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I.

Des Klausners Genoß

Rings Wald und Wald, auf Bergesrücken,
In enger Schlucht und weitem Thal,
Nur das Geröll von Felsenstücken
Und Wand und Klippen nackt und kahl.
Um jeden Fußbreit Boden ringet
Der zähen Tannen düstre Schicht,
Durch ihre hohen Schirme dringet
Nur spärlich ein gedämpftes Licht.
Hoch oben in den dunkeln Zweigen
Ein pfeifend Säuseln leise hallt,
Um Stamm und Wurzel lautlos Schweigen,
Kein Schritt erdröhnt, kein Ruf erschallt.
Ganz einsam ist es; abgeschieden
Von Weltenlauf und Menschenloos,
Erscheint der stille Waldesfrieden
Unnahbar fast und grenzenlos.
Und doch – in seinem Dämmrungsweben
Von Wildnißschauern, Urwaldpracht
Verbergen sich zwei Menschenleben,
Nicht ähnlicher, als Tag und Nacht.
Das eine sollte bald zerfließen
Spurlos wie ein vergessner Traum,
Das andere sich noch erschließen
Zu Lust und Leid in weitem Raum.
Seit Jahren, die er nicht mehr zählte,
Begrub sein Dasein hier ein Greis,
Sein Herz ward still, das gramgequälte
Und Bart und Haare wurden weiß.
Er wartete bei strenger Buße
Für eine längst erlassne Schuld
Auf seinen Tod in frommer Muße
Und gottesfürchtiger Geduld.
Da, als er einst das Feuer schürte
In seiner Höhle und in Ruh
Gesammelt Reisig aufwarf, führte
Der Rauch ihm den Gefährten zu.
Ein Jägerbursch mit Speer und Bogen,
Schlank wie die Tannen, müd vom Lauf,
Kam zu ihm durch den Wald gezogen
Und bat bescheiden: »Nimm mich auf!«
Des Jünglings Auge sprach die Bitte
Herzinniger noch als sein Mund,
Er schien von edler Zucht und Sitte,
Und Gruß und Willkomm schloß den Bund.
Beim Klausner blieb der feine Knabe,
Denn jenem war die Milde Pflicht,
Er theilte freudig Herd und Habe
Mit dem Gesell'n und frug ihn nicht.
Die Hälfte seiner Höhle borgte
Der Wirth in dieser Felsenhaft,
Für Lebensnothdurft aber sorgte
Des Gastes junge Heldenkraft.
Stets waren sie wie zwei Verbannte
Zum Trost einander froh bemüht,
Und schon nach kurzer Zeit erkannte
Der Greis des Flüchtigen Gemüth
Als unverdorben, leicht empfänglich
Für jedes weise, linde Wort,
Oft in Gefühlen überschwänglich,
Treu in des Glaubens Heil und Hort,
In Eintracht hausend ahnten beide
Ein brüderlich verwandt Geschick;
Was Jeder trug an Herzeleide,
Verschwieg er vor des Andern Blick,

Gemach versinkend schon im Walde
Ein warmer Lenztag sich verlor,
Im Schatten lagen Thal und Halde,
Und harzig Duften stieg empor.
Doch oben, wie zum Aufschwung ladend,
Da fluthete noch Licht durchs Blau,
Da wiegte, sich in Strahlen badend,
Ein Falke seinen schlanken Bau.
Wie der in Vogenlinien schwenkte,
Hob scharf im Fluge die Gestalt
Sich schwärzlich ab, doch wenn er lenkte
Der Schwingen tragende Gewalt
Zum Angesicht der Sonne wieder,
Dann glänzte goldig, spiegelhell
Im Abendrothe sein Gefieder,
Als wär' er selbst des Lichtes Quell.
Ihm droht kein Feind mit schärfern Klauen,
Ihn wählt kein Schütze sich zum Ziel,
Zwei träumerische Augen schauen
Nur auf zu seinem Wolkenspiel.
Wo über Thal und Tannenwipfel
Vom Abhang frei die Blicke gehn
Bis hin, wo die beschneiten Gipfel
Der Eisenerzer Alpen stehn,
Da ruhte, halb gestützt im Liegen,
Des Klausners blühender Genoß
Und sah dem wonniglichen Fliegen
Des Falken zu, der schwebend stoß,
Ein Segler in dem Meer der Lüfte,
Die Kreise immer größer zog
Und über Wald und Berg und Klüfte
Dem Blick entschwindend nordwärts flog.
Der Jüngling regte leis die Lippe
In traurig sehnsuchtsvollen Sinn,
Dann saß er schweigsam auf der Klippe
Und starrte brütend vor sich hin.
Er hörte nicht den Schritt des Alten
Im weichen Moose, der schon nah
Jetzt bei ihm stand und auf das Schalten
Des ganz in sich Versunknen sah.
Dann milde rief nach kleinem Säumen
Der Greis ihn an: »Heinrich!« – der fuhr
Erschrocken auf aus seinen Träumen,
Im Antlitz des Erröthens Spur.
»Ich habe schon in manchen Stunden,«
Sprach jener mit besorgtem Ton,
»Schwermüthig einsam Dich gefunden,
Sag' an, was fehlt Dir, lieber Sohn?«
»Nichts, Vater!« sprach mit leichtem Beben
Der Jüngling und erhob sich jach,
»Ich sah dort einen Falken schweben
Und dachte nun darüber nach,
Warum denn wir nicht fliegen lernen,«
»Wir? fliegen?« lächelte der Greis,
»Wohin denn? ach! in jene Fernen,
In des urewigen Lichtes Kreis,
O daß uns dahin Schwingen trügen!
Doch laß mich wissen, was Du sannst,
Gott sei gedankt! Du kannst nicht lügen,
So wenig, wie Du fliegen kannst.
Ja, senke nur die Augenlider,
Du dachtest Andres, liebes Kind!
Ich weiß es wohl; komm, sitze nieder
Und sprich, wer Deine Sorgen sind.«
Nun saßen auf dem Stein die Beiden,
Des Jünglings Athem sank und stieg
Als wie im Kampf mit stillen Leiden,
Er schüttelte den Kopf und schwieg.
»Wie viele Tage wohl verrannen,«
Drang jetzt der Alte auf ihn ein,
»Wie oftmals über diesen Tannen
Schon wechselte des Mondes Schein,
Seit jenem Tage, wo Du kamest
Wegmüde, hungrig und verirrt
In meiner Höhle Herberg nahmest,
Ein Vogel, der im Käfig schwirrt!
Ich habe gern Dich aufgenommen,
Du warest, wie von Gott gesandt
Ein Himmelsbote, mir willkommen;
Ich dachte: dieses Knaben Hand
Soll Alten dich zur Ruhe bringen,
Und bist vom Leibe du befreit,
Wird sein Gebet zum Höchsten dringen
Für deiner Seele Seligkeit.
Ich lebe noch, und nächst der Gnade
Des Allbarmherz'gen dank' ich's Dir,
Du wehrtest von des Schwachen Pfade
Des rauhen Winters Noth und Gier.
Du schafftest mir die kräft'ge Speise,
Der ich wie lange schon! entwöhnt,
Und hast den Rest der Lebensreise
Verlängert mir und auch verschönt.
Mußt' ich doch wirklich Dir verbieten
Dein Morden unterm Waldgethier,
Daß wir von Reh und Eber brieten
Nicht mehr, als nöthig Dir und mir.
Du machtest mir das Lager weicher,
Du hieltst das Feuer uns in Brand,
Mein Schenk und Truchseß, demuthreicher,
Als je bei Fürsten einer stand.«
»Und ließ mich willig von Dir pflegen,«
Fiel tief beschämt der Andre ein,
»Und Kräuter auf die Wunde legen,
Die mir der Hirsch stieß in das Bein,
Und litt auch, daß Du bei mir wachtest
Wohl manche Woche, Nacht wie Tag,
Und Labung mir und Lindrung brachtest,
Als hülflos ich im Fieber lag, –
O höre auf! wie könnt' ich lohnen
Dir Deine Liebe, Deine Huld!
Du weißt es nicht, Dank Deinem Schonen,
Wie tief ich noch in Deiner Schuld.«
»Dies just verlangt mich ja zu wissen,«
Der Alte in die Rede fällt,
»Was Dich aus Deiner Bahn gerissen,
Was Dich hierher trieb, hier Dich hält.
Du sprachst in Deinen Fieberträumen
Von Friedensbruch, wild und verrucht,
Als hättest Du das Land zu räumen,
Und wähntest Dich verfolgt, gesucht.
Als Du genesen von der Wunde,
Erforscht' ich doch nicht Dein Geschick
Und wartete von Stund' zu Stunde
Auf des Vertrauens Sonnenblick;
Doch er kommt nicht; Du bleibst verschwiegen.
Hüllst Dich in Dein Geheimniß ein,
Und oft find' ich Dich einsam liegen
In grübelnder Gedanken Pein.«
Er schwieg auch jetzt, der scheue Knabe,
Doch unverdrossen bot der Greis
Der süßen Ueberredung Gabe
Noch weiter auf beim jungen Reis:
»Wir haben an demselben Herde
Erlebt, was Herz zum Herzen zieht,
Und auf demselben Stückchen Erde
Vereint vor einem Kreuz gekniet.
Ich bin Dein Freund und Dein Berather,
Dein Richter nicht auf strengem Thron,
Du nanntest manches Mal mich Vater,
Wardst Bruder mir und lieber Sohn,
O Heinrich, sprich! nicht mehr verschließe
Dein Leben mir, fang an von vorn,
Daß es in meine Seele fließe
Wie in den Strom des Waldes Born.
Sieh, Frühling wird es allerwegen,
Des Eises harte Rinde bricht,
Es öffnen sich dem neuen Segen
Doch alle Knospen, – willst Du's nicht?«
Er hielt den Jüngling fest umschlungen,
Sah ihm ins Auge tief und still,
Und der, von Liebe so bezwungen,
Sprach feuchten Blickes: »Ja, ich will!«
Und dann mit schüttelnder Bewegung,
Als löste Fessel er und Bann,
Brach er des Zauderns letzte Regung
Mit dem Entschlusse und begann.

»Mein Vater, der in allen Dingen
Ein hochgemuther Ritter war.
Hieß Adelram von Ofterdingen.
Er zog mit Kaiser Friedrichs Schaar
Ins heil'ge Land und – kam nicht wieder.
Nah an der Donau, wo ins Land
Man steigt vom Kürenberge nieder,
Und wo der Innfluß mündet, stand
Sein festes Haus; allein geboren
Bin ich dort nicht; in dunkler Nacht
Ward ich, ein Kindlein halb verloren,
Dem Vater auf den Hof gebracht.
Die Mutter lernt' ich niemals kennen;
Sie war des Vaters Gattin nicht,
Nicht ihren Namen kann ich nennen,
Die Burg nicht, wo ich kam ans Licht.
Die beides wußten, hielt gebunden
Ein Schwur; ich weiß bis diesen Tag
Nur, daß in meinen ersten Stunden
Die Mutter ihrem Schmerz erlag.
Der Knecht, der mich und meine Amme
Beschützte auf der ersten Fahrt,
Gestand, daß sie von edlem Stamme
Und schön gewesen sei und zart.
Der Treue hat mich nie verlassen,
Er ist in meinem Dienst ergraut,
Und sterbend hat er im Erblassen
Ein seltsam Märlein mir vertraut,
Das ihm zu sagen nicht verboten
Und das ihm, klingt's auch wundersam,
Doch aus dem eignen Mund der Todten
Vor ihrem Scheiden überkam.
Sie hatte, ehe sie genesen
Des Kindes, nächtig einen Traum,
Doch sei es mehr als Traum gewesen,
Fast körperlich in Zeit und Raum.
Da sei ihr eine Fee erschienen,
Von Sternen ganz das Haupt umreiht,
Mit stolzen, königlichen Mienen,
Die Hab' ihr also prophezeit:
«Wenn heut die Sonne aufgegangen,
Wirst Du gebären einen Sohn,
Den Du in Liebesschuld empfangen,
Und Schuld und Liebe wird sein Lohn.
Was einst er schafft, wird noch bestehen
In später Nachwelt riesengroß,
Des Schöpfers Name wird verwehen,
Und dem Kometen gleicht sein Loos.
In Hüll' und Fülle ist auf Erden
Bestimmt ihm beides, Lust und Schmerz,
Kampf wird und Ruhm sein eigen werden,
Mir aber, mir gehört sein Herz!»
Da habe sie der Ruf gewecket,
Und ob von Angesicht und Leib
Auch überirdisch schön, erschrecket
Doch habe sie das hehre Weib.
Und wie sie dachte noch zu lauschen
Dem so verheißungsvollen Traum,
Hab' es getönt wie Meeresrauschen
Und sei zersprüht wie Wellenschaum,
Darauf bin ich zur Welt gekommen
Ums Morgenroth; der Mutter Geist
Hat himmelwärts den Flug genommen,
Mich trug hinweg man, halb verwaist.
Der dunkle Spruch, wie ein Vermächtnis;
Nahm ich ihn schweigend, staunend hin,
Grub ihn mir tief in das Gedächtniß
Und fasse doch nicht seinen Sinn.«
Schwer stützte sich das Haupt des Alten
In seine Hand gedankenvoll,
Die Stirn umzogen düstre Falten,
»Sie war ein Weib!« – es klang wie Groll.
Der Andre hatte nicht verstanden
Das bitter ausgestoßne Wort,
Des Klausners Wolken mählich schwanden,
Und ruhig sprach er: »Fahre fort!«

»Ich wuchs in meines Vaters Hege,
Der nie beweibt im Leben war,
Nun auf und blieb in seiner Pflege,
Bis daß er mich im achten Jahr
Von meinem Knecht nach Brauch und Fuge
Zu einem Ritter bringen ließ,
Der, sein Genoß auf manchem Zuge,
Herr Friederich von Hausen hieß.
Zugleich mit mir, dem wenig Zahmen,
Kam eines Freunds und Nachbars Sproß,
Erwin von Kürenberg mit Namen,
Auf jenes Ritters festes Schloß.
Wir Beide dienten dort als Buben
In Palas, Zwinger, Thurm und Stall
Und tummelten auf Hof und Huben
Uns unzertrennlich überall.
Wenn man uns schalt und trieb und hetzte,
Wir blieben obenauf, allein
Wenn man uns zu den Büchern setzte,
Wie Regen war's auf Sonnenschein.
Wir danken viel der guten Lehre,
Herr Friedrich war ein freud'ger Mann,
Der niemals auf der Bahn der Ehre
Sich einen Augenblick besann.
Er stand mit seinem Heldenherzen
Bei Kaiser Rothbart hoch in Gunst,
Er konnte wettern, konnte scherzen
Und übte des Gesanges Kunst.
Wir waren innig ihm ergeben,
Und seine edle Hausfrau trug
Ein Samenkorn in unser Leben,
Das kaum gepflanzt, schon Wurzel schlug
Es hatte ihrem Arm entwunden
Der Tod zwei liebe Kinder schon,
An deren Stelle wir gefunden
Ein Glück, das uns ja auch geflohn,
– Du räthst es – einer Mutter Liebe,
Die sich um unsre Herzen schlang
Und mit demselben Sehnsuchtstriebe
Ihr wiederum entgegen sprang.
Sie lenkte alle unsre Schritte,
Ein Wort von ihr wies uns die Pflicht,
Ein Augenwink uns Zucht und Sitte, –
Wie sie das machte, weiß ich nicht.
Was auch von ihren reichen Gaben
Mir ward, eins lernt' ich noch dazu:
Was das heißt, eine Mutter haben!
Sprich, hattest eine Mutter Du?«
Der Alte nickte bloß und winkte,
Und beide merkten nicht darauf,
Daß schon ein matter Stern dort blinkte;
Heinrich spann fort den Lebenslauf.

»Zum Abendlande drang die Kunde,
Es hätte in erneutem Streit
Geschlagen eine schwere Wunde
Held Saladin der Christenheit,
Der die gebenedeite Stätte,
Des heil'gen Grabes Schirm und Wacht,
Jerusalem erobert hätte
Mit seiner Türken Uebermacht.
Gehüllt vom Abend bis zum Morgen
War alles Volk in Trauerkleid,
Und man vergaß die eignen Sorgen
Ganz vor dem allgemeinen Leid.
Der Ruf: Gott will's! Gott will's! erbrauste,
Wie wenn mit Feuersgluth und Dampf
Der Sturm durch alle Wälder sauste,
Auf! nach Jerusalem zum Kampf!
Der Kaiser und die Fürsten nahmen
Zu Mainz das Kreuz, man stieg zu Roß,
Herbei von allen Burgen kamen
Die Ritter mit der Knechte Troß.
Ein großer Ablaß ward verkündigt
Für jeden Mann im heil'gen Krieg,
Wie schwer er auch daheim gesündigt;
Die Frauen beteten um Sieg,
Bei Regensburg in Maientagen
Versammelte ein stolzes Heer
Sich um den Kaiser, und es lagen
Weithin die Streiter, Speer an Speer,
Herr Friedrich auch und unsre Väter,
Erwins und meiner, ritten dar,
Wir aber klagten, daß nicht später
Der große Zug um manches Jahr.
Wir mußten Hausens Veste räumen,
Zu Knappen mit dem Schwert geweiht,
Und hatten nun das Roß zu zäumen,
Das unsern Ritter trug zum Streit.
Zu Gottes Ehr' und ihrem Ruhme
Wallfahrteten voll Glaubensmuth
Die Drei, geschmückt mit Christi Blume,
Und ließen Burg und Hof und Gut.
Wir Knappen durften sie begleiten
Zum Heereslager und Gezelt,
Hoffährtig schier war unser Reiten,
Als ging' es in die weite Welt,
Doch ward es so mit uns gehalten:
Wir sollten wieder heimwärts ziehn
Zum Herrn von Kürenberg, dem Alten,
Großvater meines Freunds Erwin,
Im buntbelebten Lagerfrieden
Empfing man uns nach Ritterpflicht,
Und balde wurden wir beschieden
Vor Kaiser Rothbarts Angesicht.
Des Augenblicks all meine Tage
Gedenk' ich wohl; das war ein Bild!
Gewaltig wie ein Held der Sage,
Furchtbar und gütig doch und mild.
Mit sanften, freundlichen Geberden
Strich er die Wange mir und sprach,
Ich sollt' ein tapfrer Ritter werden,
Ich sprach, ich trachtete danach.
Und jedem von uns beiden schenkte
Er eine Münze dann von Gold,
Wir waren, als zur Stadt er lenkte,
Ihm seelensunterthan und hold.

Als andern Tages wir die Rechten
Der Herrn zum letzten Mal gedrückt,
Entrannen wir mit unsern Knechten,
Bekümmert halb und halb beglückt.
Da stieß, eh' wir noch weit geritten,
Uns schon ein Abenteuer auf,
Es wurde wild und laut gestritten
In dicht gedrängtem Menschenhauf.
Von Reisigen mit manchen Hieben
Ward von der Pilger Lagerung
Das Volk der Fahrenden vertrieben,
Zahllos Gesindel, alt und jung,
Und Einen hatten sie gefangen,
Der allzu keck sich widersetzt,
Man tobt' und schrie: er wird gehangen!
Gebunden war er und zerfetzt.
Spervogel war's, bei Licht betrachtet,
– Sie nennen ihn den Fiedelvogt –
Im ganzen Spielmannsvolk geachtet,
Soweit es auch das Reich durchwogt,
Gleich einem Häuptling lockrer Singer,
Ein Vielgewandt und Weggewohnt,
Ein stets willkommner Freudenbringer,
Dem ich schon manches Lied gelohnt.
Nun wollten sie die treue Seele
Auspressen ihrem wicht'gen Fang
Und ihm die lust'ge Spielmannskehle
Zuschnüren mit der Weide Strang.
Und war' ein Dorf drum einzuäschern,
Das wollte mir nicht in den Sinn,
Ich macht' ihn los von seinen Häschern
Und gab mein Goldstück für ihn hin.
Schnell dann zur Deutung seines Werthes
Durchschnitt ich seiner Fesseln Nath,
Und das war meines Knappenschwertes
Frohmüthig erste Heldenthat,
Nun gab es Heil- und Segensgrüße,
Und Dank und Jubel sich ergoß,
Sie küßten Hände mir und Füße
Und küßten auch mein braunes Roß.
»Junkherr, bei meinem Fiedelbogen!
Das soll Euch nicht vergessen sein!«
Rief jener, und die mit ihm zogen,
Die stimmten Alle jauchzend ein.
Die ganze Bande glomm und lohte
Und siedelte und sang und blies
Uns eine tolle Reisenote,
Eh' sie von unsrer Fährte ließ.
Doch uns und unsern treuen Mannen
Ward endlich doch des Lärms zuviel,
Und lachend trabten wir von dannen,
Burg Kürenberg war unser Ziel.

Der offne Helm rief ein Willkommen
Dem Gaste an der Pforte schon,
Ich aber wurde aufgenommen
Im Palas wie ein zweiter Sohn,
Der Herr der Burg, in seiner Würde
Voll Unmuth doch und Freundlichkeit,
Trug seines hohen Alters Bürde
Stets lebensfroh, stets todbereit.
Wollt' auch sein müder Arm nicht taugen
Zum Speerverstechen kühn und dreist,
Sprach doch aus seinen blauen Augen
Ein heitrer, ungebrochner Geist,
Noch könnt' er wie in jungen Tagen
Als seiner Muße schönster Lohn
Die vielgeliebte Harfe schlagen
Zu manchem selbstgefundnen Ton.
Was wir auch lernten, uns zu wehren
Mit Schwert und Schild und Lanzenstich,
Nie wurde müde er, zu lehren
Uns Harfenschlag und Bogenstrich.
Wir sollten Meister darin werden
So wie er selbst, und fast so gern
Wir beide saßen auf den Pferden,
Saß ich auch bei dem edlen Herrn,
Der mich mit Eifer und Vergnügen
Nach seiner Vorschrift singen ließ
Und Liedersatz und Strophenfügen
Nach Regel mir und Beispiel wies.
Was anfangs dunkel mir und schwierig,
Ja, was mir unerreichbar schien,
Begriff ich dennoch lernbegierig
Und bracht' es weiter als Erwin,
Schnell heimisch bin ich so geworden
Dort auf der Burg; ihr stolzer Bau
Gab rings bis nach der Donau Borden
Und weit ins Land hin offne Schau.
Bald sahn wir von des Bergfrieds Zinnen
Der Pilger Heerfahrt dicht gedrängt
Den Donaustrom herunter rinnen,
Und Schifflein war an Schiff gehängt.
Das Wasser war ganz überdecket
Von Schiffen und von Mann und Roß,
Der Zug so lang und breit gestrecket,
Als wär' es Erde, was da stoß.
Wir hatten auf der Burg zu schaffen
Mit allem, was den Knappen schiert,
Wir übten uns in allen Waffen,
Und was den Ritter macht und ziert,
Davon bracht' uns mit ernsten Worten
Herr Konrad selber mancherlei,
Mit gutem Vorbild aller Orten
Sein Vogt und Waffenmeister bei.
Der war sein Marschall und Vasalle,
Reich an Erfahrung und vertraut
Mit Dienst und Brauch in jedem Falle,
Worauf sich Ritterehre baut.
Wir mußten schießen, fechten, streiten
Mit Schwert und Speer im Stahlgewand,
Wir mußten stapfen, springen, reiten
Und Kriegskunst lernen allerhand,
Turnierrecht auch und Wappenkunde,
Was zu Buhurd, Tjost und Puneiß
Und zu des Schildamts großem Bunde
Gehört als aller Mannheit Preis.
Dann aber durften wir auch jagen,
Mit Vögeln baizen auf der Flur
Und lernten Falken abzutragen
Und Hundepflege und Dressur.
Den Marschalk Hawart aber löste
Stets ab der Burgpfaff Sumidus,
Der uns in unsre Hirne flößte
Gelehrten, Wissens Ueberfluß.
Wir lernten von ihm fremde Sprachen,
Französisch, Griechisch und Latein,
Und wenn wir uns den Kopf zerbrachen
Beim Psalmenlesen, schaute drein
Des Pfaffen Angesicht so trocken,
Daß wir ihn baß verwünschten drum
Mit seinen aufgespreizten Brocken,
Wir haßten schier den Sumidum.
Er quälte uns mit wirren Zahlen
Und ließ uns auch auf Pergament
Zierschrift und bunte Lettern malen
Mit Farbenschein und Goldpigment.
Doch wenn wir uns zusammenschaarten
Beim Abendtrunk um Span und Scheit,
Vertrieb uns gern mit seinen Fahrten
Der Ritter Kürenberg die Zeit.
Vom Kaiser trug er uns Geschichten
Und von berühmten Männern vor,
Von Tankred wüßt' er zu berichten,
Heinrich dem Löwen, Papst Gregor,

Am meisten fanden wir Gefallen
An König Richard Löwenherz,
Er war der Liebling von uns Allen
Und däuchte uns ein Held von Erz.
Oft lasen wir auch mit einander
In Schriften wie das Rolandslied,
Von Herzog Ernst, von Alexander,
Und wie der König Rother schied.
Und einmal hörten wir auch lesen
Heinrichs von Melk berühmt Gedicht,
Das von Erinnerung und Wesen
Des Todes grau'nerregend spricht.
Doch wußte auch viel schöne Sagen
Von Thaten unter Helm und Schild
Herr Konrad aus der Vorzeit Tagen,
Vom hürnen Siegfried und Brünhild,
Von Drachenkämpfen in den Bergen,
Von König Etzels wilder Hatz,
Von Riesen und von klugen Zwergen
Und einem ungeheuren Schatz.
Und kam er auf die Abenteuer,
Gerieth er selbst in helle Gluth,
Aus seinen Augen sprühte Feuer,
Uns stockte Athem fast und Blut.
In tiefes Sinnen dann verloren:
«Ach! könntet Ihr,» sein Wort erklang
«Doch heben, was noch ungeboren!
Ich bin zu alt für solchen Sang.»
Und immer in derselben Weise
Fing bei ihm die Geschichte an,
Halb sprach er und halb sang er leise,
Wie eine Strophe es begann:
Uns ist in alten Mären
Wunders viel gesagt,
Von Helden lobebären
Und Kühnheit unverzagt.
Ich lauschte dann mit Lust und Grausen,
Wenn er entrollte Bild auf Bild,
Durch meine Seele fühlt' ich's brausen,
Durch meine Träume zog es wild.
Und von dem Sagen und dem Singen
Stieg mir ein heimlich Wünschen auf:
O könntest du in Lieder bringen
Der wunderbaren Thaten Lauf!
Oft aber griff er selbst zur Laute,
Dann war's, als ob bei ihrem Klang
Des Ritters klares Auge thaute,
Wenn er mit tiefer Stimme sang.
Doch balde ward er fröhlich wieder
Und mit ihm unser Aller Reihn,
Es folgten Lieder nun auf Lieder
Bis in die späte Nacht hinein.
Da mochte Keiner von uns schweigen,
Und Alles sang in Takt und Tritt,
Der Pfaffe mußte dazu geigen,
Und selbst der Marschall brummte mit.

Einst kamen auf die Burg geritten
Zwei edle Freunde unsers Herrn,
Mit denen er wohl eh' gestritten
In Krieg und Fehden nah und fern.
Herr Meinloh war's von Sevelingen,
Der Andre Herr Dietmar von Eist,
Ach! Trauerkunde nur zu bringen
Uns Allen, waren sie gereist.
Sie meldeten aus sichern Quellen
Des Kaisers Tod im heil'gen Land,
Der in des Kalykadnus Wellen
Sein tief beklagtes Ende fand.
Und als der Ritter nun die Degen
Nach Adelram und Gerolt trug,
Dem Sohn, da schwiegen sie verlegen,
Und das war Antwort schon genug,
Herr Dietmar sprach: «Schon wenig Wochen,
Eh' Friedrich sank in Todesnacht,
Sind alle drei vom Pferd gestochen
Bei Philomelium in der Schlacht,
Dein tapfrer Sohn und Ofterdingen
Und Hausens kühner Heldenmuth,
Sie sollten nicht zur Stätte dringen,
Wo unser Heiland einst geruht,»
Da gab es Weinen viel und Klagen,
Leid folgt der Liebe ja zumeist,
Wir Alle hatten schwer zu tragen,
Ich aber war nun ganz verwaist.
Der Ritter, Thränen auf der Wange,
Sprach: «Kind! denk' nicht, Du steh'st allein,
Dein Lehrer bin ich ja schon lange,
Jetzt will ich auch Dein Vater sein.»
Er war's und ist es mir geblieben,
Bis seiner Mundschaft ich entrann,
Hier aber steht es eingeschrieben,
So lange wie ich athmen kann.
Die Zeit ging hin, die Jahre flohen,
Verstummt war uns des Schmerzes Wort,
Des Frühlings Lust, des Winters Drohen
Nahm auch das Leid mit sich hinfort.
Allmählich wurden wir dem Leben,
So wie ich's Dir vorhin beschrieb
Und wir's gewohnt, zurückgegeben,
Und es erwacht' ein neuer Trieb.
Wir wohnten hier nun seit vier Jahren,
Und achtzehn zählten wir bereits,
Wir beiden Knaben, wohl erfahren,
Geübt in jeder Art des Streits.
Es ward uns bei Latein und Liedern
Recht einsam doch im stillen Haus,
Wir sehnten uns mit unsern Gliedern
Zu einer kecken That hinaus.
Wir wollten, statt im Hof zu toben
Mit Waffenspiel, zum Spaß bewehrt,
Nun endlich mal im Ernst erproben,
Was uns des Marschalks Kunst gelehrt.
Und eines Tags im Frühling hörte
Ich eine Botschaft, kaum geglaubt,
Die mir mein ganzes Herz empörte,
Als sei mir Freud' und Ruh geraubt.
Ich forschte nach mit Angst und Bangen,
Wahr aber blieb's zu meinem Schmerz:
Verstrickt in Banden lag gefangen
Mein Liebling Richard Löwenherz!
Man hatt' ihm nachgestellt, verrathen
War er auf müd gehetzter Flucht, –
All seiner stolzen Heldenthaten
Gedacht' ich bei des Wortes Wucht,
Von Herzog Leopold geborgen,
Saß er nun auf Burg Dürrenstein;
Von Stund an ging mein einzig Sorgen
Darauf: den müssen wir befrei'n!
Wohl wüßt' ich: mit so leichtem Kaufe
Wie bei dem Fiedelvogt geht's nicht,
Doch war es ja des Blutes Taufe,
Auf die voll Kampflust wir erpicht.
Ich spürte aus: sein Kerkermeister,
Hadmar von Chunring war ein Mann!
Doch je verwegener und dreister,
Je mehr zog auch die That mich an.
Nach manchem Zaudern und Bedenken
Stimmt' auch Erwin in meinen Plan,
Ich sollte die Befreiung lenken,
Die mir nun schien wie halb gethan.
Wir hofften es in wenig Tagen
Wohl zu bestehn, fern von Verdacht,
Und hatten öfter schon beim Jagen
Im Walde Nächte zugebracht.
Bewaffnet zu dem Wagestücke,
Vorgebend, auf die Jagd zu gehn,
Durchschritten wir nun Thor und Brücke,
Es war auf Nimmerwiedersehn.

In Linz, wohin wir zeitig kamen,
Fand sich ein Schiffer, arm an Brod;
Wir täuschten ihn mit falschen Namen
Und dingten ihn mit seinem Boot.
Er selber war aus Bechelaren,
Wohin er sich zurückbegab,
Bis dahin sollte er uns fahren,
So sagten wir und fuhren ab.
Doch an der Donau abwärts lieget
Viel weiter noch der Dürrenstein,
Der Fels, an den die Burg sich schmieget,
Senkt steil sich in den Strom hinein.
Schon vor Bechlaren zwischen Bergen
Lag tiefe Dämmrung auf der Fluth,
Wir aber forderten vom Fergen
Die Weiterfahrt mit keckem Muth.
Er weigerte sich, nächt'ger Weile
Des Wirbels schrecklicher Gefahr,
Wo das Verderben uns ereile,
Zu nahn, denn böser Geister Schaar
Sei bei des Haussteins Felseninsel
Versammelt, tückisch ihre Macht,
Dort töne Klagen und Gewinsel
Aus wilden Strudeln in der Nacht.
Da reckten ihre weißen Leiber
Verlockend aus dem Schaum hervor
Die trügerischen Wasserweiber
Und kletterten am Schiff empor
Und fingen an zu prophezeien
Und sagten Unheil stets voraus,
Es könne Böses nur gedeihen,
Führ' er mit uns durch Nacht und Graus
Die goldne Spange, die wir boten,
Macht' ihn nicht wankend im Entschluß,
Und als wir auch vergeblich drohten,
Warf ich den Fährmann in den Fluß.
Er aber rettete zum Schilfe
Sich schwimmend an Bechlarens Strand
Und rief mit aller Kraft um Hülfe,
Und Nachen stießen ab vom Land.
Es kam zum Kampf, die Ruderstange
Ergriff ich, schlug auf Mann und Boot,
Und aus dem fürchterlichen Drange
Entschlüpften wir mit knapper Noth.
Wir ruderten hindann; dumpf rauschten
Des Wirbels Wellen um den Bug,
Doch wie wir auch in Aengsten lauschten,
Kein Dämon störte unsern Zug.
Wir langten an im Morgengrauen,
Verbargen an der Uferbank
Das Boot, wo sich die Wasser stauen,
Und harrten, bis der Abend sank.
Dann stiegen wir zum Dürrensteine
hinauf und klopften an das Thor
Um Einlaß, gaben auch zum Scheine
An Chunring eine Botschaft vor.
Man öffnete, und ungezügelt
Vergaßen wir, von Grund erregt,
Den Plan, den wir uns ausgeklügelt,
Und handelten unüberlegt.
Ich rief im Hof mit lauter Stimme:
»König von England, Du wirst frei!«
Und auch Erwin in gleichem Grimme:
»Richard Plantagenet, herbei!«
Wir hörten Antwort aus den Mauern
Vom König, däucht' uns, still war's rings,
Uns überrieselte ein Schauern,
Jetzt aber galt's, ums Leben ging's.
Wir wurden überfalln von Knechten,
Den Hof erhellt' ein matter Schein,
Und es begann ein wüthend Fechten,
Im Zwielicht schlug man drauf und drein.
Wir wichen langsam, doch ich fällte
Mit wucht'gem Hieb den Nächsten da,
Sein Todesschrei die Luft durchgellte,
Schon waren wir der Pforte nah,
Da rief ich: »Seht, das sind die Klingen
Von Knappen nur in blut'gem Strauß,
Ich bin Heinrich von Ofterdingen!«
Und damit stürmten wir hinaus.« –

Der Jüngling schwieg, doch es ergänzte
Der Klausner sich, was er nun sann.
Die warme Frühlingsnacht erglänzte
Im Schein des Mondes überm Tann.
Der Alte seufzte: »Fluchbeladen!
Mord, Friedensbruch, und noch so jung!
Herr Gott im Himmel steh' in Gnaden
Mir bei in seiner Läuterung!«
Dann stand er auf: »Komm, laß uns beten,
Am Kreuze laß uns beide knien
Schon hat die Nacht den Wald betreten,
Sieh, wie im Thal die Nebel ziehn.«
Sie brachen auf, der Jüngling führte
Durch Dunkelheit in treuer Hut
Den Greis zur Höhle hin und schürte
Das Feuer an zu neuer Gluth.
Dann beteten sie still und lange
Und setzten sich zum kargen Mahl
Dann an den Herd; mit dumpfem Klange,
Als machte ihm das Reden Qual,
Sprach nun der Greis: »Noch nicht beendet
Ist die Geschichte, fahre fort,
Wie Dein Geschick sich nun gewendet.«
Und Heinrich wieder nahm das Wort.

»Als wir vom Dürrenstein entronnen
Und auch auf dem geraubten Kahn
Das andre Ufer nun gewonnen,
Da reute mich, was ich gethan:
Daß oben in des Kampfes Hitze
Den eignen Namen ich genannt,
Denn damit war des Pfeiles Spitze
Nun auf den Schützen selbst gewandt.
Der tolle Streich war uns mißlungen
Und nicht zu ändern, was geschehn,
Wir waren aus dem Nest entsprungen, –
Wie den Verfolgern nun entgehn?
Als Klügstes uns erscheinen wollte,
Den Feind zu irr'n: man trennte sich,
Zurück zum Kürenberge sollte
Erwin, und in die Wilde ich.
Und so geschah's; ich gab ihm Grüße
Und heiße Thränen mit nach Haus,
Dann galt es Augen, Ohren, Füße,
Er ging nach rechts, ich gradeaus.
Die Wolken jagten sturmzerrissen,
Zerflatternd durch den Mondenschein,
Licht wechselte mit Finsternissen, –
So floh ich selber quer waldein.
Mich schreckte jeder Ton im Dunkeln,
Im Hellen jedes Baums Gestalt,
Ich sah im Mondlicht Waffen funkeln
Und rechts und links nur Hinterhalt.
Doch wenn ich Athem schöpfend lauschte
Und rings im Walde nichts vernahm,
Als daß der Wind in Bäumen rauschte,
Dann überfiel mich Trotz und Scham,
Daß ich so lief. Hast an der Seite
Ein Schwert doch! sprach es in mir laut,
Erschlugst den Mann im offnen Streite,
Was ist es nun, wovor dir graut?
Zwar für den Feind ist dies geschehen,
Allein der Beste schmachtet dort
Von All'n, die unter Krone gehen, –
So wühlt' es in mir fort und fort.

Ich wanderte von Berg zu Thale,
Von Thal zu Berg die ganze Nacht
Und von des Tages erstem Strahle,
Bis auch erlosch des letzten Pracht,
Erschöpfung drohte, Hunger nagte,
Die Hoffnung schwand, Nacht brach herein,
Und wenn es morgen wieder tagte,
Hatt' ich noch Kraft in Mark und Bein?
Da endlich in den höchsten Nöthen,
Als fast entsunken mir der Muth,
Sah ich's im Thal sich unten röthen
Wie einer Esse Feuersgluth.
Ich schritt hinzu; Streit oder Friede
Ist jetzt all' eins, dacht' ich und fand
Im Walde einsam eine Schmiede,
Vor der ich Mären spinnend stand,
Eh' ich an ihre Thüre pochte.
Man leuchtete nach kurzer Rast
Mißtrauisch mit dem Lampendochte
Ins Angesicht dem späten Gast.
Dann öffnete der Schmied, als Waffe
Den gröbsten Hammer in der Faust,
Frug, was ich wolle, was ich schaffe,
Und welcher Sturm mich hergesaust.
Ich fand ihn ab mit meinen Mären,
Er that, als glaubt' er, und zum Dank
War er bereit, mir zu gewähren,
Was noth that, Nachtruh, Speis' und Trank.
Ich frug ihn, ob ich bleiben könne,
Am andern Tag, ob er zur Stell
Am Amboß einen Platz mir gönne
Als sein Gehülfe und Gesell.
Er sah von unten und von oben
Mich an: »Schwingst meinen Hammer werth
Dreimal ums Haupt Du, will ich's loben!«
Ich schwang ihn beinah wie mein Schwert.
Und Arbeit gab's; vom Morgendämmern
Bis in die Nacht dasselbe Lied,
Mir war's 'ne Lust, mich auszuhämmern,
Still lächelnd sah's der ernste Schmied.
Wenn um mich her die Funken sprangen,
Die Schläge dröhnten Hieb auf Hieb,
Ward mir mit Blasebalg und Zangen
Des Handwerks Kunst und Schaffen lieb.
Der Schmied war Meister im Gewerbe,
Der seinen Lehrling unterwies,
Als ob er mir zum Eigenerbe
Amboß und Kundschaft hinterließ.
Ich lernte Schwert und Panzer fegen
Und allen Rüstzeugs Bau und Bruch,
Den Feuer- und den Klingensegen,
Rath, Frag' und Antwort, Gruß und Spruch
Des Schmiedes Weib sprach mir von Zwergen
Mit scheelem Blick, Klumpfuß und Kropf,
Die sich in Felsgeklüften bergen
Mit langem Bart und Weichselzopf,
Oft Trug und Schabernack ersinnen,
Oft Hülfe leisten mancherlei,
Die weißen Sommerfäden spinnen
Und Vögeln stehlen Nest und Ei,
Auf einem weißen Rehbock reiten,
Zu fiedeln wundersüß verstehn,
Tarnkappen tragen, wenn sie streiten,
Daß Menschenaugen sie nicht sehn.
Von Antlitz häßlich, rauh von Händen,
Fast graulich, wenn sie stand und ging
Im Feuerschein, wo über Bränden
Ihr alter, schwarzer Kessel hing,
So war das Weib mir widerwärtig
Als Schalterin im engen Raum,
Streitsüchtig, unwirsch, zungenfertig,
Mit Müh' hielt sie der Mann im Zaum.
Mir war sie stets gerecht und billig
Und hat mir Uebles nie gethan,
Weil ich zu jedem Dienste willig
Ihr hülfreich war und unterthan.
Schwer aber trug ich an dem Zwange,
Der mir den freien Nacken bog,
Und sehnte mich mit heißem Drange
Dahin, wohin mein Herz mich zog.
Oft hörte ich im Walde jagen,
Hifthörnerklang und Waidgeschrei,
Und alle Pulse fühlt' ich schlagen:
Ach! wärest du doch auch dabei!
Wohl wußt' ich, wer die Jäger waren,
Ich hämmerte ja Speer und Pfeil
Am Amboß für die frohen Schaaren,
Das war an ihrer Lust mein Theil.
Nicht weit von unsrer Schmiede brauste
Ein Leben, das in Freuden floß,
Im Thal auf einem Waidhof hauste
Der Graf von Peilstein und sein Troß
Von Jägern, Falknern, Buben, Knechten
Mit Roß und Hund und Federspiel,
Die Tages birschten, Abends zechten
Mit Sang und Klang ohn' End und Ziel,
Oft hatt' ich Pfeile hinzutragen,
Die wir geschärft, Hufeisen auch,
Des Grafen Pferde zu beschlagen,
Und sah den frohen Waidmannsbrauch.
Einst traf's, daß einer der Gesellen,
Der einen Mausersperber trug
Mit langer Fessel, Ring und Schellen,
Den unfolgsamen Vogel schlug.
Flugs hatt' ich ihm das Thier genommen
Und zeigte ihm die rechte Art,
Dem Falkenstarrsinn beizukommen.
Die Andern rings um uns geschaart,
Sahn meinem Kunstgriff zu und staunten,
Wie schnell den Sperber ich gezähmt,
Und riefen Beifall, lachten, raunten,
Und jener Eine war beschämt.
Doch mir trug Groll der Unversöhnte;
Als ich mit Speeren wiederkam,
Schalt er die Arbeit mir und höhnte,
Die Spitzen wären krumm und lahm.
Da zuckte in mir Zornesflamme,
Das Blut stieg mir in Wang' und Schlaf,
Nach einem fernen Birkenstamme
Zielt' ich und warf den Speer und traf.
»Lauf hin und sieh, ob sich die Spitze
Gekrümmt hat in dem harten Holz!«
Rief ich ihm zu in Grimm und Hitze
Und mit des Siegers ganzem Stolz.
Auf meine Schulter aber legte
Sich eine Hand, – der Graf stand da,
Und als ich kaum die Lippe regte,
Sprach er: »Schon gut! ich hört' und sah;
Du scheinst kein Freund von Ruh und Frieden
Und liebst wohl mehr, tagaus tagein
Den Speer zu schleudern, als zu schmieden,
Sag', willst Du mein Geselle sein?«
Mit Freuden ward ich's; schleunig löste
Von meinem Meister mich der Graf,
Und Freiheit in die Seele flößte
Im Waidhof mir der erste Schlaf.

Nun schlürfte ich in vollen Zügen
Des neuen Lebens wilde Lust,
Es war, als ob mich Schwingen trügen,
Und Frühling zog in meine Brust.
Am Waidwerk hatt' ich stets gehangen,
Wo sich Gefahr dem Auge bot,
Mir schwärzte Ruß nicht mehr die Wangen,
Die Waldluft küßte sie mir roth.
Die Andern merkten bald beim Jagen,
Daß ich auf Baize oder Birsch
Kein Neuling mehr, denn ohne Zagen
Ging ich auf Keiler, Bär und Hirsch.
Es schien mir, daß mich lieb gewannen
Der Graf sowohl wie die Gesell'n,
Doch währt's nicht lange, so begannen
Sie Fragen doch an mich zu stell'n
Nach meiner Herkunft, meinem Leben,
Nach meiner Eltern Stand und Haus,
Jedoch statt Antwort drauf zu geben,
Wich ich mit kecken Scherzen aus.
Es kam auch wohl zum Wortgefechte,
Und herrisch setzt' ich mich zur Wehr,
Ich war doch Knappe, sie nur Knechte,
Und ließ sie's fühlen allzusehr.
Ich hielt mich bald von ihnen ferne,
Zog mich zurück von ihrem Thun,
Roh schalten sie in der Taberne
Mich einen Träumer und Garzun.
Gern einsam war ich auch und spürte,
Wie jenes Falkners alter Haß
Den Neid der Andern auf mich schürte,
Verdacht anblies ohn' Unterlaß.
Der Mensch hieß Lanzo; offen wagte
Er nimmer sich an mich heran,
Weil ich an Kraft ihn überragte,
Indeß Verrath er heimlich spann.
Drei Monde war ich bei dem Grafen,
Da merkt' ich, gegen mich verschwor
Der ganze Haufen sich, es trafen
Die schärfsten Reden schon mein Ohr.
Sie trieben Alles mir zum Possen,
Und mir schlug fehl, was ich auch that,
Ich hatte unter den Genossen
Kaum einen Freund der mich vertrat.
Einst hört' ich flüstern sie und lachen,
Aufs Wildfangrecht kam's ihnen an,
Gar huld und hörig mich zu machen
Zu ihres Herrn leibeignem Mann.
Noch mehr! durch Flößer war gekommen,
Die auf der Enns mit ihrer Fracht,
Mit Holz und Salz hinabgeschwommen,
Nachricht von unsrer Donauschlacht
Mit jenen Schiffern bei Bechlaren,
Und wie wir auf den Dürrenstein
Bei Nacht hinaufgestiegen waren,
Den König Richard zu befrei'n.
Ich hörte meinen Namen nennen
Als den, der einen Knecht erschlug,
Mir untern Sohlen fühlt' ich's brennen,
War's ruchbar, daß die Schuld ich trug?
Ich sah im Waidhof schon die Rächer,
Mit Fingern wies man hin nach mir,
Ich war der Mörder, ich der Schächer;
Da lief ich fort und kam zu Dir. –
Jetzt kennst Du mein vergangnes Leben,
Nun hilf mir, tröste, rathe nun,
Du weißt es: Dir bin ich ergeben,
Was Du gebeutst, das will ich thun.«
»So schlafe jetzt!« sprach kurz und bündig
Der Alte und erhob sich schwer,
»Des Menschen Thun ist all stund sündig,
So Gott der Herr will, morgen mehr!«

Das Feuer war herabgesunken
Zu halb erlöschtem Aschenhauf,

Nur leise knisternd flogen Funken
Noch manchmal von den Kohlen auf.
Die Beiden in der Höhle streckten
Sich auf ihr Lager schweigend hin,
Die Lider wohl die Augen deckten,
Doch nicht der Schlummer Herz und Sinn.
Still lag der Klausner, ohne Regung,
Als ob er eingeschlafen wär,
Der Jüngling war stets in Bewegung
Und warf sich ruhlos hin und her.
Und tiefe, schwere Seufzer rangen
Aus seinem Busen sich empor,
Die nach des Alten Lager drangen
Zu seinem mitleidsvollen Ohr.
Und endlich frug der Greis im Liegen:
»Du find'st nicht Ruhe, lieber Sohn?
Hast Du mir etwas noch verschwiegen?
Was will der bangen Seufzer Ton?«
»O gerne will ich's Dir gestehen,«
Sprach Heinrich, »was mich seufzen hieß:
Ich möchte die wohl wiedersehen,
Die ohne Abschied ich verließ!
Wie ich mich betten mag und lehnen,
Ich träume von verlornem Glück,
Und all mein Denken, all mein Sehnen
Geht nach Burg Kürenberg zurück.«
Die wiedersehn? Der Alte lauschte
Und stützte aufgeschreckt den Arm,
Wie Wirbelwind durchs Haupt ihm rauschte
Argwöhnischer Gedanken Schwarm.
Die wiedersehn! ist das nur Eine?
Sind's ihrer mehr? Weib oder Mann?
Rauh klang's und scharf wie Stahl am Steine:
»Gab's Weiber auf der Burg? sag' an!«
»Es gab,« sprach Heinrich, »doch ich dachte
An Alle, was aus ihnen ward,
Und ob man dort noch sang und lachte
Wie damals und auch – Irmengard.«

»Wer? Irmengard? ein weiblich Wesen?
Und eines, dessen Du noch denkst?
Was ist sie jemals Dir gewesen,
Daß Du ihr Wunsch und Seufzer schenkst?«

»Des Ritters Enkelin, des alten,
Drei Jahre jünger wohl als ich,
Ist sie, ein Mädchen, wohlgestalten,
Voll Kraft und Schönheit wonniglich.
Die Mutter hatte sie verloren,
Bevor ich kam zur Burg hinein,
Ich aber habe sie erkoren
Zu meinem trauten Schwesterlein.
Sie wuchs mit uns und unserm Treiben
In frohem Jugendmuthe auf,
Wir wünschten nur, so möcht' es bleiben
In unserm ganzen Lebenslauf.
Sie konnte reiten, schießen, jagen,
Wie oft sind wir dahin gebraust,
Erwin und ich, an hellen Tagen
Mit ihr, den Falken auf der Faust.
An Wissen war sie überlegen
Uns beiden und dabei geschickt,
Kunstvoll hat sie uns jungen Degen
Manch zieren Schmuck am Kleid gestickt.
Wir waren wild, wir beiden Jungen,
Zu toll war uns kein Wagestück,
Doch war uns Zweien was gelungen,
Blieb sie als Dritte nicht zurück.
Wenn wir uns zankten, wenn wir stritten,
An meinen Hals dann warf sie sich
Und konnte schmeicheln, kosen, bitten,
Sie war allmächtig über mich.
Ich that zu Lieb ihr, was ich wußte,
Und sie mir auch, sie lief und sprang;
Was sie so recht erfreuen mußte,
Darüber sann ich Tage lang.
Wie hold verschämt ihr Antlitz glühte,
Wenn süß und sanft von Dank sie sprach!
Ihr großes Auge glänzt' und sprühte,
Aus dem's wie Herzensfrühling brach.
Ich habe schwer mich losgerissen,
Als jener letzte Morgen kam,
Und – sei es denn! Du sollst es wissen,
Wie ich von Irmgard Abschied nahm.
Wir wagten nicht, sie einzuweihen
In unseren Befreiungsplan,
Sie hätte, statt Gehör zu leihen,
Mit uns zwei Kühnen mitgethan.
Der Aufbruch sollte früh geschehen,
So war's Beschluß von langer Hand,
Doch einmal noch mußt' ich sie sehen,
Eh' ich aus ihrer Näh' entschwand.
Ich hatte ihr aus Herzensgründe
Ein kleines, schlichtes Lied gemacht,
Das wollt' ich ihr in letzter Stunde
Hinlegen, ehe sie erwacht.
Und eine Rose, die soeben
Die Knospe aus dem Kelch erschloß,
Die sollte grüßen sie daneben
Als meines Liedes Bundsgenoß.
Erwin schlief fest; ich fand nicht Schlummer
Und wälzte mich auf meinem Pfühl
In Unruh halb und halb in Kummer;
Die Frühlingsnacht war heiß und schwül.
Tag ward es, Sonnenaufgang nahte,
Da warf ich mich in leicht Gewand
Und schlich zu Irmgards Kemenate,
Die Rose bebt' in meiner Hand.
Welch' Anblick! – lächelnd, traumbefangen,
Ein Märchenbild in Glückes Schoß,
Vom tiefen Schlafe roth die Wangen,
Lag da die Holde, hüllenlos.
Ich stand davor in süßem Schrecken
Wie an verbotner, heil'ger Statt,
Kaum athmend, um sie nicht zu wecken,
Stand nur und stand und sah mich satt.
Wie eine Blume, halb erschlossen,
Lag sie im hellen Frührothschein,
Und über ihr hing, glanzumflossen,
Ein Kruzifix von Elfenbein.
Gern hätte mich des Mundes Schwellen
Zu einem letzten Kuß verführt,
Heiß fühlt' ich's mir zum Herzen quellen, –
Ich habe sie nicht angerührt.
In Strahlen blitzte auf die Sonne,
Da legt' ich Rose hin und Lied,
Fahrwohl, lieb Schwester, Lust und Wonne!
Ein einz'ger Blick noch, – und ich schied.«

Es wurde mehr kein Wort gesprochen.
Der Greis durchwacht' im dunkeln Raum
Peinvoll die Nacht, bis sie gebrochen,
Heinrich umfing ein holder Traum.


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