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V.

Das war ein Tag, als hingen schwarze Wetterwolken bis auf die Dächer von St. Felix nieder. Aber es war ganz hell am Himmel und ob der Stadt, und durch die Straßen trieb das geschäftige Leben. Nur im Haus zum Höflein war die Wetterschwüle; das war inmitten des lauten, hellen Tages eine Insel, auf der Nacht und schwere Stille lagen.

»Sie will dich nicht sehen,« sagte Verena zu Wilhelm, der am Morgen zum drittenmal einen Anlauf nahm, bei seiner Mutter einzutreten. Schon am Abend vorher hatte er denselben Bescheid erhalten. Jetzt schoß ihm das Blut jäh ins Gesicht. »Herrgott, da will ich jetzt doch gern sehen, wen ich fragen muß,« sagte er und streckte die Hand nach der Türklinke. Sie standen wieder an der Kammer der Base.

Verena sah ihn ganz ruhig an. »Wenn du nicht Geduld haben kannst, mußt es selber haben, was kommt,« sagte sie. Etwas in ihrer Stimme quälte ihn. Er trat einen Schritt rückwärts.

»Es muß etwas geschehen,« murrte er. Aus seinem Ton war zu hören, wie er mit sich selber zerfallen war. »Es muß in Ordnung kommen mit der Hilde,« fügte er hinzu.

»Das weiß ich, daß es in Ordnung kommen muß,« gab Verena zurück. »Wenn du mich machen lassen willst, so – – am Ende wird sie es schon begreifen, die Base.«

»Dich?« stotterte er und sah sie verblüfft an. Ihre Erscheinung kam ihm nachher nie mehr aus dem Sinn, wie sie in ihrem grauen Kleid und der schwarzen Schürze dagestanden, ein Zucken um den Mund und um die Nasenflügel, sonst aber ruhig und ergeben.

»Ich möchte – wenn ich kann – noch Frieden machen zwischen der Base und dir,« sagte sie.

Da senkte er den Blick vor dem ihren, wendete sich ab und ging die Treppe hinab. »Geh nur,« sagte er im Davongehen.

Verena trat wieder bei der Base ein. Den ganzen Tag kam sie nur einmal heraus, um etwas Suppe für die Kranke zu holen. Dabei sagte sie zu keinem ein Wort; nur die Magd mahnte sie: »Schau gut zum Laden, Friederike; ich muß heute oben bleiben.«

Wilhelm arbeitete mit den beiden Gesellen. Gegen Abend ging er für eine Viertelstunde weg und um die nächste Gassenecke. Da streckten die Gesellen und die Magd die Köpfe zusammen wie erlöst.

»Jesses, was für ein Tag!« sagte die Friederike. Nachher tauschten sie ihre Wissenschaft aus: das ist geschehen und das und das, und so ist's gewesen und so und so.

»Habe ich es nicht gesagt, daß er früher immer in Strümpfen nachts über die Treppe hinabgeschlichen ist, der Waser!« sagte der eine Geselle. Nachher wußte der andre etwas und nachher der erste wieder. Sie tuschelten noch, als Wilhelm zurückkam, die Ladentür hinter sich zuschlug und den Rock an den Nagel hing, den er über das Mehlhemd angelegt hatte. Er warf einen wilden Blick auf die beiden Knechte, die sich hastig über die Tröge, die sie reinigten, gebeugt hatten.

Derweilen stand Verena oben an der Base Bett. Diese hatte sich aufgerichtet und saß steif, den Rücken von einem Kissen gestützt, da. Ihr Gesicht war gelb, und es lag etwas Hungerhaftes und Dürftiges darin, nicht als ob die Base Katharina leiblichen Hunger litt, wohl aber wie ein Gesicht aussieht, das ein Kummer zu einer schmalen Herbheit zusammengedrückt hat. Sie trug eine weiße Haube, von der das gelbe Gesicht scharf abstach, und just so scharf sonderte sich das harte Braungelb der hageren Gelenke und Hände, die auf der Decke lagen, von dem Weiß der Hemdärmel.

»Wenn jetzt dann geredet ist zwischen mir und – und dem Wilhelm, dann wirst gehen?« sagte die Base. Ihre spröde Stimme stand in seltsamem Einklang zu der abgemagerten Gestalt.

»Ja,« sagte Verena; »zu den Brüdern will ich heim.«

Die Base spreizte die dünnen Finger, als wollte sie nach dem Mädchen fassen, legte sie aber dann nur zitternd ineinander. »Da wird es recht gehen bei uns,« sagte sie; »ich im Bett, der – der Wilhelm – wie soll der Gedanken haben! – Hast recht, geh nur – so siehst nicht alles zusammenfallen.«

Die Worte klangen dürr; es lag kein schluchzen darin; nur die Kinnlade der alten Frau klapperte einmal wie vor Frost. Und das Elend schrie doch aus jedem Ton.

Verena überrann ein Gefühl, als spannten sich ihre Muskeln. Sie empfand, daß sie etwas geworden war in dem Haushalt; sie konnte nicht leugnen, daß er vielleicht in die Brüche ging, wenn sie jetzt wegging. Etwas drängte in ihr. »Ich – ich will nicht gleich fort,« sagte sie; »ich will noch warten – ein wenig.«

Die Base Katharina nickte eigentümlich, so, als wollte sie sagen: »Das glaubst ja selber nicht, was du sagst.« Dann drückte sie sich selbst das Kissen noch fester in den Rücken, strich die Decke glatt und sagte: »So soll er jetzt kommen, der Wilhelm.« Sie saß bolzgerade, als sie das gesagt hatte, und wartete, während Verena den Vetter holen ging.

Wilhelm trat allein bei der Mutter ein. Verena ging in die Nebenstube. Es war ihr, als müßte sie in der Nähe bleiben.

Die Unterredung dauerte lang. Was die beiden sich sagten, konnte Verena nicht hören, wollte es auch nicht. Sie vernahm nur die Stimmen, die dürre, scharfe der Base und die starke, murrende Wilhelms. Es war, als rängen diese beiden Stimmen miteinander, immer und immer wieder; man glaubte zwei Kämpfende aneinander aufstehen zu sehen, von denen keiner wich. Endlich ging das Gespräch in abgehackte, schwere Worte über. Wilhelm sprach allein zuletzt. Er tat kurz nachher die Tür zur Kammer auf, in der Verena stand »Du kannst hereinkommen,« sagte er und drehte ihr den Rücken, sobald sie eintrat. Ans Fenster ging er und stand dort, auf die nächsten Dächer starrend. Der schwere Mensch mit dem hohen Rücken nahm fast, die Scheiben verdeckend, das Licht aus der Stube.

»Er will die Hochzeit gleich auskündigen lassen,« sagte die Base.

Verena nickte nur. Die Base aber, die noch immer steif und eigenwillig im Bett saß, fuhr fort: »Er kann nicht warten, bis ich tot bin.«

»Ihr müßt nicht –« wehrte Verena und trat zu ihr, wunderte sich dabei, daß Wilhelm am Fenster sich nicht auffahrend umwendete. Er stand dort wie ein störrischer Klotz.

»Es hätte doch nicht lange mehr gedauert,« sprach die Base in ihrem bitteren, knappen Ton weiter. Und dann: »Nun, es ist Platz im Haus. Hierdrinnen braucht nichts anders zu werden. Er weiß auch, daß er mir nichts Neues hereinbringen soll.«

»Ihr braucht nicht Angst zu haben,« knurrte Wilhelm, ohne sich umzusehen.

Die Base sah Verena mit ihren faltenumzogenen Augen an. »Wenn du noch bei mir bleiben könntest, bis – es – du weißt ja, daß es nicht mehr lang' – gehen wird mit mir.«

Die Bitte klang nicht dringend, fast gleichgültig. Es schien in diesem Augenblick, als hätte die Base einen Schlag vor den Verstand erhalten, so eintönig und teilnahmlos sprach sie.

Wilhelm stopfte die Hände in die Taschen und wendete sich jetzt. »Eigentlich nichts mehr verloren habe ich hier,« sagte er und ging mit bleichem, trotzigem Gesicht aus der Stube.

»Er will katholisch heiraten,« sagte die Base, als er hinaus war. Ihre Aufrechtheit hatte noch standgehalten. Jetzt verzog sich ihr Gesicht. Langsam kroch das dünne Blut in ihre faltigen Wangen, »Vor dem Antistes schäme ich mich,« stieß sie plötzlich heraus. Dann schlug der steife Rücken auf einmal in die Bissen zurück. Sie drehte sich gegen die Wand, vielleicht war ihr das von allem bitteren das bitterste, daß er seinem Glauben abtrünnig war, der Wilhelm.

Verena fand kein Wort, sie setzte sich ans Fenster, dorthin, wo eben noch Wilhelm gestanden hatte. Eine lange Weile war es still in der Stube. Und weil kein Wort gesprochen wurde, kamen die Gedanken. Verena hatte die vergangene Nacht sich zurechtgelegt, wie ihr Leben sich plötzlich gewendet hatte. Jetzt kam ihr alles klarer und einfacher zurück. Den Wilhelm, den Bräutigam hast verloren! Begreife es! Kein Markten gibt es und keinen Zweifel! Er schiebt dich beiseite wie ein Stück Holz. Nicht einmal große Reue hat er darüber. Er sollte dich nicht reuen, der leichtlebige schwache Mensch! Und doch reut er dich.

»Vrene!« stöhnte die Base vom Bett her. An ihrem Keuchen merkte das Mädchen, was kommen wollte. Sie fuhr aus ihren Gedanken und trat ans Bett.

Vielleicht hatte die fürchterliche innere Erregung die alte Frau bisher aufrechtgehalten. Jetzt kam ihr Leiden über sie wie noch nie. Verena eilte vor die Tür und schrie nach der Magd. Zum Doktor sollte sie laufen.

Als der Arzt kam, mühten er und Verena sich stundenlang um die Kranke. Endlich überstand sie auch diesen Anfall, freilich lag sie nachher wie tot vor Erschöpfung.

Verena aber wußte es nicht anders, als daß sie jetzt bleiben mußte. –

In der nun folgenden Zeit kam eine große Unruhe in das Waserhaus. Die Base hielt ihre Tür wider alles geschlossen, was in die Räume ihres Sohnes Neues kam; Verena aber, die ab und zu gehen mußte, bekam nach und nach alles zu sehen, was sich da begab. Zuerst lief ihr Hilde in den Weg. Verenas Stube und zwei danebenliegende wurden für das junge Paar eingerichtet. Wilhelm kaufte ein, was er neu hineinstellen wollte; vielleicht half ihm die Zerahnin bei der Wahl, da er sonst niemand um Rat fragte. Fast täglich wurde irgendein Möbelstück über die steilen Treppen heraufgeschleppt. Als die Stuben gefüllt waren, kam die Hilde. Sie kam zu Recht; denn gestern hatte ihre Eheverkündigung im Amtsblatt gestanden. Aber sie kam nicht siegesbewußt. Sie begegnete Verena, als diese just aus dem Hause gehen wollte, um eine kleine Besorgung zu tun. Aus der Backstube trat sie. Als sie Verena erblickte, streckte sie unwillkürlich die Hand aus und stammelte: »Fräulein –«

Verena übersah ihre Hand. Da zog sie sie hastig und erschreckt zurück. So furchtsam stand sie dann da, daß sie der andern fast leid tat.

»Ist er – ist er oben, mein Bräutigam?« fragte sie.

»Ich weiß nicht,« antwortete Verena.

»Ich soll sehen kommen, wie alles eingerichtet ist,« fuhr Hilde mit unsicherer Stimme fort. Verena aber hielt sich nicht auf, nickte und verließ sie. Nachher sah sie noch lange Hildes weißes erschrockenes Gesicht vor sich, und es tat ihr leid, daß sie ihr nicht ein gutes Wort gesagt hatte.

Mit mehr Geräusch als die Tochter kam die Zerahnin ins Haus. Sie kam, wie sie drüben in ihrem Laden saß, in einem schleppenden Kleide von auffallender, etwas verschossener Farbe. Das Kleid rauschte, wenn sie ging, und sie hatte in ihrem Wesen etwas Marktschreierisches, obwohl sie ganz gemessen und vornehm tat. Sie war von hoher, schlanker Gestalt; ihre Züge waren noch immer schön und ebenmäßig; nur die Nase war spitz und rechthaberisch. Ihr schönes, volles weißes Haar glänzte fahl, während sie durch das düstere Treppenhaus hinaufstieg. Auch sie kam die neue Wohnung ansehen. Wilhelm empfing sie. Es schien ihm nicht ganz wohl zu sein bei dem Besuch; er machte ein hilfloses Gesicht. Die Zerahnin achtete nicht darauf, tat, als ob sie zu Hause wäre, sah sich in jeder Zimmerecke ein dutzendmal um, wollte das so haben und jenes so und regierte so lange, bis aus Wilhelms Unbehagen eine merkliche Ungeduld wurde. Er schnitt mehrere ihrer Bemerkungen mit einem kurzen: »Es wird schon recht werden,« ab und pflanzte sich so lange neben der Türe auf, bis die redselige Frau merkte, daß er sie ihr zeigen wollte. Sie errötete, aber es schien ihr daran zu liegen, ihn bei Laune zu erhalten, und sie trat auf die Schwelle. Dann brach einer ihrer Wortschwälle über ihn herein: »Deine Mutter möchte ich doch sehen – das gehört sich doch –, wir kennen einander noch nicht einmal!«

Er trat unwillkürlich vor die Tür, die zu seiner Mutter Stube führte. »Sie ist zu krank! Daß sie nicht zufrieden ist, wissen Sie auch!« Er sagte das plump und schroff.

Die Zerahnin fand für gut, nicht weiter in ihn zu dringen. Innerlich war sie zufrieden: Gut machte es die Hilde! Sie setzte ein freundliches Gesicht auf. »Grüß sie mir, die Mutter!« sagte sie. Dann stieg sie mit ihm die Treppe wieder hinab.

Frau Katharina und Verena hatten das laute »Grüß sie mir!« gehört, das sie vor ihrer Tür gesprochen hatte.

»Hörst, wie die Fremden ins Haus kommen?« sagte die Base. »Im Grab wird er sich umdrehen, der Vater!«

Von da an gingen und kamen die Zerahns täglich ein paarmal, die Frau laut und großtuerisch, die bleiche, weißblonde junge gedrückt, scheu, gleichsam auf den Zehen gehend. Die letztere trat einmal unter die Tür einer ihrer neuen Stuben, als Verena in den Flur kam. Es sah aus, als hätte sie auf sie gewartet.

»Fräulein!« flüsterte sie.

Verena wandte sich um. Die andre stand so hilflos dort, daß sie nicht anders konnte und zu ihr ging. »Sagen Sie mir,« bat Hilde zwischen Schlucken und Weinen, »darf ich nie zu ihr, zu seiner Mutter?«

Verena sah einen Augenblick an den Boden. »Was brauchst ihr zu antworten, was geht sie dich an!« durchfuhr es sie. Aber sie war nicht klein, die Verena. Ruhig blickte sie auf. »Sie müssen Geduld haben,« sagte sie, »mit der Zeit – – –« Und ohne zu vollenden, ging sie.

Hilde sah ihr mit schwimmenden Augen nach.

Am gleichen Tage kam der Antistes die kranke Frau Katharina besuchen. Er kam, weil Verena ihn im Auftrage der Base zu kommen gebeten hatte. Verena, die ihn ins Krankenzimmer führte, ließ ihn mit der Base allein und trat in die Wohnstube hinüber, wo sie arbeitete. Nach einer Weile trat er plötzlich auf die Schwelle der beiden Stuben. Er hielt den Hut in der Hand und schien bereit, zu gehen. Verena fuhr vom Stuhle auf, um ihn hinauszugeleiten. Aber er zögerte und maß sie mit einem scharfen Blick, so daß sie fast erstaunt ihn ansah. Seine strengen, grauen Augen, die wie Lichter zwischen den elfenbeinfarbenen Dreiecken der Lider standen, hafteten auf ihr. »Sie haben jetzt eine schwere und schöne Aufgabe,« sagte er. »Seien Sie die Brücke, auf der in dieses Haus und zwischen Mutter und Sohn wieder Frieden kommen kann.«

Sein Blick sagte fast noch mehr als seine Worte. Sie las daraus, daß er wissentlich ein Opfer von ihr forderte und ihr die Kraft zutraute, es zu bringen. Und es war sonderbar, daß auch eine Art Stärke sie durchrieselte, während er sie anblickte.

»Ich bleibe schon bei ihr, bei der Base,« sagte sie.

Der Antistes nickte. Er stülpte den schwarzglänzenden Hut auf die ehrwürdigen Locken, ließ sie bis zur Türe mitgehen, grüßte dort sie und die Base mit einer spärlichen Freundlichkeit und ging. Mit einer Handbewegung hieß er Verena, die ihm folgen wollte, im Zimmer und bei der Kranken bleiben.


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