Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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VII.
Heiko.

                  Auf Sylt, in der Heide, in Schlick und Moor,
Am Strand, in den Dünen, in Schilf und Rohr
Hausten unzählige Vogelschaaren,
Merkwürdig und eigen in ihrem Gebahren
Beim Fliegen, beim Flattern, beim Laufen und Stehn,
Beim Nisten und nach der Nahrung Gehn.
Da brüteten Möven jeglicher Art,
Seeschwalben schwirrten, schlank und zart,
Wildenten strichen in langem Zug,
Der Kibitz schwang sich im Zickzackflug,
Strandläufer liefen im Haschen und Flieh'n,
Die Regenpfeifer saßen und schrie'n,
Die Austernfischer auf einem Bein
Standen und stierten ins Wasser hinein,
Und über der Heide gleich einer Wolke
Schwebte Gewimmel vom Staarenvolke.
Manchmal auch kam mit lieblicher Last
Bei Nacht und Nebel ein hoher Gast
Vom Festland herüber aus seinem Nest
Mit breiten Schwingen geflogen gen West.
Rothbeinig war er, und klappern that er,
War jungen Frauen ein Freund und Berather,
Und wenn er dagewesen war,
Dankt' ihm ein glückliches Ehepaar.
So in den ersten Septembertagen
Kam wieder einmal wie herverschlagen
Der liebe, kluge Klapperstorch,
Stand auf dem Dach von Ingeborg
Und hatte – Gott weiß woher! – bei Nacht
Ein rosiges Knäblein ihr gebracht.
Wie sie das hielt auf ihrem Schoß,
Da war im Haus die Freude groß,
War's selbstverständlich und wie gebührlich
Der ganze Vater doch natürlich.
Die Augen, ja! – die blonde Mähne,
Der Bart und die gesunden Zähne,
Die freilich fehlten noch, allein
Sie stellten sich schon mit den Jahren ein,
Wenn erst der Jung' in den Marsen saß
Und Topp und Takelung enternd maß.

Ingborg, als ob das Herz ihr springe,
War selig; von Edzards Lieb' ein Pfand,
Das däuchte sie ein viel stärkeres Band,
Als goldgeschmiedete Eheringe.
Hatte den Knaben sie an der Brust
Und ließ am ergiebigen Born ihn saugen,
So blickte sie, strahlend von Mutterlust,
Zu Edzard empor mit leuchtenden Augen.
Lag schlummernd das Kind in Kissen und Bändchen,
So winkte sie ihm, wie prall und gepaust
Die rothen Bäckchen, wie zierlich die Händchen,
Und wies auf seine gewaltige Faust.
Manchmal auch gab sie's ihm zu halten
Und lachte dann seiner Verlegenheit,
Als sorglicher Vater damit zu schalten,
Daß ihm nicht zerbrach die Kleinigkeit.
Ihr war's, als ob aus seinen Augen
Ein ängstlich flehender Blick sie traf,
Zum Wärter schien er nicht zu taugen;
Dann nahm sie's ihm und sang's in Schlaf.

Schlummre nun ein, du liebliches Kind,
Ruhest so sicher nicht wieder,
Draußen surret und sauset der Wind
Dir einmal andere Lieder,
Wenn in der schwingenden Matte du liegst
Und dich in Träumen der Heimat wiegst.
    Wallalla, sumsolisein,
Schlafe, Liebling, schlaf' ein!

Schleicht dir ans Bett der Klabautermann,
Auf dich die Hände zu legen,
Schaut er mit blinzelnden Augen dich an,
Murmelt dir Sprüchlein und Segen.
Bist dann in Stürmen und Wogen gefeit
Fern in des Meeres Wildeinsamkeit.
    Wallalla, sumsolisein,
Schlafe, Liebling, schlaf' ein!

Hüte dich vor den Seejungfrau'n,
Wenn sie dich locken und necken!
Darfst den winkenden Armen nicht trauen,
Die sich entgegen dir strecken.
Halb nur ist's ein berückendes Weib,
Halb eine Nixe mit schuppigem Leib.
    Wallalla, sumsolisein,
Schlafe, Liebling, schlaf' ein!

Fährst du mit vollen Segeln hinaus
Einst in das schäumende Leben,
Denke daheim doch ans Vaterhaus,
Laß es dich freundlich umweben;
Seemann da draußen in Wetter und Wind
Ist ja doch auch einer Mutter Kind.
    Wallalla, sumsolisein,
Schlafe, Liebling, schlaf' ein!

Heiko – so ward der Knabe genannt
Bei seiner Taufe – ward tagtäglich
Als größrer Prachtkerl anerkannt,
Und Ingeborgs Freude war unsäglich.
Doch Edzard stand oft in Gedanken,
Starrt' auf den kleinen Schläfer hin,
Ließ seine Wiege leise schwanken,
Und Schweres ging ihm durch den Sinn.
Er war ein Theil von der Liebsten Leben,
In seinen Aederchen rollt' ihr Blut,
Sie würde für ihn das ihre geben
Und ihn vertheid'gen mit Löwenmuth.
Was aber sollte mit ihm geschehen,
Wenn einst enthüllt ward Edzards Trug
Und dann zum Voneinandergehen
Der Trennung bittre Stunde schlug?
Würd' Ingeborg den Knaben lassen,
Ihm lassen ihn auf hoher See?
Würd' es ihr Herz verstehn und fassen
Und doch nicht brechen in seinem Weh?
Und wollte sie ihn mit sich nehmen,
Weil's Mutterliebe nicht anders begriff,
Würde van Straten den Unbequemen,
Den Bastard dulden auf seinem Schiff?
Und Edzard? ach! er hing am Knaben,
Als wär' es von ihm selbst ein Stück,
Ihn auch weggeben hieß begraben
Den letzten Wiederschein von Glück.
Er wollt' ihn hüten und halten und hegen,
Sein Leben sollte sich darum drehn,
In ihm die Erinnrung der Liebe zu pflegen,
In ihm das Bild der Geliebten zu sehn.
Ihn Ingeborg nehmen, ihn Ingeborg geben,
Gleich hart war beides, und mit Eins
Zwei theure Wesen sehn entschweben, –
Ihr Schicksal war es oder seins.
So, wie nach einem Schiffbruch, trieben
Edzards Gedanken hin und her,
Vergällten ihm an seinen Lieben
Die Lust und machten's Herz ihm schwer.

Doch wundersam nun ist gebrauet
Der Trank, den uns das Leben reicht,
In den der Eine lächelnd schauet,
Vor dem der Andre stumm erbleicht.
Hoch schwingt der Freuden vollen Becher
Ein Glücklicher, führt ihn zum Mund
Und findet, ein erschrockner Zecher,
Des Wermuths Tropfen auf dem Grund.
Der Andre leert den Kelch der Leiden
Auch bis zum Rest, und wenn er denkt,
Er müss' in Angst und Noth verscheiden,
Wird doch ein Trost noch ihm geschenkt.
So ging es Edzard; schwer bezahlen
Mußt' er des Glückes Überschwang
Mit brennenden Gewissensqualen,
Weil er's mit Lug und Trug errang.
Doch bot in seines Schmerzes Wühlen
Sich ihm wie Balsam lindernd dar
Der Trost, zu sehen und zu fühlen,
Wie maßlos glücklich Ingborg war.
Ohn' ihn hätt' sie es nie erfahren,
Wie hochbeglückte Liebe thut,
Selbst in der Frist von wenig Jahren
War's doch für sie ein Himmelsgut.
Zwar hatt' er es mit schlimmen Waffen
Für sich erkämpft auch und erlost,
Doch daß er's Ingeborg geschaffen,
Das war ihm erst der rechte Trost.
Ihr dieses Glück noch zu erkaufen,
Galt ihm als Sühne seiner Schuld,
Hatt' ihnen doch, wenn's abgelaufen,
Einmal geblüht des Schicksals Huld.
Drum hielt er fest und tief verschlossen
In seiner Brust den herben Streit,
Daß Ingborg nur von Glück umflossen
Durchlebte die so kurze Zeit.

Schnell war der milde Herbst entflohen,
Der Winter kam mit Sturmgebraus
Und sperrte die genügsam Frohen
Bald wieder ins verschneite Haus,
Das Heiko nun, der süße Junge,
Belebte durch sein muntres Kräh'n,
Denn eine recht gesunde Lunge
Besaß der künft'ge Kapitän.
Er wuchs in seiner Eltern Pflege
Sichtlich heran schon und gedieh
Wie ein lieb Küchlein im Gehege
Und trank und strampelte und schrie.
Und als es endlich, endlich wieder
Auch auf dem stillen Inselland
Nun Frühling ward und warm hernieder
Die Sonne schien auf Dün' und Strand,
Da trugen sie zum ersten Male
Den Liebling an die offne See
Und zeigten ihm im Morgenstrahle,
Wo dermaleinst sein Leben geh'.
Die Aeuglein blinzelten, geblendet
Vom weißen Gischt, die Aermchen schlug
Er auf und ab, zum Meer gewendet,
Als strebt' er schon hinaus im Flug.
Edzard nahm das als gutes Zeichen:
»Wohlauf, mein Junge! Segel los!«
Rief er erfreut, »die See durchstreichen
Macht frei das Herz, den Willen groß.«
Doch Ingborg seufzte: »Ja, und scheiden
Von seinem Lieb mit feuchtem Blick,
Sich immer trennen, lange meiden,
Des Seemanns Aussicht und Geschick!«
Heiko indeß, von dem nichts ahnend,
Was sich auf Sorg' und Hoffnung stützt,
Saß, an ein Heil'genbild gemahnend,
Von Mutterarmen wohl beschützt.
Im Sommer durft' er ohne Schaden
Schon nach Belieben und Begehr
Sich in dem Dünensande baden;
Da kroch und kugelt' er umher
Und spähte, wie die Möven flogen,
Klatscht' in die Händchen, kreischte laut,
Horcht' auf bei dem Geräusch der Wogen
Und ward mit Wind und See vertraut.
Viel Schafe fanden auf der Heide,
Dort angepflöckt zu zwei'n und drei'n,
Im Kreise grasend ihre Weide,
Und blökten in den Tag hinein.
An ihnen hatte sein Gefallen
Das muntre, früh geweckte Kind,
An ihrer Stimme lautem Schallen
Und ihren Sprüngen, hetzgeschwind.
Am meisten schien ihn zu beglücken,
Wenn ihn der Vater reiten ließ
Und er sich auf des Thieres Rücken
Festklammert' in sein wollig Fließ.
Dann pflegt' auch Edzard wohl zu heuern
Ein Segelboot, mit Weib und Kind
Aufs Wattenmeer hinaus zu steuern,
Wenn Wind und Wetter warm und lind.
Der Junge sollte sich gewöhnen
Ans Schaukeln, meint' er, möglichst früh,
An all das Brausen, Wehn und Dröhnen
Und an der Wellen Schaumgesprüh.
Wie Edzard nun das Fahrzeug lenkte,
Sich seiner Kunst und Kraft bewußt,
Wie er es wandte, dreht' und schwenkte,
Sah Ingeborg mit stiller Lust
Und fühlte sich an seiner Seite
So sicher wie im stärksten Hort,
Als wäre sie auf Meeresweite
Mit ihm an stolzen Schiffes Bord.
Ihn selber freut' es, ihr zu zeigen,
Daß er aufs Segeln sich verstand,
Sie sahn sich lächelnd an in Schweigen
Und drückten treulich sich die Hand.
    So ging der Sommer hin, es reifte
Der Herbst des Kornes karge Frucht,
Und wieder durch die Insel streifte
Der Wintersturm in wilder Flucht.
Dann kam der Frühling, ach! der letzte
Im kleinen, stillen Friesenhaus,
Denn die sich liebten, trieb und hetzte
Er aus dem Paradies hinaus.


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