Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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V.
Ingeborg.

                      Zu mancher armen Seemannsfrau,
In manche niedre Fischerhütte
Tritt zögernd, mit gefurchter Brau,
Wie er aus schwerem Herzen schütte
Die Trauerkunde, die er bringt,
Ein Heimgekehrter, dreht verlegen
Den Hut in Händen, druckst und ringt
Nach Worten, ohne sich zu regen,
Und platzt dann endlich plump heraus:
»Eu'r Mann, der Jan, – der kommt nicht wieder;
Wir scheiterten in Nacht und Graus,
Da riß ihn eine Sturzsee nieder.«
So tritt ins Schifferhaus der Tod
Und schneidet ab das Wiedersehen,
Daß Weib und Kinder ohne Brod,
Trostlos verlassen, elend stehen.
Sie hätten, wenn er leben blieb,
Der Jan, sich ehrlich durchgeschlagen,
Sie hatten sich so lieb, so lieb, –
Herr Gott im Himmel! wie es tragen?
Er liegt im Meer; kein Kreuz, kein Stein,
In Leid den Schritt dahin zu lenken,
Sein dauernd Grabmal ist allein
Der Liebe schmerzliches Gedenken.

Nicht so war's in van Stratens Haus,
Da saß kein trauernd Weib am Heerde
Und weinte sich die Augen aus,
Verzweifelnd, was nun aus ihr werde.
Die dort sich Wittwe däuchte, fand
Sich trauter Hoffnung hingegeben,
Empfing doch aus des Todes Hand
Sie als Geschenk ein neues Leben.
Nur Edzard wußte, daß wie Schaum
Das Glück war, das sie mit ihm wagte,
Und einst dem kurzen Blüthentraum
Ein schreckliches Erwachen tagte.
Allein gesprochen war und blieb
Das freche Wort vom Tod des Gatten,
Und was in Wuth ein Spieler schrieb,
Hieß Botschaft eines Sterbensmatten.
Nicht vorbereitet und bedacht
Hatt' Edzard seine rasche Lüge,
Vielmehr gehofft, daß Liebesmacht
Von selbst sich seinen Wünschen füge
Und Ingborg in der Sehnsucht Drang
Die aufgezwungnen Fesseln breche,
Wenn er mit vollem Herzensklang
Das Stichwort: »sei mein eigen!« spreche.
Nun vom Vergehn verbotner Huld
Blieb rein und keusch zwar ihr Gewissen,
Seins aber war befleckt mit Schuld,
Von Leidenschaft hineingerissen.
Gewollt hatt' er es nicht, bereu'n
Konnt' er es aber jetzt mit Nichten,
Sie hätte sich in festen Treu'n
Vielleicht erinnert ihrer Pflichten
Und sich nicht anders ihm geweiht,
Als wenn sie selbst sich Wittwe schätzte,
Von jeder Rücksicht nun befreit,
Die ihrem Handeln Schranken setzte.
Und thät' sie's doch, in Liebe groß,
Sollt' er auch ihr die Freude stören
Durch das Bewußtsein, daß sie bloß
Drei Jahre durft' ihm angehören?
Denn was ihm deutlich heute schon
Vor Augen stand mit allen Schrecken,
Das war der schweren Stunde Drohn
Wenn sie die Wahrheit würd' entdecken,
Daß er im Spiele sie gewann
Gleich einem schönen Beutestücke,
Daß annoch lebt' ihr rechter Mann,
Der sie ihm lieh zu kurzem Glücke.
Dann mußt' er ihr den falschen Zug
Gestehen, wenn die Frist verstrichen:
»Ich habe nur mit Lug und Trug
Mir Deine Liebesgunst erschlichen.
Du denkst, Du bist mein ehrlich Weib, –
Ach! unsre Liebe kann nicht enden,
Dein Herz ist mein, – Dein süßer Leib
War nur auf Borg in meinen Händen.«
Und dann – dann mußt' unweigerlich,
Wenn auch mit größtem Widerstreben
Er die Geliebte fort von sich
Und jenem Andern wiedergeben,
Der todtgeglaubt von ihr, nun doch
Dem Grab entstieg, sie kränkt' und plagte
Und wie ein Vampyr lange noch
Am Lebensmark ihr sog und nagte.

All dies im Haupte wälzend saß,
Als Freek ihn kaum verlassen hatte,
Edzard allein vorm leeren Glas,
Sich stützend auf des Tisches Platte.
Da war es ihm, als ob er fern
Am Himmel einen Stern erschaute,
Allein es war kein guter Stern,
Auf den er seine Hoffnung baute.
Van Straten war auf weiter Fahrt
Und ging, zuwider aller Regel,
In seiner argen Sinnesart
An einem Freitag unter Segel.
Edzard fuhr ab den Tag darauf
Und hatte Früd nicht mehr gesehen;
Was aber, je nach Schicksals Lauf,
Konnt' in drei Jahren nicht geschehen?
Unsicher ist des Seemanns Loos,
Gefahren drohen stets dem Schiffe,
Es lauern in der Fluthen Schoß
Untiefen, Bänke, Felsenriffe.
Weit draußen auf dem Ozean
Erhebt der Sturm die Wasserberge,
Da tobt und wüthet der Orkan,
Und hilflos wird der Mensch zum Zwerge
Vor des Naturreichs Riesenmacht,
Die ihn umwettert, wild erhaben;
Es stürzt der Mast, der Kiel zerkracht,
Und von den Wellen wird begraben
Das stolze Schiff. – Van Straten ist
Auch sterblich, der, wo Andre knieten,
In seinem Trotze sich vermißt,
Der Gotteskraft die Stirn zu bieten.
Wie, wenn nun aus der Sonne Licht
Der alles Wagende verschwände
Und Edzard den Verhaßten nicht
Am Cap der guten Hoffnung fände? . . .
Mord in Gedanken war der Traum,
Zum Wunsche ward die Todeslüge, –
Edzard sprang auf im engen Raum,
Als ob er schon das Brandmal trüge.

Still, in Zurückgezogenheit
Saß Ingeborg daheim und füllte
Die Stunden ihrer Einsamkeit
Mit Plänen, die sie sich enthüllte,
Wie Frühling aus den Knospen schält
Die duftigen, die bunten Blüthen
In Wald und Flur, die ungezählt
Sein Wunderthun hat auszubrüten.
Sie warf beschämt sich selber vor,
Daß sie so fröhlich war im Herzen,
Als säh sie wie ein Kind empor
Zum Weihnachtsbaum im Glanz der Kerzen.
Zwar wenn sie, ohne tiefes Leid,
Des eisenfesten Mannes dachte,
Der sie, die arme Fischermaid,
Zur Frau des großen Seglers machte,
Deß Name weit und breit bekannt,
So wurde doch sie wider Willen
Von einer Schwermuth übermannt,
Mit der sie ihn beklagt' im Stillen.
Sie dankte Manches seiner Hand,
Er hatte sie empor gehoben
Zu einem ehrenvollen Stand
Und sie mit äußerm Glanz umwoben.
Er sorgte für Gelegenheit,
Daß bildend sich ihr Geist entfalte
Und sie an Kenntniß mit der Zeit
Ihm ebenbürtig walt' und schalte.
Und hochbegabt, wie sie nun war,
Und dazu willig, lernbegierig,
Begriff sie alles rasch und klar,
Und nichts schien ihrer Fassung schwierig.
Sie hätt' es ihm so gern gelohnt,
Was er für sie gethan im Leben,
Hätt' er sie damit nur verschont,
Auch ihre Liebe zu erstreben.
Sie war an ihn – Gott sei's geklagt!
Verkauft, doch hatt' er selbst geworben
Um sie und ehrlich ihr gesagt,
Er wäre ruchlos und verdorben;
Sie könnt' ihn retten, sie allein,
Wenn sie zum Gatten ihn erkiese
Und ihn aus seinen Teufelei'n
Den Weg zu Zucht und Sitte wiese.
Das Mitleid überfiel sie nun
Mit des Zerknirschten Schuld und Fehle,
Sie dacht' ein gutes Werk zu thun
An ihm und seiner sünd'gen Seele.
Edzard war fern, sie wußte nicht,
Würd' er sie je zum Weib begehren;
Da schien's ihr Samariterpflicht,
Van Stratens Wildheit zu bekehren.
Sie hatt' es standhaft auch versucht,
Und eine Zeit blieb er behütet,
Dann hatt' er wieder losgeflucht,
Gespielt, gelästert und gewüthet.
Statt Liebe packt' erst Furcht sie an
Und dann ein Abscheun, so mit Steigern,
Daß sie die Festigkeit gewann,
Gunst und Gehorsam ihm zu weigern.
Noch sah sie vor sich die Gestalt,
Die ihr so manchmal Grau'n erweckte,
Und seiner Augen Blickgewalt,
Die sie mit ihrem Drohn erschreckte.
Noch hörte sie der Stimme Klang,
Die immer nur befehlend tönte,
Den Schritt, der hart auf Trepp' und Gang
Beim Kommen ihres Zwingherrn dröhnte.
Und doch – er war ein ganzer Mann,
Ein Fürst und Held in seiner Weise,
Um sein gebietrisch Wesen spann
Ein eigner Zauber seine Kreise.
Nun war er hin, die eh'rne Kraft,
Die unbesiegbar war im Leben,
Vom Tode jäh dahingerafft,
Verweht des kühnen Geistes Weben.
Und statt des finsteren Gesell'n,
Des spurlos in das Nichts zerstiebten,
Trat, Ingborgs Dasein zu erhell'n,
Die Lichtgestalt des Heißgeliebten
Vor sie, umstrahlt von einem Glanz,
Wie Sonnen ihn im All vergeuden,
Und wie mit einem Blumenkranz
Von Hoffnungen geschmückt und Freuden.
Ihr blaut' aus seines Auges Grund
Ein ganzer Himmel schon entgegen,
Ihr sprach und lächelte sein Mund
Des Herzens stärksten Liebessegen.
Von Kopf zu Fuß sein herrlich Bild
Ach! war ihr eine Augenweide,
Frohmuthig, freundlich, stark und mild,
Leibhaftig Glück nach langem Leide.
Sie fühlt' in seiner Arme Macht
Geborgen sich und süß gebettet
Und wie nach sturmdurchtobter Nacht
In ankersichre Bucht gerettet.
Er kam ihr gestern unverhofft
Und überraschend, aber heute
Ward sie – wie einst so oft, so oft!
Des fieberheißen Wartens Beute.

Komm, o komm, Du einzig Einer,
Komm und nimm mich hin,
Daß von Stund an ich, Du Meiner,
Ganz Dein eigen bin!
Hast mich lange warten lassen
Auf den ersten Kuß,
Brauchtest, meine Hand zu fassen,
Lange zum Entschluß.

Doch nun ist gestillt das Sehnen,
Das ich schweigend trug,
Mich an Deine Brust zu lehnen,
Wenn das Herz mir schlug.
Laß mich ruhen hier und rasten,
Selig mir bewußt:
Mir auch nach des Daseins Lasten
Blüht des Lebens Lust.

Nie, Geliebter, nie vertreibe
Mich von diesem Ort,
Und, solang ich athme, bleibe
Du mein Halt und Hort.
Dich nur trag' ich in Gedanken,
Bis das Herz mir bricht,
Dir gehör' ich ohne Schranken,
O verlaß mich nicht!

Sie schmückt ihr Heim, soviel sie kann,
Wohl zu empfangen den liebsten Mann.
Ein guter Trunk erwartet ihn,
Ein Feuer flackert im Kamin,
Und auf dem Blumentisch da hinten
Duften vielglockige Hyazinthen.
Wann wird er kommen? sie steht und lauscht,
Huscht hierhin und dorthin und vertauscht
Oft einen Platz mit einem andern;
Schnellfüßig ihre Gedanken wandern
Auf seinem Wege dem Hafen zu
Die Gassen entlang ohne Rast und Ruh.
Hinter dem Fenstervorhang versteckt,
Späht sie, ob sie ihn nicht entdeckt,
Oder ob Freek nicht Botschaft bringt,
Und wenn am Haus die Thüre klingt,
Fährt sie zusammen vom Scheitel zum Spann
Und hält aufhorchend den Athem an.
Dann sitzt sie wieder und stützt das Haupt:
»Der alle meine Ruh mir raubt,
Er will nicht warten das Wittwenjahr,
Er will mit mir an den Altar,
Und fordert man Aufschub als Beding,
So will er mich ohne den Fingerring.
Und darf ich ihm nicht fest vertrau'n?
Mein Schicksal auf sein Wort nicht bau'n?
Wozu der Aufschub? wozu noch einmal
Die Trennung, als zu Schmerz und Qual?
Zu scheiden und immer wieder zu scheiden
Vom Liebsten auf Erden, sich sehnend zu meiden,
Bis die paar Jugendjahre dahin, –
Ich kann's nicht, ich will's nicht!« In heftigem Sinn
Bäumt sie sich auf, ihr Auge blitzt,
Sie krampft die Faust, wie sie da sitzt
In liebesgewaltiger Leidenschaft
So trotzig schön und heldenhaft.
Hätt' Edzard sie so gesehen, – trunken
Wär' er aufs Knie vor ihr gesunken,
Und hätt' er die Worte gar aufgefangen,
Es wär' ihm durch Mark und Bein gegangen.
Ihr Busen hebt sich, träumerisch leis
Raunt sie: »Was ich von Liebe weiß
Und ihrem Glück, das ich nie gekannt,
Ist Eins nur, das mich löst und bannt:
Ganz aufgehn in des Andern Wesen,
Ihm jeden Wunsch von den Augen lesen
Und denken, wenn sein Wille geschicht:
Was thäte wahre Liebe nicht?!«
Da streift ihr Blick von ungefähr
Den Spiegel überm Tische quer;
Schnell vor sich selber wird sie roth
Und lächelt doch: »Zum Aufgebot
Des Herzens mit dem Herzen braucht
Es keines Ja, die Seele haucht
Tief in die andere hinein
Wortlos und wunschlos: ich bin Dein!«

Da ist er! und im Sturme fliegt
Sie ihm entgegen und drängt und schmiegt
Sich zitternd an ihn, der sie umfängt,
Daß sie in seinen Armen hängt.
Blauauge blickt in Blauaug' hinein,
Blond kräuselt mit Blond sich leis und fein,
Und Lippe lang auf Lippe ruht,
Löschend und wieder entfachend die Gluth,
Die ihnen Sinn und Verstand benommen,
Bis daß sie endlich zu Athem kommen,
    »Hast Du gewartet schon lange Zeit?«
    »Ach, eine halbe Ewigkeit!«
    »Sagst Du nun wieder zu mir: geh fort!?«
Sie drückt ihn an sich, sie sagt kein Wort.
Er bleibt und bleibt; der Tag verrinnt,
Der an dem Glück der Liebenden spinnt.
Die Dämmrung fällt, der Abend sinkt,
Doch Ingborgs Auge schimmert und blinkt
Gleich einem Stern in dunkler Nacht.
Es wirkt und knüpft der Liebe Macht
Aus Unschuld und aus Sehnen und Bangen,
Aus Leidenschaft und heißem Verlangen
Ihr heimlich Netz, das beid' umstrickt,
Und als dann Edzard, nicht weggeschickt,
Heimging zu seines Schiffes Borden,
War Ingeborg sein Weib geworden.


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