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Als Aniane nach Hause kam, trat ihr die Pensionsmutter, Frau Dr. Sperling, freudig erregt entgegen. »Sehen Sie nur, Kindchen,« rief sie gerührt, »die wundervollen Blumen! Ich habe eine solche Pracht noch gar nicht gesehen. Na, nun geht es schon an, ich habe es ja immerfort gesagt. Nun kommt der Ruhm und bald können Sie hier die Lorbeerkränze mit goldgestickten Schleifen aufhängen, das heißt, wenn Sie dann noch bei mir sind,« schloß sie seufzend. »Die Mansarde in der alten Universitätsstraße ist wirklich keine passende Wohnung für eine große Künstlerin.«
Aniane lachte und barg ihr glühendes Gesicht tief in den wundervollen Orchideen, die ihr der Prinz gesandt.
»Liebe, liebe Mutter Sperling,« rief sie ganz glücklich, »die liebe, alte Mansarde hier deucht mir schöner als ein Schloß, denn hier habe ich gelernt, gekämpft, gerungen. Nein, so lange ich in Leipzig bin, bleibe ich auch bei Ihnen. Denken Sie an die schönen stillen Sommerabende, wenn Sie da oben auf dem Throne saßen und mir von alten Zeiten erzählten, wo Ihr Vater noch Zeughauptmann in der alten Pleißenburg war und Sie in dem hellen Kleidchen und schwarzen Kreuzbänderschuhen mit den Studenten in blumengeschmücktem Kahne auf der Pleiße nach Connewitz fuhren zu Spiel und Tanz. Glauben Sie denn, liebe alte Mutter Sperling, ich wollte mir das entgehen lassen? Nein, ich will es immer wieder hören, wie Sie dann abends bei Mondenschein zurückfuhren, durch all das niederhängende Gezweig, wie das Wasser glitzerte und es wie Silber von den Zweigen tropfte, und wie Ihnen dann Ihr späterer Ehegemahl in dieser zauberischen Pracht den ersten Kuß gegeben.«
Die Augen der kleinen Frau mit der weißen Spitzenhaube strahlten glückselig auf.
»Nein, Fräulein Aniane, daß Sie das noch alles wissen! Ja, es war schön. Bald fünfzig Jahre sind es her, und mein Mann schläft nun auch schon einige Jahre auf dem alten Johannisfriedhof. Und wie gut Sie sind, daß Sie hier bleiben wollen, wo Sie doch jetzt eine große Sängerin sind! Der kleine Doktor hat alles heute morgen beim Frühstück der Pension vorgelesen, was in der Zeitung steht und die Blumen hier und die vielen Briefe, ach, sehen Sie nur, Fräulein Aniane!«
Aniane nahm eine Blumengabe nach der anderen, aber immer wieder schweifte ihr Blick zu den Orchideen, und ihr Herz klopfte wie rasend, wenn sie die begleitenden Worte las:
»Nicht nur der Künstlerin, sondern auch der schönsten Frau«.
Es war etwas in ihrem Innern, was sich gegen diese Art von Huldigung aufbäumte, aber sie trank doch in berauschenden Zügen das süße Gift, das dieser Blumengruß in sich barg.
Die Geheimrätin hatte auch Blumen gesandt. Natürlich wollte sie dabei nicht fehlen. Ein großes mächtiges Dekorationsgebäude von duftlosen Chrysanthemen. Da waren auch Blumen von Offizieren, die sie gar nicht kannte, mit mehr oder minder plump ausgesprochenen Huldigungen, und – – Aniane stockte – Blumen und eine Einladung zum Abendessen von einem, wie man sagte, sehr reichen Rauchwarenhändler vom Brühl, der ihr gestern flüchtig in dem geheimrätlichen Salon vorgestellt worden war.
Aniane knitterte den Brief zornig zusammen und heiße Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Was haben Sie denn, Kindchen?« forschte die alte Frau. »Hat man Ihnen weh getan?«
»Da lesen Sie,« schluchzte Aniane auf. »O, es ist abscheulich, es nimmt mir alle Freude.«
Frau Doktor Sperling rückte sich die Brille etwas höher und las aufmerksam das kleine Billett. Dann huschte ein Lächeln über ihre welken Züge.
»Sie werden sich doch um einen solchen brutalen Patron nicht aufregen, liebstes Kind. Geben Sie mir nur die Blumen, ich werde sie in Ihrem Namen mit gehörigen Worten zurücksenden, daß dem Herrn Verehrer die Lust zu weiteren Attacken vergeht.«
»Ach, Mama Sperling, wenn ich Sie nicht hätte! Ich glaube, es ist doch nicht so leicht, in meinem Berufe immer das richtige zu tun.«
Sie seufzte und begann langsam die Briefe zu öffnen, die auf dem Tische lagen.
»Leicht ist überhaupt nichts im Leben,« bemerkte die alte Frau, die Blumen hier und da im Zimmer aufstellend. »Jede Lebensstraße hat ermüdende, öde Wegstrecken, die wir durchwandern müssen. Der eine geht immer im Dunkel, die andern werden hie und da von einem Sonnenstrahl getroffen. Wer es versteht, diesen Sonnenblick festzuhalten, der ist dem Begriff des Glückes am nächsten. Und nun lassen Sie den Kopf nicht hängen, Fräulein Aniane, und bringen Sie eine schöne und frohe Laune zu Tisch mit. Unsere Pensionsgäste haben – staunen Sie – zur Feier des Tages eine Torte spendiert und der kleine Doktor hat die Tafel mit Blumen geziert. Ach, du lieber Gott, nun habe ich ja alles ausgeplaudert und es sollte doch eine Ueberraschung für Sie sein,« schloß sie bekümmert.
Aniane schob die kleine Frau lächelnd samt dem Blumenkorbe des Rauchwarenhändlers aus der Stube. Dann vertiefte sie sich in die Lektüre ihrer Briefe. Enthusiastische Verhimmlungen, gute Ratschläge, mehr oder minder aufrichtige Glückwünsche von Kollegen und Kolleginnen und zuletzt, Aniane sprang ganz erregt auf, – zwei Angebote von Konzertagenturen für große Konzertreisen.
Das eine für Amerika legte sie achtlos beiseite, das andere aber nahm ihre ganze Aufmerksamkeit gefangen. Fünfzehn Konzerte in großen Städten Deutschlands, das war es, was sie vorerst wollte. Die Bedingungen waren verlockend. Gleich am Nachmittag wollte sie ins Konservatorium zu ihrem Lehrer gehen, der sollte ihr raten, und wenn er so dachte wie sie, dann wollte sie sofort den Vertrag schließen. Aniane streckte jubelnd die Arme empor. Nun war sie geborgen, nun brauchte sie nicht mehr mit den kargen Mitteln so ängstlich hauszuhalten. Gleich heute wollte sie mal eine Verschwenderin sein und im Stadttheater die Walküre hören.
Nun sah sie zum ersten Male wirklich eine sonnenhelle Straße goldig vor sich liegen, und was das schönste war, sie konnte in Leipzig bleiben, Leipzig, das ihr so lieb und vertraut war. Und plötzlich kam ihr der Gedanke, wie töricht es doch vielleicht gewesen, das Engagement am Leipziger Stadttheater auszuschlagen, das man ihr zurzeit geboten. Sie hatte ja erst selbst nicht an die Bühnenlaufbahn gedacht, aber immer mehr und mehr hatte während ihres Studiums der Gedanke bei ihr Platz gegriffen, und der gestrige Erfolg hatte ihn und ihre Pläne befestigt. Vorläufig aber war sie zufrieden, daß der kommende Winter ihr Gelegenheit geben würde, sich weiter zu bilden, ehe vielleicht ein Bühnenengagement zustande kam.
Frau Dr. Sperling steckte ihren kleinen Kopf zur Tür herein.
»Hier, Kindchen, sind noch mehr Blumen!«
Aniane nahm sie strahlend. Wigbert von Pflug schickte Rosen, und hier, der große Tuff süßduftender Veilchen, von wem kam der? Aniane sog begierig den zarten Duft ein, der plötzlich das ganze Gemach erfüllte. Dann ruhten ihre Augen lange auf der begleitenden Karte.
»Baron Kurt von Rammelsburg in stillem Gedenken an Tannenrode.«
Wie anders klang das, als die Karte des Prinzen, und Aniane beugte sich schluchzend über die blauen Blüten und wieder barg sie tief ihr Gesicht hinein. Dann aber lächelte sie. Stolz und beglückt hob sie den blonden Kopf. Sorglich stellte sie die Veilchen in eine mit Wasser gefüllte Majolikavase und es war ihr, als hätte sie jetzt erst das rechte Heimatsgefühl.
Das Mädchen brachte eine Anmeldungskarte.
»Es ist gleich Tischzeit, gnädiges Fräulein, soll ich die Dame abweisen?«
Aniane warf einen Blick auf die Karte. »Rahel von Wolfhardt, stud. med.« las sie mit glücklichen Augen.
»Nein, nein, Lisbeth, lassen Sie die Dame eintreten.«
* * *
Und dann standen sich die beiden ungleichen Mädchen gegenüber.
»Wie lieb von dir, Rahel, daß du kommst. Wie glücklich bin ich, dich bei mir zu sehen!«
Rahel guckte sich prüfend in der Stube um.
»Hier hausest du also,« sagte sie und pfiff leise durch die Zähne. »Na, hübsch ist es ja und gemütlich, aber weißt du, für einen Prinzen kein Aufenthalt.«
»Was soll das?« fragte Aniane hart, sich stolz aufrichtend. »Wer gibt dir das Recht, so zu mir zu reden?«
»Ruhig, ruhig, Kleine,« entgegnete Rahel, sich gemächlich auf einen Stuhl niederlassend und die Beine etwas von sich streckend. »Recht! Recht gibt es überhaupt gar nicht in der Welt. Also, ich bin, wie ich allem vorausschicken möchte, gekommen, dich vor dem Prinzen zu warnen, der dir gestern nicht umsonst so schöne Augen machte.«
»Ich verbitte mir eine derartige Einmischung in meine Angelegenheiten,« wehrte Aniane trotzig. »Wie habe ich mich über dein Kommen gefreut und nun tust du mir so weh, Rahel, und beleidigst mich.«
Rahel saß, beide Hände in die Taschen ihres langen Ueberziehers, wie ihn so die Männer tragen, vergraben, und starrte auf die Spitzen ihrer Stiefel. Das rote Haar flimmerte unter dem kleinen schwarzen Herrenhute wie eitel Gold.
»Ich weiß gar nicht, Aniane, wie dich das kränken kann,« sagte sie anscheinend gleichmütig. »Ich sah schon gestern, wie Prinz Dolf Dietram dir die Cour schnitt. Das ist ja nun gar nichts Schlimmes und ich würde wahrhaftig keinen Finger darum rühren, wenn ich dieses Courschneiden nicht schon einmal gesehen hätte. Das tragische Ende kenne ich und das, Aniane, möchte ich dir gern ersparen. – Nenne es Dummheit, Liebe, Haß, Rachsucht, nenne es, wie du willst,« fuhr sie, aufstehend, fort, mit einem energischen Griffe ihren hohen weißen Stehkragen etwas lockernd, »was mich veranlaßt, dich zu warnen, es ist mir ganz gleich; aber ich muß und will dir eine Geschichte erzählen. Wenn du sie gehört, kannst du mir, wenn du willst, deine Tür verschließen. Willst du mich hören?«
Aniane deutete stumm auf einen Stuhl. Rahel knöpfte ihren Paletot langsam auf und dann wieder zu. Ueber ihre leuchtenden braunen Augen legten sich die dichten goldig schimmernden Wimpern, als sie mit Ruhe begann:
* * *
»Ich habe dich immer lieb gehabt, Aniane, und wenn du zu Zilla kamst, um mit ihr zu spielen, was ja selten genug geschah, so war es mir, als müßte ich schützend meine Hände über dein Haupt halten; du warst ja mutterlos, wie wir.
Du weißt, was die Spatzen in Tannenrode von den Dächern pfiffen, daß meine Mutter Mann und Kinder verlassen, weil sie es nicht aushalten konnte in der kleinen Stadt, weil ihr heißes Blut sie hinausdrängte in den Strom der Welt. Unsere Jugend war freudlos und kalt, ohne Mutterliebe, und doch hatten wir beide, Zilla und ich, dasselbe heiße Blut, das nach Liebe lechzte. Unser Vater war nach der Mutter Fortgang finster und verbittert. Er hatte wohl Liebe für uns, aber er zeigte sie nicht. Da kam es, daß ich mich in meiner Verlassenheit, als ich kaum erwachsen war, in einen Mann verliebte, der mich kaum beachtete. Es war der Rittmeister Kurt von Rammelsburg. Er hatte auf einem Tanzstundenballe freundliche Worte zu mir geredet, wohl von Mitleid diktiert, die ich für eine Liebeserklärung nahm. Du siehst, Aniane, daß ich mich ganz unverhüllt zeige, ohne jede Beschönigung. Es ist mir Bedürfnis, es wenigstens einmal zu können.
Ich liebte den stattlichen Rittmeister rasend, glühend, leidenschaftlich. Jedes freundliche Wort nahm ich als Beweis seiner Gegenliebe und dieser Wahn nahm so vollständig Besitz von mir, daß ich mir ein Leben ohne Rammelsburg gar nicht mehr denken konnte.
Eines Abends hatte ich eine heftige Auseinandersetzung mit meinem Vater. Er hatte sich mit mir zum ersten Male eingehender über meine Mutter unterhalten, die ihm nach langen Jahren zum ersten Male geschrieben und ihn gebeten hatte, zu erlauben, daß sie uns wiedersähe. Der Vater weigerte sich entschieden, meiner Mutter Wunsch, die in fernen Landen als Frau eines anderen lebte, zu erfüllen, und ich nahm leidenschaftlich für die Mutter Partei. Was versteht ein junges siebzehnjähriges Ding von den Leiden und Schmerzen und dem Ehrbewußtsein eines Mannes, den das Schicksal tief gebeugt, wie meinen Vater. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, in denen mir der Vater zurief, auch ich hätte das leichte Blut der Mutter und ich würde auch daran zugrunde gehen.
Ich war außer mir. Meine Mutter erschien mir als Märtyrerin und mein Vater als ein gefühlloser Barbar. Nicht eine Stunde wollte ich mehr im Vaterhause sein. Ohne Besinnen, halb wahnsinnig vor Aufregung, verließ ich noch an demselben Abend meines Vaters Haus. Er, der mich liebte, der sollte mich vor den Brutalitäten meines Vaters schützen. Atemlos, mit wildzerzausten Haaren kam ich, als die Haustür schon verschlossen, bei Rammelsburgs Wohnung an. Ich riß wie wahnsinnig an der Klingel, und als mir geöffnet wurde, da stürzte ich ohne alle Ueberlegung Rammelsburg halb ohnmächtig zu Füßen, indem ich schluchzte:
»Nun habe ich dich nur noch allein, du, der Einzige, der mich liebt.«
* * *
Rahel schwieg. Kein Tropfen Blut war in ihrem sonst so lebensprühenden Gesicht, und die halbverschleierten Augen blickten starr ins Leere. Aniane faßte sanft nach der schlaff herabhängenden Hand Rahels. Sie sah, wie schwer der Freundin die Beichte wurde.
»Ich tue dir leid, Aniane,« lächelte Rahel bitter. »Spare dein Mitleid. Denn du kannst es ja nicht ermessen, was ich dann durchlebt, als Rammelsburg mich gelassen aufhob, mir ein Glas Wasser ins Gesicht spritzte und mir sehr energisch und streng befahl, meine Liebesgefühle einem andern zuzuwenden. Er hätte mir nie Veranlassung gegeben, zu glauben, daß er meine Liebe erwidere. Und als er dann sah, wie ich ganz haltlos und vernichtet unter der Last seiner Worte zusammenbrach, da geschah etwas Wunderbares, da nahm er mich in seine Arme, wie ein todwundes Kind, und brachte mich zu meinem Vater.
Seiner Güte, seiner Nachsicht, seinem Edelmut verdanke ich, daß mein Vater mich überhaupt wieder in seinem Hause aufnahm. Rammelsburg war es, der meinen Vater bestimmte, mich hinaus in die Welt zu lassen, er war es, der allen Gerüchten über mich, denn mein nächtlicher Besuch bei Rammelsburg war natürlich in der kleinen Stadt nicht unbemerkt geblieben, die Spitze abbrach. Ich mußte meine erste junge, heiße, leidenschaftliche Liebe begraben, aber ich hatte mir einen Freund gewonnen. Du weißt, daß ich lange fort war von Tannenrode. Ich sah meine Mutter wieder und ich sah, daß auch sie da draußen in der Welt das Glück nicht gefunden, nach dem ihre glücksdurstige Seele schrie. Ich lernte begreifen, daß die Liebe für ein Frauenherz die tiefsten Abgründe birgt, in die sie blind hineintaumelt, wenn keine starke Hand sie hält. Ich hätte dir meine Schmach, die tiefste Erniedrigung, die es für ein Weib gibt, zurückgewiesen zu werden, nicht geoffenbart, wenn es nicht notwendig für das Weitere, Kommende wäre.«
* * *
Rahel schwieg einen Augenblick, und ihre Augen richteten sich jetzt ernst und fest auf Aniane.
»Du weißt,« fuhr sie fort, »als ich aus London zurückkam, welch ein entzückendes Geschöpf unsere kleine Zilla geworden war. Mit Schrecken nahm ich wahr, daß in Zilla derselbe leidenschaftliche Lebensdrang glühte, an dem wir alle krankten. Nie werde ich die strahlende Glückseligkeit der Tanzstunde vergessen, die Zilla gefangen nahm. Umsonst war alles Mahnen, alles Warnen. Zilla lächelte nur und genoß das Glück in vollen Zügen. Ueberall sah sie Sonnengold und Duftesfülle. Am Ende der Tanzstunde, die du, Aniane, ja nicht mehr erlebtest, ging es plötzlich wie ein Lauffeuer durch Tannenrode, Prinz Dolf Dietram zeichne Zilla besonders aus, und man hätte Zilla unten an der Mulde spät abends noch mit dem Prinzen spazieren gehen sehen.
Ich nahm Zilla ins Gebet. Sie leugnete, und da ich keine Beweise hatte, mußte ich mich vorläufig zufrieden geben. Ich ließ aber Zilla kaum noch aus den Augen. Eine unerklärliche Angst um sie nahm mir jede Ruhe und Freudigkeit.
So viel ich auch Zilla und den Prinzen beobachtete, ich konnte im Verkehr der beiden nichts auffälliges entdecken, vielmehr bemerkte ich, daß der Prinz ganz offenkundig Witta von Monbert huldigte und daß Witta ihn nicht zurückwies, sondern geradezu herausforderte. Der Prinz stand, wie du weißt, bei unsern blauen Husaren, und der Rittmeister von Rammelsburg hielt ihm die Zügel straff. Ich wurde ruhiger und ging weiter meinen Studien nach. Die Gerüchte über Zilla und den Prinzen verstummten, und ich war froh, wenn ich sah, wie der Prinz Witta von Monbert die Cour schnitt und Zilla oft gar nicht in Gesellschaft beachtete. Es war mir dann zwar oft, als wäre Zillas Antlitz blaß und als zuckte es wie von verhaltenem Weinen um ihren Mund, aber ich mochte an die, wie ich meinte, noch frische Wunde, nicht rühren, und ich schwieg.
Der Prinz wurde plötzlich, wie man sagt, auf Veranlassung von Rammelsburgs, in die Residenz gerufen und dann auf Reisen geschickt. Rammelsburg war wieder in den persönlichen Dienst des Fürsten getreten, da es zwischen ihm und dem Prinzen zu starken persönlichen Mißhelligkeiten gekommen sein sollte. Als Rammelsburg bei uns Abschiedsbesuch machte, beunruhigte mich seine Mahnung: »Hüten Sie Ihre kleine Schwester, und wenn es sein kann, bringen Sie das Kind weit fort von hier.«
Ich bat ihn erschreckt um weitere Aufklärung, er aber sagte, daß das alles sei, was er mir sagen könnte. Er wüßte auch nichts Bestimmtes, es handle sich bei ihm um Vermutungen, und die legten ihm die Pflicht auf, mich zu warnen. Ich war, durch meine Studien behindert, nur selten in Tannenrode. Da, eines Tages, wir hatten früher als gewöhnlich im Gymnasium geschlossen, und ich kam einen Tag eher, als ich erwartet wurde.
* * *
Ich fand zu Hause alles in tiefster Bestürzung. Zilla war spurlos verschwunden. Als sie am Morgen, wie gewöhnlich, nicht zum Vorschein kam, war nach langem vergeblichem Warten Papa persönlich hinauf in Zillas Zimmer gegangen, weil er sie krank vermutete. er fand das Bett unberührt und auf dem Schreibtische folgenden Zettel:
»Ich gehe, wie auch meine Mutter gegangen. Auch ich ertrage es nicht in der Enge von Tannenrode. Zürnet mir nicht, lieber Vater, liebe Schwester. Ich gehe einem großen Glück entgegen; so groß, daß ich die Augen schließen muß, wenn ich daran denke. Forscht nicht, wohin ich gegangen. Ihr werdet mich nie finden – denn ich muß tot für Euch sein. Habt Dank für eure Liebe und verzeiht Eurer unglücklichen, nein glücklichen Zilla.«
»Du siehst, Aniane, ich habe die Worte gut behalten. Wie mit Flammenschrift stehen sie in meinem Herzen.«
»Und habt Ihr nichts wieder von Zilla gehört?«
»Nein, ein ganzes Jahr ist darüber hingegangen und alle Nachforschungen sind vergeblich gewesen. Mein Vater, der durch das neue Unglück ganz gebrochen ist, hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, ich selbst habe eine Audienz bei dem Fürsten Ernst Heinrich gehabt, der mir seinen Rat und seine Hilfe, meine unglückliche Schwester auszufinden, bereitwilligst zubilligte. Als ich leise anzudeuten wagte, daß ich den Verdacht hätte, Prinz Dolf Dietram hätte die Hand im Spiele gehabt, und ich gewissermaßen von ihm die Aufklärung über das Schicksal meiner Schwester fordern müßte, wurde der Fürst eisig und bedeutete mir, daß ein solcher Verdacht empörend und beleidigend sei und daß es unsere Sache gewesen sei, das leichtsinnige junge Mädchen zu hüten.«
»Und Rammelsburg?« fragte Aniane. »Konnte er keine Auskunft geben?«
»Er weiß mehr, als er zugeben will. Bei meinen Nachforschungen stieß ich oft auf Fäden, die Rammelsburg spann, so daß ich merkte, wie auch er unausgesetzt nach Zilla forschte.«
»Ja, aber was glaubt ihr denn,« fragte Aniane entsetzt, »glaubt ihr, daß der Prinz Zilla entführt, daß er sie verborgen hält oder was sonst? Wenn dem so wäre, würde er wohl jetzt nicht hier sein.«
»Sein Hiersein ist mir ein Beweis, daß er Zilla abgetan hat. Wer weiß, wo sie ihren Jammer und ihre Schande verbirgt. Wer weiß, vielleicht ist sie auch tot, hingemordet durch diesen leichtfertigen, selbstsüchtigen Kerl, der jedes Mädchen, das ihm gefällt, nur zum Spielball seiner Launen benutzt, den er nachher dann achtlos fortwirft.«
* * *
In Anianens Innerem tobte es wild. Sie hatte immer das Gefühl, als müsse sie Rahel mit all ihren Anklagen hinausweisen, als dürfe sie nicht dulden, daß ein Flecken auf das Bild fiel, das sie seit ihren Kindertagen gleich einem Heiligenbilds, ihr sonst unbewußt, im Herzen trug. Und doch gab es eine Stimme, die sprach: »Rahel hat recht. Er ist ein kalter, herzloser Egoist und Zilla wurde sein Opfer.«
Anianens Zähne schlugen hörbar aufeinander. Was ging sie eigentlich der Prinz an? Mühsam raffte sie sich auf und sagte, Rahel herzlich die Hand reichend:
»Wie leid mir das alles tut, und wie ich mich mit dir um Zilla sorge. Dein armer Vater, was muß er gelitten haben. Und deine Mutter, weiß auch sie nicht, wo Zilla ist?«
Rahel schüttelte das Haupt.
»Papa hat sich aufgeschwungen, so schwer es ihm auch wurde, persönlich an Mama zu schreiben. Sie schrieb zurück, daß sie nichts von Zilla gehört. Sie bat flehentlich, sobald man Zilla gefunden, ihr das Kind zu senden. Sie hätte vor Jahresfrist ihren Mann verloren und sie wäre ganz einsam und allein mit ihren Gedanken und den Gespenstern der Vergangenheit. Papa hat dann noch einmal geschrieben, aber ich fürchte, nichts Gutes. Ich glaube, er hat Mama gesagt, daß Zilla ihre würdige Tochter sei. Wir hörten nichts mehr von ihr und ein Brief, den ich ihr schrieb, kam mit dem Vermerk »ohne Adressenangabe verzogen« zurück.«
Rahel stand auf.
»So,« sagte sie hart, ihren schwarzen Filzhut auf das Rothaar drückend, »nun weißt du, was du wissen mußt. Hast du nun noch Lust, dir die Huldigung des Prinzen gefallen zu lassen – so bist du wenigstens gewarnt. Ich kenne dich viel zu gut, um nicht zu wissen, daß du nie einen Mann lieben wirst, der eine andere betrog.«
»Rahel, ich bitte dich, es sind doch alles nur Vermutungen. Im übrigen kannst du ruhig sein, ich liebe den Prinzen nicht.«
»Nicht? Na, Gott sei dank! Aber liebes Kind, das hat bei einem so gefährlichen Frauenverführer wie dieser junge Prinz ist, gar nichts zu sagen. Rammelsburg meint das sicher auch, denn sonst wäre er nach dem Zerwürfnisse mit dem Prinzen nicht hier, um dich zu schützen.«
»Mich zu schützen, Rahel? Aber ich bitte dich, das geht doch zu weit!«
»Ich wiederhole, es ist so. Rammelsburg hat gewußt, als der Prinz nach Leipzig ging, daß ein Wiedersehen zwischen euch unumgänglich ist und da wollte er wachen, daß nicht noch einmal geschieht, was er früher nicht hindern konnte.«
Jetzt lachte Aniane leise auf.
»Du solltest Schriftstellerin werden, Rahel, du dichtest ja ganze Romane zusammen. Der Rittmeister hat gewiß Besseres zu tun, als aufzupassen, daß mir kein Haar gekrümmt wird. Uebrigens kann jedes Mädchen sich nur selber schützen.«
»Ich weiß aber, daß der Rittmeister es gegen den Willen des Prinzen bei dem Fürsten durchgesetzt hat, Dolf Dietram nach Leipzig zu begleiten,« beharrte Rahel eigensinnig. »Doch, es wird sich schon zeigen, wer recht hat. Nun aber habe ich dich so unglaublich lange aufgehalten. Die Suppe wird kalt, wie das wiederholte energische Klopfen eurer Küchenfee anzeigt. Wenn du mich einmal besuchen willst, Aniane, ich würde mich riesig freuen. Ich wohne in der Karolinenstraße. Auch keine Gegend für Prinzen und dergleichen. Montag und Donnerstag haben wir »Roochklub.« Du bist herzlich willkommen.«
»Was habt Ihr?«
»Roochklub,« das heißt, es wird geraucht und gescherzt. Noch drei Studentinnen und ich, liebe Mädels und sehr gescheit. Du kommst also?«
»Ja, gern. Aber nicht in den »Roochklub.« Ich bin noch nicht reif dafür, wie mir scheint,« lachte Aniane.
»Na, das konnte ich mir ja denken,« entgegnete Rahel, ihre Kollegienmappe unter den Arm klemmend und Aniane die Hand reichend. »Also auf Wiedersehen und denke an meine Worte.«
Aniane wehrte ab. Ein widerliches Gefühl stieg in ihr empor. Der schöne Tag war ihr gründlich verleidet und die prächtigen Blumen, die Rahels Blick kaum gestreift, taten ihr weh. Warum rissen die Menschen so grausam einen Schleier nach dem andern von Dingen, die, kaum geahnt, kaum gedacht, noch tief in der Seele schlummerten?
* * *
Rahel war gegangen und das Mädchen hatte schon wiederholt gepocht, Aniane zu Tisch zu bitten, aber die junge Sängerin stand noch immer inmitten des Zimmers und starrte auf die Dächer der Nachbarhäuser, wo ein paar Herbstblumenranken an den Fenstern verkümmert ihr Dasein fristeten.
Wie eine Vision sah sie eine hohe schlanke, vornehme Männergestalt mit unergründlichen tiefen Augen, die heiß und leidenschaftlich aufstrahlten bei ihrem Anblick und es erschien ihr weiter ein süßes unschuldvolles Kindergesicht mit goldbraunen Augen, das flehend die Hände zu dem Mann emporhob. Da wurden die glutvollen Augen des Mannes eisig und ein böser Blick zuckte darin empor. Aniane barg ihr Gesicht in beide Hände und stöhnte auf.
»Er hat Zilla vernichtet, ich fühle es. Er war es, der ihre Lebensrose grausam zertrat.«
»Hüte dich, fein's Mägdelein,
Wirst bald mein eigen sein.«
sang draußen auf dem Gange eine übermütige junge Stimme. Die Pensionsgäste kamen zu Tisch. Aniane knickte eine der kostbaren Orchideen, die der Prinz gesandt. Ihr Fuß trat achtlos darüber hin. – Sie fühlte keinen Teil an ihm. Was ging sie dieser Prinz an. Ihr Leben gehörte fortan ihrer Kunst.
Vom Nikolaikirchturm klangen die Glocken. Sie geleiteten ein junges Paar zum Hochzeitsfest.
Aniane trat noch einen Augenblick an das kleine Fenster und sah sinnend zu den Dächern der hohen Häuser hinüber. Sie sah die Spatzen in den Dachrinnen vergnügt sich jagen –, sie sah die Erkerspitzen des altehrwürdigen früheren Fürstenhauses an der Ecke der Grimmaischen Straße in der Sonne blinken –, sie sah auch um den hohen Turm der Nikolaikirche über allen den vertrauten Dächern hinweg die Dohlen kreisen –.
Und da kehrte ihr dis Ruhe wieder, und sie verließ stolz und gefaßt das Zimmer. –