Julius Wolff
Das Wildfangrecht
Julius Wolff

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Drittes Kapitel.

Während der nächsten Wochen wurden auf dem Abtshofe die nötigen Vorbereitungen für die Lese getroffen. Im Kelterhause wurden sämtliche Geräte einer genauen Prüfung auf ihre Brauchbarkeit und Sauberkeit unterzogen und im Keller die Lager für die Lotten, jene Tonnen, in die der ausgepreßte Traubensaft zuerst gegossen wird, sowie für die Fässer und Trubfäßle hergerichtet. Bei diesen Arbeiten hatten die Frauen weniger zu tun als die Männer, und Madlen benutzte diese letzte Frist vor dem alle Kräfte in Anspruch nehmenden Werke des Herbstens dazu, Trudi nach und nach in die Wirtschaft einzuführen, wobei sich zu ihrer Freude herausstellte, daß ihre junge Verwandte in den mancherlei Hantierungen des Hauswesens wohlbewandert war.

Ohne einige kleine Zwiste ging das indessen nicht ab. Ammerie, die bei den mütterlichen Unterweisungen zugegen war, wollte bald diese, bald jene Obliegenheit nicht gutwillig abtreten und behauptete, durch solche, ihrerseits nicht gewünschte Entlastung von ihr zuständigen Geschäften eine Einbuße an Wirksamkeit zu erleiden, die sie sich nicht gefallen zu lassen brauchte. Wozu sie denn überhaupt hier auf dem Hofe noch nütze wäre, fragte sie, die Nase rümpfend, wenn man ihre sich stets als tadellos erwiesene Leistungsfähigkeit brachlegen wollte; sie verlangte keine Erleichterung und Ablösung. Trudi sollte tun und treiben, was sie Lust hätte, aber zu nichts angehalten und gezwungen werden. Das gefiel nun aber Trudi wieder nicht; im Gegenteil, sie konnte gar nicht genug kriegen an ihr zu übertragender Tätigkeit und schien alle Mühen auf sich laden und an sich reißen zu wollen.

So entspann sich zwischen den Mädchen ein edler Wettstreit, den die Bürgermeisterin nur durch ein entschiedenes Machtwort schlichten oder dadurch zu einem beide befriedigenden Ausgleich bringen konnte, daß sie sich dazu verstand, auf manche ihrer eigenen hausfraulichen Anrechte zu verzichten und diese unter die jungen Ehrgeizigen zu verteilen. Bei der praktischen Ausführung der endgültig getroffenen Maßregeln gestalteten sich die Dinge allerdings weit friedlicher als bei ihrer Abmessung. Die Mädchen fanden sich schnell in die übernommenen Pflichten, arbeiteten einander in die Hände und hatten bei gemeinsamem Tun Gelegenheit zu lustiger Unterhaltung, so daß ihr Plaudern, Singen und Lachen oft durch das ganze Haus erscholl.

Trudi empfand das ihr auf dem Abtshofe beschiedene Glück in tiefster Seele, nicht nur durch die liebevolle Behandlung, die sie von allen Insassen erfuhr, sondern auch in dem Gefühl, daß sie die ihr erwiesenen Wohltaten durch Gegenleistungen einigermaßen vergelten konnte und sich sozusagen ihr täglich Brot ehrlich verdiente.

Ihr Aussehen besserte sich von Tag zu Tag. Ihre Wangen strafften und röteten, ihre Schultern ründeten sich, und ihre blauen Augen blickten freudig und hoffnungsvoll. In dieser durch Fleiß und Ordnung geregelten Häuslichkeit, inmitten einer einträchtigen Familie, deren Glieder sich stets rücksichtsvoll und freundlich begegneten, lebte sie von neuem auf, und die schmerzlichen Erinnerungen an ihr von Leiden verdüstertes, von Feindseligkeiten vergälltes Dasein in Gamburg fielen eine nach der anderen wie schwer drückende, nun sich lösende Ketten von ihr ab. –

Endlich läutete die Weinbergglocke, die von jetzt an täglich zweimal ihre Stimme erhob, um den Winzern morgens die Erlaubnis zum Beginn und abends den Befehl zum Schluß des Lesens zu geben. Denn es war ein alter Brauch, daß die Stunden zu diesem Geschäft von Amts wegen bestimmt und begrenzt wurden. Früher oder später als die Glocke rief, durfte niemand Trauben schneiden. Es lasen auch nicht alle Winzer zu gleicher Zeit, sondern der eine an diesen, der andere an jenen Tagen, und die befreundeten Familien halfen sich dabei gegenseitig. Denn das Herbsten mußte so schnell wie möglich vor sich gehen, ehe ein plötzlich heraufziehendes Unwetter oder ein sich frühzeitig einstellender Nachtfrost das vollreife Gewächs beschädigen oder gar vernichten konnte.

Über die Reihenfolge der Lesen in den einzelnen Wingerten hatten sich die Wachenheimer längst geeinigt, und Christoph Armbruster gehörte diesmal zu den ersten, die mit einem Wagen, mit Kübeln, Logen und Bütten fröhlich hinauszogen, um den winkenden Segen einzuheimsen, den ihnen eine fast unausgesetzte Jahresarbeit und ein gnädiger Himmel geschaffen hatten.

An den oft schweren Mühen, die das Gedeihen der Reben erforderte, nahm er persönlich, soweit es seine Zeit neben der Erledigung seiner Amtsgeschäfte gestattete, tätigen Anteil, den er sich nicht verkürzen ließ. Als Madlen ihn einmal darauf hingewiesen hatte, daß solche Tagelöhnerarbeit ihm in seiner Stellung doch eigentlich nicht gezieme, hatte er ihr geantwortet: »Wir sind ein altes, freies Bauerngeschlecht, Madlen. Meine Altvordern, soweit ich von ihnen Kunde habe, sind Bauern und Winzer gewesen, haben sich geplagt und gerackert und die Früchte ihres Fleißes in Zufriedenheit genossen, und so wie sie will ich es auch halten. Bei mir kommt erst der Bauer und dann der Bürgermeister, und genau so hat mein Vater selig gedacht; auch er war Bürgermeister von Wachenheim und hat doch im Schweiße seines Angesichts seinen Wingert gegraben und gerührt, gedüngt und geseilt, wie ich es tue und niemals davon lassen werde, so lange ich die Kraft dazu habe. Es ist meine Freude und mein Stolz, meinen eigenen Grund und Boden selber zu bebauen, und wenn ich von meinem reinen, durch keinerlei Zutat vermanschten Wein trinke, will ich das Bewußtsein haben: den hast du nur Gott und deiner Arbeit zu danken, hast ihn selber geherbstet und gekeltert, und in jedem Tropfen, der dir über die Zunge geht, steckt etwas von deinem Tun und Können. Ich möchte ihn nicht mehr trinken, wenn ich ihn nicht mehr bauen könnte. Und dabei soll's bleiben, mein liebes Alterchen! komm mir nicht wieder damit, daß sich für den Bürgermeister nicht schicke, was dem Bauer gebührt und den Bauer ehrt!« Danach hatte er den Karst auf die Schulter genommen, war mit langen Schritten nach seinem Rebenland gegangen und hatte dort gescharwerkt wie ein in Lohn und Brot stehender Wingertsmann.

Seine Mitbürger kannten diesen echten Bauernstolz an ihm, den sie in ihrer Mehrzahl selber besaßen. Sie wußten, daß er sie alle mit seinen geistigen Fähigkeiten übersah, sich aber nicht überhob, sondern auch als erwähltes Haupt der Gemeinde ihresgleichen sein wollte und sich nichts Besseres zu sein dünkte als der geringsten einer von ihnen. Und das schlugen sie ihm hoch an und vergaßen ihm zu keiner Stunde, auch nicht im heftigsten Widerspruch der Ansichten und Meinungen. –

Die Tage der Armbruster zum Lesen kamen heran, und die Familie Gersbacher wollte ihnen dabei nach langjähriger Gewohnheit Beistand leisten.

Florian Gersbacher war der reichste Winzer in Wachenheim und sein Hof der größte und stattlichste von allen. Er war ein breitspurig auftretender, eigenwilliger Gesell, der auf seinen Geldbeutel pochte und am Stammtisch beim Kronenwirt das große Wort führte. Der einzige, der ihn mit seiner unerschütterlichen Ruhe und Sicherheit ducken konnte, wenn er sich gar zu protzig aufspielte, war Christoph Armbruster, zu dem er in ehrlicher Freundschaft hielt und den er im Stadtrate, dessen einflußreichstes Mitglied Gersbacher war, gelegentlich und dann auch kräftig unterstützte, weil er Christophs gründliche Einsicht und Erfahrung im Gemeindewesen anerkennen mußte. Denn er war ein Mensch mit klarem Verstand und nicht ohne Gerechtigkeitssinn; manche sagten ihm sogar eine nicht allzuweit gehende Gutmütigkeit nach. In seinen nicht eben seltenen Streitigkeiten mit den Feldnachbarn mußte seine wackere Frau oft vermittelnd eingreifen und zu Vertrag und Frieden reden. Er hatte außer seiner Tochter Elsbeth, Peter Armbrusters Gattin, zwei mannhafte Söhne, Franz und Steffen, die mit tüchtiger Arbeit ihre Schuldigkeit taten.

An dem bestimmten Morgen machten sich, als das Glockenzeichen ertönte, sämtliche Armbrusters und Gersbachers mit ihrem zu Hause nur irgend entbehrlichen Gesinde zu Christophs Wingert auf den Weg; nur die zwei älteren Frauen blieben zurück. Elsbeth übergab ihr kleines Bärbele der Obhut der Großmutter, und Ammerie sang und tanzte vor Vergnügen auf dem Hofe und hakte sich, als sie von dannen zogen, in Trudis Arm, die sich von dem Freudentaumel der jüngsten Winzerin gern mit fortreißen ließ. Draußen aber fand sich noch ein Ungeladener dazu, der allen willkommen war, – Schneckenkaschper, natürlich mit seinem lustig schweifwedelnden, überall herumschnuppernden Patz. Es waren mehr als ein Dutzend in dem Geschäft geübter Menschen, die, sich in den Reihen der Weinstöcke verteilend, nun wohlgemut mit dem Schneiden der Trauben begannen.

Kaspar wich nicht von Trudis Seite, rückte ihr den Kübel bequem zur Hand, in den sie die Trauben zu legen hatte, und leerte ihn, wenn er gefüllt war, in die Logel, die ein Knecht zu dem am Wege haltenden, mit Ochsen bespannten Wagen trug und dort in die Bütten ausschüttete. Trudi ließ sich die Hilfe des flinken Jungen gern gefallen und richtete öfter ein freundliches Wort oder eine Frage an ihn, auf die er stets bescheiden und verständig antwortete, so daß sich zwischen den beiden ein Band gegenseitiger Zuneigung knüpfte.

Gersbachers Söhne, die Trudi auf dem Abtshofe schon kennen gelernt und sich auf Grund der immerhin etwas weitläufigen Verwandtschaft gleich auf du und du mit ihr gestellt hatten, hielten sich auch möglichst in ihrer Nähe, sahen oft zu dem hübschen Mädchen hin und warfen ihr dann und wann eine scherzhafte Bemerkung zu, die sie selten unerwidert ließ. Besonders Franz, der ältere, ein blonder, hünenhafter Mensch mit einem freien, freudigen Gesicht, schien großen Gefallen an ihr zu finden. »Trudi,« rief er ihr einmal zu, »hast du die Trauben schon gekostet?«

»Nein,« entgegnete sie, »beim Lesen soll man nicht naschen.«

»Schon recht,« sprach er, »aber, weißt du, es hat damit eine eigene Bewandtnis.«

»Was denn für eine?« fragte sie.

»Ja, drüben in Dürkheim behaupten sie steif und fest, wenn man eine schöne Jungfrau, die von den Trauben gegessen hat, auf den Mund küßte, so könnte man nach dem Geschmack des Kusses die Beschaffenheit des künftigen Weines schon genau beurteilen.«

»Ist die Möglichkeit!« lächelte Trudi unter einem flüchtigen Erröten.

»Und du bist wohl sehr neugierig auf die Güte des künftigen Weines und möchtest die Probe an Trudi vornehmen?« neckte ihn Ammerie. »Aber Franz, was würde Jakobine dazu sagen?«

»Ach, was geht mich Jakobine an! mit der laß mich in Ruh!« gab ihr Franz ärgerlich zur Antwort.

»Nur nicht gleich so borstig! ich werde es ihr nicht verraten, was du Trudi eben gelehrt hast,« sprach Ammerie.

»Meinetwegen trag's ihr zu,« knurrte Franz.

»Soso! ich dachte –«

»O der Traubensaft hat oft eine wunderbare Wirkung, auch schon ehe er gekeltert ist,« unterbrach Steffen die noch nicht Schweigende, um seinem Bruder aus der Verlegenheit zu helfen, in die ihn Ammeries Anspielungen gebracht hatten. »Wißt ihr denn, was die Schwaben von einem ihrer besten Gewächse prahlen?«

»Nun?« fragten mehrere zugleich.

»Die wollen einen Wein in ihrem Lande haben, der so stark ist, daß, wenn der Bürgermeister beim Lesen nur eine Beere in seinem Munde zerdrückt, die ganze Gemeinde einen Rausch davon bekommt.«

Da mußten sie alle lachen, aber Elsbeth sprach: »Das sind Schwabenstreiche, Steffen! Da gefällt mit Franzens Stichprobe viel besser.«

»Ei mir auch!« stimmte ihr Steffen lebhaft zu mit einem begehrlichen Blick nach Trudis roten Lippen.

»So? meint ihr?« mischte sich Peter ein, »na, dann werde ich das feine Mittel nächstens einmal bei einer schönen Jungfrau versuchen.«

»Das möchte ich dir nicht raten, sonst kannst du von mir was erleben!« bedeutete Elsbeth ihrem Manne zur großen Belustigung aller.

Unter so heiteren Gesprächen nahm die Lese ihren ungehemmten Fortgang. Die beiden Alten befanden sich an einer entfernteren Stelle des Wingerts und hatten wohl das Lachen, aber nicht die mutwilligen Scherze der Jungen gehört, wenigstens nichts davon verstanden. Sie sprachen nicht viel bei der Arbeit. Gersbacher hatte, Umschau haltend, einmal geäußert: »Was denkst du, Chrischtoph? auf einen Dreiviertelherbst kann man heuer doch wohl rechnen?«

»Ein bißchen hochgegriffen,« meinte Christoph; »auf Zweidrittel möcht ich ihn schätzen und bin auch damit schon zufrieden.«

»Nein, ist zu niedrig taxiert,« bestand Gersbacher auf seinem Ausspruch, von dem er, auch in anderen Dingen, nicht leicht etwas zurücknahm. »Aber wir wollen auch nicht wünschen,« fügte er hinzu, »daß es einmal einen Herbst gibt, wo das Faß mehr gilt als der Wein.«

»Das haben wir in unsern guten pfälzer Lagen nicht zu fürchten,« sagte der Bürgermeister. »Es sei denn, daß Lutz Hebenstreit mit seinen Preisen stark aufschlüge, und tut er das, so weiß ich auch, wer daran schuld ist.«

»Hat er dich warten lassen?« lachte Gersbacher.

»Lange genug, wie immer, wenn du ihm auf dem Nacken sitzt.«

»Na, nichts für ungut, Chrischtoph!«

Christoph schüttelte, und sie schwiegen wieder und schnitten eifrig weiter.

Zur Mittagszeit wurde eine kurze Schicht gemacht, und die beiden Familien lagerten sich im Kreise, um gemeinschaftlich das ihnen aus der Armbruster'schen Küche herausgesandte Essen einzunehmen, wonach sie die Lese wieder fortsetzten, die ja noch mehrere Tage emsigen Schaffens bedurfte, bis sie mit einer kleinen Festlichkeit im Hause ihren Abschluß fand. Aber auch schon die Einbringung der ersten Fuhre Trauben am Abend hatte etwas gewissermaßen Feierliches, das sich in den frohen Mienen der sie zur Stadt Geleitenden spiegelte, während sie munter plaudernd rechts und links daneben herschritten. Ammerie aber, einen Kranz von Rebenlaub ums Haupt geflochten, hatte sich vorn auf den Wagen geschwungen und stand dort als hübsche, züchtig gekleidete Bacchantin, eine der den Triumphzug des Dionysos hochgeschürzt Umschwärmenden, von deren jauchzendem Evoe und ausgelassenen Tänzen das einfache Bauernkind freilich nichts wußte.


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