Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Unter duftender Jasmin- und Geisblattlaube saß Flora und band für ihren kleinen Otto, der, seine beiden Arme über einander gelegt, sich auf das Knie der Mutter stützte und mit vergnügten Augen zu ihr aufsah, einen Kranz aus Feldblumen, die der Knabe auf den Fluren gepflückt hatte. Als sie damit fertig war und ihn dem Kinde reichen wollte, streckte sich über Otto's Kopf eine Hand aus und nahm ihn Flora. Rasch und sehr unwillig kehrte sich der Knabe um, indem er in ärgerlichem Tone sagte:
Wer nimmt mir meinen Kranz? Ich will ihn haben.
Diese ärgerliche Stimme verstummte jedoch, als er die Räuberin seines Kranzes erkannte. Hinter ihm stand nämlich Erdmuthe, mit glücklichem Auge auf den Kleinen herablächelnd und den duftenden Kranz heiter scherzend bald auf den lockigen Scheitel des Knaben niedersenkend, bald ihn wieder emporhebend.
Otto griff wiederholt danach, ohne sich ihn wiedererobern zu können.
Gib mir den Kranz! sagte er ungeduldig.
Wenn du bittest und artig bist, erwiderte Erdmuthe. Nur artige Kinder verdienen mit Kränzen geschmückt zu werden.
Bitte, bitte, liebe Tante, schenke mir den schönen Kranz! sagte hierauf ohne Widerstreben der Knabe.
Sogleich drückte Erdmuthe das Blumengewinde auf Otto's Scheitel, hob den Knaben auf, küßte ihm Stirn und Mund und ließ ihn dann wieder auf die Erde herabgleiten. Otto lachte in ausgelassener Lust, setzte sich den Kranz fester und sprang hinaus in den Garten, wo er unaufhörlich und ohne zu ermüden die Gänge kreuz und quer auf und nieder lief.
Erdmuthe setzte sich neben Flora, die ihren Strickstrumpf wieder aufgenommen hatte und rüstig Maschen schürzte.
Du hast eine merkwürdig glückliche Gabe, Kinder zu behandeln und deinem Willen zu beugen, sprach Flora. Otto ist zwar ein herzensgutes Kind, aber sehr eigensinnig, und nur selten gelingt es mir, hat er sich einmal auf etwas gesteift, ihn davon zurückzubringen, ohne daß es zuvor heftiges Geschrei gibt. Und wenn du ihn nur ansiehst, folgt er dir spielend, fast willenlos.
Liebe Schwester, versetzte Erdmuthe, diese Kunst, wenn es eine genannt werden kann, ist ein Ergebniß meines vergangenen Lebens, meines Wirkens als Lehrerin. Wo hätte ich bleiben sollen in der Wildniß, ohne jegliche Hilfe und Unterstützung Anderer, wenn Gott mir nicht immer nahe geblieben wäre, mit seiner Kraft und Gnade, wodurch es mir gelang, in mein Wesen, in mein Wort und meinen Blick eine bändigende Gewalt zu legen? Diese Kraft, die ich mir aneignete in meinem früheren Wirkungskreise, ist, scheint es, mir treu geblieben, und ich glaube, dafür habe ich dem Herrn zu danken, denn oft will mich bedünken, es werden Zeiten kommen, wo es mir schlimm ergehen könnte, wenn sie mich verließe.
Erdmuthe faltete die Hände und eine Thräne schimmerte in ihren wunderbar tiefen und glänzenden Augen.
Sei nicht trüb, meine süße Seele! sprach Flora, die Herrnhuterin umschlingend und ihre Augen küssend. Es wird gewiß Alles gut werden und alle deine Wünsche werden sich erfüllen. Mein Bruder zeigt sich ja seit eurer letzten Unterredung viel nachgiebiger.
Ich hätte nie geglaubt, sagte nach kurzer Pause Erdmuthe, daß der Mann, welcher drüben in Surinam, als er mich wiederfand, aus Liebe zu mir, hätte ich es gewünscht, vielleicht selbst Missionär geworden wäre, hier inmitten weltlicher Glücksgüter das Aeußere dem Innern, den Schein dem Wesen, die Schaale dem Kerne so hartnäckig vorziehen könnte. Ich habe ihn besiegt durch die feste Ruhe meines Begehrens, es ist wahr, dennoch fügt er sich dieser ihn zwingenden Macht nur mit Widerstreben. Kein Engel treibt ihn, der Dämon der Weltlust sitzt noch immer verkappt in seinem Herzen, und wer kann wissen, wie lange er unthätig bleibt? Darum habe ich alle Ursache, den Herrn zu flehen ohn' Unterlaß, meine Schwester, daß er mir Kraft gebe, die bösen Neigungen des geliebten Mannes durch den Frieden meines Blickes zu erdrücken.
Es wird dir gelingen, liebe Erdmuthe, erwiderte Flora zuversichtlich. Hast du doch uns Alle gleichsam bezaubert. Der Vater, mit dem eigentlich, wenn er seinen Kopf aufsetzen wollte, niemals ein Auskommen war, schlägt er dir 'was ab? Niemals! Ich glaube, er kletterte, falls du übermüthig genug sein solltest, ein so thörichtes Verlangen an ihn zu stellen, dir zu Gefallen, auf den höchsten Baum, um einen Staarmatz zu haschen. Hat er's doch geschehen lassen, daß du ihm sein Haar schneiden durftest. Das hätte ein Anderer versuchen sollen! Der würde schön abgeblitzt sein. Und wie sieht die Mutter dir jeden Wunsch an den Augen ab! Mit welcher Dienstwilligkeit läuft mein Albrecht für dich! Wie fliegen alle Dienstboten, wenn du nur den Gedanken laut werden läßt, einen Wunsch äußern zu wollen! Nein, liebe Erdmuthe, dir kann auf die Dauer Niemand widerstehen. Die wildeste Natur wirst du leicht bändigen, den widerspenstigsten Willen ohne Mühe brechen. Und gelingt dir dies bei ganz Fremden, wie sollte der, welcher dir der Liebste auf Erden ist, dem du als Heilige vorschwebst, dieser fast göttlichen Allgewalt grollenden Widerstand entgegensetzen?
Solcher Widerstand, gründete er sich eben nur auf die Verehrung vergänglicher Güter, würde den Himmel meines Glückes auch trüben, sagte Erdmuthe. Traurig sein oder gar verzagen würde ich deßhalb nicht, denn wir sollen ja immer kämpfen, damit wir nicht laß werden.
Da kommt Albrecht, fiel Flora ein. Er wird uns Nachricht aus der Stadt bringen, ob die Vorschläge Fürchtegott's Billigung gefunden haben.
Flora stand auf, um ihrem Gatten entgegen zu gehen, Erdmuthe folgte in einiger Entfernung. Auch Otto, welcher den Vater ebenfalls gesehen hatte, sprang jubelnd durch den Garten, um der Mutter in der Begrüßung noch zuvor zu kommen, was ihm denn auch zu seiner großen Freude gelang.
Albrecht Seltner übergab seiner künftigen Schwägerin einen Brief Fürchtegott's, welchen Erdmuthe, die Gänge des Gartens durchwandelnd, aufmerksam las. Sie kam dann wieder in die Laube, wo das glückliche Paar mit Otto, dessen Kranz schon etwas zerzaust aussah, freundlich plauderte.
Nun, was schreibt der Bruder? fragte Flora.
Lächelnd erwiderte Erdmuthe: Er ist es zufrieden. Mit den zärtlichsten Worten gibt er seine volle, rückhaltslose Einwilligung.
Zweifelst du jetzt noch an seiner Liebe, an deiner Kraft?
Erdmuthe schüttelte den Kopf. Nicht mir ist dies zuzuschreiben, sondern Ihm, Ihm ganz allein, der da oben unsichtbar, aber allmächtig waltet; der den Sternen ihre Bahnen anweiset, die Sonnen entzündet, daß sie das Weltall mit ihren ewigen Flammen erwärmen, und der unsere Herzen läutert, daß sie seinen Ruhm verkünden! Ich danke Ihm dafür in Demuth!
Es lag nichts Gemachtes in diesen Aeußerungen Erdmuthe's; sie waren der Ausfluß ihres innersten Wesens und deßhalb machten sie auch auf Albrecht und Flora tiefen Eindruck. Flora schlang ihren Arm um den Leib der jungen Wittwe und sagte, sie liebevoll anblickend:
Weißt du, daß ich meinen Bruder ganz unbeschreiblich beneide? Er hat binnen acht Tagen das Glück, dich immer zu besitzen, dich immer um sich zu haben; wir Andern, die wir doch auch so gern Theil an dir haben möchten, wir sehen dich vielleicht kaum in Wochen auf Stunden. Es wird uns, bist du erst ausgeflogen, recht einsam hier vorkommen. Wir werden dich alle und überall vermissen.
Erdmuthe wollte diese Ansicht bestreiten, was ihr jedoch, da sogleich auch Albrecht gegen sie Partei nahm, nicht gelang. Später fand sich Frau Anna ebenfalls ein, die zwar wenig sagte, an deren ganzem Behaben man aber sehr wohl merken konnte, daß sie den Augenblick, wo Erdmuthe von ihr Abschied nehmen würde, um dem Manne ihrer Wahl zu folgen, nicht zu den glücklichen zählen werde. Zuletzt kam noch der alte Ammer, der sich von Herzen über die vernünftige Fügsamkeit seines Sohnes freute, und weil dies vorläufig das Wichtigste war, alles Uebrige unberührt ließ.
Ammer setzte sich neben Erdmuthe, nahm einen beschriebenen Bogen Papier aus seiner Tasche, legte diesen vor sich auf den kleinen in der Laube befindlichen Gartentisch und sagte:
Jetzt, meine Tochter, wollen wir Musterung halten über das Volk, welches Theil haben soll an der Hochzeit meines Jüngsten. Du hast allerwärts freie Wahl, und wer dir nicht recht ist, der bleibt weg. Als Landeskind wirst du die Meisten schon kennen.
Das Verzeichniß war ziemlich lang, da nicht bloß die ganze Verwandtschaft der Ammer bis in die fernsten Glieder zu diesem wichtigen Familienfeste geladen wurde, sondern auch eine ganze Anzahl sogenannter Standespersonen, mit denen der alte Weber in irgend einer Verbindung entweder noch stand oder doch früher gestanden hatte. Unter diesen figurirten obenan der regierende Bürgermeister der wohlhabenden und betriebsamen Handelsstadt, zu deren Jurisdiction Weltenburg gehörte, ferner der Stadtrichter, einige Senatoren und Scabini, sowie verschiedene Kaufleute. Als Erdmuthe's Blicke auf den Namen Block fielen, fragte sie, wer dieser sei?
Dachte mir's wohl, versetzte Ammer lächelnd, daß du hier einen Schlagbaum durchlegen würdest. Nun, ich kann dir sagen, meine kleine Heilige, der Mann ist viel besser, als sein Ruf. Ich mag ihn nicht gerade zum Wächter an der Himmelsthür bestellen, denn ich glaube, Advocat Block ließe mitunter auch ein räudiges Schaf unter die reinen Lämmer hineinspringen, aus purem Spaß; dennoch ist der Mann nicht zu verachten. Sein Aeußeres freilich wie sein ganzes Auftreten hat etwas Abstoßendes. Mir ist er aber lieb geworden, besonders in der letzten Zeit nach der Affaire, die ihm bei einem Haare den Hals gekostet hätte, weil er sich dabei nach meinem beschränkten Weberverstande vortrefflich benommen. Hätte sich richtig den Hals abschneiden lassen, wäre der Mirus nicht gewesen. Der Proceß freilich, den er nachträglich aus Malice oder Caprice gegen das Gericht angezettelt, ist ihm theuer zu stehen gekommen. Ihn also, meine liebe Tochter, habe ich mit aufgeschrieben, weil ich ihm doch Dank schuldig bin von früherher, und weil ich nebenbei wünsche, daß die alten Feinde in meinem Hause einen offenen und ehrlichen Freundschaftsbund schließen mögen.
Zu christlicher Versöhnung sollen wir allen unsern Nebenmenschen jederzeit Gelegenheit geben, sagte Erdmuthe, darum, mein vortrefflicher Papa, soll dein gefürchteter Rechtsmann beim Hochzeitsschmause deinem wackern Freunde Mirus gegenüber sitzen. Ich selbst bin erbötig, ihnen die Gläser zu kredenzen, aus denen sie symbolisch ewige Freundschaft schlürfen sollen. Wer aber, sag' mir, wer ist der lateinische Gärtner?
Lache mich nicht aus, kleine Heilige, versetzte Ammer scherzend. Einen kenntnißreicheren Blumisten und Kenner der Obstbaumzucht findest du weit und breit nicht. Alle meine Aurikel und ich denke mein Aurikelflor kann sich sehen lassen sind von dem lateinischen Gärtner, und hätte ich nicht sein famoses Mittel gegen die Raupen an meinen Obstbäumen angewendet, könnte ich zum Nachtisch weder einen gesunden Borsdorfer noch einen ächten Stettiner aufsetzen.
Warum heißt er denn aber der lateinische Gärtner? fragte Erdmuthe mit liebenswürdiger Neugierde.
Wenn du ihn sprechen hörst, wirst du diese Bezeichnung leicht erklärlich finden. Herr Justus, wie er mit seinem gewöhnlichen Namen heißt, ist durch die lateinische Schule gelaufen, und da er ein sehr treues Gedächtniß besitzt, so sind viele lateinische Worte darin hängen geblieben, die er in seinen Gesprächen gern anbringt. Advocat Block meint freilich, der lateinische Gärtner schieße viele Böcke bei der Anwendung seiner Redensarten und unterläßt deßhalb nie, Herrn Justus zurecht zu weisen; mein Blumist ist jedoch mit einem gar störrigen Gemüth begabt und achtet nicht im Geringsten auf solche Zurechtweisungen. Derohalben, mein Kind, hört es sich grausam schön zu, wenn genannte Beide sich mit einander in einen richtigen Discours einlassen.
Beileibe laß uns einen so unschuldigen Spaß nicht verderben, Väterchen! sagte munter Erdmuthe. Der lateinische Gärtner darf bei meiner Hochzeit durchaus nicht fehlen.
Dann darfst du mir aber auch den Oberförster nicht streichen, sagte Ammer. Er ist ungeachtet seiner Schwächen und seltsamen Angewohnheiten doch ein wahrer Kernmensch, ein rechter Prachtkerl, wie der ungeschliffene Bauer sagt, und wo er sich einfindet bei einer Gesellschaft, da bleibt die Trauer vor der Thür stehen und begehrt vergeblich einen Batzen als Abfindungsgeld.
Ich werde mich bemühen, mein wackerer Papa, versetzte Erdmuthe, diesem Gaste dadurch eine Ehre zu erweisen, daß ich meine Freude über seine Mittheilungen laut zu erkennen gebe.
Alle andern von Ammer Bezeichneten waren Erdmuthe nicht bekannt und deßhalb ziemlich gleichgiltig. Daß als besondere Ehrengäste weder Graf Alban noch Wimmer, ebenso Candidat Still und seine ehrbare Gattin nicht fehlen konnten und durften, versteht sich von selbst.
Die Hochzeit sollte zwar anfangs nach Fürchtegott's Vorschlage in den glänzenden Räumlichkeiten des neu erbauten Schloßflügels von Weltenburg gefeiert werden, der junge Handelsherr fand aber in der ganzen Familie eine so starke Opposition, daß er diesen Gedanken sehr bald aufgab. Der schärfste Gegner außer Erdmuthe, war sein eigener Vater.
Hier in diesem Weberhause mit den gelbbemalten Balken, sprach er, sind die Ammer ausgekrochen, haben sich, nachdem sie flügge geworden, hinausgewagt und sich etwas versucht in der Welt. Und weil sie ein gut Stück Arbeitskraft mitbrachten, ist es ihnen gelungen, etwas zu werden. Der Alte sitzt aber noch immer auf demselben harten Sessel und an demselben fichtenen Tische, wo er die erste Werfte ausgab. Da will er denn auch, daß sein Sohn, und wär' er so groß geworden, wie weiland der Bonaparte, in diesem kleinen Weberhause, der Wiege seines Glückes, als rechtlicher Mann sein Hochzeitsessen sich schmecken lasse.
Damit war die Sache entschieden, Fürchtegott widersprach nicht weiter, und Frau Anna hatte nun schon Wochen vorher alle Hände voll zu thun, um dieses zweite Hochzeitsfest in ihrem Hause so glänzend und vollständig wie möglich herzurichten.
Der Freund ihres Sohnes, der Arzt Walter, der ihre Schwiegertochter so treu über's Weltmeer geleitet, ging der geschäftigen Frau in dieser plagenreichen Zeit emsig zur Hand. Wo er konnte, sprang er zu und half, ohne sich durch aufdringliches Wesen unnütz zu machen. Zu Allem zeigte er Geschick, und so vertrat er während der letzten Wochen fast die Stelle eines gut gesinnten Koboldes. Denn hatte Frau Anna auch nur im Vorübergehen einen Wunsch geäußert, so fand sie ihn sicher am nächsten Morgen beim Erwachen schon verwirklicht.