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Dostal hatte den Pastor, der unbändig schrie, in den leeren Pflanzenkeller schaffen lassen unter seinem Kontorl. Mochte er dort zwischen zwei Pferdedecken seinen »Schwammer« ausschlafen. Er selbst zog sich mit Stephens ins Kontorl zurück mit dem schmalen Fenster, von dem aus man die Villa übersah.

Die Villa war noch erleuchtet, und vor dem Haus ratterte das Sachersche Auto, in dessen Speisekasten die Kellner die leeren Schüsseln und Flaschen zurücktrugen. Ab und zu wurde ein Fenster aufgerissen, und die stämmige Gestalt der Döblinger oder Bobs lustiges, rundes Gesicht wurde sichtbar.

Stephens saß in einem alten Schaukelstuhl, wippte ärgerlich mit dem übergeschlagenen Bein und zermalmte ein Stück Gummi zwischen seinen breiten Zähnen. Dostal stopfte seine Pfeife und schüttelte bekümmert den Kopf.

»Da kannst es sehen, Geiringer,« mit dem Namen, auf den Stephens' Geburtsschein ursprünglich gelautet hatte, nannte er ihn, nie anders, wenn sie allein waren, »so noblige Heiraten – da gibt's am Schluß immer anen großen Pallawatsch!«

»Ist noch die Frage, old fellow, wer von der Wanda oder dem Tom macht die noblere Heirat! Hast du gesehen die geschlossene Krone auf Wandas Schleier? Die wird sie vielleicht bei uns drüben in Amerika in Kingsland tragen so groß! Und zu meine Enkel wird man sagen: Königliche Hoheit! It's very possible

Manchmal empfand Stephens das unabweisbare Bedürfnis, vor dem Jugendfreund zu renommieren. Ein gar zu kleiner Mann war der Dostal geblieben und gar zu mißtrauisch geworden. Dostal verzog die Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln.

»Weißt du's g'wiß, Geiringer? Hab amal was g'hört von anem Konditorbuben, der sich hat als Kaiser der Sahara aufg'spielt. Den haben's dann nach vielen Jahren ins Irrenhaus g'sperrt. Hat alle seine Millionen in das Vergnügen reing'steckt, sich Majestät anreden zu lassen.«

Stephens' Auge flammte entrüstet auf.

»Das ist was anderes. Bei dem war es Eitelkeit. Der Tom aber, dem kommt's auf die Menschen an, denen er hilft, die nicht kaputt gehen sollen – verstehst du, Dostal? Und darauf, daß seine Kraft Nutzen bringt, nicht bloß money. Wenn er nicht mein Sohn wäre, ich würde sagen, er ist eine große Mann. Und von der Wanda sag' ich: sie ist eine große Lady. Nicht weil sie eine Prinzessin ist – aber weil sie Mut hat. Moralischen Mut, verstehst du? Wie sie damals zum Tom in die Garderobe gekommen ist, um ihn zu warnen, und wie sie dann hat seinen Antrag angenommen ...«

»Schon, schon, Geiringer ... Du nennst's Mut. I sag' ... verliebt is wia a Katz. Aber zu was er sie nimmt, wann er's nit gern hat – –«

Stephens kaute hastig und zornig. »Das verstehst du nicht, Dostal, das ist Politik. Dafür hast du keine Gefühl.«

Dostal fuhr sich mit der knorrigen Hand über das wie immer gegen Abend stoppelige Gesicht. »G'fühl! Damit darfst mir nit kommen, Geiringer. G'fühl is an Unsinn ...«

»Immer war es auch für dich kein Unsinn. Hast doch für das Weib ... die ...«

Stephens würgte an dem Namen und brachte ihn dann doch nicht über die Lippen.

»Weiß schon,« fiel Dostal ein, »die Loisel ... die Mutter vom Thomas ... Geh, Geiringer, laß die alten G'schichten. Aber wenn schon die Red' drauf kommen is – dann will ich dir was sagen: an nichtsnutziges, junges Weib hat immer leichtes Spiel mit zwei arme Teufel. Und wann einer nit weiß, wohin mit all seiner Kraft, und der andere nix tut den ganzen Tag als Särge hobeln in anem Kellerloch – nachher möcht' ich das Weib sehen, das nit den einen gegen den anderen ausspielen tät ... Daß uns durch sie der Gusto vergangen is am Weib – ja, mein Gott, das is ka Malheur. An Malheur is nur, daß du's gar so tragisch g'nommen hast.«

Stephens fuhr sich mit der Hand zwischen Hals und Kragen, » Well – ich hab an nix mehr denken wollen aus jene Zeit und nur den Jungen gehütet vor den Weibern. Und bin zufrieden, daß seine Frau ist eine große Lady, keine solche, die einen Mann zugrunde richtet. Und wenn ich gekommen bin nach Wien – so ist es auch, weil ich meine Revanche haben wollte. Denn wenn dem Tom seine Mutter in Wien gewesen wäre – oh, ich hätte seit viele Jahre das erste große Vergnügen gehabt, indem sie hätte erfahren, was für eine große Mann geworden ist ihr Sohn. Und sie sich doch nicht hätte dürfen zeigen – aus Angst vor mir ...«

Der alte wilde, leidenschaftliche Haß zitterte in Stephens' Stimme, als er hinzufügte: »Darum hab' ich ihr damals weggenommen den Jungen, der heute hat eine Prinzessin zur Frau!«

Dostal warf einen kurzen, lauernden Seitenblick auf den Freund seiner jungen Tage: »War doch an Mädel da – warum hast's nit auch genommen? Wär' ein Aufwaschen gewesen und hätt' drüben in Amerika leicht einen Vanderbilt heiraten können – auch nit schlecht!«

Stephens blickte finster und spuckte den Gummi in großem Bogen in eine Ecke. »Der Junge war mein. Mein Fleisch und Blut. Da hätt' ich können leisten eine Schwur. Das Mädel ...?«

»Bist an Tepp, Geiringer.«

Dichte blaue Rauchwolken verbargen Dostals Gesicht. Sie hörten auf zu reden und starrten beide in das Licht der kleinen Petroleumlampe, die auf dem Pult stand. Und das gelbe, trübe Licht gaukelte ihnen Bilder aus einer gemeinsamen Vergangenheit vor.

Von unten herauf schallte die trunkene Stimme des Pastors: »Verlassen ... verlassen ... verlassen bin i ...«

Stephens zog finster die buschigen Brauen zusammen. Lauschte. Schüttelte den mächtigen Schädel.

»Du, Dostal ...«

»Was schaffst, Mister Geiringer?«

»Diese Pastor ... bei welche Kirche ist er angestellt ... he?«

Dostal lächelte freundlich.

»I glaub', der war amal in Linz, oder ...«

Stephens stand plötzlich auf den Füßen. Seine Riesenpranke schlug steinschwer auf den abgewetzten Kragen des Dostalschen Bratenrocks.

»Ich frage, wo er jetzt ist ... jetzt. Wo er war, geht mich nix an ... Du ... ich frag' dich ...«

Dostal verzog das Gesicht und riß seinen hageren Oberkörper zurück.

»Du, Geiringer, ich bin kan Athlet nit wie du ... könntest leicht Totschläger werden, wann du so zupackst. Laß die Spassettln, hörst?«

Stephens blies hörbar den Atem durch die Nase und trat zurück.

»Also jetzt – one, two, three ... ich liebe nicht zu tappen im Dunkeln. Was ist mit deinem Standesbeamten – was ist mit dem Pastor?«

Dostal tat einen tiefen Zug aus seiner Pfeife und zuckte gleichmütig die Achseln. »Wannst gar so heiklich bist – nachher hätt'st früher fragen sollen. Oder hast am End' geglaubt, mit die Papiere, die du eing'schickt hast – du kriegst den Bürgermeister von Wien als Standesbeamten und den Erzbischof, oder wie der bei euch Lutherischen heißt, als Geistlichen? Da hast dich geirrt, mein Lieber. Mußt nehmen, was du kriegst. Bist heut nit der einzige, der's billiger geben muß!«

Damned lot!« fluchte Stephens und wurde kreidebleich. »Wie hast du wagen können die Gemeinheit, wo du hast gewußt, was meine Schwiegertochter ist für eine große Lady?«

»Schon, schon, Geiringer. Aber an jeder is vor allem das, was er zu sein glaubt. Auf ihren Titel pfeift's. Frau von King will's sein. Der Glaube macht selig.«

Stephens fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn. »Weißt du, Dostal, was ich jetzt glaube? Daß du eine noch viel größere Spitzbub geworden bist, als ich es je war!«

Dostal lachte diesmal lautlos. »Leicht möglich ... leicht möglich.«

»Wie der Stoan auf der Straßen,« grölte es von unten herauf.

An der Gartenpforte läutete es.

»Ah, da schau – a Depeschen ... so spät – –?«

Stephens wollte hinausstürzen. Dostal hielt ihn gutmütig zurück.

»Laß doch, Geiringer ... die Döblinger nimmt's schon ab ... Mir zwei wollen lieber an Weinderl trinken ... ein gepaschtes, weißt, aus Ungarn, das seine zehn Jahr alt ist ... War ja – unter uns – mistiges Zeug, was der Sacher uns g'schickt hat. Jetzt sollst was derleben – trinkst das ganze Flaschel aus und bist klarer im Kopf als wie vorher.«

Stephens hätte gern geantwortet, daß ihm augenblicklich ein Rausch lieber wäre als ein klarer Kopf. Aber er fühlte sich plötzlich wie zerschlagen. Müde und alt. Und nicht zum ersten Male. Die Wanda Hoheneck hatte er nicht betrügen wollen – die nicht. Es war eine Schufterei. Und ein Unglück, wenn sie's erfuhr. Dem Jungen mußte er's wohl sagen. Nicht heute und nicht morgen. War es dann noch gutzumachen? In Kingstown vielleicht oder ...?

»Alsdann ...«

Dostal hob sein Glas und warf abermals einen Blick durchs Fenster. Jetzt brannte das Licht nur noch im Schlafzimmer.

»Auf die Neuvermählten, Geiringer, und auf zahlreiche Nachkommenschaft. So an Mordskerl wie der Thomas. Und so a G'scheite, Vornehme wie die Wanda ... das muß a G'misch geben ... Kruzitürken ... oha! ...«

Die Gläser klangen aneinander.

Da rüttelte jemand an der äußeren Türklinke.

» No ... no ...«

»Laßt mich herein ...«

Es war Tom King. Stephens öffnete, brüllte los:

» What are you doing here? Are you mad

»Nein, verrückt bin ich nicht ... durstig. Ich sah Licht hier ... da kam ich herüber ... gebt mir was zu trinken.«

Dostal holte ein drittes Glas aus dem Pultschrank. »Hast ka Kurasch nit, Thomas? Was? Ja, sixt es, eine Prinzessin ... das is halt a heikle G'schicht – –«

Tom King schien nichts zu hören. Langsam, gierig ließ er den Wein durch seine Kehle rinnen.

»Von wem die Telegramm?« fragte Stephens kurz.

»Von Michael.«

»Inhalt?«

»Nichts Wichtiges ... old man ...«

»Zeig' her,« wiederholte Stephens und stampfte auf.

»Ka Madel mag mi ... i ...« Zum Steinerweichen klang es. Und so falsch!

Tom King setzte das Glas ab.

»Wer singt da? Wer ist das ...?« Er war sehr bleich, und seine sonst so ruhigen Augen flackerten.

»Wer soll's sein – der alte Herr, der Pastor! Ist dein Wein nit g'wöhnt, der arme Hascher. Wann der bei Nacht – draußen so singen tät – –«

»Ich bring' ihn nach Hause ... wo wohnt er?«

»Unsinn, Tom ...«

Stephens rüttelte ihn, wie um ihn aufzuwecken.

»Deine Frau wartet auf dich, Tom.«

Wenn die zwei alten Männer ihn nicht zufrieden ließen – er klatschte sie an die Wand, schlug sie tot. Das Blut tobte in seinen Adern. Er beneidete den alten Mann unten, der drauflos brüllte. Auch er hätte brüllen mögen ... laut brüllen ... Bäume hätte er ausreißen mögen – Laternenpfähle ... alles kurz und klein schlagen um sich – nur um müde zu werden – schlaff ... um den wilden Schmerz zu betäuben, der ihn angefallen hatte wie ein reißendes Tier, als er Michaels Glückwunsch und Botschaft gelesen:

»Ria Roma gestern früh eingetroffen. Sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen. Mußte heute eine Wache von zehn bewaffneten Negern vor ihrem Hause aufstellen und den Wagen bei der ersten Ausfahrt, die ich mit ihr machte, begleiten lassen, um sie vor Belästigungen zu schützen. Der Mangel an Weiblichkeit hier wird zur Gefahr. Heute zu Ehren Eurer Vermählung Festakt im Bürgerhaus. Ria Roma, als Ehrengast in unserer Loge, skizzierte Versammlung für Deckenreliefs und wurde am Ausgang mit Zurufen und Blumen überschüttet. Wir erwarteten eine Künstlerin – Du sandtest eine Königin. Sie erwartete Mäzene und findet Vasallen. Hättest Du sie als Deine Frau gebracht – Du hättest eine Revolution entfesselt, die Raserei der Besitzlosen. Deine Heirat ist Bürgschaft für Kingslands Entwicklung und Gedeihen. Komme her mit einem Sohn, und Du schenkst Kingstown eine Zukunft. Michael.«

Ria Roma ... Ria Roma ...

Als kreiste mit ihrem Namen zugleich ihr Blut in seinen Adern. Ria Roma ... Ria Roma ...

Und er floh aus dem Zimmer, floh aus dem Hause ... floh zu Menschen, die er hinter den erleuchteten Fenstern suchte. Fand nur zwei alte Männer, die in greisenhafter Ohnmacht längst Durchlebtes wie ein blasses Schattenspiel noch einmal an sich vorüberziehen ließen.

Dort unten aber schrie einer. Brüllte. Zu dem mußte er hin. Und er entwand sich der Hand des Vaters. Ließ die Taschenlaterne aufblitzen und lief hinunter in den Keller.

»Ruhig ... still ... nach Hause mit Ihnen ...«

Er warf den Mann wie einen Sack über seine Schultern. Der Mann war nicht leicht, und schwerer noch, als er war, durch das heftige Sträuben.

»Jetzt bringe ich Sie nach Hause, hören Sie?«

Er stand mit seiner Last auf der Straße.

»Rechts – links?«

»Rechts ...«

Und an der nächsten Biegung: »Wohin jetzt?«

»L... links. Lassen Sie mich runter.«

»Sie sollen sich festhalten. Sie fliegen sonst in den Straßengraben ... So ... Machen Sie sich nur recht schwer ... noch schwerer ... für mich sind Sie leicht ... Wie eine Feder ... so leicht. Laufen kann ich mit Ihnen ... rechts – links?«

»Links ...«

Tom King lachte. Es klang unheimlich in der stillen, engen Gasse.

»O, du mein Gott,« lallte der alte Mann.

»Lassen Sie Gott aus dem Spiel. Der hätte jetzt keine Freude an Ihnen, Pastor ...«

»Bin kein Pastor mehr ... Sie ... Herr ... bin keiner ...«

Wieder lachte Tom King. »Will's glauben.«

»Bin kein Pastor ... i sag's Ihna doch ... Lassen's mi runter.«

Unerbittlich schritt Tom King weiter. Da spürte er ein verzweifeltes Trommeln auf seinem Kopf.

»Da bin i z'Haus ... Sie ... Ja ... hier ...«

Im spärlichen Lichtschein einer weitab flimmernden Straßenlaterne, am Ausgang der Stadt, stand ein kleines Haus mit einer Bank davor.

»Meinetwegen.«

Tom King ließ den Mann von seinen Schultern herabgleiten. Der Wind wirbelte die weißen Haare wild um das ehrwürdige Gesicht.

»Sind's denn lauter Teufeln bei Ihnen?«

Tom King atmete tief auf und streckte beide Arme in den Wind hinein. War doch ein verdammter Weg gewesen, mit dem zitternden, strampelnden Herrn auf dem Buckel.

» Old fool!« murmelte er, zuckte die Achseln und schlug den Rückweg ein. Er mußte lange hin und her kreuzen, bis er die kleine Villa erreichte. Der Regen goß in Strömen, und es war kein trockener Faden an ihm.

Am Nachmittag des nächsten Tages fuhren Mister und Mistreß King auf den Semmering, wo Dostal ihnen ein »wunderliebes« kleines Jagdhäuserl besorgt hatte – »wie g'schaffen« für ein Hochzeitspärchen. Er hatte immer so »Gelegenheiten«, der Dostal.

* * *


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