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2

Als keine Lampen mehr brannten, der Mond untergegangen war und ein dünner Regen auf das Dach trommelte, strömte unendliche Finsternis hernieder. Nichts, so schien es, konnte dieser Flut, dieser Sintflut aus Finsternis entrinnen, die durch Schlüssellöcher und Fugen kroch, sich um Vorhänge stahl, in die Schlafzimmer schlich, hier einen Krug und ein Waschbecken verschlang, da eine Schale mit roten und gelben Dahlien, dort die scharfen Kanten und den massigen Rumpf einer Kommode. Aber nicht nur die Möbel gingen darin unter; es blieb kaum irgendwo von Körper oder Geist genug übrig, daß man hätte sagen können ›das ist er‹ oder ›das ist sie‹. Zuweilen hob sich eine Hand, als wollte sie nach etwas greifen oder etwas abwehren, oder jemand stöhnte, oder jemand lachte laut, als hätte er seinen Spaß mit dem Nichts.

Nichts rührte sich im Wohnzimmer, nichts im Eßzimmer, nichts im Treppenhaus. Nur durch rostige Türangeln und verquollenes, seewasserfeuchtes Holzwerk (das Haus war ja ziemlich baufällig) strichen schwache Lüfte, gleichsam abgespalten vom großen Wind, schlichen um die Ecken und drangen ins Haus. Fast hätte man sich vorstellen können, wie sie neugierig und forschend ins Wohnzimmer kamen, mit den hängenden Tapetenfetzen spielten und fragten, ob sie noch lange hängen und wann sie fallen würden. Leicht über die Wände streichend, setzten sie nachdenklich ihren Weg fort, als fragten sie die roten und gelben Rosen der Tapete, ob sie verbleichen würden, und nahmen sich (freundlich, denn es fehlte ihnen ja nicht an Zeit) die zerrissenen Briefe im Papierkorb vor, die Blumen, die Bücher, die ihnen nun allesamt preisgegeben waren, und fragten: Waren sie Bundesgenossen? Waren sie Feinde? Wieviel Lebensdauer war ihnen bestimmt?

Nun stiegen die Lüftchen die Treppe hinauf, vom zufälligen Licht eines unverhüllten Sterns, eines vorüberfahrenden Schiffs oder vielleicht auch des Leuchtturms geleitet, das schwach auf Stufen und Matte fiel; sie erklommen die Treppe und witterten an Schlafzimmertüren. Hier aber mußten sie Einhalt tun. Was immer auch vergehen und verschwinden mag – was hier liegt, hat Bestand. Hier hätte man zu den gleitenden Lichtern und den tastenden Lüftchen, die sich sogar über das Bett beugen und flüstern, sagen können: Hier könnt ihr nichts berühren und nichts zerstören. Worauf sie verdrießlich und geisterhaft, als hätten sie federleichte Finger, aber die sanfte Beharrlichkeit der Federn, auf die geschlossenen Augen und die lose gefalteten Finger blicken, verdrießlich ihre Gewänder raffen und verschwinden würden. Witternd und streifend glitten sie zum Fenster im Treppenhaus, zu den Schlafkammern der Dienstboten, zu den Koffern im Dachboden; sie stiegen wieder nach unten und bleichten die Äpfel auf dem Eßzimmertisch, betasteten die Blütenblätter der Rosen, untersuchten das Bild auf der Staffelei, strichen über die Matte hin und bliesen ein bißchen Sand über den Fußboden. Schließlich ließen sie alle ab, sammelten sich, seufzten alle gemeinsam; alle miteinander stießen einen grundlosen Klagelaut aus, worauf eine Tür in der Küche antwortete, weit aufschwang, nichts hereinließ und ins Schloß fiel.

[Hier blies Mr. Garmichael, der im Vergil las, seine Kerze aus. Es war Mitternacht vorüber.]


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