Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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IV.
Das Wiedersehen.

                      Die Heimfahrt Edzard Truelsens ging
Glücklich von Statten; aus Backbord fing
Der Wind sich in den Segeln und bauschte
Sie zwischen den Raaen, mächtig rauschte
Der Kiel dahin mit einer Schnelle,
Als ob nicht Wind allein und Welle
Das Barkschiff Edzards schöb' und triebe, –
Als ob die Sehnsucht und die Liebe
Die Masten versehen hätten mit Schwingen,
Ihn hin zu Ingeborg zu bringen.
    Zu Amsterdam im Oosterdock
Lag festgemacht das Schiff am Baume,
Der Hanger an der Großraanock
Hob Last auf Last aus seinem Raume.
Wie anders war dies Hafenbild
Als jenes, das im blanken Schild
Der Allerheiligenbai sich spiegelt!
Die Wasserfläche glatt und grau,
Dunstig die Luft, des Himmels Blau
Von finstern Wolken dicht verriegelt.
Ein nordischer Novembertag,
Das Heer der Masten wie Wald im Winter,
Verschleiert halb im Nebel lag
Das Flachland mit der Stadt dahinter.
Kein grüner Hügel, kein Blüthenschmuck,
Kein Sonnenstrahl; ein dumpfer Druck
War über allem ausgebreitet
Und nirgendwo der Blick geweitet.
    Die Fracht zu löschen hatt' ein Wort
Edzards dem Bootsmann überlassen,
Er selber streifte fort und fort
Nun durch die volkbelebten Gassen
Der großen Stadt mit Spähersinn
Bald neben trüben Grachten hin
Mit ihren Brücken ohne Zahl,
Bald zwischen Giebeln, steinern kahl.
Er fragte höflich Alt und Jung
In Hoffnung, daß es sich verlohnte,
Ob ihnen in Erinnerung,
Wo hier Mevrouw van Straten wohnte.
Und endlich fand er seinen Mann;
Ein Seemann war's, das konnt' er spüren
An Gang und Tracht; der Alte sann
Und sprach: »Ich will Euch zu ihr führen.
Denn, Herr, ich kenne, die Ihr sucht,
Und sie kennt mich seit manchem Jahren,
Ich bin mit dem, der besser flucht,
Als betet, lange Zeit gefahren.«
Sie gingen fürbaß nun selband;
Edzard begann das Herz zu schlagen;
Wie sollt' er, wenn er vor ihr stand,
Das, was geschehen war, ihr sagen?
»Hier ist es, Herr!« Ein Backsteinhaus
Mit einem hohen, spitzen Dache,
Da war's, da ging sie ein und aus,
Da wohnte still sie im Gemache.
»Hört, Mann – doch wie seid Ihr genannt?«
Sprach Edzard. »Freek, Herr, Euch zu dienen!«
Edzard betrachtet' ihn gespannt,
Als läs' er in des Alten Mienen,
Und sprach: »Ihr habt mich herbugsirt;
Freek, wollt Ihr Euch dazu bequemen,
So geht hinauf und visitirt,
Ob sie bereit, mich anzunehmen.«
»Der Name, Herr?« – »Deß braucht es nicht,
Sagt nur, ein Freund aus alten Zeiten
Wär' endlich wieder mal in Sicht,
Um ihre Schwelle zu beschreiten.«
Der Alte ging hinein ins Haus,
Edzard stand wartend wie auf Kohlen;
Der Alte wieder kam heraus:
»Klar Schiff! ich hab' Euch ihr empfohlen.
Halt, Herr! die Frau ist tugendhaft!
Ich bin ein altes Wrack geworden,
Doch hab' ich immer noch die Kraft
Und auch den Willen, den zu morden,
Der ihr zu nahe tritt, und hier
Treu wie ein Hund halt' ich die Wache,
Ein Ruf, ein leiser Wink von ihr,
Und oben bin ich auch zur Rache!«
Edzard ergriff des Alten Hand
Und drückte sie ihm fest und bieder:
»Ich dank' Euch! und daß ich Euch fand,
Ein Glück war's; – Freek, wir sehn uns wieder!«
    Er klopfte leis an Ingborgs Thür,
Viel lauter klopft' es ihm hier innen,
Die Thür ging auf, sie trat herfür, –
Starr stand sie mit verwirrten Sinnen.
Er öffnete die Arme weit, –
»Ingborg!!« mehr wußt' er nicht zu sagen,
Sie sank hinein wie todbereit,
Er mußte halten sie und tragen.
Sie hing an ihm fast unbewußt,
Nicht fähig, nur ein Wort zu sprechen,
Als wollte hier an seiner Brust
Ihr Herz vor Glück und Wonne brechen.
Dann kam sie zu sich, sacht aufgericht't
Sah strahlend sie ihm ins Angesicht,
Und überströmend im heißen Umfangen
Rollten die Thränen ihr über die Wangen.
Er drückt und schmiegt mit Liebesgewalt
An sich die herrliche, hohe Gestalt.
»Ingeborg!« flüstert er auf sie ein,
»Nun hab' ich Dich endlich, nun bist Du mein,
Nun darf ich Dir meine Liebe gestehen,
Wir brauchen nicht mehr von einander zu gehen.«
Da läßt sie ihn aus umstrickender Haft
Und faltet die Hände mit brünftiger Kraft
Und preßt sie sich an den zuckenden Mund
Und schluchzt und jubelt aus Herzensgrund:
»Edzard! mein Edzard! ist es denn wahr?
Ich habe gewartet so manches Jahr,
Die Tage zu Wochen, zu Monden gedehnt,
Hab' ich nach Dir mich gebangt und gesehnt,
Ich liebte schon lange, schon immer nur Dich
Und hoffte und dachte, Du liebtest auch mich.
Du schiedest von mir und wandtest Dich fort
Und sprachest auch da nicht das einzige Wort,
Doch sahst Du mich an mit des Herzens Gelüst,
Als hättest Du mich mit den Augen geküßt.«
Er faßt sie und jauchzt in Trunkenheit:
»Wir holen es nach, noch ist es ja Zeit;
Wir sind noch jung, und all dazu
Wie schön, Ingborg, wie schön bist Du!
Das ist das lockige, goldne Haar
An Stirn und Nacken, und dies, so klar,
Die lieben, blauen Augensterne,
Die mich begleiteten in die Ferne.
So gieb ihn denn her, den rosigen Mund,
Zum weltvergessenden, seligen Bund!«
Sie wehrt ihn ab, wird bleich, wird roth
In Herzenslust und Herzensnoth.
Dann legt sie die Hände vor's Angesicht,
Eh' sie mit bebender Lippe spricht:
»Ich fürchte mich vor dem ersten Kuß,
Weil ich dann immer Dich küssen muß;
Ist erst im Busen der Durst erwacht,
Wie willst Du ihn stillen? keine Macht
In Himmel und Erde hält uns zurück, –
Wir stürzen hinein ins sündige Glück.«
Er aber, als folgt' er fremdem Gebot,
Ruft: »Du bist frei! van Straten ist todt!«
Es fuhr ihm heraus, er wußte nicht wie,
Aber ihm wankten und schwankten die Knie.
Als drehte sich alles ihr in der Runde,
Steht Ingeborg da bei dieser Kunde,
Betäubt wie von des Blitzes Strahl,
Wenn Donner erschüttert Berg und Thal.
Edzard zieht schnell hervor den Ring,
Der an der Schnur um den Hals ihm hing,
Und hält ihn ihr hin und zeigt ihr den Schein:
»Da, lies es selber! Du bist mein!
Hier steht's als Vollmacht und Verschreib:
›Herrn Edzard Truelsen gehört mein Weib.‹
Darunter sein Name von fiebernder Hand,
Früd Buncken als Zeuge sich bei ihm befand.
Die Beiden waren beim Sterben allein,
Der Eine begrub des andern Gebein.«

Ingborg, auf einen Stuhl gesunken,
Hält in der Hand van Stratens Schein,
Ihr vor den Augen schwirren Funken,
Zu mächtig stürmt es auf sie ein.
Frei war sie, wie erlöst von Lasten,
Von allem frei, was ihr gedroht,
Sie schimpflich wieder anzutasten,
Doch der Befreier war der Tod.
Er nahm ihr ab den wüsten Gatten, –
Darf's Freude sein, was sie belebt?
Ihr grauet noch vor seinem Schatten,
Daß er durch ihre Träume schwebt.
Und dennoch lag's wie Frühlingsmorgen,
Wie Sonnenaufgang vor ihr da,
Wenn sie, an Edzards Brust geborgen,
Der Zukunft jetzt entgegensah.
Die Stirn gesenkt, begann sie leise:
»Ich mag nicht fragen, wie er starb,
Der mir verstört des Lebens Kreise
Und mir mein höchstes Glück verdarb,
Und wie er dazu kam zuletzt,
Daß er zum Erben Dich eingesetzt.«
»Wozu auch? jetzt bist Du die Meine,«
Stimmt' Edzard der Geliebten zu;
Sie aber in des Herzens Reine
Sprach mit entsagungsvoller Ruh':
»Ich kann nicht weinen, kann nicht trauern,
Doch ist es meine Wittwenpflicht,
Ein stilles Jahr zu überdauern,
Eh' Dir mein Mund das Jawort spricht.«
»Du hast nicht Grund zu Schmerz und Klage,«
Erwiedert' er, »bedenk' in Huld
Der langen Trennung Pein und Plage
Und des Verlangens Ungeduld!
Wir lassen fern von hier uns nieder,
Doch ohne Zaudern werde mein!
Und niemals kehren wir dann wieder
Hierher zurück, – Ingborg, schlag' ein!«
Sie schüttelte das Haupt: »Die Sitte
Gebeut, daß Du geduldig bist;
Mach' mir das Herz mit Deiner Bitte
Nicht schwerer noch, als es schon ist!«
    »Ist Sitte stärker oder Liebe?
Und ist nicht heilig, was uns eint?
Wer fragt im großen Weltgetriebe,
Wo uns des Glückes Sonne scheint?«
    »Kein Pfarrer wird die Wittwe trauen,
Die eben erst den Mann verlor;
Laß erst das Eis des Winters thauen,
Dann blüh' auch unser Lenz empor.«
    »So laß den strengen Pfarrer warten,
Den frohen Liebsten aber nicht,
Der hofft und harrt, daß er im Garten
Die langbegehrte Rose bricht!«
Ihr schwoll das Herz, mit heißen Wangen
Sah zitternd sie zu ihm empor,
Er neigte sich zur Freudebangen
Und flüstert' ihr bewegt ins Ohr:
»Ingborg, wie willst Du das versagen,
Was sehnend Dich erfüllt und mich?
Glücklich zu sein, – laß es uns wagen!
Ingborg, Ingborg, ich liebe Dich!«
Auf sprang sie, rasch ihn zu umschlingen:
»So bin ich Dein mit Seel' und Leib,
Und Liebe soll um Liebe ringen,
Nimm hin Dein überselig Weib!«
In einem langen, langen Kusse,
Durchschauernd sie, durchglühend ihn,
Stehn sie in Liebesüberflusse
Und lassen Seel' in Seele ziehn.
Wie sie an seiner Schulter lehnte,
Geschloss'nen Auges, wie berauscht,
Daß der von Jugend auf Ersehnte
Dem Wehen ihres Athems lauscht,
Da fühlte sie sich tief erbeben
Vom Wirbel bis zur Zeh' hinab,
War's doch ihr erster Kuß im Leben,
Den liebend einem Mann sie gab.
»O Du mein Wunsch und mein Gedanke,«
Sprach sie, »der täglich mich beschlich!
Ich klammere gleich einer Ranke
Mit tausend Fasern mich an Dich.
Ich kann's nicht greifen, kann's nicht fassen,
Daß Du nun doch noch endlich mein;
Niemals, niemals von Dir zu lassen,
Das schwör' ich Dir ins Herz hinein!«
An seiner Brust fühlt er in Wonnen
Der Liebsten Busen süß und warm,
Er küßt und küßt sie, und umsponnen
Hält er sie fest in seinem Arm.
Nicht Worte haben mehr zu sagen
Die Zwei, die wie im Taumel stehn,
In Wogen, die zusammenschlagen,
Woll'n sie versinken und vergehn.
Ingborg, mit tief erregten Sinnen,
Erschrickt und spricht verschämt und zag:
»Mein Herzensmensch, o geh' von hinnen
Und – komme wieder jeden Tag!
Bis Du für uns ein Nest gefunden,
Ist Deine Heimat dieses Haus.«
Damit hat sie sich ihm entwunden
Und drängt ihn schnell zur Thür hinaus.
Dann brach, als sie allein im Zimmer,
Es jubelnd aus der Seele Grund,
Bei feuchter Augen Glanz und Schimmer
Sang sie mit liederfrohem Mund:

Ich hab' gesehnt mich und gebangt
Nach Einem manches Jahr,
Nach ihm nur hat mich heiß verlangt
Im Stillen immerdar.
Ich sah ihn kommen, sah ihn scheiden,
Er merkte nichts von meinen Leiden,
Er ging und sprach kein Wort,
Mein Herz nahm er mit fort.

Die Hoffnung doch verließ mich nicht,
Hielt aus in Zeit und Raum
Und zeigte mir sein Angesicht
Im Wachen und im Traum.
Sie raunte in des Windes Wehen,
Sie rauschte in der Wogen Gehen:
Schließ in Dein Herz ihn ein,
Er wird, er wird noch Dein!

Er kam, und ach! ein rascher Blick,
Ein Fassen und Umfahn
Da waren sein und mein Geschick
In eines auch gethan.
Wie nun es hehlen, wie es tragen?
Der ganzen Welt möcht' ich es sagen:
Der, den ich lieb' allein,
Ist ewig, ewig mein!

Freek stand noch immer unten Wache,
Ob man ihn nicht noch brauchte hier.
»Nun? gut gehütet, alter Drache,
Habt Ihr den Schatz; das lob' ich mir!«
Lacht' Edzard, als er wiederkehrte,
»Jetzt kommt Ihr mit auf meine Bark!
Wer mich den Weg zu der da lehrte,
Ist Lohnes werth, und fein und stark
Hab' ich an Bord in der Kajüte,
Mir aus Bahia mitgebracht,
Madeira von besondrer Güte.
Den woll'n wir beide mit Bedacht
Aufs Wohl der lieben Frau dort oben,
Daß ihr noch Glück beschieden sei,
Anklingend Glas an Glas erproben;
Na, Freek, nicht wahr? Ihr seid dabei?«
Erst schwankte Freek, die Stirne runzelnd,
Mißtrauisch zwischen Ja und Nein,
Und – »Herr Kaptän,« sprach er dann schmunzelnd,
»Soll mir 'ne große Ehre sein!«


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