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Achtes Kapitel. Ein schwer wiegendes Hochzeitsgeschenk.

Im Sprüchwort wie im Glauben des Volkes heißt es, weder ein Glück noch ein Unglück pflege sich vereinzelt einzustellen, das eine, wie das andere habe jederzeit Begleiter. Dieser Glaube sollte sich jetzt in der Familie Ammer auf's Neue bewahrheiten. Wenige Tage vor dem Hochzeitsfeste traf ein Brief aus Wien ein, welcher den Brüdern die frohe Mittheilung brachte, daß sie das seltene Glück gehabt, zu gleicher Zeit in der letzten Lottoziehung eine Ambe und eine Terne zu gewinnen.

Beide Brüder waren über diese Botschaft erfreut, gaben sich aber gegenseitig das Wort, nichts davon verlauten zu lassen. Das Spielen im Lotto war neuerdings abermals bei strenger Ahndung verboten worden, und man durfte kaum erwarten, daß die bürgerliche Stellung eines dagegen Handelnden diesen vor der angedrohten Strafe schützen werde, sobald man ihn überführen könne, daß er wirklich gespielt habe.

Aus diesem Grunde beschlossen die Brüder, die erhaltene Nachricht sowohl vor ihren zahlreichen Arbeitern und Untergebenen, wie ganz besonders auch vor dem Vater geheim zu halten. Zobelmeier in Wien ward unverweilt von diesem Beschlusse benachrichtigt und zugleich angehalten, den sehr bedeutenden Betrag auf die Waaren zu schlagen, damit es aussehe, als sei das einzusendende Geld nicht gewonnen, sondern verdient.

Christlieb, welcher seit der gemachten Entdeckung besonders bedenklich geworden war, und eine gewisse Unsicherheit in Allem, was er unternahm, schwer verbergen konnte, glaubte sich und den Bruder auch durch diese Vorsichtsmaßregel noch nicht hinlänglich geschützt. Er fürchtete beinahe das Eintreffen des Geldes, das, wie wir wissen, freilich nicht sowohl erspielt, als auf unredliche Weise mit Hilfe Anderer künstlich erschlichen war. Er nahm deßhalb Fürchtegott bei Seite und sagte zu ihm:

Ich hab' es mir gelobt, nie wieder das Glück zu versuchen, sobald es mir einmal gelächelt haben würde. Ich will und werde von jetzt an nie wieder spielen. Deinen Versicherungen zufolge haben wir etwas wirklich unser Geschäft Gefährdendes nicht zu befürchten. Laß uns nun vorsichtig sein und uns nicht abermals durch glänzende Vorspiegelungen Anderer zu gewagten Speculationen verleiten lassen! Diesen Gewinn wünsche ich nicht in unserm Geschäft zu verwenden. Eine geheime Angst warnt mich davor. Mich dünkt, es kann uns nur Segen bringen, wenn er das Eigenthum eines Schuldlosen wird. Ich mache deßhalb deiner Braut damit ein Geschenk.

Fürchtegott wollte anfangs nicht darauf eingehen, der Bruder drang aber so lange mit Bitten und Vorstellungen in ihn, bis er seine Zustimmung gab.

Sieh, lieber Bruder, sagte Christlieb, es ist so viel besser. Erdmuthe besitzt kein eigenes Vermögen. Willst du nun nicht, daß ich als Schwager ihr ein so ansehnliches Geschenk mache, so kannst du es ihr ja nach Landessitte als Morgengabe einhändigen. Mich dünkt, daran wird weder Erdmuthe noch selbst der Vater Anstoß nehmen. Sie erhält dadurch ein von dem Unsrigen völlig getrenntes Vermögen, das ihr stets verbleibt, auch falls wir vom Unglück verfolgt werden sollten, was Gott verhüten möge. Die Morgengabe ist unantastbar und so ist die Zukunft deiner Frau in jeder Weise gesichert.

Fürchtegott leuchtete dies ein, und so ging denn der nicht eben allzu rechtliche Gewinn an Erdmuthe über, noch ehe er in die Hände der beiden Brüder gelangte, oder die damit Beschenkte etwas davon erfuhr.

Ammer's Wohnung war mittlerweile der Schauplatz rastloser Thätigkeit gewesen. Vieles darin mußte umgestaltet werden. Man war nicht darauf eingerichtet, ein solches Heer von Gästen zu bewirthen, wie es diesmal sich einfinden sollte. Das gewöhnliche Wohnzimmer konnte die Geladenen nicht fassen, selbst wenn jegliches Möbel daraus entfernt und das Cabinet noch dazu genommen ward. In dieser Noth faßte der alte Ammer einen kühnen Entschluß. Ueber dem Färbe- und Mangelhause befand sich das Lager. Dieser Raum, dem freilich aller Schmuck fehlte, konnte leicht an hundert Personen beherbergen. Mehrere ziemlich große Fenster erhellten ihn, neue glatt gehobelte Dielen machten ihn sogar geeignet zum Tanzboden.

Hier soll die Hochzeit gefeiert werden, entschied der Weber, und traf sofort Anstalten, um den etwas wüst aussehenden Raum einigermaßen wohnlich einrichten zu lassen. Zimmerleute und Tischler mußten in größter Eile das etwa Fehlende ergänzen, selbst einen Tapezier berief man, um seinen Rath und seine Vorschläge zu hören. Die schlecht gekalkten Wände, ebenso die aus blanken Brettern bestehende Decke wurden nun von den geschickten Händen der Arbeitsleute mit leichten Stoffen faltig überkleidet, so daß die geräumige Halle am Tage vor dem wichtigen Feste einen ganz feenhaften Anblick gewährte und Ammer großes Vergnügen machte. Man schmückte nun noch Fenster und Thüren mit Guirlanden, brachte einige Kronleuchter an und ersetzte die schmale und steile Treppe, welche in diesen improvisirten Saal geleitete, durch eine in aller Schnelligkeit gezimmerte neue breitere. Vor der Hauptthür des Hauses, nach der Gasse zu, ward eine Ehrenpforte errichtet, an der eine Menge Lampen mit bunt gefärbtem Wasser befestigt wurden, um dieselbe Abends zu illuminiren. Diese Ehrenpforte, auf deren Gipfel die Namenschiffern Fürchtegott's und Erdmuthe's, von aufknospenden Blümchen künstlich gearbeitet, prangten, war ein ganz besonderer Gegenstand der Neugierde für Alle, welche an Ammer's Hause vorübergingen.

Dem schwesterlichen Zureden Flora's war es gelungen, Erdmuthe zur Ablegung ihrer herrnhutischen Tracht am Trauungstage zu bewegen. Es leuchtete der verständigen, in ihren Urtheilen milden und billigen jungen Frau ein, daß Fürchtegott ein Recht habe, eine etwas weltlichere Tracht an diesem Tage von ihr zu verlangen. Ebenso machte sie keine Einwendungen, als ihr Bräutigam sie zu der harrenden eleganten Equipage geleitete, die das Brautpaar der etwas ferneren Kirche zuführen sollte. Sämmtliche Hochzeitsgäste folgten in Wagen von gar verschiedener Form und zweifelhaftem Werthe.

Von den geladenen Gästen waren alle bis auf einen einzigen pünktlich eingetroffen. Advocat Block ließ sich entschuldigen, wie er sich ausdrückte, um nicht aus seiner Ruhe zu kommen. Seit er nämlich seine Praxis aufgegeben und den unklug begonnenen Proceß verloren hatte, lebte er völlig zurückgezogen in der Nähe der Residenz, wo nur ein paar Jugend- und Studiengenossen von Zeit zu Zeit zu ihm kamen. Der starre Rechtsanwalt versprach aber später das junge Ehepaar zu besuchen, denn er sei, hieß es in dem an Ammer gerichteten Schreiben über die Maßen neugierig, wie eine ehrbare Frau, die einige Jahre als Heidenbekehrerin den Herrn Pastoren in's Handwerk gepfuscht habe, eigentlich aussehe. Uebrigens wünschte er der ganzen Familie Ammer vieles Glück und unterließ nicht, am Schlusse anzudeuten, daß er doch mitgeholfen habe, den Grundstein des Glückes zu legen und zu befestigen.

Bei Tafel war die zahlreiche Tischgesellschaft sehr heiter. Walter hatte es sich angelegen sein lassen, die Winke Flora's und ihres Vaters genau zu beachten, und diesem zufolge Persönlichkeiten neben einander zu setzen, die sich entweder gern sahen, oder, weil sie leicht in lebhaften Disput geriethen, wesentlich zur Unterhaltung einer gemischten Gesellschaft beitrugen.

Da sah man den regierenden Bürgermeister neben Graf Alban; ein paar nichts weniger als fromme Senatoren hatten Herrn Wimmer in die Mitte genommen, der sich von dieser Umgebung zwar geehrt, nicht aber recht behaglich in ihr fühlte, weil er doch genöthigt war, die schillernde Schlangenhaut seiner stets zur Schau getragenen Frömmigkeit treulich beizubehalten. Indeß verstand er es, sich mit vieler Klugheit zu benehmen, ja, er hatte sogar die Befriedigung, seine Nachbarn einige Male, namentlich gegen Ende der Tafel, durch ein paar sanft aufgeworfene Fragen ein wenig in Verlegenheit zu setzen.

Auf der anderen Seite, links vom Brautpaar, ging es besonders lebhaft zu. Dort geriethen der Oberförster, dem seine grüne, reich mit Gold gestickte Jägeruniform gar stattlich zu Gesichte stand, der lateinische Gärtner Justus, der Kaufmann Mirus und Candidat Still in einen so ergötzlichen Streit über das wahre Wesen der Kriegslist, daß sie die ganze übrige Gesellschaft darüber vergaßen. Anfangs lauschten nur Einzelne auf das immer lebhaftere Gespräch, bald aber schwiegen außer den Genannten alle übrigen Tischgäste völlig und der Moment, wo das Verstummen Aller von den laut Disputirenden plötzlich entdeckt wurde, war so höchst komisch, daß ein wahrhaft homerisches Gelächter Alle zugleich ergriff. Selbst Erdmuthe ward davon angesteckt und ließ gegen Fürchtegott die Aeußerung fallen, sie hätte nicht geglaubt, daß weltliche Freuden und erlaubte Genüsse wirklich so erheitender Natur sein könnten.

Fürchtegott zeigte sich viel ernster, als man ihn zusehen gewohnt war. Dies fiel jedoch Niemand auf, da Jedermann begreiflich fand, daß die Erreichung eines so herrlichen Zieles, nach dem er Jahre lang gestrebt, ihn wohl still und in sich gekehrt machen könne. Dagegen war Christlieb fast ausgelassen lustig.

Die ungewöhnlich lang dauernden Tafelfreuden wurden immer geräuschvoller, da besonders die bejahrteren Herren sich nicht sehr nöthigen ließen, dem wohlversorgten Weinkeller des reichen Webers zuzusprechen. Diese nach Verlauf einiger Stunden sich rasch steigernde Lebendigkeit im Gespräch und Gebehrdenspiel beunruhigte Erdmuthe. Sie erlaubte sich, ihren Schwiegervater einige Male ernst und bittend anzublicken und dadurch ein baldiges Aufheben der Tafel zu veranlassen.

Noch war es nicht spät am Tage. Die Sonne schimmerte in mattem Glanze durch weich flockiges Gewölk, ein warmer West spielte mit Blättern und Blumen und lockte die Gäste hinaus ins Freie. Hier suchte ein Theil derselben den schattigen Baumgarten auf, Andere, besonders die jüngeren Mitglieder der Gesellschaft, zogen es vor die nahen Waldhöhen zu besteigen, und einige älteren Herren forderten den Hochzeitsvater auf, sie nach der Gegend zu führen, die ihm seinen Beinamen gegeben, und ihnen die in der Nähe des Rohres sich befindende Stelle mit der berühmten schönen Aussicht zu zeigen.

Ammer war sogleich dazu bereit. Er stellte sich an die Spitze seiner überaus munter gestimmten Begleitung und überließ inzwischen Haus und Wirthschaft der vorsorgenden Aufsicht Walter's mit Anna, Flora und Christlieb. Fürchtegott mit seiner jungen Gattin, die ihm heute in der feinen weltlichen Tracht, welche sie angelegt hatte, noch viel reizender und liebenswürdiger erschien, folgte dem voranschreitenden Trupp in einiger Entfernung.

Am äußersten Ende des Rohres, wo man die am Waldsaume fortziehende Häuserreihe überblicken konnte und die weiteste Aussicht über die aus grünen Laubhecken und Baumgruppen hervorblickenden Häuser des Ortes, nach der Stadt in der reichen Thalmulde und auf die duftigen blauen Gebirgskämme hatte, blieb der Weber stehen. Er stützte sich auf seinen Rohrstock, sah wohlgefällig auf die vor ihm sich ausbreitende Landschaft und nickte stolz mit dem Kopfe.

Das ist der Punkt, mein hochweiser Herr Bürgermeister, sagte er, und da gerade unter uns liegt das Rohr.

In der That, erwiderte der überraschte Rathsherr, um diesen Platz könnte man den Webermeister beneiden.

Ammer nickte abermals, denn es schmeichelte seiner Eitelkeit, ein Stück Land sein zu nennen, um das ihn schon Hunderte bloß der unvergleichlichen Aussicht wegen beneidet hatten.

Ich will's meinen, mein hochweiser Herr Bürgermeister, fuhr er fort. Wär' ich ein Graf von den Einsichten und dem Vermögen des Herrn Grafen Alban, dem so Vieles, was unser einer nicht zu fassen vermag, möglich ist, und hätt' ich's Geld nur so zum Wegwerfen, wie's unter den Grafen heutzutage auch unterschiedliche gibt, just hieher oder meinetwegen auch noch ein hundert Fuß höher, dort auf den Steinfelsen, wo ich verwichen bald Hals und Beine gebrochen hätte, weil ich einer Blindschleiche nachruschelte, dorthin ließ ich mir ein Schloß bauen, so schön wie's Weltenburger, das ja zur Hälfte auch mein Eigenthum ist. Unter vier Thürmen aber thät' ich's nicht, wenn ich ein richtiger Graf wäre, und mein Wappen pflanzt' ich auf über'm Thore, daß man es eine gute Stunde weit sehen könnte. Weil ich aber bloß ein Weber bin, und es mit Gottes Hilfe auch zu bleiben gedenke, und mir jede Zaspel Garn selber auslesen muß, soll ein vernünftig Stück Leinewand daraus werden, das meinem Namen keine Schande macht: so bleibe ich dort unten sitzen in meinem Hause, wo die Musikanten jetzt eben den ersten Tusch blasen, um die jungen Leute zum Tanze hereinzulocken, 's ist zwar nicht mehr aparte vornehm, aber 's hält doch warm, und ich habe Leute gekannt, die in einem quadersteinernen Schlosse mit Spiegelfenstern und vergoldeten Wetterstangen gar erbärmlich froren.

Während dieser Rede Ammer's war Mirus an ihn herangetreten, und als er sich jetzt mit unverkennbarem Selbstgefühl im Kreise seiner Begleiter umsah, versetzte der stets solide und dabei sparsame Kaufmann:

Herr, ich muß Ihr sagen, ist mir aus der Seele gesprochen. So handeln, daß man seinem Namen keine Schande macht, daß er makellos bleibt vor uns und Andern: das ist's, was den ächten Kauf- und Geschäftsmann ziert.

Mirus reichte seinem langjährigen Freunde die Hand und bot darauf allen Uebrigen eine Prise aus seiner goldenen Dose.

Das Rohr quer durchschneidend, ging der Weber mit seinen Gästen nach der steinigten Lehde, über welche die Communicationsstraße führte. Hier blieb er bei einem großen Feldsteine stehen.

Meine sehr lieben Gäste, sprach er, hier sind wir, wenn mir recht ist, auf einem merkwürdigen Punkte, denn da hat's vor alten Zeiten 'mal eine grausam blutige Schlacht gegeben.

Da? fragte Candidat Still.

Nun, nicht gerade auf dem Flecke, aber so rund herum.

Ist mir nicht bekannt, Herr Ammer, sagte der in der Provinzialgeschichte wohl bewanderte Mann.

's steht im Chronikbuche, versetzte der Weber, aber das lesen die gelehrten Herren nicht, weil's ihnen zu ordinär, zu schlechtweg geschrieben ist.

Ihr seid doch auch zu Hause in unserer Geschichte, lieber Justus, sprach der Candidat zu dem lateinischen Gärtner, erinnert Ihr Euch nicht?

Ich denke eben darüber nach, mein sehr gelehrter Herr Candidat, versetzte dieser. Carpzow spricht von mehr als einer Schlacht in dieser Gegend. Obwohl dort von einer Schlacht am Berge absonderlich die Rede ist, denn genannter vir doctissimus fügt in parenthesi dazu Mons, würde sich dennoch auch die hiesige Stelle als Schlachtort bezeichnen lassen. Es ist ein locus, welcher sich abwärts erstreckt vom Berge. Gewiß, im Carpzow steht's.

Aber was, mein lieber Justus, was steht dort? fragte der Candidat. Wer schlug sich hier mit wem?

Nu, wer denn sonst, als Männer mit Männern, fiel Ammer ein. Ob's Fleischhauer oder Tuchmacher gewesen sind und so 'was mit von der Sorte wird's wohl dabei gegeben haben das macht mir kein Bauchgrimmen. Ritterliche Räuber, die dazumal überall das große Wort führten, haben sicherlich auch nicht weit davon gelegen; denn den Satanskerlen in ihren eisernen Kamisolen schwoll dazumal der Kamm. Aber, meine werthen Herren, das ist all' eins! 's hat hier vor vier- oder fünfhundert Jahren eine richtige Pelzwäsche gegeben; ob dabei die Schafpelze mehr Wamse gekriegt haben oder die Zobelschwänze, das ist mir justement egal. Ist's ein Fund für die gelehrten Buchmacher, so soll mich ein halber Gulden nicht reuen, wenn mir Einer oder der Andere Schwarz auf Weiß nachweisen kann, wer eigentlich zuerst den Rummel angefangen hat.

Die Rathsherren mußten über den lebhaft gewordenen Weber, der in seiner Hartnäckigkeit sich diese Schlacht niemals hätte nehmen lassen, lächeln. Der Candidat schwieg kopfschüttelnd, und die Gesellschaft trat wieder den Rückweg an. Vom Hochzeitshause her vernahm man die Töne einer rauschenden Musik. Der Abend senkte sich. Schon dampften die Thäler und erfüllten die Wiesengründe am Flusse mit bläulichem Nebeldunst, dessen oberer Rand von der Sonne vergoldet ward.

Ammer gewahrte Erdmuthe am Arm ihres jungen Gatten. Das klare Auge der Glücklichen hing an Fürchtegott's Blicken, der ihr viel Angenehmes gesagt haben mußte, denn ihr liebliches, blasses Gesicht strahlte wie verklärt. Als sie des Vaters ansichtig ward, sprach sie zu Fürchtegott:

Bitte, bitte, einen Augenblick! Ich muß den lieben Papa ganz in der Stille um eine Gefälligkeit ersuchen.

Sie ließ den Arm Fürchtegott's los und trat zu Ammer, der ihr vergnügt zulächelte und freundlich die Wange klopfte.

Ein paar Secunden später fühlte Fürchtegott seine Schulter berührt. Er kehrte sich um Kaufmann Mirus stand neben ihm. Letzterer ergriff den Arm des jungen Mannes und ging mit ihm seitwärts:

Mein lieber Freund, sprach der Kaufmann, Sie haben sich heute einem, wie es den Anschein hat, braven und frommen Weibe vermählt. Ein Mann, dem dies gelingt, hat immer von Glück zu sagen. Denn wird das Heiligthum unseres Hauses nicht von einem Engel behütet, so schlüpfen gar bald durch alle Ritzen und Spalten neidische Dämonen herbei und zehren den Segen auf, den rechtliche Arbeit anhäuft. Ich sage rechtliche Arbeit, wiederholte mit scharfer Betonung der gewissenhafte Kaufmann. Andere Arbeit wird niemals, wenigstens nicht lange von Segen begleitet. Das will ich als erfahrener, praktischer Geschäftsmann, als redlicher Christ und als ältester und stets zuverläßig gebliebener Freund Ihres würdigen Herrn Vaters Ihnen als goldene Regel empfehlen. Herr, ich muß Ihr sagen, fuhr er fort, wer es wohl meint mit seinen Freunden, der thut Jedem einen Gefallen, wenn er ihm offen die Wahrheit sagt. Mich drängt's dazu, junger Herr, aus Liebe zu Ihrem Vater und aus Vorsorge für Ihre Zukunft, auch wenn Ihnen meine Worte nicht wohl gefallen sollten. Wählen Sie Vorsicht, Klugheit und gerades Wesen zu Begleitern durch Ihr Leben. Bestreben Sie sich auch in den weiteren Kreisen, die das Glück Ihnen angewiesen, den Fußstapfen Ihres Vaters zu folgen; handeln und wandeln Sie nur auf rechten Wegen, und geben Sie vor Allem Acht, daß, wenn Sie Ihre Producte verschicken, nicht so grobe Irrthümer wieder vorkommen, wie letzthin, wo ich drei Ballen baumwollene und halbleinene Waaren statt reiner Leinwand erhalten habe. Es ist bloß des reellen Namens wegen, mein Lieber! Ich hatte es nicht bemerkt, und erfuhr es also erst aus Hamburg, wohin ich einen der Ballen versendete. Die Sache ist aplanirt, junger aber unvorsichtiger Handelsherr, ein zweites Mal möchte dies schwieriger sein. Uebrigens verlassen Sie sich auf den alten Mirus. Er kann schweigen. Nehmen Sie dies als wohlgemeintes Hochzeitsgeschenk. Es wird Ihnen, denk' ich, mehr Segen bringen als Geld und Geldeswerth.

Mirus sah den zum Tode erschrockenen und leichenblassen Fürchtegott mit seinen durchdringenden Augen lange scharf an, schüttelte ihm die Hand und verließ ihn mit den etwas herber gesprochenen Worten:

Nun denn, gute Besserung!

Glücklicherweise war Erdmuthe, mit Vater Ammer in ein scherzhaftes Gespräch vertieft, die Verwandlung Fürchtegott's entgangen. Dieser zwang sich mit eiserner Gewalt, äußerlich ruhig zu bleiben, obwohl eine entsetzliche Angst Besitz von seinem Herzen nahm. Als Erdmuthe sich mit glücklichem Lächeln ihm wieder zuwandte, riß er sie mit Ungestüm an seine Brust und küßte sie leidenschaftlich.

Aus dem Hochzeitshause klangen die lockenden Töne eines raschen Walzers.

Komm, süßes Herz, sprach Fürchtegott, komm und laß uns fröhlich sein mit den Andern! Sieh, wie sie lustig durch den lichterfüllten Raum fliegen, die festlich geschmückten Kinder der heitern Welt! Dieser Tag, meine kleine Heilige, gehört der Welt und ihren Freuden ausschließlich. Wenn du Theil daran nimmst, so heiligst du sie durch deine bloße Gegenwart!

Fürchtegott bat so liebevoll, sein Auge glänzte, die Pulse klopften hörbar. Nie hatte ihn Erdmuthe in so merkwürdiger Bewegung gesehen, und da sie wirklich glaubte, es sei die Aufregung des Glückes, das den geliebten Mann in eine Art von Verzückung versetzte, so vermochte sie die Bitte nicht abzuschlagen. Sie neigte gewährend das feine Haupt und bald sah man das schöne Paar unter den Tanzenden.

Lange freilich vermochte Erdmuthe, schon der Ungewohntheit wegen, nicht diesem Vergnügen sich hinzugeben. Sie begnügte sich deßhalb, dem Tanze an Frau Anna's Seite zuzusehen, ohne zu verlangen, daß auch Fürchtegott darauf verzichten solle. Dieser schien durch die Musik und durch die Aufregung immer mehr und mehr in eine bacchantische Begeisterung versetzt zu werden. Nur selten sah man ihn kurze Zeit rasten. In solchen Pausen eilte er dann regelmäßig zu Erdmuthe, sprach zärtliche Worte zu ihr und wußte immer auf's Neue ihre Besorgnisse, er könne seiner Gesundheit schaden, scherzend zu beseitigen.

Bisweilen erschienen zwei Persönlichkeiten im Saale, die einem ruhigen und gänzlich unbefangenen Beobachter alsbald aufgefallen sein würden. Es waren dies der Kaufmann Mirus und Wimmer, der Herrnhuter. Beide Männer hatten sich mit bemerkenswerther Geschicklichkeit den ganzen Tag über zu meiden gewußt, während es bekanntlich in Ammer's Plane lag, nur Freunde an seiner Tafel sehen zu wollen. Er selbst war zu beschäftigt, auch zu vergnügt, um daran zu denken, zwei Männer einander zuzuführen, über deren gegenseitig feindliche Gesinnungen nur unzuverlässige Gerüchte von Mund zu Mund liefen.

Während Ammer mit den älteren Gästen die schöne Aussicht aufsuchte, hatte sich Wimmer einigen Andern zum Führer angeboten in den verschiedenen Localitäten des Webers, die zur schwunghaften Betreibung seines Geschäftes nöthig waren. Hier war der Herrnhuter vollkommen zu Hause und konnte mithin eben so gut wie Ammer selbst als erklärender Cicerone fungiren. Die aufmerksamste Zuhörerin unter den ihn Begleitenden war Frau Sempiterna, die sehr oft Fragen an Wimmer richtete und weder die großartige Färberei noch die Mangel eher verließ, bis sie von Allem ganz genau unterrichtet war. Ihr Gemahl würde eine sehr anzügliche und demüthigende Gardinenpredigt zu hören bekommen haben, wäre das Verhältniß zwischen den beiden wunderlichen Gatten seit Block's Auszuge nicht wesentlich ein anderes geworden. Still hörte einfach nicht mehr zu, wenn Frau Sempiterna das Bedürfniß fühlte, ihr Herz zu erleichtern. Er ließ sie stehen, auch reden, so viel und so laut sie wollte, er selbst ging aber lachend davon.

So oft Mirus oder Wimmer in den Saal traten, was fast immer abwechselnd geschah – nur selten sah man beide Männer gleichzeitig und dann jedesmal an den entgegengesetzten Enden suchten die Augen eines Jeden nur Fürchtegott, der, vom Zauber des Tages ergriffen, nichts um sich her beachtete, vielleicht auch nicht beachten wollte. Wie ein paar dunkle Schatten, die einer den andern fliehen, und doch gern mit einander kämpfen möchten, umkreisten Beide die Reihen der fröhlichen Tänzer langsamen Schrittes, Mirus stolz emporgerichtet, Wimmer gebückten Hauptes. Dies regelmäßige Kommen und Gehen beider Männer machte einen unheimlichen Eindruck, und nur ein einziger Mensch unter allen Gästen gewahrte erst tief in der Nacht dies Auf- und Abwandeln, dies Erscheinen und Verschwinden des Kaufmanns und des Herrnhuters. Er schwieg, aber er schürzte einen Knoten in seinem Gedächtniß, um künftig ein scharfes Auge auf Beide zu haben.

Nach Mitternacht endlich fühlte Fürchtegott das Bedürfniß nach Ruhe. Der Tanz kam ihm jetzt schaal, nüchtern, fast sündhaft vor. Die Hitze im Saal drückte ihn unerträglich. Sein Kopf brannte, alle Fibern zitterten. Er eilte zu Erdmuthe und fragte, ob sie bereit sei, dem lauten Vergnügen den Rücken zu kehren. Erfreut reichte die junge Frau dem geliebten Gatten die Hand.

Wie du glühst, Theurer! sagte sie besorgt. Mein Gott, wie kann man sich so aufregen und daran Vergnügen finden! Nicht wahr, mein geliebter Freund, das wirst du von jetzt an nie wieder thun?

Laß uns nach Weltenburg aufbrechen, versetzte Fürchtegott. Ich bin des Lärmens nun überdrüssig. Ich muß allein sein, bei dir, mein Engel, damit mir wieder wohl wird.

Komm, Geliebter, sprach Erdmuthe, ihren Arm um Fürchtegott's Nacken legend und mit ihm den Saal verlassend. Frau Anna, desgleichen Ammer und Flora folgten.

Es ist Zeit, daß wir uns trennen, Vater, sagte Fürchtegott. Mögen die andern springen und jubeln bis zum Morgen, wir wollen in der Stille das Glück genießen, das der Himmel uns verliehen. Die Nacht ist still und warm. In zwei Stunden schon können wir in Weltenburg sein, und morgen früh habe ich dann das Vergnügen, meinem kleinen Herzensweibe die prächtige Umgebung unseres gemeinsamen Eigenthumes von der Plattform des Thurmes im Morgensonnenglanz zu zeigen.

Bald fuhr der Wagen vor. Das Rollen desselben hatte eine Anzahl Gäste aufmerksam gemacht und aus dem Saale gelockt. Eine neugierig gaffende Menge erfüllte die Gasse. Erdmuthe nahm Abschied von Ammer und Frau Anna. Sie hing jetzt an dem Halse Flora's, die sie nicht von sich lassen wollte, Fürchtegott ermahnte zur Eile. Als er mit der Geliebten den Wagen bestieg, warf er noch einen Blick auf das Vaterhaus und die Umstehenden. Da sah er die hochaufgerichtete Gestalt des ernst blickenden Mirus, auf der andern Seite des Wagens lehnte am Gartenstaket der Herrnhuter. Seine Augen waren nicht zu erkennen, der breiten Lider wegen, die über sie herabhingen. Er nickte den Neuvermählten zu, ein klein wenig den breitkrempigen Hut lüftend, mit dem er sich zum Schutz gegen die thaufeuchte Nachtluft bedeckt hatte.

Fürchtegott überrieselte es wie Fieberschauer. Er hörte das Weinen der Geigen vom Tanzsaale her, das in seine Ohren tönte wie lautes Wehklagen. Die Erde schien unter ihm zu wanken, so glänzend hell auch die Sterne am wolkenlosen Nachthimmel funkelten.

Fort, fort, so eilig wie möglich! rief er dem Kutscher zu, grüßte mehrmals Eltern und Geschwister, und drückte dann, tief und schwer aufathmend, seine glühende Stirn an die weiche, kühle Wange Erdmuthe's.


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