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Marsch nach Potosi und Überfall. – Fritz wird gefangen genommen, doch die Hilfe ist nahe.
Der Mensch denkt – Gott lenkt . . . Fritz hatte die feste Absicht, den General Mejia aufzusuchen, aber er sollte zur Ausführung seines Vorhabens nicht kommen.
Nach kurzer Rast brachen die Jäger des Grafen Hodegg von neuem auf. Hodegg hatte Befehl erhalten, sich bei San Luis Potosi mit dem Gros des Miramonschen Corps zu vereinigen, und rückte mit seinen Leuten im Thale des Rio Panuco nach Nordwesten. Der Fluß war breit, aber das Thal ziemlich schmal; man konnte nur in langer Linie marschieren, da sich die Bergterrassen und Felswände fast bis an das Ufer vorschoben. Wo die Alpenketten zurücktraten, erweiterte sich häufig 95 der Strom zu großen Seen, über die Schwärme von Wasservögeln strichen – zuweilen traten auch dichte Wälder von Balsamtannen bis an das blaue Wasser heran.
Trotz der Karten, die Hodegg mit sich führte, war die Orientierung nicht leicht. Seiner Ansicht nach mußte er noch vor Anbruch des Abends die Hacienda Jacinto erreichen, wo Nachtquartier gemacht werden sollte; aber die Dämmerung fiel bereits in grauen Schatten auf die Berge herab, und damit erhoben sich zugleich vom Flusse aus brauende Nebel, die sich mit unheimlicher Schnelligkeit verbreiteten. Der Reitweg führte seit einiger Zeit durch wildes Gestrüpp; die Erde war dabei so feucht und elastisch, daß die Hufe der Pferde tief einsanken.
Graf Hodegg fürchtete, sich verirrt zu haben. Fritz, mit dem er die Lage besprach, riet ihm, an geeigneter Stelle ein Lager beziehen zu lassen und den Morgen abzuwarten. Und in der That, das war das Zweckmäßigste, denn in diesem Nebelheim war es fast unmöglich, den rechten Weg wiederzufinden.
So wurde denn an einer Lichtung Halt gemacht. Balsamtannen und Bigonien drängten hier den lästigen Unterwuchs aus dem Wege, und der Kiesboden war fester als der schwammige Moorgrund im Walde. Posten wurden ausgestellt und die nötigen Vorsichtsmaßregeln gegen einen etwaigen Überfall getroffen, die Zelte aufgeschlagen und die Wachtfeuer entzündet. Aber sie loderten nicht lange. Man war müde und streckte sich bald zur Ruhe nieder.
Auch Berger, der das Zelt seines Lieutenants teilte. Doch der Schlaf wollte bei ihm nicht so bald kommen. Die Geschehnisse des Tages hatten ihn in Erregung versetzt. Mit dem Augenblick, da er Herrn von Hallstädt gefunden und dieser ihm die Rückgabe jenes Darlehns zugesagt hatte, um dessenwillen er die Reise unternommen, war seine Mission in Mexiko eigentlich erfüllt. Wenigstens der ursprüngliche Zweck dieser Mission, obwohl sich inzwischen die äußern Verhältnisse verschoben hatten. Fritz war nicht mehr freier Herr über sich selbst; er hatte sich 96 von den Kaiserlichen anwerben lassen, und es war selbstverständlich, daß er bei der Fahne bleiben mußte, auf die er den Treueid geschworen hatte. Er sehnte sich vorderhand auch nicht nach Europa zurück; er war jetzt mit Leib und Seele Soldat und ganz von dem Gedanken erfüllt, für die Sache der Monarchie kämpfen und siegen zu dürfen. Hätte man Juarez gefangen nehmen können, so würde damit zweifellos eine einschneidende Wendung in dem Geschick Maximilians herbeigeführt worden sein. Der Kaiser hatte in seiner großen Güte allerdings anbefohlen, Juarez nicht sofort vor ein Kriegsgericht stellen und aburteilen zu lassen, sondern ihn unter Erweisung des höchsten Respekts nach der Hauptstadt zu schaffen; aber schon die Gefangennahme des Diktators mußte der republikanischen Partei einen furchtbaren Schrecken einjagen . . . .
Der erhoffte Streich war mißlungen – Juarez hatte mit seiner Begleitung unbegreiflicherweise flüchten können. Fritz war nicht im Zweifel darüber, daß Hallstädt ihm bei dieser Flucht behilflich gewesen war – der Haciendero hatte im allgemeinen einen wenig günstigen Eindruck auf ihn gemacht. Und unwillkürlich fiel dem sich ruhelos auf seiner Decke Wälzenden wieder die holde Erscheinung der Doña Ana ein, und wieder sah er ihren dunkeln, fragenden und vorwurfsvollen Blick . . . .
Ein Käuzchen schrie in der Ferne – der Schrei eines Moorhuhns antwortete. Fritz erhob sich. Er konnte nicht schlafen; seine Pulse hämmerten und sein Herz schlug stark. Er trat vor das Zelt. Ein wundersamer, berauschend schöner Anblick bot sich ihm hier. Der Nebel schien sich gespalten zu haben; ein glänzender, meilenbreiter Streifen Mondlicht flimmerte durch den grauen Dunst. Schon trieb der erwachende Frühwind aus der Tannenforst eine volle Mischung aromatischer Düfte herüber; stahlblau leuchtete das Wasser, und nur da, wo der Unterwuchs der Algen und Teichgewächse sich nach der Oberfläche drängte, schimmerte es in grünem Metallton. Der Riß im Nebel ließ das gegenüberliegende Stromufer deutlich 97 erkennen. Da stiegen die Berghalden allmählich an, und der Wald in seiner triefenden Feuchtigkeit schillerte in tausend Farben, in unzähligen Mischungen von tiefem Blau und sattem Grün bis zu einem zarten Purpur und einem sanft verlöschenden Violett. Ein paar Flamingos standen gleich vorn im Schilfe, und hoch in der Luft wiegte sich mit weit gebreiteten Schwingen ein Reiher.
Fritz hatte die Arme über der Brust verschränkt und war in den Anblick des eigentümlich schönen Bildes völlig versunken. Und es war seltsam – etwas wie Heimweh überkam ihn dabei – so glaubte er, oder war es ein andres Empfinden, das sein Herz schwer werden ließ?
Ein geller Pfiff – ein lauter Anruf – ganz in der Nähe! Was war das?! . . . Fritz schreckte zusammen und lauschte. Seine Augen weiteten sich, der Ausdruck schärfster Spannung aller Sinne trat auf sein Gesicht.
Irgendwo in der Nähe wurde es lebendig. Man hörte dumpfen Lärm. Die angekoppelten Pferde begannen unruhig zu werden; ein erstes lautes Wiehern weckte schmetternden Widerhall. Nun fiel ein Schuß – noch einer.
Hastig sprang Fritz an das Zelt zurück und riß den Vorhang zur Seite.
»Herr Graf – Graf Hodegg! Wachen Sie auf! Es ist Gefahr im Verzuge!« . . .
Der junge Offizier schnellte empor.
»An die Pferde!«
Aber schon brach es wie ein Gewitter von allen Seiten herein. Es rasselte heran – Waffen klirrten – ein gellendes Viva-Geschrei – dann knatterte und dröhnte es los . . .
»Aufgesessen!« –
Die Lichtung füllte sich mit dunkeln Gestalten – das war der Feind! Ein kurzer Kampf entspann sich. Doch bereits nach den ersten Minuten erkannte Fritz, daß es sich nur um Sterben oder Übergeben handeln konnte, denn immer neue 98 Reiterscharen drängten der ersten nach. Und wieder schloß sich der Nebel dichter. Zu Knäueln ballten sich die Kämpfenden zusammen. Nur vereinzelte Schüsse fielen; man focht mit dem Säbel in der Faust Mann gegen Mann, Brust an Brust, und man focht mit erbittertem Ingrimm.
Fritz hatte sich soeben eines wütenden Angriffs von seiten eines schnurrbärtigen Juaristen erwehrt, als er sah, daß ein gewaltiger Hieb soeben den Grafen Hodegg an seiner Seite treffen sollte. Er fing den Hieb auf – im selben Augenblick aber fühlte er einen wahnsinnigen Schmerz in seiner rechten Schulter und brach ohnmächtig zusammen . . . .
Gänzliche Finsternis umgab ihn, als er wieder zur Besinnung kam. Noch immer spürte er den Schmerz in der Schulter, wenn auch linder, und fühlte zugleich, daß die Wunde verbunden worden war. Aber im Dunkeln ringsumher hörte er ununterbrochen ein schmerzliches Stöhnen und Wimmern – Leidensgenossen mußten neben ihm liegen. Doch wo befand er sich selbst? – Allgemach sammelten sich seine Gedanken, und sein Ohr horchte schärfer. Unter ihm ertönte beständig ein leises Schlurfen und Knirschen – ihm war auch, als ob er sich in Bewegung befände. Zweifellos – er war mit anderen Verwundeten in einen großen geschlossenen Wagen gepackt worden – und nun zuckte es plötzlich wie ein jäher Blitz durch sein Hirn: war er gefangen?! –
Und abermals schwand ihm die Besinnung. Sie kehrte wieder, aber das Bewußtsein war furchtbarer als die Ohnmacht. Brennender Durst verzehrte ihn, stärker schmerzte die Wunde, und immer schrecklicher klangen das Stöhnen und Klagen und die jammernden Laute der Übrigen an sein Ohr . . . Draußen mußte es Tag und wieder Nacht geworden sein – und kein Mensch öffnete diesen langsam vorwärts fahrenden Kerker, in dem auch die Luft entsetzlich drückend zu werden begann . . . Fritz lebte gleichsam unausgesetzt in einem von wirren Bildern 99 erfüllten Halbtraum. Allerhand fieberhafte Erscheinungen huschten an ihm vorüber, eine wilde Jagd gespensterhafter Schatten. Und er hörte Laute, die aus einer fremden Welt zu kommen schienen – das Brüllen wilder Tiere, dazwischen tönenden Sphärengesang, süße Harfentöne und die gellen Schreie von Raubvögeln. . . .
Und plötzlich wurde es Licht in seinem Kerker. Blendende Helle umgab ihn. Das Gefährt hielt auf einem weiten Hofe, den kahle Mauern umschlossen. Man zog die Verwundeten mit rauher Faust aus dem Wagen – man zog auch zwei Tote heraus . . . Fritz taumelte. Die frische Luft des Tages wirkte im Augenblick niederdrückend auf ihn ein. Aber ein Kolbenstoß trieb ihn wieder empor.
»Vorwärts, mein Bursche!« schrie eine derbe Stimme ihn an. Ein paar kräftige Fäuste stießen ihn weiter – und abermals umfing ihn das trostlose Mauerwerk einer engen Gefängniszelle. – – –
Die Kraft seiner Jugend siegte über Krankheit und Tod. Er genas langsam, ohne daß sich ein Arzt seiner angenommen hätte. Von seinem Gefangenwärter erfuhr er auch, welches Schicksal seiner harrte. Er sollte genesen, um – kriegsgerichtlich erschossen zu werden. So wollte es Juarez; die Generäle des Diktators ließen alle Gefangenen erbarmungslos hinrichten, welche Ausländer waren.
Das Kriegsglück ist veränderlich. Dem Siege Miramons war im Handumdrehen eine blutige Niederlage der Kaiserlichen gefolgt. Escobedo hatte die Trümmer seines Heeres geschickt zu sammeln gewußt und die Kaiserlichen unweit der Hacienda Jacinto geschlagen. Miramon mußte sich von neuem nach Queretaro zurückziehen, nachdem ihm der Feind die Kriegskasse mit 25 000 Piastern, viele Geschütze und Munition und 500 Gefangene abgenommen hatte, unter denen sich 200 Ausländer, Franzosen, Deutsche und Belgier befanden.
100 Diese Zweihundert bildeten das grausige Opfer, das Escobedo den Göttern der Republik darbrachte! –
Eines Morgens hörte Fritz von seinem Kerker aus ein ungewöhnliches Leben im Hofe: Waffenklirren, Kommandorufe, dann das achtmalige Knattern von Flintensalven – Geschrei und Stöhnen . . . . Das Herz drohte ihm stillstehen zu wollen. Räumte man schon auf unter den Gefangenen? –
Auch er begann sich auf den Tod vorzubereiten. Er dachte daran, was ihm der brave Oberst von Leuthen vor seinem Eintritt in die mexikanische Armee gesagt hatte: »Wir sehen täglich und stündlich dem Tode entgegen, und oft genug nicht einmal dem auf dem Schlachtfelde, sondern einem härtern nach schwerer Gefangenschaft.« . . . Ganz gewiß – auch Fritz hätte lieber draußen auf dem Kampfplatze verbluten mögen, als hier zwischen den Gefängnismauern und unter den Schüssen der Henker! Aber auch die Todeswunden, die er hier empfangen sollte, waren Purpurrosen der Ehre; er starb für eine große Idee, für einen edeln Menschen, für ein gekröntes Haupt. Und es war eine gewisse Beruhigung für ihn und schaffte seinem Herzen eine sanft versöhnliche Stimmung, daß er auf diese Weise auch sühnen konnte, was sein unglücklicher Vater gefrevelt hatte wider die Gesalbten der Völker.
In später Abendstunde klirrten die Riegel seiner Gefängnisthüre. Der Wärter erschien mit Licht; ein Mann folgte ihm und diesem ein junges Mädchen, das sich rasch und scheu in eine Ecke des Kerkers zurückzog.
Erstaunt erhob sich Fritz.
»Herr von Hallstädt – seh' ich denn recht?!«
Der Haciendero drückte die Hand des jungen Mannes.
»Ich bin seit drei Tagen in Potosi,« erwiderte er, »und habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um zu Ihnen zu gelangen. Gottlob, daß es mir endlich geglückt ist! Und mir ist noch mehr geglückt, junger Freund. Heute sei es Ihnen gestanden: ich selbst habe Juarez mit seinen Führern aus der 101 Hacienda Panisca entwischen lassen – und ich bin froh darüber, denn diesem Umstande verdanken Sie Ihre Freigabe!«
Fritz trat einen Schritt zurück; ein lebhaftes Rot färbte seine Wangen.
»Meine Freigabe?« widerholte er mit bebender Stimme. »Ich soll wieder frei sein – frei« –
»Frei, wie Sie es vordem waren, mein junger Freund! Escobedo schuldete mir Dank; ich habe mir als Quittung für die Hilfe, die ich ihm bei seiner Flucht gewährte, Ihr Leben und Ihre Freiheit ausgebeten – und beides ist mir gewährt worden. Aber der General wünscht nicht, daß man öffentlich von dieser ausnahmsweisen Begnadigung spricht; man wird Sie in der Nacht durch die Vorstadt Tlaxcala nach der Garita San Francisco führen – von dort aus mögen Sie sich hinwenden, wohin Sie wollen. Und damit Sie nicht zum zweitenmale in die Hände der Feinde fallen, habe ich Ihnen einen Führer mitgebracht, der Berg und Steg der Umgebung auf das Genaueste kennt – jenes Mädchen dort, Merola, eine junge Indianerin und – was noch wichtiger ist – ein Pamakind!«
Er gab dem Wärter einen Wink und ließ zugleich ein Goldstück in dessen Hand gleiten. Schweigend entfernte sich der Mann.
»Ein Pamakind,« wiederholte Hallstädt, »– so sollte es sein. Denn auch von Ihnen verlange ich Dank, junger Herr! Mejia ist von den Juaristen in Queretaro eingeschlossen worden – auf seine Hilfe kann ich also nicht mehr rechnen. Sie allein noch können der Retter meines Kindes sein! Merola wird Sie sicher in die Sierra Gorda bis zu den Wohnsitzen der Pamas geleiten. Dort finden Sie Wohanna und zweifellos auch meinen Neffen Fuerto. Thun Sie alles, was in Ihrer Kraft steht, Ana ihren Händen zu entreißen; versprechen Sie ihnen meinetwegen Berge von Gold – ich bin zu jedem Opfer bereit, um dafür die Freiheit meines Kindes zu erkaufen – zu jedem! 102 Erzählten Sie mir nicht in Panisca, daß Sie bereits früher in persönliche Berührung mit Wohanna getreten seien?«
»Gewiß, Herr von Hallstädt – er diente mir als Führer, zu einer Zeit allerdings, da er noch nicht zu seinem Stamme zurückgekehrt war –«
»Und er ist Ihnen nie feindselig gegenübergetreten?«
»Niemals. Im Gegenteil – ich habe seine Zuverlässigkeit, Treue und Ergebenheit nur rühmen können.«
Hallstädt nickte freudig erregt.
»Um so besser, um so besser, lieber Herr Berger,« sagte er lebhaft; »unter den gegebenen Umständen hoffe ich, daß Sie ein nicht allzu schweres Spiel haben werden! Ihre Bekanntschaft mit Wohanna schützt Sie zudem auch vor hinterlistigen Angriffen der Pamas und sichert Ihnen in gewissem Maße das Vertrauen des Häuptlings. Ich könnte mir gar keinen geeigneteren Sendboten an ihn wünschen als Sie! Lieber junger Freund – ich sehe, Sie schwanken noch! Gilt Ihnen das Leben so wenig?«
Fritz schüttelte den Kopf.
»Wahrlich nicht, Herr von Hallstädt,« erwiderte er mit tiefem Aufatmen; »ich müßte nicht jung sein, wollte ich das Leben nicht schätzen! Und ich bringe Ihnen auch heißen Dank dafür entgegen, daß Sie mir bei Escobedo die Freiheit erwirkt haben. Aber – mit dem Augenblick, da ich nicht mehr Gefangner der Juaristen bin, gehöre ich wieder zur Armee der Kaiserlichen. Ich muß zu meinen Fahnen zurückkehren!«
Hallstädt rang die Hände.
»Seien Sie nicht trotzköpfig, Berger!« rief er aus. »Wenn man Sie niedergeschossen hätte wie die Hundertundachtzig, die man heute früh gerichtet hat – könnten Sie dann Ihrem Kaiser noch dienen?«
»Erst mit dem Tode bin ich des Treuschwures ledig, den ich dem Kaiser geschworen habe,« entgegnete Fritz fest, »und 103 keine Spitzfindigkeit wird mir über diese Thatsache forthelfen. Ich bin der Überzeugung, daß Graf Hodegg meine Ansicht teilen würde, wenn er noch am Leben wäre.«
»Er ist noch am Leben,« sagte der Haciendero. »Die letzten Zwanzig der Gefangenen – Sie ausgenommen – sollen erst übermorgen erschossen werden.«
Ein Strahl heller Freude zuckte über das Gesicht des Junkers.
»Hodegg lebt noch? Und wir können ihm nicht gleichfalls helfen, Herr von Hallstädt? Nichts für seine Befreiung thun?«
»Es ist unmöglich. Escobedo wacht wie ein Bluthund über die Gefangenen. Auch Juarez selbst hat sich einverstanden erklärt, ein Exempel zu statuieren, das die Kaiserlichen einschüchtern soll.«
Unruhig war Fritz in der Zelle auf- und abgeschritten. Nun blieb er dicht vor dem alten Ansiedler stehen.
»Hören Sie zu, Herr von Hallstädt,« begann er von neuem. »Wenn es Ihnen gelingt, auch den Grafen Hodegg in Freiheit zu setzen, dann glaube ich Ihrem Wunsche, mich um Ihre Tochter zu bemühen, willfahren zu können. Hodegg ist mein direkter Vorgesetzter. Er wird nicht zögern, mir unbeschränkten Urlaub zu erteilen, um Ihnen seine Dankbarkeit zu beweisen.«
Eine leise Bewegung des indianischen Mädchens, das sich bis jetzt im Hintergrunde des Kerkers gehalten hatte, ließ die beiden sich umblicken. Merola trat mit bescheidener Gebärde näher.
»Ich hörte den Namen dessen nennen,« sagte sie mit ihrer sanften, melodiös klingenden Stimme, »dem ich mehr als einmal das Essen in seine Zelle bringen konnte. Wenn der Señor Conde vor einem schmählichen Tode gerettet werden soll, so will Merola dabei gern hilfreiche Hand bieten.«
Überrascht schaute Fritz das Mädchen an.
»Woher kennst du den Grafen?« fragte er.
104 »Sein Wärter in den Kasematten vor der Garita San Francisco war mein Herr. Mein Vater hatte mich ihm vermietet, damit ich mir selbst mein Brot verdienen lerne.«
»Das ist richtig,« fiel Hallstädt ein. »Ich erfuhr durch Zufall, daß Merola ein Pamamädchen sei, und engagierte sie als Führerin für Sie. Pedro Martinez, der Kasemattenwächter, ist ein schlimmer Gauner; er hat hundert Pesetos Entschädigung dafür verlangt, daß ich ihm das Mädchen ausmieten durfte.«
»Pedro Martinez ist zu allem bereit, wenn man ihm die Hände mit Gold füllt,« sagte Merola.
»Da hören Sie es, Herr von Hallstädt!« wandte Fritz mit Lebhaftigkeit ein. »Kann es Ihnen auf ein paar tausend Pesetos ankommen, wenn es sich um das Wohl und Wehe Ihrer Tochter handelt?«
Der Haciendero schwieg. Wieder kämpfte der Geiz in ihm mit dem Herzensempfinden des Vaters.
»Man stellt große Anforderungen an mich,« entgegnete er langsam, »aber – aber ich sagte Ihnen ja schon, daß ich auch gern ein schwereres Opfer bringe. Er ist nur die Frage, ob der Schurke Martinez in der That einwilligt« –
»Er wird es,« erwiderte die junge Indianerin. Nun, da die beiden in spanischer Sprache weiter miteinander verhandelten, lauschte sie mit brennender Neugierde ihren Worten. »Ich weiß, daß es schon längst sein Wunsch ist, nach Brasilien auszuwandern. Wenn ihm der Señor genügend Geld giebt, wird er den kaiserlichen Offizier frei geben und mit ihm flüchten.«
Eine gewaltige Unruhe ergriff Fritz.
»Herr von Hallstädt, die Zeit drängt,« sagte er hastig. »Ich bleibe hier und weiche nicht eher vom Platze, bis Sie mir die Nachricht bringen, daß die Flucht Hodeggs geglückt ist. Nehmen Sie meine Hand und blicken Sie mir in das Auge: beim Andenken meiner Mutter schwöre ich Ihnen zu, daß ich 105 alles daran setzen will, Doña Ana zu befreien und wieder in Ihre Arme zu führen – wenn Sie zugleich mit mir auch meinen Lieutenant, meinen lieben Kameraden, retten können!«
Der Haciendero seufzte tief auf.
»Ich will es versuchen,« erwiderte er, »nicht um Ihrer und meiner und des Grafen willen – nur meiner Tochter zu Liebe! . . . . Merola, komm!« 106