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Marschall Bazaine auf dem Rückzuge. – Fritz schafft sich seine Pferde zurück und muß zum zweitenmal seine Reise unterbrechen.
Wohanna sollte recht behalten. Als die Reisenden erst die Felswildnis der Nordhänge hinter sich hatten, ging der Abstieg zur Ebene auf ziemlich bequemen Wegen rasch vor sich. Kupferbuchen und Magnolien mischten sich zwischen Fichten und Eichen; die Wiesen wurden saftiger; hier und da tauchte in den Waldlichtungen eine Ansiedlung auf. Endlich sah man die staubgraue Heerstraße vor sich, und die Häuser von San Rafaelo stiegen auf.
Der Vortrab des französischen Corps, das sich in drei großen Abteilungen auf Veracruz zusammenzog, hatte San Rafaelo bereits erreicht, und aus den getroffenen Vorbereitungen ersah Fritz als Soldatenkind, daß hier ein Halt gemacht werden sollte. Auf dem freien Wiesenplatz vor dem Dorfe wurden 17 Pfähle eingerammt und durch Stricke verbunden; andre Soldaten streuten Maisstroh über den Boden und errichteten Zelte. Aus dem Dörfchen hatte sich eine Anzahl Einwohner eingefunden, die neugierig zuschauten: Männer mit braunen Gesichtern und in zerlumpter Kleidung, Mädchen und Dirnen und halbnackte Kinder. Es machte den Eindruck, als lagere eine Zigeunerbande in der Nähe.
Wagenrollen und Hufschlag erdröhnten. Eine offene Equipage, von vier Maultieren gezogen, rasselte staubaufwirbelnd die Chaussee hinab. In ihr saß ein einzelner Mann mit einem Käppi auf dem Haupte, dicht in seinen Mantel gehüllt – eine behäbige Erscheinung mit gerötetem Antlitz und jenem eigentümlichen Bartschnitt, wie ihn der Kaiser Napoleon vorbildlich für seine Offiziere gemacht hatte. Der Herr rauchte eine Cigarette und plauderte zuweilen mit diesem und jenem aus seinem Gefolge, einer Menge französischer Offiziere, die den Wagen zu Pferde umgaben.
»Pardon, mein Lieber,« wandte sich Fritz an einen der Soldaten des Vortrabs, »ist das da der Oberstkommandierende, der Marschall Bazaine?«
Der Angeredete nickte, und nun nahm unser junger Held so am Wege Aufstellung, daß der Marschall ihn sehen mußte. Das geschah denn auch. Bazaine blickte auf – sein Wagen hielt.
»He, holla, junger Mann – eine Nachricht für mich?!« fragte er hastig, in dem Glauben, einen Kurier vor sich zu haben.
Mit abgezogener Mütze und in respektvoller Haltung trat Fritz näher.
»Nein, Excellenz,« antwortete er fest in französischer Sprache, so wie er angeredet worden war; »ich bringe keine Nachricht, aber ich habe die Absicht, über eine mir von Ihren Soldaten zugefügte Unbill Klage zu führen.«
Ein Zug ärgerlicher Enttäuschung glitt über das Gesicht des Marschalls.
18 »Klage zu führen?« wiederholte er. »Über meine – meine Leute?! Mein Lieber, das muß ein Irrtum sein. Aber steigen wir aus – ich bin wie gerädert, und der Staub hat mir die Kehle förmlich ausgedörrt! . . . Danke, lieber Oberst – danke – ich komm' schon allein aus diesem Klapperkasten heraus!«
Die letzten Worte galten einem der Offiziere des Stabes, der vom Pferde gesprungen war, den Wagenschlag geöffnet hatte und nun dem Marschall beim Aussteigen behilflich sein wollte.
Bazaine reckte und streckte sich, nahm ein paar Züge aus seiner Cigarette und wandte sich hierauf von neuem an Fritz zurück.
»Also, was giebt's?« fragte er. »Aber kurz, wenn ich bitten darf!«
»Es ist mit wenigen Worten gesagt, Excellenz. Ich übernachtete mit meinem Führer in einer Höhle des Gebirges, drei Stunden von hier, und dort sind uns von einigen Ihrer Soldaten, denen ein Indianer den Weg wies, unsre Pferde gestohlen worden. Das ist die Thatsache!«
Der Marschall schüttelte den Kopf und wandte sich an die ihn im Kreise umgebenden Offiziere.
»Halten Sie das für möglich, Major Richebourg?« fragte er einen der Herren, einen hagern, lang aufgeschossenen Mann mit einem Geierprofil.
»Für unmöglich, Excellenz,« entgegnete dieser. »Ich habe allerdings Befehl gegeben, an Stelle der gefallenen Pferde in den umliegenden Ortschaften neue zu requirieren, aber sie sind ihrem Werte nach bezahlt worden.«
»Nun also, lieber Herr« – und Bazaine warf den Kopf zurück, während ein drohender Ausdruck in seine Züge trat, »Sie haben gehört! In den Bergen strolcht allerhand Gesindel herum, republikanische Guerillaschwärme, Banditen und was weiß ich – halten Sie sich an dieses Pack, aber beschuldigen Sie nicht meine braven Truppen! Genug davon!«
19 Er drehte Fritz den Rücken und schritt auf sein Zelt zu, das inzwischen errichtet worden war, während die Kolonne mit klingendem Spiel auf den Halteplatz rückte.
Aber Fritz ließ sich nicht so leicht einschüchtern. Er vertrat Bazaine einfach den Weg.
»Vergebung, Excellenz,« sagte er, noch immer respektvoll, »daß ich mich bei der Aussage des Herrn Majors noch nicht beruhigen kann. Der Indianer, der Ihre Soldaten führte, hat den Diebstahl mit eignen Augen gesehen – er war Mitwisser, denn man gab ihm fünfzig Pesetos dafür – – Euer Excellenz würden mich zu Danke verpflichten, wenn Sie eine Untersuchung einleiten wollten.«
Im Kreise wurden vereinzelte unmutige Ausrufe hörbar. Major Richebourg trat mit rotem Kopf dicht vor Fritz und faßte ihn an einen Knopf seines Lederkollets.
»Was soll das heißen, Kerl?« zischte er ärgerlich hervor. »Bist du des Teufels, daß du trotz meiner Erklärung deine niederträchtige Behauptung aufrecht hältst?!«
Jetzt schlug auch Fritz die Röte des Zornes in die Wangen.
»Ich bitte Sie zuvörderst um größere Höflichkeit, Herr Major,« rief er aus. »Wir stehen uns nicht auf du und du! Im übrigen bleibe ich bei meiner Aussage!«
Bazaine trat zwischen die beiden.
»Lassen Sie, lieber Richebourg,« sagte er, »wir wollen uns nicht erregen, trotzdem das Bürschlein unverschämt wird! Was sind Sie für ein Landsmann, junger Herr? Spanier oder Franzose?«
»Deutscher, Euer Excellenz zu dienen.«
Wieder ging eine Bewegung durch den Kreis der Offiziere; man flüsterte und lächelte höhnisch.
»Deutscher?« wiederholte der Marschall in fragendem Tone. »Das dürfte doch wohl nur eine – allgemeine Bezeichnung sein. Aber richtig – ich entsinne mich – es existiert ja seit Beendigung des böhmischen Krieges ein sogenannter ›Norddeutscher 20 Bund‹ – ich las davon. Also Deutscher« – und während Bazaine dies Wort eigentümlich ironisch betonte, flog ein Lächeln um seinen schnurrbärtigen Mund. Er ließ seine Cigarette fallen und zertrat sie mit der Stiefelspitze. »Eh bien,« fuhr er fort, »ich will Ihren Wunsch erfüllen und die Sache untersuchen lassen. Major Richebourg – haben Sie die Güte, den Requisitionstrupp zusammen zu berufen und Erkundigungen einzuziehen. Inzwischen, mein Herr Deutscher, dürften Sie wohl gestatten, daß wir ein wenig frühstücken.«
Er ließ Fritz stehen. Vor den Zelten und in dem umfriedigten Halteplatz, in dem die Pferde angekoppelt wurden, entspann sich ein reges militärisches Treiben. Feldtische wurden aufgeschlagen; Ordonnanzen eilten hin und her, schleppten Weinflaschen herbei, deckten die Tische und öffneten die Konservenbüchsen. Feuer wurden entzündet, die Mannschaften begannen abzukochen. Marketenderwagen rasselten heran, die Gefährte der Sanitätskolonnen, eine Batterie Geschütze. Ein Bataillon Infanterie, das in weiterer Entfernung lagern sollte, rückte salutierend vorüber. Durch den Lärm der Soldateska und das Wiehern, Schnaufen und Stampfen der Gäule, denen Futter geschüttet wurde, klangen vereinzelte Kommandos . . .
Fritz hatte sich ermüdet auf einen Stein am Wege gesetzt und sah sich jetzt erst nach Wohanna um. Der Pama hatte den Halteplatz umschritten und näherte sich Fritz mit langsamen und gemessenen Bewegungen.
»Señor,« sagte er halblaut, »ich habe unsre Pferde gesehen – sie stehen dort drüben dicht nebeneinander.«
In diesem Augenblick näherte sich auch Major Richebourg dem Tische, an dem Bazaine mit einigen Offizieren frühstückte.
Fritz sah, daß der Major eine Meldung erstattete und daß der Marschall ihm antwortete. Richebourg schritt nunmehr auf Fritz zu, der sich sofort höflich erhob.
»Meine Nachforschungen haben die Grundlosigkeit Ihrer Angaben erwiesen, junger Mann,« sagte er. »Seine Excellenz der 21 Herr Marschall lassen Sie daher ersuchen, ihn und uns nicht länger zu belästigen.«
Er faßte an sein Käppi und wandte sich wieder.
Fritz ließ ihn ruhig gehen.
»Wohanna – auf ein Wort!«
Der Indianer sprang herbei.
»Wo stehen unsre Gäule?«
»In der ersten Reihe, Señor – gesattelt und aufgeschirrt.«
»Würde es leicht sein, sie loszukoppeln?«
»Ich denke ja, Señor.«
»Gieb acht! Wenn die Franzosen uns die Pferde nicht freiwillig geben, werden wir sie uns mit Gewalt zurücknehmen. Ich werde zunächst eine kleine List versuchen. Sei jeden Moment bereit, dich in den Sattel zu schwingen und in der Carriere zu flüchten. Welche Richtung haben wir einzuschlagen?«
»Die nördliche.«
Fritz nickte und trat sodann an den Tisch Bazaines heran.
»Sacré!« rief der Marschall und setzte das erhobene Glas klirrend auf den Tisch zurück. »Ist der Mensch noch nicht zufrieden?!«
»Zu meinem Bedauern nein,« erwiderte Fritz ruhig. »Der Herr Major muß sich geirrt haben – die gestohlenen Pferde stehen dort drüben angekoppelt!«
Richebourg schnellte empor.
»Unerhört, Excellenz,« schäumte er auf, »lassen Sie den Burschen aus dem Lager jagen – ich verpfände mein Ehrenwort, daß –«
»Ruhe, Ruhe, Ruhe, mein lieber Major« – Bazaine winkte beschwichtigend mit der Hand; »fassen wir das Intermezzo als eine willkommene Abwechslung auf – wir werden uns auf dem Heimwege noch genug langweilen!« Er erhob sich. »Wer hatte das Kommando über die Requisitionsabteilung?«
»Kapitän Melville, Excellenz.«
»So rufen Sie ihn!«
22 Der Marschall winkte Fritz und schritt mit ihm zu den Pferden. Ein Dutzend Offiziere folgte.
»Nun bitte, Monsieur« – und Bazaine schaute den jungen Deutschen von oben herab an – »welches sind die Gäule, die Sie als die Ihren beanspruchen?«
»Diese beiden, Excellenz – den Rappen mit der Blesse und die braune Stute!«
»Kapitän Melville!«
»Excellenz befehlen?«
»Wo sind die Pferde her?«
»Nach Aussage von sechs Zeugen im Dorfe Los Andos rechtmäßig requiriert worden, Excellenz.«
Die Augen Bazaines flammten auf.
»Und Sie, mein Herr Deutscher,« sagte er mit starker Betonung, »wollen meine braven Leute noch weiterhin Lügen strafen?«
Fritz zuckte mit den Achseln.
»Ich – ich glaube zwar nicht, daß ich mich täuschen kann, Excellenz,« antwortete er mit gut erheuchelter Verlegenheit, »aber schließlich ist jeder Irrtum menschlich. Darf ich um eine letzte Vergünstigung bitten? Der Rappe warf im Trabe das rechte Vorderbein so merkwürdig aus dem Kniegelenk, daß ich das Pferd gar nicht verkennen kann. Würde Euer Excellenz gestatten, daß es mir einmal im Trabe vorgeführt wird?«
Bazaine nickte.
»Gut – auch das noch! Koppelt beide Gäule los und trabt sie dem jungen Herrn vor!«
Der Befehl wurde im Augenblick vollzogen.
Major Richebourg triumphierte.
»Ein schlanker Trab,« rief er mit seiner meckernden Stimme. »Keine Spur von Hahnentritt! Der Mensch lügt – ich sagte es ja!«
Fritz stand am Kopfe des Rappen, den eine Ordonnanz vorn an der Kandare hielt. Er warf einen raschen Seitenblick 23 auf Wohanna und nickte befriedigt, als er sah, daß sich der Pama dicht an der Seite der braunen Stute hielt.
»Nein, Herr Major, ich lüge nicht,« entgegnete unser Held kaltblütig; »ich sehe es auch am Gebiß des Pferdes – – – erlauben Sie einmal,« und Fritz schob die Ordonnanz beiseite und faßte selbst in die Zügel, um anscheinend das Maul des Rappen öffnen zu können.
Im nächsten Augenblick saß er im Sattel. Ein geller Schrei benachrichtigte Wohanna.
»Auf Wiedersehn, Marschall Bazaine!«
Und in gestrecktem Galopp floh der erschreckte Gaul die Straße hinab. Wie eiserne Klammern hafteten die Schenkel des jungen Mannes auf dem Rücken des Rappen. Mit den Fäusten schlug er in Ermangelung einer Peitsche dem erregten Tier auf Hals und Kopf, die Zügel locker lassend, um eine ungehinderte Pace zu ermöglichen. Er schaute weder rechts noch links; Staubwolken wirbelten um ihn auf, und der feine Sand blendete ihn. Ein paar Schüsse krachten hinter ihm her – er achtete nicht darauf. Wie der wilde Jäger brauste er vorwärts – vorwärts . . . Nun kreuzte ein zweiter Weg die Straße. Fritz warf mit Aufbietung aller Kraft den Rappen herum und jagte nordwärts weiter, bis ihn der Schatten dicht belaubter Korkeichen umfing.
Da hörte er dicht hinter sich lautes Rufen.
»Señor – Señor! Langsamer – langsamer, bei allen Heiligen! Wir sind ja in Sicherheit!«
Das war die Stimme Wohannas! Fritz ließ, in Schweiß gebadet, keuchend und röchelnd sein Pferd in Schritt fallen, und der Indianer galoppierte heran.
»Gott sei gelobt,« stöhnte auch er, »das war eine heiße Jagd, Señor Tedescho (Deutscher)! Ich konnte nicht so rasch in den Sattel als Sie – aber ehe die faulen Franzosen an ihren Gäulen waren, war ich längst auf und davon. Eine Kugel flog dicht 24 an meinem Kopfe vorbei – eine zweite hat meine rechte Schulter gestreift . . . Diese Schufte!«
Fritz lachte lustig auf.
»Wir haben unsre Pferde wieder, und damit basta,« sagte er. »Aber wie nun weiter, Wohanna? Sind wir auf rechtem Wege?«
»Auf dem rechten, Señor. An der Tabascaschlucht müssen wir rechts abbiegen. Da liegt auch eine kleine Venta – für Flößer und Holzfäller, wo wir einen raschen Imbiß zu uns nehmen können. Vor Abend haben wir den Rio Blanco erreicht.«
Fritz nickte und streichelte seinen wie mit Milch übergossenen Rappen. Er freute sich, daß er dem Marschall Bazaine hatte ein Schnippchen schlagen können. – – –
Mit Beginn der Abenddämmerung veränderte sich die Landschaft. Sie wurde gebirgiger, ohne im allgemeinen ihren anmutigen Charakter zu verlieren. Mimosen und Tamarisken wucherten an den Rändern der Schlucht, durch die sich der Weg hinzog, und oben wuchsen Feigenbäume und Euphorbien, in deren Wipfeln die entfalteten Blüten von hundert buntfarbigen Schlinggewächsen leuchteten.
Am Rio Blanco sollte die Ansiedlung eines Nordamerikaners liegen, den man um Nachtquartier bitten wollte. Aber ein neues Abenteuer hielt die Reisenden auf.
Sie hatten soeben mit ihren müden Pferden eine steile Höhe erklommen, als sie plötzlich Uniformen und Gewehrläufe durch das Unterholz blitzen sahen. Ein donnerndes »Halt da!« in spanischer Sprache gellte ihnen entgegen, und im nächsten Moment waren sie von einem Schwarm von Soldaten umgeben.
»Keine Furcht, Señor,« rief Wohanna rasch; »es sind Kaiserliche!«
Ein dicker Wachtmeister faßte mit drohender Gebärde dem Rappen in die Zügel.
25 »Absteigen!« befahl er.
Das war aber nicht der Ton, den Fritz liebte.
»Ich denke nicht daran, dicker Caballero,« antwortete er. »Wir sind Reisende und haben keine Zeit, Ihnen Rede zu stehen.«
»Absteigen!« kommandierte der Wachtmeister abermals, und ein Hagel spanischer Flüche folgte. »Kreuzmillionendonnerwetter, die Ausrede von den friedlichen Reisenden kennt man! Jeder Spion braucht sie. Wenn ihr untersucht worden seid, könnt ihr euch weiter trollen – notabene, wenn ihr nicht baumelt!«
Fritz überlegte kurz. Widerstand wäre nutzlos gewesen – man mußte sich fügen. So winkte er denn Wohanna und sprang selbst vom Pferde. 26