!«

»Es währt nicht mehr lange, Herr,« entgegnete Merola lächelnd. »Noch ein Nachtlager oben auf der Höhe – und morgen um die Mittagszeit sind wir in Iquilisco! Aber horch! Ist das ein Raubtier?«

Vorhin schon hatte Fritz den seltsamen Laut gehört, ein fernes Brüllen, schnell abbrechend und dann sich von neuem erhebend und allmählich in der Weite verlierend.

»Ein Präriewolf,« sagte er und lockerte seinen Flintenriemen.

»Nein, Herr – die Coyoten haben ein heiseres Bellen, aber das klang – das klang« – –

Sie brach ab, hielt ihr Maultier an und starrte scharfäugig den Abhang empor. In pittoresker Gestaltung erhob sich oberhalb der Felswand das Plateau – scharf und deutlich in seinen zackigen Umrissen sich von dem dunkelblauen Abendhimmel abzeichnend. Und plötzlich schrie Merola auf und sprang zur Erde.

»Señor – bei der Gebenedeiten – wir sind verloren! Ein Jaguar!«

Zwischen den Felsblöcken der Höhe schoß ein gewaltiges Tier hervor, in der Ferne fast schwarz erscheinend – nur bei raschen Wendungen sah man hie und da die gelben Flecke des Felles leuchten. Die Bestie lief in langausholendem Galopp geradeswegs auf die Reisenden zu.

Auch Fritz war von seinem Maultier gesprungen und hatte die Büchse in Anschlag gelegt. Aber ehe er noch zu Schuß kam, dröhnte es von der Nordseite her – zweimal kurz hintereinander, und der Jaguar überschlug sich wie ein getroffener Hase und blieb dann regunglos liegen.

Nun wurde es auf dem Plateau lebendig. Ein 113 Reiterschwarm – durchweg Indianer, wie Fritz auf der Stelle erkannte – brauste den Abhang hinab. Allen voran eine hohe Gestalt in wehendem Mantel und mit langflatterndem, schwarzen, strähnigen Haar.

Der Indios parierte dicht vor Fritz.

»Sieh da, Señor,« rief er, »sehen wir uns also doch noch einmal wieder?!«

»Ich war auf dem Wege zu dir, Häuptling,« entgegnete Fritz, »aber ich glaube, ich würde mein Ziel kaum erreicht haben, wenn uns deine Kugel nicht vor den Zähnen des Jaguars errettet hätte.«

Wohanna lächelte geschmeichelt.

»Der Jaguar hat seit Wochen in unsern Viehherden übel gehaust,« sagte er, »und erst seit drei Tagen sind wir ihm auf der Spur. Der Señor wird verzeihen, daß ich ihm den Schuß nicht gönnte und daß meine Kugel der seinen zuvorkam. . . . Sie wollten mich sprechen, Caballero, und Sie sollen mir ein erwünschter Gast sein. Ich will Sie selber nach Iquilisco geleiten.«

Der Häuptling sprach, wie Fritz wohl merkte, mit geflissentlicher Absicht ein möglichst gedrechseltes Spanisch, wandte das »Sie« in der Anrede an und vermied bilderreiche Wendungen, wie die Indianer sie sonst lieben. Es hatte den Anschein, als wolle er dem Deutschen zeigen, daß er auf einer höheren Kulturstufe stehe als die meisten seiner Stammesgenossen.

»Wer ist das Mädchen?« – und Wohanna deutete auf Merola.

»Meine Führerin, Häuptling,« erwiderte Fritz, »die mich von Potosi aus, wohin ich gefangen gebracht worden war, in die Dörfer deines Stammes geleiten sollte. Sie gehört den euern an, und ich habe ihre guten Dienste schätzen gelernt.«

»So soll auch sie mir willkommen sein!« Er wandte sich an seine Umgebung zurück und gab eine Reihe von 114 Befehlen. Einer der Pamas sprang ab und bot Fritz sein Pferd an; andre luden den Körper des getöteten Jaguars auf – dann setzte sich der ganze Zug in Bewegung.

Nach einem scharfen Ritt von vier bis fünf Stunden erreichte man gegen Mitternacht die Veste Iquilisco. Im hellen Mondenschein nahm sich das Indianerdorf wie eine Märchenstadt aus. Der weiße Marmor der Tempeltrümmer, die überall verstreut waren, leuchtete weithin. Besonders eine hohe, mit Basreliefs von barbarischen Formen bedeckte Säule schimmerte wie Marienglas. Sie stand auf einer kahlen Anhöhe, zu der gewaltige, in den Felsen gehauene Stufen hinaufführten und galt den Pamas noch heute als ein geheimnisvolles Symbol des Mondes, da sie nur in der Nacht Glanz ausstrahlte, am Tage aber weißgrau erschien.

Das Dorf selbst lag, von Lehm- und Steinmauern umgeben, in einer sanften Senkung des Plateaus. Die Häuser bestanden meist aus Tuffgestein, waren klein, niedrig und unregelmäßig gebaut und hatten statt der Fenster oft nur winzige Mauerscharten. Südwestlich des Dorfes lag eine Art Arena, in der sich in den Abendstunden die jungen Männer mit Ringkämpfen, Wettrennen, Speerwerfen und andern sportlichen Vergnügungen zu beschäftigen pflegten, und weiter östlich stand das christliche Kirchlein, das unter der Obhut eines Missionars erbaut worden war.

Trotz der späten Stunde herrschte noch ein lebhaftes Treiben im Dorfe. Vor den Häusern saßen die Weiber und flochten Guirlanden und Matten aus grünen Reisern, während andre das graue Mauerwerk mit frischen Kastanienblüten schmückten, die an langen Stecken aufgereiht waren.

Fritz war erstaunt über das ungewohnte Leben und wandte sich mit der Frage, ob man ein Fest vorbereite, an den Häuptling, der zustimmend, doch wie es schien, ein wenig verlegen, das Haupt neigte.

115 »Wir sind zwar Christen, Señor,« entgegnete er, »aber manche der alten Sitten haben wir dennoch beibehalten. So das Frühlingsfest, das morgen gefeiert werden soll. Wollen Sie an dem großen Mahle am Abend teilnehmen, so wird es uns eine Freude sein; Sie können dann zugleich sehen, wie wacker sich unsre jungen Männer in körperlichen Übungen bethätigen.« . . .

Man hatte inzwischen das Haus des Häuptlings erreicht, das etwas größer als die übrigen Baulichkeiten war, und auf dessen Dache an langer Stange eine zerrissene Fahne mit unkenntlich gewordenen, vom Regen verwaschenen Farben flatterte. Das Weib des Häuptlings, eine schöne schlanke Indianerin, und eine alte Megäre mit unheimlich verwittertem Gesicht, seine Mutter, begrüßten den Fremden vor der Thüre und führten ihn in das Hauptzimmer des Hauses, in dem Matten auf dem Fußboden lagen, und das in seiner Einrichtung dem Gemache eines kleinen Farmers oder Holzfällers glich.

Die Abendmahlzeit war bereits vorbereitet, und der gebratene Hirschrücken mundete unserm ausgehungerten Helden so gut, als säße er daheim am Tische irgend eines Restaurants. Als Getränk erhielt er außer einem Gläschen Rum freilich nur Wasser; der Weinkeller des Häuptlings schien trotz des zweifellos leidlich kultivierten Anstrichs, den seine Häuslichkeit machte, nicht allzu üppig versehen zu sein. Schließlich wurden die Frauen hinausgeschickt, die Pfeifen angesteckt, und dann nahm Wohanna zuerst zu einer intimeren Unterhaltung das Wort.

»Nun sprechen wir, Señor,« sagte er. »Sie haben einen Auftrag für mich?«

»Nicht nur einen, Häuptling – es sind deren mehrere. Zunächst: wo befindet sich die Tochter Don Hallstädts?«

»In bester Obhut.«

»Was heißt das, Häuptling?! Willst du Umschweife machen? Ich soll mit dir oder mit Don Fuerto über ihre 116 Auslieferung verhandeln. Warum habt ihr das Mädchen geraubt? Um Geld zu erpressen! Ist es nicht so? – Nun wohl – Herr von Hallstädt ist zu großen Opfern bereit; was fordert ihr?«

»Mehr als sein Leben – seinen gesamten Besitz!«

Fritz prallte zurück, und seine Stirn zog sich in Falten.

»Scherzest du, Wohanna, oder treibst du Spott mit mir? – Hallstädt würde es leicht sein, Euch die ganze Polizei des Reichs und eine stattliche Truppenmacht auf die Fersen zu hetzen – aber er zieht es vor, sich mit euch auf friedlichem Wege auseinanderzusetzen. Sei nicht thöricht und komm ihm entgegen! Du bist kein Räuber und Wegelagerer, meine ich, sondern ein Mann, dem man Ehre erweisen muß. Handle danach und wehre dem Einfluß, den Diego Fuerto auf dich auszuüben versucht!«

Wohanna schüttelte den Kopf.

»Was geht mich die Glattzunge an,« erwiderte er. »Ich übe Vergeltung an Hallstädt, der meinen Bruder tötete. Arm soll er werden wie ein Bettler; das ist meine Rache. Fuerto glaubte, ich könne sein Werkzeug werden – nun ist er das meine geworden. Und, Señor – Ihre Drohungen mit der Polizei und den Truppen verlache ich! Hinter mir stehen nicht die Pamas allein – – wollt Ihr Gewalt brauchen, so thut es! Wer schafft euch das Heer, von dem Sie sprechen? Die Truppen des Kaisers haben andres zu thun, als dem Silberkönig der Sierra Gorda Unterstützung zu gewähren.«

»Es ist wahr, aber du vergißt, daß Hallstädt reich genug ist, mit eignen Mitteln ein Corps zu werben, das eure Dörfer niederbrennen, euern Stamm zersprengen kann!«

Es blitzte auf im Auge des Häuptlings.

»Und Sie vergessen, daß die Señora, Don Hallstädts Tochter, in meiner Gewalt ist! Noch ist sie mein Gast, und ich lasse ihr alle Ehren erweisen – fragen Sie sie selbst, ob 117 sie über schlechte Behandlung zu klagen hat! Aber beim Grabe Atukos – wenn man mich zwingen will, sie herauszugeben, dann wird Don Hallstädt in Bälde den Tod seines Kindes beweinen können!«

Fritz schauerte zusammen. Er schaute in das Antlitz Wohannas; es war hart und kalt wie Bronce.

»Also noch einmal, Häuptling: was begehrst du?« fragte er finster. »Die Armut Hallstädts, sagst du. Erkläre dich näher!«

»Es ist rasch geschehen, Señor Hallstädts Vermögen liegt auf der Landesbank in New-Orleans. Durch Diego Fuerto weiß ich genau, wieviel es beträgt. Es sind acht Millionen Piaster. Dazu kommen noch seine gesamten Ländereien; auch diese soll er abgeben und sie rechtskundig seinem Neffen, dem Don Fuerto, verschreiben. Er soll nichts behalten . . . nichts – oder doch: wenn er mit seiner Tochter nach Europa zurückkehren will, so soll er aus unsern Händen das Reisegeld für die Überfahrt erhalten.«

Fritz griff unwillkürlich an seine Stirn. War der Häuptling wahnsinnig geworden? Beim ewigen Gott, fast schien es so! –

»Wohanna – Häuptling, du bist ein Mann in reifen Jahren, bist klug und hast mir selbst einmal erzählt, daß du von einem Advokaten in Tampico erzogen worden seiest – du stehst also nicht mehr auf dem Standpunkte halber Barbarei, sondern weißt, wie es draußen in der civilisierten Welt zugeht. Glaubst du wirklich, daß Hallstädt sich deinem tollen Vorschlage widerspruchslos fügen wird?«

»Er hat die Wahl – entweder er fügt sich, oder er sieht seine Tochter nur als Leiche wieder.«

»Und du fürchtest die Strafe des Gesetzes nicht?«

»Mexiko ist gesetzlos in diesen Zeiten. Was kann man mir thun?«

118 »Und du fürchtest auch die Rache des Himmels nicht?«

Die Hand des Häuptlings hob sich zu einer abwehrenden Bewegung.

»Hat der Gott der Christen nicht auch zugelassen, daß Hallstädt meinen Bruder aus tückischem Hinterhalt mordete?« fragte er.

Fritz schwieg und zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Er sah ein, daß mit diesem tollen Menschen nicht weiter zu verhandeln war; Doña Ana konnte nur durch List befreit werden.

»Ich werde Gelegenheit finden,« antwortete er, »mit Don Hallstädt über deine Forderungen zu sprechen, und ich denke und hoffe, du wirst noch gefügiger werden. Für jetzt etwas andres. Hast du nähere Nachrichten über die kaiserliche Armee erhalten? Ist es wahr, daß man sie in der Festung Queretaro eingeschlossen hält?«

Wohanna nickte.

»Ja, Señor, und es ist so gut wie unmöglich, die Armee aus der Falle zu retten, in die sie sich selbst gebracht hat.«

»Ich kann deine Ansicht nicht teilen, Häuptling. Auch aus einer von allen Seiten umzingelten Stadt sind im Dunkel der Nacht Ausfälle möglich. Wenn sich die Belagerten nach der Sierra Gorda durchzuschlagen vermögen, sind sie gerettet.«

Wohanna fuhr lauschend empor. Ein lauernder Ausdruck trat auf sein Gesicht.

»Ich verstehe Sie nicht, Señor,« erwiderte er. »Die Berge der Sierra bieten eine kräftige Deckung, aber keine genügende für ein ganzes Heer. Die Verfolger werden es zersprengen und aufreiben.«

»Nicht, wenn die Pamas den Kaiserlichen Schutz gewähren,« sagte Fritz mit erhobener Stimme.

Es zuckte und wetterte wie losbrechender Sturm über die Züge des Häuptlings – aber er wußte sich sofort wieder zu beherrschen, legte die Rechte auf die Brust und neigte das Haupt.

119 »Die Pamas werden dem Kaiser die Treue halten, die sie ihm gelobt haben. Der Kaiser mag uns rufen – wir werden bereit sein.«

Fritz erhob sich.

»Häuptling,« sagte er, »ich bin des Kaisers Kurier und stehe an seiner Stelle vor dir. Hier sieh meine Beglaubigung! Und nun höre mich. Ich habe den Befehl, in Iquilisco einen Sendboten General Mejias oder des Kaisers zu erwarten, und den weiteren Auftrag, dich zu bitten, die Deinen bereit zu halten, damit sie bei einem Durchbruch der Belagerten den Feind ablenken und sich mit den Kaiserlichen vereinigen können. Zu diesem selben Zwecke soll ich mich mit dem Obersten Orevalo in Verbindung setzen; weißt du. wo er zur Zeit steht?«

»Ich weiß nur, daß er vor zwei Wochen an den Quellen des Piboco sein Lager aufgeschlagen hatte, etwa drei bis vier Tagemärsche von hier. Wenn ich Ihnen dienen kann, bin ich bereit, in Ihrem Auftrage einen Boten an ihn zu schicken.«

»Ich nehme dein Anerbieten um so dankbarer an, Häuptling, als ich die Verpflichtung fühle, in den nächsten Tagen in der Nähe der Señora Ana von Hallstädt zu verbleiben; sie wird des Trostes bedürfen. Kannst du mich zu ihr führen?«

»Es ist spät geworden, und sie wird längst ihr Lager aufgesucht haben. Aber morgen und übermorgen und wann es Ihnen sonst beliebt, Señor, mögen Sie ungehindert mit der Doña Ana verkehren. Im Umkreise von Iquilisco ist sie keine Gefangene.«

Fritz reichte dem Häuptling die Hand.

»Dank, Wohanna,« sagte er. »Und nun laß auch uns zur Ruhe gehen! Ich bin erschöpft und müde – und wir haben morgen früh Zeit genug, das weitere zu besprechen. Bring mich in mein Quartier und schlafe wohl!«

Wohanna hatte sich erhoben und die Thür zum Nebengelaß geöffnet, einen schmalen, kleinen Raum, in dem Merola soeben ein Lager aus trockenem Laub, Fellen und Segeltuch bereitete.

120 »Mein Haus ist minder groß als das Diligencias-Hotel in Veracruz,« sagte der Häuptling lächelnd, »und auch nicht so bequem eingerichtet wie jenes. Aber man zahlt mir auch nicht. Der Señor ist der Gast Wohannas. Mögen Sie Glückliches träumen unter meinem Dache!«

Er wandte sich um, und in diesem Augenblick sah Fritz, daß Merola, gleichfalls das kleine Zimmer verlassend, ihren Zeigefinger wie warnend erhob und ihn sodann auf den Mund legte. 121

 


 


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