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Anderen Tages saßen Ammerie und Trudi bei einer Näharbeit, während Frau Madlen ein paar notwendige Gänge im Städtchen zu tun hatte, und sprachen über den gestrigen Spinnstubenabend.
»Du wolltest näheres über den alten Schubiack, den Hammichel wissen,« brachte Ammerie die Rede auf diesen »also laß dir erzählen.
Er ist früher ein Spielmann gewesen, was er ja so nebenbei noch ist, und hat mit einer Bande Fahrender, Männer und Weiber, vieler Herren Länder durchschweift. Auch verheiratet ist er gewesen und hat nach dem Tode seiner Frau seine einzige Tochter auf seine Kreuz- und Querzüge mitgenommen. Diese hat ihm, als sie starb, ein kleines Kind hinterlassen, unsern Schneckenkaschper, von dessen Vater man nichts weiß. Da hat der Alte sich des armen verwaisen Wurmes angenommen, ist in Gimmeldingen hängen geblieben und hat den Jungen notdürftig aufgezogen, und dies ist das einzige Lobenswerte, das man ihm nachsagen kann. In Gimmeldingen, wo er bis vor etwa acht Jahren wohnte, hatte er seinen Unterhalt durch Aufspielen zum Tanz, weit mehr aber auf eine andere Weise erworben, von der du jetzt hören sollst.
Unter den Spielleuten ist ein verdorbener Apotheker gewesen, der sich für einen Alchimisten, so eine Art Goldmacher und Schwarzkünstler ausgab und Kenntnis von allerhand Geheimmitteln, Mixturen, Kräutersäften und Wunderkuren hatte. Diese anrüchige Kunst und Wissenschaft hat Hammichel von dem verlotterten Apotheker gelernt und, was meinst du wohl, wozu benutzt? – zum Zurechtdoktern und Fälschen des Weines und zwar mit einem für ihn sehr vorteilhaften Erfolg. Viele Winzer ließen sich von ihm beschwatzen, seine Mittel zu probieren, überzeugten sich, daß der mit ihnen behandelte Wein mehr Gehalt und einen besseren Geschmack bekam, also auch einen höheren Preis erzielte, und strichen gern den unsauberen Profit ein, den Quacksalber nicht schlecht dafür belohnend.
Dieses schändliche Gewerbe hat er Jahre lang betrieben, bis es den Ehrlichen und Rechtschaffenen unter den Gimmeldingern doch endlich zu arg wurde. Durch Brotneid und Verrat kam die Sache an den Tag, es entstanden die bittersten Feindschaften, und Hammichel, dem der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, mußte das Feld räumen. Nun verschwand er mit seinem Enkel auf lange Zeit aus der Gegend, und es wuchs Gras über der Geschichte. Plötzlich tauchte er hier in Wachenheim auf, wo niemand ihn und seine Vergangenheit kannte und ihn anfangs auch niemand beachtete. Aber auch hier wußte er sich bald in das Vertrauen der Winzer einzuschleichen und begann hier damit, womit er in Gimmeldingen aufgehört hatte. Als mein Vater von dem Unfug Wind bekam, tat er das seinige, dem Fälscher das Handwerk zu legen und redete den Weinbauern ins Gewissen. Sie sollten sich schämen, die edle Gottesgabe, die sie mit schwerer Arbeit und saurem Schweiß dem Boden abrängen, auf nichtswürdige Weise zu verfälschen und ihre Abnehmer, die für ihr gutes Geld einen reinen, gesunden Trank haben wollten, mit vermanschtem Schund, der das Faß nicht wert wäre, in dem sie ihn zusammenbrauten, jämmerlich zu betrügen. Das ginge gegen ihre eigene Ehre wie gegen die Ehre unserer gesegneten Pfalz, deren Ruf zu wahren und hoch zu halten ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit wäre. Das schlug ein; viele der Betörten nahmen sich die Vorhaltungen ihres Bürgermeisters zu Herzen, fielen von dem Weinverderber ab und wiesen ihm die Tür. Andere aber, zu denen auch Steinecker gehört, blieben seine treuen Kunden und manschen heute noch mit seinen schauderhaften Mitteln.«
»Was sind denn das für wunderbare Mittel?« unterbrach Trudi den Bericht Ammeries.
»Ja, das weiß der Himmel oder wohl noch besser der Teufel, der dem Panschmichel bei seinem maledeiten Hokuspokus die Hand führt,« sagte Ammerie. »Er hütet sich wohl, sich von irgendeinem Menschen in die Karten gucken zu lassen. Das meiste wird wohl das Wasser dabei tun müssen, aber um die Verdünnung zu verdecken, bedarf es allerlei starker, scharfer oder süßer und wohlriechender Zusätze. Er stöbert beständig in den großen Wäldern der Haardt und des Westrichs umher, wo das Eichhörnchen sieben Meilen weit durch die Bäume springt, und sucht Kräuter, Beeren, Samen und Wurzeln, deren Wirkung nur er kennt. In seiner Behausung bei Merten Fachendag sollen unzählige Töpfe, Büchsen und Gläser mit Flüssigkeiten, Pulvern und Latwergen stehen.
Nun wirst du begreifen,« schloß Ammerie, »daß Hammichel meinen Vater auf den Tod haßt, ihn verklatscht und verleumdet, die Bürger gegen ihn aufhetzt und ihm dadurch nicht wenige von ihnen zu Feinden macht.«
»Und diesen niederträchtigen Menschen duldet ihr in den Spinnstuben und laßt euch von ihm zum Tanz aufspielen?« fragte Trudi.
»O er darf nicht in alle Spinnstuben kommen,« erwiderte Ammerie, »zu uns, zu Gersbachers und mehreren anderen nicht. Aber was sollen wir denn machen, wenn wir tanzen wollen? er ist der einzige Spielmann im Ort, und tanzen wollen wir doch.«
»Jaja!« nickte Trudi und sann über Ammeries letzte Worte ein paar Minuten lang nach. Dann fing sie an: »Da wir gerade vom Tanzen sprechen, – ich hab eine Bitte an dich, Ammerie. Ich kann nicht tanzen, weil ich zu Hause bei uns keine Gelegenheit dazu hatte. Aber ich möcht es gern lernen, – hab's einem versprochen, – der Franz wünscht es,« stieß sie hervor, feuerrot bis zur Stirn hinauf.
»Ah, der Franz wünscht es!« lächelte Ammerie verschmitzt, »ja natürlich, da mußt du's lernen. Der Franz versteht sich vorzüglich aufs Tanzen, der kann's dir leicht beibringen.«
»Er hat sich auch dazu erboten, aber das geht doch nicht, das würde auffallen und Redereien geben,« sprach Trudi. »Ich dachte mir, du könntest's mich lehren, Ammerie, wenn du willst.«
»Gewiß, gern! aber weißt du, Trudi, zwei Mädchen miteinander, das hat keine rechte Art,« meinte Ammerie. »Man muß mit einem Buben tanzen, der führt einen sicherer und hält einen fester. Paß mal auf, wie fest dich der Franz halten wird!« fügte sie mit einem fuchsschlauen Blick hinzu. »Ich will dir was sagen: anfangen werd ich's mit dir; da gehen wir auf den Söller hinauf, wo uns kein Mensch hört und sieht, und wenn du schon ein bißchen was kannst, dann muß der Franz kommen und helfen; laß mich nur machen!«
»O du bist lieb und gut!« rief Trudi, sprang auf, umhalste Ammerie und gab ihr einen herzhaften Kuß.
»Ach! wenn ich jetzt der Franz wäre!« lachte die Schelmin.
Da kriegte sie schnell noch einen, damit sie nur aufhören sollte zu sticheln. –
Es war voller Winter geworden. Das Gebirge und die Ebene waren mit Schnee bedeckt, auf dem sich hie und da die Fährte eines Wildes zeichnete und über den hungrige Krähen mit trägem Flügelschlage hin und wiederzogen. Die Bäume und Sträucher prunkten mit einem märchenhaften Schmuck von silberglitzerndem Rauhreif, und von den Dächern der Häuser hingen lange Eiszapfen. In den Kellern aber gärte der Most und fing an sich langsam zu klären. Dabei war nichts zu tun, diesen Werdegang zu beschleunigen; man mußte dem Weine Ruhe lassen und hatte nun Muße, sich auf das liebe Christfest vorzubereiten, dem die Alten und die Jungen freudig entgegensahen, wozu sie ja in Anbetracht der großen Zahl gefüllter Fässer alle Ursache hatten.
Zu diesen Vorbereitungen, die selbstverständlich streng geheim gehalten wurden, gehörte auf dem Abtshofe die seltsame, oft wiederkehrende Tatsache, daß Trudi und Ammerie zum Söller hinaufschlichen und sich dort einschlossen. Und noch seltsamer war, daß Franz häufig dazu kam und den Mädchen bei ihrem versteckten Tun Hilfe leistete. Die übrigen Armbrusters konnten sich keine Vorstellung davon machen, was die drei dort oben zu schaffen hatten und was das eigenartige, taktmäßige Geräusch, ein Rascheln, Schlurfen und Stampfen, das sie dann hörten, zu bedeuten hatte.
Als nun der Weihnachtsabend herangekommen war und jedem im Hause ein paar hübsche, brauchbare Dinge beschert wurden, fand sich nichts, gar nichts, was auf dem Söller zusammengebastelt sein konnte. Da nahm sich Madlen die beiden Mädchen vor und sprach: »Nun sagt mir doch, was in aller Welt ihr da oben für einen Spuk getrieben habt.«
Trudi wagte nicht, ihrer Base ins Gesicht zu sehen. Ammerie aber flunkerte unverfroren drauf los: »Ach, Mütterle, 's ist jammerschad, daß nichts draus geworden ist; die Katz hat's geholt, oder der Marder ist's gewesen, und ich sag's dir auch nicht, was wir ausgeheckt hatten; wirst schon selber bald genug dahinter kommen.«
Madlen schüttelte den Kopf, schwieg aber zu der ganz unglaublichen Ausrede von der diebischen Katz oder dem Marder und traute ihrer anschlägigen Jüngsten, sobald es sich um dumme Streiche handelte, das Menschenmögliche zu.
Nach zwei Tagen schon sollte der Schleier von Ammeries Geheimnis zur größten Überraschung aller nicht Eingeweihten gelüftet werden.
Am zweiten Feiertage fand, wie alljährlich, im Hause Gersbachers der glänzendste Spinnstubenabend des ganzen Winters statt. Es war eigentlich ein wohlausgerüstetes Fest und das Spinnen völlig Nebensache dabei. Die Rocken und Haspel waren zwar von den Mädchen mitgebracht und wurden auch für kurze Zeit in Tätigkeit gesetzt, aber nur, um auch für diese Überschreitung des Herkömmlichen wenigstens den Namen Spinnstube zu retten. Frau Agnete Gersbacher ließ an leckeren Gerichten auftragen, was die in der Diele gedeckten Tische fassen konnten, und hatte eine Unmenge Weihnachtskuchen gebacken. Der Bauer aber wollte zeigen, was sein Keller zu liefern vermochte, und gab eine Sorte eigenen Gewächses nach der andern zum besten. Zum Aufspielen hatte er vier Musikanten aus Neustadt kommen lassen, weil er Hammichel nicht in seinem Hause haben wollte.
Während des Schmauses wurden ein paar Lieder gesungen, und dann, nachdem die Tische entfernt waren, erklangen Fiedel, Bratsche, Klarinette und Flöte, und der Tanz begann.
Wie es ihm als ältestem Sohn des Gastgebers gebührte, eröffnete Franz den Reigen und zwar mit Trudi. Trudi konnte mit einem Male tanzen, und wie tanzte sie! Da fiel es Madlen wie Schuppen von den Äugen; nun wußte sie, was oben auf ihrem Boden so oft gerauscht, geschleift und getrappt hatte. Franz und ihr spitzbübischer Nesthaken, die Ammerie, hatten Trudi Tanzstunde gegeben, und der Erfolg war ein großartiger. Alle, die sie in der Spinnstube bei Steinecker hatten sitzen und die Achseln zucken sehen, wenn einer der Burschen sie aufforderte, waren höchst erstaunt und riefen dem schönen Paare, das sich so stolz und sicher im Kreise schwang, lauten Beifall zu, nur eine nicht. Jakobine wurde rot und weiß vor Ärger, und ihre Augen schossen lodernde Blitze auf die beiden.
Den ganzen Abend blieb Trudi die von Franz auffällig Bevorzugte, was Jakobine dermaßen aus den Fugen brachte, daß sie fort wollte und nur mit Mühe zum Bleiben zu bewegen war, um Aufsehen zu vermeiden. Nun aber wollte sie dem Abtrünnigen auch zeigen, daß ihr sein verletzendes Betragen durchaus gleichgültig wäre, tanzte wie rasend, lachte und kreischte und war die Übermütigste und Ausgelassenste von allen.
Frau Agnete billigte zwar das Verhalten ihres Sohnes gegen die so sichtlich von ihm Vernachlässigte nicht, aber die Entdeckung, die sie dabei machte, war ihr doch keineswegs unlieb, denn Jakobine hatte nicht erst heute, sondern schon öfter das Mißfallen der klugen Frau erregt, der das schlecht erzogene, sich unschicklich benehmende Mädchen keine willkommene künftige Schwiegertochter war. Nun erkannte sie, daß auch Franz nichts mehr von Jakobine wissen wollte, und um zu erkunden, ob die Armbruster'sche Verwandte seiner unverhohlenen Neigung würdig wäre, knüpfte sie in den Tanzpausen mehrmals eine Unterhaltung mit ihr an. Auch bei der ihr befreundeten Madlen streckte sie leise tastende Fühlfäden nach deren Nichte aus, und die Ergebnisse dieser Erforschungsversuche fielen durchaus zu Agnetens Zufriedenheit aus.
Als der Tanz schon flott im Gange war, erschien Junker Ulrich von Remchingen, der Sohn des Reichsfreiherrn, der sich öfter zu den Spinnstuben einfand, wie dies einst auch sein Vater getan hatte. Der sich frei in diesem Kreise Bewegende, ein junger Kavalier mit ansprechenden Zügen und dunkeln, feurigen Augen, war kein Spielverderber, ein gewandter Plauderer und vorzüglicher Tänzer. Bei allen Mädchen hatte er einen Stein im Brett, und sie ließen sich je toller je lieber den Hof von ihm machen. Die Mütter aber verdoppelten dann ihre Wachsamkeit über die für seine Huldigungen sehr empfänglichen Töchter, denn er stand in dem Rufe, ein gefährlicher Herzensfänger zu sein, dem für ein lustiges Abenteuer unter vier Augen auch eine hübsche Bauerndirn durchaus nicht zu gering deuchte.
Er wurde von allen Seiten höflich begrüßt und von den beim Weine sitzenden älteren Männern mit einem Zutrunke geehrt, auf den er ihnen dankend Bescheid tat. Aber zum Trinken war er nicht gekommen, tanzen wollte er. Nach einer flüchtigen Musterung der hier vertretenen weiblichen Jugend schritt er sofort auf Trudi zu und begann ein leichtes Gespräch mit ihr. Aber seine Ausdrucksweise, sein Ton, sein Blick und die unerlaubte Kühnheit, womit er sie dann beim Tanzen umfaßte, erweckten das Gefühl in ihr, daß sie vor diesem jungen Herrn auf ihrer Hut sein müsse.
Keinem der Mädchen kam er heute so gelegen wie Jakobinen, die mit ihm nun ihrem ungetreuen Franz die Spitze bieten wollte, um diesen zur Eifersucht zu spornen. Darum tat sie, was sie konnte, den Junker für diesen Abend an sich zu fesseln, stellte sich ihm in den Weg, wenn er sich eine Partnerin suchte, lockte ihn mit verlangenden Blicken und drückte sich schmiegsam fest an ihn, wenn er mit ihr tanzte.
Franz durchschaute ihre Absicht und sah ihr zuchtloses Gebaren kühl und gelassen mit an. Für ihn war nur Trudi da, die in seinem Herzen schon hoch über jener Zudringlichen stand. Was sie, die in ihrem ganzen Wesen so Bescheidene und doch so Sichere, von ihm hielt, war ihm noch verborgen, nur daß sie ihm freundschaftlich zugetan wäre, nahm er für gewiß an, und Junker Ulrichs dreistes Werben um ihre Gunst machte ihm keine Sorge.
In Trudi regten sich ihr bisher völlig unbekannte Empfindungen. Bei dem heimlichen Tanzunterricht hatte Franz ihr noch deutlicher als in den Spinnstuben gezeigt, daß er sie gern, sehr gern hatte, und sie selber fühlte sich von einer tiefen Neigung zu ihm ergriffen, gegen die sie jedoch ehrlich anzukämpfen suchte. Denn sie konnte und wollte noch nicht daran glauben, daß ihr, der Habe- und Heimatlosen, das Glück zuteil werden sollte, von einem Manne wie Franz Gersbacher geliebt und begehrt zu werden. Wie etwas Unmögliches dünkte sie das. Und zu diesem Zweifel gesellte sich noch eine andere Betrachtung, die sie warnte und ängstigte. In jedem Winter haben die Burschen und Mädchen hier eine neue Liebschaft, hatte ihr Ammerie gesagt. Wie, wenn das mit Franz auch so käme, daß er eine Zeitlang mit ihr tändeln und kosen wollte und vor Ablauf eines Jahres ihrer überdrüssig würde? Das ertrüge sie nicht. Zwar traute sie gerade ihm solche Flatterhaftigkeit nicht zu, aber wer oder was bürgte ihr dafür, daß er allein von dem Brauch abwich und beständiger war als alle anderen?
Wie glücklich war sie, wenn sie beim Tanz in seinem Arme dahinflog, von ihm geführt und gehalten, so nahe, daß sie den Hauch seines Atems in ihrem davon erzitternden Haare spürte, oder wenn er ihr so tief und innig in die Augen sah, als wollte er mit dem Blicke seine Seele in die ihre tauchen! War das nicht Liebe?
Wenn sie sich das alles überlegte und durchdachte, dann preßte sie die Hand auf die wogende Brust: schweig still, du da drinnen! –
Die Wintermonate gingen dahin, die Tage wurden länger und mit dem beginnenden Frühjahr gab es wieder Arbeit in den Wingerten. Die Spinnstuben wurden nicht mehr so regelmäßig abgehalten wie bisher, denn fast aller Flachs war aufgesponnen, und das Garn lag, zu Strähnen gebunden, in den Truhen, zum Verweben bereit. Nur eine Kunkel, kaum halb voll, mußte man sich für die letzte Spinnstube, die stets beim Bürgermeister auf dem Abtshofe stattfand, noch aufbewahren. Trotzdem wurde über Franz und Trudi unablässig geklatscht und gezischelt. Daß der Gersbachersohn mit der Steineckertochter in Verspruch war oder dieser doch endlich bald zu erwarten war, dagegen hatte niemand etwas einzuwenden, denn beide waren Wachenheimer Kinder, und ihre bevorstehende Verbindung wurde als etwas betrachtet, das ganz in der Ordnung war. Daß sich Franz aber allem Anschein nach eine Zugewanderte, die nicht einmal eine Pfälzerin war, nehmen wollte, das war nicht in der Ordnung, das empörte die Wachenheimer Mädchen, die ihn, obschon die meisten ihn am liebsten selber zum Manne gehabt hätten, wohl jeder Einheimischen, aber nicht einer Fremden gönnten. Nun hatten sie plötzlich dieses und jenes an ihr auszusetzen, häkelten und mäkelten an ihr herum, und die neidischsten unter ihnen zogen auch am gehässigsten über sie her. Andere jedoch verteidigten sie und suchten ihre guten Eigenschaften in das hellste Licht zu stellen. So entstanden Parteien, erst unter den Mädchen und dann auch unter den Burschen, denn auch unter ihnen gab es einige, die Franz grollten, weil er Trudi so für sich in Anspruch nahm, daß sie für alle übrigen fast unnahbar wurde.
Franz und Trudi hörten nichts von dem Geschwätz oder kehrten sich nicht daran. Zwischen ihnen schwebte etwas Unausgesprochenes, keusch Verschleiertes, was sie wie ein segenspendender Zauber nah und fern umwob. Das wußten sie beide, das sagte ihnen jeder Blick und jeder Handdruck, die sie untereinander tauschten. Jeden verlangte danach, ach! nur ein kleines Zeichen der Liebe geben oder empfangen zu dürfen, aber keiner wagte sich damit hervor in der Unsicherheit, wie der andere eine Berührung des tief und scheu in ihm Verschlossenen aufnehmen würde. Es war ein teils wonniger, teils qualvoller Zustand, das, was in jedem drängte und stürmte, gewaltsam zurückhalten und eindämmen zu müssen und mit all der Sehnsucht im Herzen sich keine Andeutung darüber entschlüpfen zu lassen. Aber in dem Geheimnis lag für beide etwas so Beseligendes, daß sie sich dieses stille Hoffen und Wünschen mit keinem lauten Worte enthüllen und entweihen wollten. In Trudis Brust aber wohnte ein Glück ohne Maß und ohne Ziel, das all ihr Fühlen und Denken füllte und ihrem Dasein einen neuen, nie geahnten Inhalt gab. –
Endlich kam der Kehraus, die letzte der Spinnstuben, die bei Armbrusters den Schluß dieser Winterfreuden machen sollte. Gesponnen wurde nicht viel mehr dabei und, obwohl genug Mädchen und Burschen erschienen waren, auch nicht getanzt, weil kein Spielmann da war, denn von Hammichels Zutritt zum Abtshofe konnte ja keine Rede sein. Christoph hatte einen Kreis vertrauter, trinkfester Freunde um sich versammelt, denn heute sollte, wie stets bei dieser Gelegenheit, zum ersten Male der Neue gemeinschaftlich geprobt werden, wozu auch von anderen der anwesenden Winzer einige Sorten ihrer Gewächse beigesteuert wurden. Von der Familie Steinecker war niemand zugegen, auch Jakobine nicht.
Als die Gersbacher zum Abtshofe kamen, trafen sie vor dem Tore den Schneckenkaschper, der da herumstrich und neugierig in den Hof hineinspähte.
»Schneckenkaschper, du hier? bist du auch zur Spinnstube beim Bürgermeister geladen?« fragte Steffen.
»– Nein,« stotterte Kaspar, beschämt, beim Lauern ertappt zu sein, »ich – ich wollte bloß sehen, wer alles da wäre.«
»Wo hast du denn deinen Patz?«
»Im Ziegenstalle. Da muß ich ihn einsperren, wenn ich ihn nicht mitnehmen kann. Großvater will ihn im Hause nicht haben; er kann ihn nicht leiden,« klagte der Junge.
»Geh mit, Kaschper! wirst schon recht kommen, es wird dich niemand fortweisen,« sagte Franz, weil er wußte, daß er Trudi, die den Jungen lieb hatte, eine kleine Freude bereitete, wenn er ihn mitbrachte.
Gern schloß sich Kaspar an und wurde freundlich aufgenommen. Ammerie empfing ihn mit den Worten: »Kommst grade recht, Kaschper! kannst uns einschenken helfen.«
»Ja, ja, das will ich,« erwiderte Kaspar, »aber mein Großvater darf's nicht wissen, sonst schlägt er mich.«
»Nein, hab keine Angst; der soll's nicht erfahren, daß du hier warst,« sprach Trudi und streichelte ihm zärtlich seinen Strubbelkopf.
Bald saßen die Mädchen an den Spinnrocken, die nur dürftig mit Flachs versehen waren, und die älteren Männer beim Wein, den sie mit dem Ernst gewiegter Kenner kosteten, sachverständige Urteile über ihn abgebend, deren treffendstes stets Lutz Hebenstreit mit seiner anerkannt feinen Küferzunge herausfand. Kaspar waltete mit Trudi und Ammerie fleißig und geschickt des Schenkenamtes, und der junge Wein erzeugte bald eine allgemein fröhliche Stimmung.
Franz verfolgte Trudi mit den Augen, wo sie ging und stand, wie sie sich drehte und bewegte, den Krug schwenkte und die Gläser füllte, und sie machte sich an dem Tische, wo er mit andern saß, stets länger zu schaffen als eigentlich nötig war. »Du schenkst mir zu oft ein, Trudi, das ist gefährlich,« sprach er einmal, innig zu ihr aufblickend.
»Ich möchte gern wissen, wieviel du vertragen kannst und wie dir ein kleiner Spitz zu Gesicht steht,« erwiderte sie lächelnd.
»O mit einem kleinen nehm ich's auf, aber einem großen geh ich aus dem Wege. Du glaubst nicht, was ich, damit behaftet, zu tun imstande wäre,« sagte er und drückte ihr dabei heimlich die Hand, die sie ihm willig überließ.
Niemand hatte das gesehen als Christoph Armbruster, aber der behielt es für sich und dachte in seiner Freude darüber: Glück auf, ihr beiden!
Steffen richtete es immer so ein, daß er gerade ausgetrunken hatte, wenn Ammerie in seine Nähe kam, damit sie ihm wieder einschenken sollte, wobei es ohne lustige Neckereien zwischen ihnen nicht abging.
Da begegnete es Trudi einmal, weil sie statt auf ihr Tun zu achten nach Franz hinblickte, Hebenstreits Glas über den Rand voll zu gießen, daß der Wein auf den Tisch floß. »Aber Trudi!« rief Lutz, sie sanft ans Kinn fassend, »bist ein Prachtmädel, aber einschenken kannst du noch nicht. Wein verschütten bedeutet Unheil für den, der's tut. Weißt du das nicht?«
»Lutz, alter Kolkrabe!« fuhr ihn Christoph an, der Trudi's Erschrecken bemerkt hatte, »wie kannst du dich unterstehen, unserer lieben Schenkin Unglück zu weissagen! Man sollte denken, du hättest schon zu viel und der Wein spräche aus dir.«
»Im Wein ist Wahrheit, Chrischtoph,« gab ihm Lutz zur Antwort, »und ich hab's, hol mich der Deibel! oft genug erlebt, daß es später eingetroffen ist.«
»Ach was! dummes Zeug, Lutz! Was soll denn eintreffen? Verrückter Küferaberglaube!« riefen die anderen an seinem Tische.
»Ihr Braucht nicht so zu brüllen,« erwiderte Lutz. »Gut einschenken ist auch eine Kunst, die nicht jeder besitzt; da ließe sich noch viel drüber sagen.«
Franz, der von seinem nicht fernen Platze das alles gesehen und gehört hatte, war herangetreten und sprach, als er zu Worte kam, mißmutig: »Lutz Hebenstreit, Wein verschütten, wenn's nicht mit Absicht geschieht, ist keine Sünde und hat auch keine üblen Folgen. Das solltet Ihr doch aus Erfahrung wissen.«
»Meinst du, Fränzel?« lachte Lutz. »Na, meinen Rüffel hab ich ja weg; nun schlagt das Faß zu!«
Zu Trudi sagte Franz: »Trudi, Meister Hebenstreit hat das nicht bös gemeint. Kehr dich an nichts und mach dir nichts draus!«
Trudi schwieg und ging etwas verstört davon, während Ammerie den Tisch mit einem Tuche trocknete. –
Spät erst trennte man sich. Der letzte Trunk, den die Alten hoben, galt dem künftigen Herbst, daß er so gut werden möge wie der vorige.
Als die beiden Mädchen oben in ihrer Kammer waren und Trudi schon im Bette lag, seufzte sie einmal schwer auf.
»Was ist dir?« fragte Ammerie.
»Das Wort deines Paten Hebenstreit will mir nicht aus dem Sinn,« erwiderte Trudi.
»Du bist nicht recht gescheit,« sagte Ammerie. »Das war weiter nichts als eine seiner beliebten Uzereien.«
»Nein, nein, so klang es nicht; er machte ein ganz ernstes Gesicht dazu, und niemand lachte, als wenn es ein Witz gewesen wäre. Dein Vater aber verwies ihm streng sein trübseliges Prophezeien.«
»Und die anderen auch; sie kennen alle des alten Hagestolzen loses Mundwerk, das oft kaum zu bändigen ist und wieder einmal mit ihm durchging. Davor brauchst du dich nicht zu graulen.«
»Du redest mir meine Furcht nicht aus. Ich glaube an Vorbedeutungen, hab's mit der Muttermilch eingesogen,« sprach Trudi. »Mir droht Unheil.«
»Schlaf deinen Rausch aus!« spottete Ammerie und löschte das Licht.