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III.

Im Stift zu Adamunt.

Nachmittags am zweiten Tage
Seiner Wandrung langte Heinrich
Ungefährdet an beim Stifte
Und sah staunend eine Menge
Großer steinerner Gebäude,
Deren Dasein und Bedeutung
Er mit frommen Glaubenszwecken
Gar nicht zu vereinen wußte.
Aermlich schien in seiner Heimat
Kloster Wilhering ihm wahrlich
Gegen diese Niederlassung,
Und er frug sich schon im Stillen,
Ob er auch nicht irr gegangen,
Ob dies wirklich auch das Stift sei,
Dahinein der Greis ihn sandte.
Zweifelnd schritt er zwischen Häusern
Weiter bis zu einem Platze,
Wo ein Mönch damit beschäftigt,
Kunstgerecht ein Pferd zu striegeln.
Eben stand er tief gebückt jetzt,
Um des Rosses Bauch zu bürsten,
Und so mocht' er wohl nicht hören,
Wie der Jüngling auf ihn zuschritt,
Bis daß dieser nahe bei ihm
Sprach: »Gelobt sei Jesus Christus!«
»Schwerenoth! was denn schon wieder?
Ach! – in Ewigkeiten, Amen!«
Fuhr der Mönch nun in die Höhe,
»Höre, hast mir einen Schrecken
Eingejagt in alle Glieder,
Habe Dich nicht kommen hören,
Dachte schon, es wär' Albanus.«
Und er strich sich mit dem Rücken
Seiner breiten Hand die Perlen
Von der stark gebräunten Stirne.
»So verzeihe!« sprach der Jüngling,
»Komm' ich hier zum heil'gen Blasius?«

»Richtig! doch der Heil'ge selber
Ist verreist, erst in acht Tagen
Kommt er wieder,« sprach der Bruder;
»Nun, was sperrst Du denn das Maul auf?
Ist denn das so was Besondres?
Oder bist Du fremd zu Land hier?«
Heinrich nickte. »Ja dann freilich!
Also wisse: wenn dem Kloster
Irgend eine gute Spende
In der Ferne wo vermacht ist,
Sei's vielleicht als Seelgeräthe
Oder sonsten eine Stiftung,
Muß der Heil'ge immer selber
Hin zur Stelle, und sie schleppen
Die Gebeine viele Meilen
Ueber Land oft, daß die Spender
Auf die alten Knochen schwören,
Was dem Kloster sie geloben.
Sanctus Blasius ist just wieder
Mal auf Erbschaftsfahrt begriffen,
Und es ist ein Schüssellehen
Und ein Becherlehn daneben,
Worum es sich diesmal handelt,
Und so reichlich, daß sie sagen,
's wär der Mühe werth, nach Rom drum
Den Reliquienschrein zu tragen,
Doch so weit geht nicht die Reise.
Warte mal! bist auch wohl durstig?«
Fuhr er fort und holte schmunzelnd
Einen ausgebauchten Steinkrug
Aus dem Schatten, trank und bot ihn
Heinrich dar voll kühlen Bieres.
Wahrend dieser sich erquickte,
Lehnte mit dem einen Arme
Auf den Rücken seines Pferdes
Sich bequem der Bruder, stemmte
Auf die Hüfte dann den andern
Und betrachtete den Jüngling.
Dieser frug, als er getrunken:
»Kann Abt Irimbert ich sehen?

»Irimbertus sehn? warum nicht?
Wirst Dich freu'n, wie gut er aussieht,
Schade nur, daß ihm die Inful
Auf dem Haupt ein wenig schief sitzt.«
»Kann ich ihn denn auch wohl sprechen?«
Frug erstaunt der Jüngling weiter.

»Kannst auch mit ihm sprechen, Antwort
Wirst Du zwar nicht von ihm kriegen,
Denn er hört nicht.« – »Taub? der Arme!«

»Ja! stocktaub und blind und stumm,
Hat nicht Zahnweh mehr und Reißen
Liegt in grauem Stein gehauen
Auf der Gruft, darin er schlummert
Seit – seit fünf, sechs, sieben Jahren,
Kannst ihn sehn, er liegt ganz stille.«
Also todt der Freund des Klausners,
Lange todt! und jener glaubte
Ihn noch unter den Lebend'gen;
Heinrich selber aber hoffte,
Schutz und Rath bei ihm zu finden,
Und die Hoffnung war nun eitel.
Recht betrübt klang seine Frage:
»Wie heißt jetzt der Abt mit Namen?«
»Isenricus,« sprach der Andre,
»Und hat Haare auf den Zähnen,
Ist ein Mann fast wie ein Ritter;
Ich war mit ihm auf der Kreuzfahrt
In des Kaisers Rothbart Heerzug.
Auch im Kloster ist's jetzt anders,
Als es unterm sel'gen Herrn war,
Der war fromm, doch hart und finster,
Keiner sah ihn jemals lachen.«
»Führe mich zu dem Hochwürd'gen,«
Bat der Jüngling nun den Bruder;
Doch der wandte sich und blickte
Auf die Sonnenuhr am Thurme.
»Jetzt hält er sein Mittagsschläfchen,«
Sprach er, »warte noch ein Weilchen,
Bis er wacht und sich den Imbiß
Kommen läßt, das ist die Stunde,
Wo am besten er gelaunt ist
Dann für Frage, Rath und Antwort.«
Fast seit Anfang des Gespräches
Hörte Heinrich schon ein Singen,
Das aus stattlichem Gebäude
Jenem Platze gegenüber
Drang von wohlgeübten Stimmen,
Doch in etwas schnellem Tempo,
Und er frug zum Hause deutend:
»Ist das dort ein Sanctuarium?«

»Das? jawohl, und was für eines!
Just das wichtigste, – die Küche!
Und jetzt scheuern sie die Kessel,
Denn wir hatten Mittag Fische
Vor dem Braten, weil der Spargel
Noch nicht ausreicht für uns Alle,
Dann darf uns der Kellermeister
Wohl ein Krüglein oder zweie
Mehr vom Klosterwein verzapfen.
Denn, verstehst Du, Fisch will schwimmen!
Darum singen sie vor Freuden;
Doch nun sage mir: wie heißt Du?«
Fast hätt' er den eignen Namen
Schon genannt, so voll von Staunen
War der Jüngling über Alles,
Was er hörte, doch – »Tannhäuser,«
Kam's ihm zaghaft von den Lippen.
»Wie? Tannhäuserus?« rief jener,
»Seltner Name! hübscher Name!«
Und ihn mehrmals wiederholend
Murmelte der Mönch ihn leise.
Heinrich lächelte: »Du bist wohl
Im Latein gewaltig, Bruder?«

»Na, das geht so; lesen kann ich's,
Aber nur nicht übersetzen.
Doch es ist im Kloster Sitte,
Daß man hier an jeden Namen
Bald ein us und bald ein um, hängt
Oder auch noch andre Silben,
Wie es ihnen grade einfällt;
Ich zum Beispiel heiße Frutus,
Frater Frutus auf lateinisch.
Wenn sie etwas von mir wollen,
Heiß' ich Frute, wenn sie schelten
Aber, Frutum und manchmal auch
Fruto, Fruti und so weiter,
Doch warum, begriff ich niemals.
Ich bin hier ein wenig Marschall,
Jäger auch und habe Aufsicht
Ueber Rosse, Hunde, Katzen.
Dieser Gaul ist meiner, siehst Du,
Und ich lasse seine Pflege
Keinem sonst; im heil'gen Lande
Lernt' ich, wie man Pferde wartet.«
Und die eigne dicke Nase
An des Rosses weiche Nüster
Zärtlich drückend sprach er: »Schnute!
Will Dir noch das Mähnlein flechten,
Daß es kraus und wellig aussieht.«
»Das kann ich!« rief schnell der Jüngling,
Und er strähnte, flocht und drehte
So geschickt dem Gaul die Mähne,
Daß der Mönch darob erfreut war.
»Kannst auch reiten?« frug er lustig.
»Ei! und jagen!« lachte Heinrich.
»Donnerwett – wie? – sagt'st Du etwas?«
Sprach der Mönch scheu um sich blickend,
»Höre, Dich könnt' ich gebrauchen,
Bleib doch hier! mir fehlt schon lange
So ein freudiger Geselle.
Komm! erst Schnuten an die Krippe,
Und dann führ' ich Dich zum Abte,«
Heinrich wirbelte und schwirrte
Es im Kopfe: hier, hier soll ich
Aller Lust der Welt entsagen,
Hier bei Rossen, Wein und Waidwerk?
Sprach er zu sich selbst und brachte
Mit dem Mönch das Pferd zum Stalle,
Der geräumig war und reinlich,
Und wo eine ganze Reihe
Gut gepflegter Rosse standen,
Die des Jünglings Staunen mehrten.
»Jetzt, Tannhäuseri,« sprach Frutus,
»Jetzt komm zu Herrn Isenricum!«

Lange bei dem edlen Abte
Blieb der Jüngling und erzählt' ihm
Alles wahrhaft und getreulich,
Trug ihm dann auch seinen Wunsch vor,
Hier im Kloster eine Zelle
Und dereinst ein Grab zu finden.
Prüfend und mit Wohlgefallen
Ruhten auf des jungen Helden
Hohem Wuchs des Abtes Augen,
Und das Haupt dann schüttelnd sprach er:
»Sollst ein Jahr Bedenkzeit haben,
Bis wir Dir die Platte scheeren.
Bleib, und ist das Jahr verstrichen,
Wollen wir noch einmal wieder
Auf den Scheideweg Dich stellen,
Magst nach Herzenswunsch dann wählen.«
Dann schickt' er zum Sakristane,
Sprach, als dieser eingetreten:
»Hier, der junge Laienbruder
Wird bei uns im Stifte bleiben
Auf ein Probejahr, Tannhäuser
Heißt er; unter Deine Obhut
Stell' ich selber ihn, Albanus!
Lehre ihn des Ordens Pflichten,
Himmlisch Heil und irdisch Wissen
Aus den Büchern, so wir haben.
Von den strengen Observanzen
Geb' ich ihm Dispens, die Chronik
Nenn' ihn frater literatus
Laicus
und halt' ihn also.
Führ' ihn gleich zum Bruder Schaffner
Daß der eine Zell' ihm weise
Und ein Ordenskleid auch gebe.
Dann komm wieder, denn ich habe
Noch geheim mit Dir zu reden.
So! nun geh mit Gott, Tannhäuser,
Und bedenke: eins vor allem
Fordern wir von Dir, – Gehorsam!«

Wie Abt Isenrik befohlen,
So geschah es, Heinrich wurde
Mit dem Ordenskleid versehen
Und erhielt in einer Zelle
Gut Gemach, darin er zwar nur
Schwachen Hausrath fand, die aber
Den Bewohner im Vergleiche
Mit des Klausners dunkler Höhle
Freundlich und behaglich dünkte.
Wunderlich war ihm zu Muthe
In der langen, schwarzen Kutte;
Lächelnd mußt' er sich betrachten
Und befühlen; in der Zelle
Schritt er mehrmals auf und nieder,
In dem ungewohnten Kleide
Gehn zu lernen, was mit Anstand
Und mit Zucht, wie er sich sagte,
Immerhin geschehen mußte,
Wie es einem Mönche ziemte.
Und mit dieser ersten Uebung
In Sanct Benedicti Regel
Bald zufrieden, ging er langsam,
Sich zu würdevoll bedächt'gen,
Langen Kranichschritten zwingend,
Bruder Frutum aufzusuchen,
Durch gewölbte Klostergänge
Und trat in des Bruders Zelle.
»Heil'ger Tumbo! hilf in Gnaden
Mir von allen meinen Sünden!«
Rief der Mönch und sprang vom Schemel,
»Steckst Du wirklich drin im Sacke?
Ja, 's ist leicht hinein zu schlüpfen,
Aber schwer heraus zu kommen.
Doch Tannhäuserus, mich freut es,
Daß Du bleibst, und wenn Du Rath brauchst,
Kleine klug verschwiegne Winke,
Wie man Den und Jenen anfaßt,
Frag' nur mich, ich kenn' sie alle
Unsre vielgeliebten Brüder.
Will Dich gleich vor einem warnen:
Nimm in Acht Dich vor Albanus!
Ist der Sakristan im Stifte,
Sehr gelehrt und fromm und eifrig,
Wirst ihn schon noch kennen lernen.
Der paßt auf und läßt nichts durchgehn,
Keinen Flohsprung weit vom Pfade
Unsrer heil'gen Klostertugend
Darf man, ohne Pönitenzen
Zu gewärt'gen, sich erlauben.
Und sie haben hier im Kloster
Eine fürchterliche Strafe,
Die der Teufel ausgesonnen
Und dem Sakristan verrathen.
Denke! wenn man hier ertappt wird
Ueber einem kleinen Sündlein,
Wird es grauenhaft geahndet
Nicht durch Geißlung oder Fasten
Oder schwere Leibesarbeit,
Das wär' nichts, wär' ein Vergnügen
Gegen diese Marterbosheit,
Nein! dann kriegt man was zu schreiben!«

»Was zu schreiben?« – »Ja, zu schreiben,
Ganze Bücher abzuschreiben!
Wochenlang in seiner Zelle
Hockt man dann bei Tag, bei Lichte
Und muß schreiben, skribeln, kritzeln,
O Tannhäuser, das ist schrecklich!
Wenn ich nur daran gedenke,
Kriege ich schon Sohlenbrennen,
Nimm in Acht Dich vor Albanus,
Sag' ich nochmal, der läßt schreiben!
Denn er steckt mit dem Armarius,
Der die Bücherei verwaltet,
Viel zusammen, und die Beiden
Schnüffeln stets in den Geschriften.«
»Frute,« lächelte der Jüngre,
»Vor Albanus und dem Schreiben
Ist mir nicht so grausam bange,
Und was wirst Du weiter sagen,
Wenn ich Dir nun gar vermelde,
Daß Herr Isenricus selber
Unter die besondre Obhut
Des Albanus mich gestellt hat?«
»So! aha! Dein Seelenkämmrer
Soll er sein, ja ja, begreife!
Na, dann stehn die lieben Englein
Dir in Nöthen bei!« sprach Frutus,
»Sonderlich der eine, lange,
– Find'st gemalt ihn in der Kirche –
Dem der Herr in seinem Zorne
Die Geduld hat aufgebündelt,
Und der da auf seiner Wolke
Ganz abseiten sitzt, als hätt' er
Nichts zu thun in Ewigkeiten
Als die Eier auszubrüten,
Die, Gott weiß es, wer gelegt hat.«
Eine Glocke klang vernehmlich,
Eh' der Andre was erwidert,
» Pax nobiscum! 's geht zu Tische!«
Sagte Frutus, und sie gingen.

Bald gewöhnte sich der Zögling
An das fromme Klosterleben,
Das er sich vorher ganz anders
Vorgestellt, viel strenger, stiller,
Und es war doch gar so still nicht;
Oftmals ging es in den Hallen
Fröhlich her und manchmal lustig.
So an allen Kirchenfesten
Und am Tag der heil'gen Hemma,
Gräfin Zeltschach, die das Kloster
Einst erbaut und reich dotiret.
Einsam, rings von Wald umgeben
Lag das Stift, wo schöne Thäler
An der Enns zusammenstoßen,
Und nicht hohe Mauerschranken,
Keine scharf bewachten Pforten
Hielten's vor der Welt verschlossen.
Alles war in weitem Umkreis
Ihm als Eigenthum gehörig,
Wald und Wiesenwachs und Wildbann,
Salzpfann', Eisenschacht und Saalgut,
Und nur selten kam ein Fremder,
Aber nie ein weiblich Wesen
Zu Sanct Blasii reicher Siedlung.
In der großen Schaar der Mönche
Ward der junge Laienbruder
Schnell beliebt, denn man erkannte
Seine Gaben und Erziehung
Und gewährt' ihm manche Freiheit.
Gerne wandelte er einsam
Durch die großen Küchengärten
In den Wald, denn eng und enger
Schloß er sich mit ganzer Seele
Der Natur an, ihrem Wachsen,
Ihrem Schaffen, Blühen, Welken
Spürt' er nach und lauschte emsig
Selbst auf ihr geheimstes Walten.
Wie der Pflanzenwelt Organe
Sich aus Wasser, Luft und Erde
Kräfte holen, also sog er
Aus Lebend'gem und Leblosem
Nahrung seinem Haupt und Herzen,
Saß er dann beim Sakristane,
Der beredt und voller Weisheit
Ihm des Glaubens Tiefen aufschloß,
Fiel das Wort auf guten Boden.
Ernst und strenge war Albanus,
Wie ein Fels im Meere stand ihm
Unbeweglich sein Bekenntniß,
Und die Flamme der Begeistrung,
Die des Lehrers Herz durchglühte,
Schlug erleuchtend, zündend, wärmend
Auch in das Gemüth des Schülers.
O wie herrlich sprach Albanus
Von Gott Vater als dem Urquell
Alles Lichtes, aller Weisheit,
Aller Schöpfermacht und Güte!
Und alsdann von Gott dem Sohne
Als dem nie verschlossnen Borne
Aller grenzenlosen Liebe,
Aller Hingebung und Treue,
Aller Gnade und Erlösung!
Und von Gott dem heil'gen Geiste,
Dem geheimnißvollen Bande,
Das des schwachen Menschenbusens
Banges Zweifeln, Sehnen, Hoffen
Erst zum wahren Glauben läutert
Und verknüpft mit jenen Beiden,
Gott dem Vater, Gott dem Sohne,
Daß sie mit dem heil'gen Geiste
Sind in Ewigkeit dreieinig!
Wenn Albanus ihm die Wunder
Und die Worte Jesu Christi,
Evangelien oder Briefe
Der Apostel dann erklärte,
Sie mit allem Wehn und Wesen
Unsichtbarer, unbegreiflich
Hoher Gotteskraft umgebend,
Zogen in des Jünglings Seele
Wie mit goldnen Engelsflügeln
Ahnungsvolle, heil'ge Schauer.
Aber wenn er wieder einsam
Durch Gebüsch und Wildniß schweifend
Oder Nachts auf seinem Lager
Ueber seinen Glauben nachsann
Und sich auf der Andacht Schwingen,
Frei von dem Gewicht des Standes,
In den Aether heben wollte,
Vor dem Angesicht des Höchsten
Die Gedanken knien zu lassen,
Ach! dann hielten starke Wurzeln
Ihn am Boden, drauf er fußte,
Und es blieb in seinem Herzen
Doch ein Kämmerlein, verborgen,
Leer noch oder angefüllet
Mit ganz anderem Begehren.
Keinem Beicht'ger und Vertrauten,
Nicht sich selber konnt' er sagen,
Was es war, das ihn bedrückte.
Denn er sah kein Ziel vor Augen,
Keinen Weg auch, der durchs Dunkel
Ihn zu unbekannten Zielen
Locken und verführen konnte,
Doch es blieb und blieb ein Sehnen
In der Brust ihm, unbestimmbar,
Ungestillt und unauslöschlich.
Weder laut noch leise klagt' er,
Keines Leidens und Entbehrens
Ward er sich bewußt, ihn trieb es
Nicht hinaus, die Welt zu sehen,
Deren Freuden er nicht kannte,
Auch nicht Reue oder Buße,
Wie der Klausner sie verlangte,
Lag ihm schwer auf dem Gewissen,
Nicht nach Freiheit strebt' er dürstend,
Fühlte Heimweh nicht, sein Sehnen
Hatte für ihn keinen Namen.
Niemand merkte, daß dem Frohen
Etwas fehlte, aber glücklich,
Wunschlos glücklich war er nicht. –
Mit den Streitern, die vom Kampfe
Um das Grab des Auferstandnen
Aus dem Kreuzzug wiederkehrten,
War ein neuer Geist, gewaltig,
Alldurchdringend, allbelebend
Uebers Abendland gekommen.
Jene hatten dort im Orient
Eine andre Welt gefunden,
Andern Himmel, andre Sterne,
Andre Blumen, andre Menschen.
Aus dem Zauberland der Märchen,
Wo geschmückt mit jedem Reize
Gar ein üppig Leben blühte,
Wo inmitten größten Reichthums
Denkmal, Schrift und Ueberliefrung
Von uraltem Ruhme zeugten,
Brachten sie nun Schätze heimwärts,
Die nicht Kammer bloß und Truhe,
Mehr noch Kopf und Busen füllten.
Ausgestreuet ward ein Samen
Und vom Boden, der in Gährung
Mit dem Ueberfluß der Kräfte
Längst schon der Befruchtung harrte,
Willig, freudig aufgenommen.
Und wie's aufwuchs, was gesät war,
Lenzeslustig trieb und sproßte,
Blüthen trug und edle Früchte,
Da kam eine Zeit, so glorreich,
Wie die Welt sie nimmer kannte.
Reichsgewalt und Herrschergröße
Schwebten um die Kaiserkrone
Auf dem Haupt der Hohenstaufen,
Die wie Sonnenglanz erleuchtend,
Wie ein stolzer Felsengipfel
In der Morgenröthe glühend
Ueber alle Länder strahlte
Und der Welt Gesetze vorschrieb.
Macht und Hoheit war ihr eigen,
Licht des Geistes, Ruhm der Thaten
Gingen aus von ihr und brachten
Reichen Segens Kraft und Fülle
Unterworfenen Gebieten.
Weiter dehnten sich die Kreise
Jetzt des Wissens und Erkennens;
Aus dem Ungefügen rankte
Sich ein rüstig, sinnig Schaffen
Und ein künstlerisches Bilden,
Das um Schmuck und Zierde sorgte
Für Gewand, Geräth und Wohnung.
Die Geselligkeit des Lebens
Gab sich neue, feinre Formen;
Aus den semperfreien Herren,
Aus den rücksichtslosen Recken
Hob sich Ritterthum und Schildamt,
Kampfbereit mit Schwert und Lanze
Für des Namens Glanz und Ehre
Und im Minnedienst der Frauen.
Auf den Burgen, in den Thälern
Tönte Sang und Klang der Harfen,
Jeder Ritter ward ein Sänger,
Jeder Sänger fast ein Ritter.
Und was Alle gleich beglückte,
Ob sie herrschten oder dienten:
In den starren, todten Glauben,
Der in Formeln nur und Qualen
Wie in schwere Büßerketten,
Wie in dumpfe Kerkermauern
Eingezwängt und eingesargt war,
Strömte jetzt ein freudig Leben
Und ein warmbewegtes Herzblut.
Wie aus niedrigen Gewölben
Nun zu weiten, hohen Hallen
Sich der Bau der Kirchen reckte,
Schlanke Säulen aufwärts strebten,
Hoch empor die Bogen stiegen,
Licht hinein drang in die Dämmrung
Also hob sich jetzt die Seele
Freier, schwang die Andacht kühner
Sich zum Höchsten; aus dem Busen
Wichen Schrecken und Beklemmung,
Und Gefühle tiefster Inbrunst
Zitterten, wie Sonnenstrahlen
Durch die hohen Fenster fließen,
In die neugestimmten Saiten
Und beseligten den Beter.

War Tannhäuser denn ein Sohn
Dieser großen Zeit nicht? oder
Ging sie spurlos ihm vorüber?
Hört in seiner Klosterzelle
Nicht der Mönch des Sturmes Brausen?
Merkt der Vogel doch im Käfig,
Wenn es Frühling wird im Walde.
Und sein Abt, Herr Isenricus,
Ein gelehrter Gottesstreiter,
Der im heil'gen Land gewesen,
War hier selber solch ein Sämann,
Der die Saat vom Morgenlande
Segensreich weit um sich streute
Und ein neues Sein und Denken
Auch in diese Thäler brachte.
Anders wurde hier gelehret,
Anders hier dem Herrn gedienet,
Als Heinrich von Melk, der Klausner,
Der der Welt schon lang entrückte,
Vom Gefährten einst verlangte.
Isenrik bekannte offen
Sich zu einem Gott der Liebe
Und der Wahrheit, und nicht sucht' er
In Entbehrung und Entsagung
Seiner Seele Heil, er liebte
Für sich selbst und seine Brüder
Den Genuß und war den Freuden
Eines thatenreichen Lebens
Auch im Mönchsgewand nicht abhold.
Das bemerkte der Novize
Und ergab sich um so lieber
Jedem Dienst und jeder Uebung.
In den Chorgesang der Brüder
Stimmt' er wacker ein zur Mette,
Weihte gerne die Gedanken
Dem, was sie doch nie ergründen.
Einmal stand er ganz alleine
Vor dem Hochaltar der Kirche,
Ueber dem in Stein gebildet,
Reich geschmückt, die Mutter Gottes
Mit dem Jesuskindlein schwebte.
Milde schaute sie hernieder
Mit dem wehmuthsvollen Lächeln,
Um das Haupt ein Kranz von Sternen
Und es kam ihm die Erinnrung:
Ob es diese wohl gewesen,
Die im Traume seiner Mutter
Kurz vor ihrem Tod erschienen
Und geweissagt, daß des Knaben
Herz einst ihr gehören wurde?
Ach! davon war's weit entfernt noch!
Und er neigte sich und seufzte.
Wie er durch die Bogen wandelnd
Sich zum Seitenschiffe wandte,
Sah er auf den breiten Fliesen
Glänzend bunte Lichter spielen,
Denn in schönen Farben leuchtend
War die biblische Geschichte
Auf den Fenstern abgebildet,
Und vor einem blieb er stehen,
Drauf der Sündenfall gemalt war
In des Paradieses Garten.
Unterm Baume der Erkenntniß
Standen da in Lebensgröße
Die zwei Menschen; Eva reichte
Adam eben jetzt den Apfel,
Und mit heißem Blicke schaute
Auf das erste Weib der Mann;
Oben aus den Zweigen aber
Grinste eine Teufelsfratze.
»Dort Maria und hier Eva,
Dort die heil'ge Mutter Gottes,
Rein von Schuld, auch uns erlösend,
Hier die Mutter aller Menschen,
Die von ihr die Sünde erbten!
Aber wo ist hier die Sünde?
War der lust'ge Baum verboten
Nur um der Versuchung willen,
Den Gehorsam dran zu prüfen?
War es schlimm, die Frucht zu pflücken,
Die so köstlich anzusehen,
Und davon so gut zu essen?
Ich versteh's nicht, kann's nicht finden,
Muß Albanus darum fragen,«
Dachte Heinrich und beschaute
Sich in Muße das Gemälde.
»So wie diese,« sprach er weiter,
»Hab ich Eine auch gesehen,
Die war lieblicher und schöner, –
Irmengard! wo magst du weilen?
Doch hinweg! an heil'ger Stätte
Solche irdischen Gedanken,
Sind nicht sie schon eine Sünde?
O wie höhnisch lacht die Schlange!«
Er bekreuzte sich erschrocken,
Floh verwirrt in seine Zelle
Und schlug auf dort die Vulgata
Ersten Mosis Caput tertium.


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