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Auf dem Nikolaithurm verhallten die letzten Accorde des Glockenspieles, das damals allstündlich sich wiederholte, als Fürchtegott in Begleitung des Maklers Erichson die »holländische Reihe« hinabschritt, um Beinheim einen Besuch abzustatten. Jetzt gegen Abend war dieser Stadttheil nicht mehr stark belebt, es waltete sogar eine gewisse feierliche Stille, wie an Festtagen. Nur wenn Fürchtegott einen neugierigen Blick durch die hellen Fenster der stattlichen alten Häuser warf, konnte er bemerken, daß die Bewohner derselben nicht feierten. Ueberall sah er emsig Schreibende an schrägen Comptoirpulten, die für das, was sich draußen auf der Straße zutrug, keinen Sinn zu haben schienen.
Sehr merkwürdig und interessant war unserem Freunde der tiefe Kanal, der mitten durch die Straße floß oder vielmehr die Scheidewand der Häuser- und Speicherreihen bildete. Er konnte nicht umhin, stehen zu bleiben und dem Treiben auf dieser Wasserstraße zuzusehen, die mit größeren und kleineren, meistentheils schwer beladenen offenen und flachen Fahrzeugen fast bedeckt war. Unter den meisten Speichern lagen solche Schuten, und die Winden an den wunderlich geformten, stark getheerten Krahnen waren in ununterbrochener Thätigkeit. Außer dem Knarren dieser Winden, dem Klirren einer Kette, dem eintönigen Ruf eines Bootsführers oder eines auf den Speichern beschäftigten Arbeiters und dem leisen Gesäusel der Linden, deren ziemlich viele an den Speichern standen und deren Laub jetzt von der untergehenden Sonne mit Gold bestreut ward, ließ sich nichts hören.
Erichson, der gern mit der Zeit geizte, weil er die Richtigkeit des englischen Sprichwortes » Time is money« längst vollkommen begriffen hatte, drängte Fürchtegott vorwärts, um den Geschäftsfreund nicht zu verfehlen. Und so sah sich denn der junge Ammer recht gegen seine Neigung genöthigt, eine Gegend kaufmännischen Lebens und großartiger Handelsthätigkeit, die ihn ungemein fesselte, schon nach wenigen Minuten wieder zu verlassen.
Beinheim wohnte auf dem »holländischen Brook«. Die gewaltigen, hohen Giebelhäuser, von unten bis oben mit Oelfarbe angestrichen, und da und dort neben der Thür eine rauschende Linde, gefielen unserem Freunde. Alles sah stattlich, reich, eigenthümlich aus. Und zur Linken der stille, tiefe Fleeth, auch hier umrahmt mit Holzkrahnen, verknüpfte die hier lebende Kaufmannswelt unmittelbar mit dem segenbringenden Strome, mithin mit der ganzen nahen und fernen Welt.
Vor einem der stattlichsten Häuser dieser im kaufmännischen Sinne höchst fashionablen Straße blieb Erichson stehen.
Hier wohnt Herr Beinheim, sagte der Makler, die Hausthüre öffnend und Fürchtegott den Vortritt lassend. Dieser wunderte sich, nur den Namen des Bewohners an der Thür auf glänzendem Messingschilde zu erblicken, ohne Firma über der Thür. Ueberhaupt fiel es ihm auf, daß man gerade in der eigentlichen Stadt der Großhändler keine Firmen fand, was seiner Meinung nach den Verkehr erschweren mußte. Er konnte sich's nicht erklären, wie man jederzeit in der großen volkreichen Stadt leicht und bequem diese oder jene Firma auffinden möge.
Eine weite und tiefe Diele, mit großen Quadern ausgelegt, nahm unsere Bekannten auf. Am Ende derselben sah man durch ein großes und hohes Fenster in einen allerliebsten Garten. Die Diele war äußerst sauber, das ganze Haus glänzend und rein, als werde es von unsichtbaren Händen stündlich von oben bis unten gefegt. Unfern der Hausthür bemerkte Fürchtegott eine Art Glasgehäuse, wenigstens hatte dieses sonderbare Gemach, in dem eine ältliche Frau strickend saß, Aehnlichkeit mit einem fast nur aus Fenstern bestehenden Käfige. An diese Person im »Zibürken« wandte sich Erichson mit der Frage: ob Herr Beinheim zu Hause sei?
Die Alte nickte, eine langen forschenden Blick auf die jugendlich schlanke Gestalt Fürchtegott's werfend.
Erichson schritt über die Diele nach hinten, wo jetzt sein Begleiter eine schwarze Tafel über einer Thür mit der Inschrift erblickte: Ammer Söhne und Compagnie. Beim Lesen dieser Worte fühlte Fürchtegott sein Herz hörbar klopfen. Der Makler klopfte stark an die Thür, und ein festes, aber kaltes Herein! antwortete.
Herr Beinheim's Comptoir hatte wenig Ansprechendes. Es war klein, ziemlich hoch und so mit Pulten vollgepfropft, daß man sich zwischen denselben förmlich durchzwängen mußte. Außer dem Prinzipal fand sich im Augenblick Niemand in diesem Heiligthum. Herr Beinheim selbst saß auf einem ungepolsterten Comptoirschemel mit sehr hohen Füßen und schmaler, kurzer Lehne. Er sah ernst, fast verdrießlich aus, so daß man sich in seiner Nähe nicht eigentlich behaglich fühlen konnte. Am meisten fielen unserm jungen Freunde die verschiedenen Gegenstände auf, die von der Decke herab über dem Schreibpulte Beinheims hingen. Fürchtegott sah da eine Schreibfeder, einen Bleistift, ein Stück Gummielasticum und eine Papierscheere. Jeder dieser Gegenstände lief in Rollen, so daß sie sich auf- und niederziehen ließen, je nachdem sie benutzt werden sollten. Herr Beinheim hatte diese Einrichtung für nöthig und zweckmäßig erachtet, weil er es nicht ertragen konnte, einen Gegenstand, den er selbst in Gebrauch hatte, von einem Anderen benutzt zu sehen. Dies achtete er einer Entweihung gleich, und um dies ein- für allemal zu verhindern, kettete er Alles, was ausschließlich sein Eigenthum sein und bleiben sollte, in erwähnter origineller Weise an.
Höflichkeit in gewöhnlichem Sinne kannte Beinheim nicht. Das Wesen der Höflichkeit lag so ganz außerhalb seiner Natur, daß er ein ganz Anderer gewesen sein würde, hätte er sich dasselbe aneignen wollen. Einen Ersatz dafür mußte die trockene Kürze bilden, deren sich Herr Beinheim befleißigte.
Ein flauer Händedruck, verbunden mit einem Winke, der die Bedeutung hatte, daß man Platz nehmen solle, war die ganze Begrüßung. Dann schloß er ein Fach seines hohen Pultes auf, nahm einen Folianten heraus, blätterte darin und legte ihn Fürchtegott vor, indem er sagte: Da ist die Bilance. Wir können mit dem Anfange zufrieden sein.
Fürchtegott sah auf die Zahlen, deren Größe ihn anzog, und da er schon bei Herrn Wimmer einige Kenntnisse in der kaufmännischen Buchführung erlangt hatte, begriff er leicht, was in der vorgelegten Rechnung am wichtigsten war. Nach dem reinen Gewinn, der in dem werthvollen Buche verzeichnet stand, durfte er sich und seinem Bruder zu Wimmer's bisherigen Speculationen gratuliren.
Es macht sich noch besser, mein Herr Ammer, bemerkte Beinheim, als Fürchtegott das Buch wieder bei Seite schob, wenn erst Einer der Unternehmer in Person die Verhältnisse drüben in der neuen Welt in Augenschein nimmt. Wäre gern selbst gegangen, bin aber zu alt, zu stumpf, zu bequem und auch zu starr kann mich nicht mehr in Andere fügen. Die Jugend ist da besser am Platze. Danke es meinem alten Freunde, Lazarus Wimmer, daß er so gut gewählt hat. Nicht wahr, sie sind auch zufrieden, Herr Ammer?
Fürchtegott gab seine Zufriedenheit zu erkennen, obwohl der Mann, mit dem er ja doch von jetzt an in engste Verbindung treten mußte, ihm gar nicht gefiel. Das Comptoir dünkte ihm ein Gefängniß zu sein, Herr Beinheim ein Verhörrichter, dem es Vergnügen, ja Genuß bereitete, mit trockenen, harten, peinlichen Fragen einem Dritten alle Geheimnisse des Lebens abzugewinnen.
Wir sind heute Vormittag schon an Bord des »guten Glückes« gewesen, sprach Erichson, und haben die Ladung einnehmen sehen. Es wollte mir aber scheinen, als sei noch viel Raum im Schiffe. Die Sendung Herrn Ammer's reicht nicht zu, das Schiff zu befrachten.
Ist so und soll so sein, Herr Erichson, versetzte der Kaufmann, und über sein lederfarbenes Gesicht glitt ein kaum merkliches Lächeln. War calculirt soll hoffentlich von gutem Nutzen sein, was ich vorhabe.
Haben Sie andere Waaren außer meinen Geweben mit in die neue Welt zu versenden? warf Fürchtegott fragend ein, der im Bewußtsein seines Geldes und der Macht, die er besaß, schon dreister ward.
Ein spitzer Blick aus Beinheim's kalten Augen erschreckte ihn fast, er fühlte sich jedoch sofort wieder beruhigt und sicher, da sein Compagnon hinzufügte:
Denke so etwas zu thun, versteht sich, mit Ihrer Erlaubniß. Sollen davon wissen kommen Sie!
Herr Beinheim verschloß das Hauptbuch, steckte den Schlüssel zu sich, bedeckte sein spärliches Haar mit einer sehr alten, zergriffenen Lederkappe, nahm einen großen Schlüssel von der Wand neben seinem Arbeitspulte und verließ, seinen Gästen stumm winkend, das Comptoir.
Durch einen langen düstern Gang geleitete sie Herr Beinheim über einen von hohen Gebäuden umgebenen Hof nach einer schmalen Pforte, die zu einem abgesonderten vierstöckigen, aus Fachwerk leicht gebauten Hause führte. Diese Pforte erschloß der Kaufmann und nöthigte seine Begleiter, einzutreten. Fürchtegott wäre lieber zurückgeblieben, denn ein unangenehmer, das Athmen erschwerender Dunst erfüllte das Innere des sehr geräumigen Gebäudes und verursachte dem Jünglinge Beängstigungen. Indeß seine Neugier war doch größer, und so entschloß er sich mit unsichern Tritten eine steile Treppe hinanzuklimmen, die in das erste Stock führte. Erichson und Beinheim folgten.
Oben angekommen, betraten die drei Männer einen saalartigen Raum, der durch mehrere sehr kleine Fenster nur dürftig erleuchtet ward. In diesem Raume würde es jetzt schon völlig Nacht gewesen sein, hätten nicht einige Laternen, die am Gebälk der Wände befestigt waren, ein spärliches Licht verbreitet.
Der schon erwähnte seltsame Dunst war hier noch schärfer, als im unteren Raume. Zugleich bemerkte Fürchtegott wallartig aufgeschichtete dunkle Massen, die hier lagerten und durch welche sich schmale Gänge fortzogen. Er sah den Makler fragend und herausfordernd zugleich an, denn er befand sich wirklich in einiger Verlegenheit, da er durchaus nicht zu errathen vermochte, welche seltsame Stoffe Herr Beinheim, der Compagnon der Firma »Ammer Söhne u.Comp.« hier wohl aufgestapelt haben möchte.
Beinheim, der den Jüngling nicht aus den Augen ließ, errieth seine Gedanken, darum zeigte er mit einem gewissen Stolz auf die hoch geschichteten unklaren Massen und sagte zuversichtlich:
Das ist Gold, pures Gold! Wird Ihnen dereinst gar wohl gefallen, mein bester Herr Ammer!
Erichson nickte beifällig mit dem Kopfe und rieb sich vergnügt lächelnd die Hände, indem er sagte:
Ich verstehe, werther Herr Bruder, verstehe. Aber ich muß bewundernd bekennen, daß Sie doch eigentlich spitzbübisch klug sind!
Bei näherer Besichtigung der in den weiten Räumen aufgehäuften Gegenstände glaubte Fürchtegott theils unregelmäßig geformte Stücke Tuch der verschiedensten Farben darin zu erkennen. Vom tiefsten Schwarz bis zum brennendsten Roth mit allen dazwischen liegenden Mitteltinten, gestreifte und carrirte, geschmackvolle und geschmacklose Muster: es war in dieser ungeheuern Niederlage von Millionen großer und kleiner Fetzen für jedes Bedürfniß gesorgt.
Der junge Ammer, durch die außerordentliche Menge neugierig gemacht, schritt die schmalen Zwischenräume auf und ab, und erlaubte sich, hin und wieder einen Packen zu befühlen und genauer zu betrachten. Es waren zweifellos Stückchen Tuch, einige ganz und sauber gehalten, andere mehr oder weniger gebraucht. Mit großer Accuratesse aber hatte eine ordnungsliebende Hand die verschiedenartigsten Muster von einander geschieden, und nur Zusammenpassendes in ein Paquet oder Bündel geschnürt, so daß trotz des eigentlich widerwärtigen Stoffes das so geordnete doch immer in gewissem Sinne als verkäufliche Waare gelten konnte, falls sich überhaupt für derartige Abfälle irgendwo Käufer fanden.
Beinheim ergötzte sich offenbar an dem Staunen, das sich in Fürchtegott Ammer's Mienen spiegelte. Mit Nachdruck bedeutete er seinem Compagnon wiederholt, daß Alles, was hier lagere, und womit der Speicher bis zum obersten Bodenraum vollgepfropft sei, nur aus verbrauchten Dingen, aus dicken und dünnen, feinen und groben Tuchlappen bestehe.
Und das nennen Sie Gold, Herr Beinheim? fragte Fürchtegott, ungläubig die Nase rümpfend, als er den Raum durchschritten hatte und bei einer Gruppe Arbeiter stehen blieb, die beschäftigt waren, das Material zu sichten und Zusammengehöriges übereinander zu schichten.
So nenn' ich es, bekräftigte der Kaufmann, und wollen Sie Zeuge sein, wie man aus Lappen und Lumpen, die bei uns in Europa fast werthlos und deßhalb billig zu haben sind, in der neuen Welt Gold macht, gedenke ich den noch frei gebliebenen Raum Ihres Schoners mit diesen Packen vollzustopfen. Es hat nichts zu sagen, wenn sie auch während der Ueberfahrt leiden sollten. Meine Handelsfreunde in Amerika sind nicht penible.
Fürchtegott hörte stirnrunzelnd zu. Er war nahe daran, zu glauben, der alte kluge Kaufherr wolle sich über ihn lustig machen und seiner Unerfahrenheit etwas aufbinden. Der überaus pfiffige, dabei kalt überlegene Ausdruck seines listigen Gesichtes bestärkte ihn noch darin. Sah er dann aber wieder auf Erichson und dessen ernste, befriedigte Mienen, so ward er in seinen Vermuthungen wieder schwankend.
Ich fürchte nur, Herr Beinheim, versetzte der junge Ammer etwas zögernd, der Geruch dieser alten Sachen kann sich dem frischen Linnen mittheilen und es dadurch verderben. Mein Vater würde sehr scheel dazu sehen und wahrscheinlich nach einer solchen Erfahrung keinen Faden mehr nach Amerika schicken.
Was geht mich und uns Ihr Herr Vater an! versetzte Beinheim stolz. Sind Sie nicht selbstständig, und machen wir nicht von heute an durch unseres gemeinsamen Freundes, Herrn Lazarus Wimmer's Vermittelung, Geschäfte auf eigene Hand? Will der Herr Vater später sein Eigenthum nicht mehr auf den Schiffen der Herren Söhne versenden, nun gut, so mag er sie im Lande an Bauer und Bürger auf Jahrmärkten und durch Landkrämer verhandeln lassen. Den Gebrüdern Ammer wird es nicht an Händen fehlen, um Waaren in Menge herzustellen. Uebrigens kann ich Ihnen, mein werther Freund und Compagnon, die Versicherung geben, daß Ihre Befürchtungen unnütz und grundlos sind.
Diese Worte beruhigten Fürchtegott, weil sie seiner Eitelkeit schmeichelten. Er fühlte sich dem erfahrenen Kaufherrn gleich und ebenbürtig, und Recht mußte er ihm geben, wenn er bedachte, daß all' sein zukünftiges Handeln ja ganz und gar unabhängig sei von des Vaters möglichen Bedenken und Einsprüchen.
Es wäre mir dennoch angenehm, Herr Beinheim, sagte er, wenn Sie mich gefälligst etwas tiefer in den Geschäftsgang einweihen und über die Wege belehren wollten, die Sie einzuschlagen gedenken, um Sie verzeihen das Wort aus Lumpen und Lappen Gold zu machen.
Brav gesprochen! versetzte Beinheim. Ich sehe schon, Herr Wimmer hat nicht zu viel Gutes von Ihnen gesagt. Kehren wir zurück in's Haus. Der Thee wird schon auf uns warten. Da sollen Sie denn erfahren, wie ein Kaufmann speculiren muß, um es zu etwas zu bringen.
Schweigend verließen die drei Männer den dunkeln Speicher. Im Vorderhause nahm sie ein gemüthlich ausgeschmücktes Wohnzimmer auf, dessen Fenster der Straße zugekehrt waren. Hier brannte bereits Licht, der Tisch war gedeckt, der Kessel sang; kurz, es war eine Räumlichkeit, in der man nur gern verweilen mochte. Nachdem die Haushälterin still den Thee bereitet hatte, entfernte sie sich. Fürchtegott wagte, seine Frage zu wiederholen, und Beinheim, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr kurz, streng, ja bisweilen fast grob, gab dem verwundernd zuhörenden jungen Ammer folgende Aufschlüsse:
Amerika, mein Freund, ist ein Land, in dem es nur zweierlei Menschen gibt, nämlich sehr kluge, civilisirte, und ganz dumme, uncivilisirte. Zu der ersten Sorte gehören alle Weißen, Eingeborene wie Eingewanderte, zu der letzten die sogenannten Urbewohner des unermeßlichen Continents, d.h. die verschiedenen Indianerstämme, die sich gegenseitig aus blinder Eifersucht skalpiren und auffressen, und das dumme Negervolk, das die speculativen Europäer verteufelt witzig »Ebenholz« nennen und ein brillantes Geschäft durch klugen Verkauf dieser stockdummen schwarzen Simpel machen. Freilich schimpfen die Humanitätsschwärmer und Philanthropen diese Ebenholzhändler Seelenverkäufer und wollen sie damit zu großen Sündern stempeln; aber, mein Gott, was sollte denn aus der Welt, aus Handel und Wandel werden, wenn man erst bei diesen Schwindelköpfen anfragen wollte, ob es wohl erlaubt, moralisch und was weiß ich sonst noch sei, diesen oder jenen eben begehrten Artikel zu einem Handelsartikel zu machen!
Erichson mußte herzlich lachen, indem er behaglich den köstlich duftenden Thee schlürfte. Ich sag's ja, warf er dazwischen, Sie sind spitzbübisch klug, Freund Beinheim.
Ich halte mich gar nicht für besonders klug, mein sehr werther Freund Erichson, erwiderte Ammer's Compagnon, aber ich glaube durch langjährige Erfahrung einige kaufmännische Praxis gewonnen zu haben. Und diese ist für mich maßgebend bei jedem Geschäft, das ich abschließe, bei jedem Unternehmen, das ich wage.
Der Makler nickte beifällig mit dem Kopfe und Beinheim fuhr fort:
Indianer und Neger kennen weder den Werth des Geldes noch den Werth der Waaren. Sie schätzen Alles nach dem Wohlgefallen ab, das es beim Anblick ihren dummen Augen gewährt, weil sie nicht rechnen, nicht calculiren gelernt haben. Darum halten sie häufig, ja sogar gewöhnlich werthlose Dinge für äußerst werthvoll, während die kostbarsten Gegenstände ihnen kaum beachtenswerth dünken. Wenn nun ein verständiger, richtig urtheilender, mit europäischer Bildung gesegneter Mann die Dummheit dieser Halbmenschen benutzt, indem er ihnen gibt, mit vollen Händen gibt, was sie wünschen, und dafür entgegennimmt, was sie mit aller Gewalt los sein wollen, kann in solchem Handeln wohl irgend ein billig denkender Christenmensch etwas Widerrechtliches oder gar Unmoralisches und Schlechtes entdecken?
Handel und Wandel kennen keine Freundschaft, sagte der Makler, mithin ist jeder Handeltreibende berechtigt, vor Allem zuerst seinen Vortheil im Auge zu behalten.
Das mein' ich auch, fuhr Beinheim fort, sich wieder an seinen jungen, mit größter Spannung zuhörenden Compagnon wendend. Sie haben sicherlich schon früher gehört, daß die Wilden Alles, was blinkert, blitzt und glänzt, ungemein lieben; weßhalb denn auch alle Naturforscher, die sich in unbekannte Länder, unter uncivilisirte Nationen oder Volksstämme wagen, mit dergleichen Dingen sich versehen, um die Wilden damit zu beschenken und sie sich auf solche Weise zu Freunden zu machen. Glasperlen, unächte Corallen, gegossene und geschliffene Zierrathen von Zinn, Federn, buntes Wollenzeug und ähnliche Dinge haben für alle Wilden den größten Werth. Sie behängen sich damit auf die lächerlichste Weise und sind am stolzesten, wenn sie am abgeschmacktesten sich aufgeputzt haben. Nun erlaube ich mir zu erwähnen, mein junger Freund, daß unsere Missionäre vor einiger Zeit in ihren Berichten über den Fortschritt des Christenthums unter den Heiden in Südamerika die Bemerkung mit einfließen ließen, daß es schwer halte, diesen wunderlichen Naturkindern die Lehre von der Liebe in's Herz zu pflanzen, wenn man sie nicht zugleich mit etwas beschenke, das ihnen gefalle. Man habe die Erfahrung gemacht, daß Indianer und Neger sich leicht bekehren und taufen ließen, wenn man ihnen irgend ein Kleidungsstück oder auch nur ein Fragment eines solchen gebe, in das sie sich versteht sich nach ihrem eigenen Geschmacke hüllen könnten. Wilde, die man auf solche Art dem Christenthume zuführe, seien stets dankbar, wünschten immer mehr ihren Augen gefällige Gegenstände zu besitzen und händigten dafür Jedem, der ihnen solche Dinge liefere, unaufgefordert kostbare Edelsteine, Gold, Silber und andere werthvolle Sachen ein, ja drängten ihnen dieselben sogar auf.
Als ich dies las, leuchtete es mir sogleich ein, daß sich diese der indianischen Natur innewohnende Eigenthümlichkeit vortheilhaft für den europäischen Handel müsse ausbeuten lassen. Ich machte also einen kleinen Versuch mit bunten, recht in die Augen fallenden Tuchen, die ich im Ganzen kaufte, zu Röcken und Schürzen verarbeiten ließ und hinüber schickte. Der Gewinn dafür war ein fabelhafter. Perlen und Goldstaub, Edelsteine aller Art gab das dumme Volk für ein brennendrothes Stück Tuch, das nur einige Groschen werth war. Das Geschäft, schrieb mir ein Holländer von drüben, würde sich noch viel brillanter gestaltet haben, wären die Fetzen recht buntfarbig gewesen! Darauf hin habe ich nun weiter calculirt und Alles, was ich an bunten, viel- und einfarbigen Tuchstücken auftreiben konnte, an mich gekauft, um es nach und nach zu verschiffen und mir es von den dummen amerikanischen Wilden mit Gold aufwiegen zu lassen. Wie groß oder wie klein das Stück sei, darauf kommt es diesen getauften Kannibalen wenig an. Je bunter der Rock, desto mehr ist er ihnen werth. Wir fordern nicht, wir tauschen nur, und wir können mit Zuversicht darauf rechnen, daß bei diesem merkwürdigen Tauschhandel das Hundertfache, bisweilen sogar noch mehr verdient wird. Jetzt, lieber Herr Ammer, denke ich, wird meine Liebhaberei für allerdings etwas unangenehm riechende alte Stücke Tuch Ihnen wie Weihrauch und Myrrhen die Nase kitzeln, und Sie werden schwerlich diese so kostbare Fracht nicht in Ihr Schiff nehmen.
Fürchtegott besaß genug praktischen Tact, um zu begreifen, daß eine derartige Speculation, die sich auf die Unkenntniß und die spielerischen Neigungen eines Naturvolkes basirte, überaus gewinnbringend sein müsse. Er war ferner hinlänglich von kaufmännischem Geist durchdrungen, um einen sich darbietenden Vortheil nicht aus der Hand zu geben, weil sich vielleicht einige Skrupel dagegen vom streng moralischen Standpunkte aus erheben ließen. Der Werth jeglicher Sache ist ja stets illusorisch, ändert sich je nach Umständen und Bedürfnissen und ist deßhalb völlig unberechenbar. Fürchtegott billigte daher die Handlungsweise Beinheim's vollkommen. Begehrten die ungebildeten Indianer Amerika's Stoffe, die sich in Europa massenhaft vorfanden, waren sie über die Farben derselben entzückt, und tauschten sie diese ein für Gegenstände, welche den Europäern mangelten und gerade deßhalb bei diesen hoch im Preise standen; so wäre es mehr als thöricht gewesen, einen solchen Tauschhandel von der Hand weisen zu wollen. Muß doch ohnehin der Kaufmann oft genug ungeheure Summen auf's Spiel setzen, um im glücklichen Falle Großes zu gewinnen. Er gab deßhalb Herrn Beinheim seine volle Zustimmung und ersuchte ihn, von den erwähnten Stoffen so viel als immer möglich an Bord des »guten Glückes« bringen zu lassen.
Wohl; ich bin ungeheuer praktisch, erwiderte der Compagnon, und da ich mit Vergnügen bemerke, daß Sie ebenfalls Sinn dafür haben, werden wir gute Geschäfte zusammen machen.
Erichson hatte schon einigemale nach der Uhr gesehen. Er hatte seiner sehr pünktlichen Gattin das Versprechen geben müssen, nach acht Uhr mit dem jungen Ammer wieder zu Hause sein zu wollen. Dies Versprechen zu halten, daran war ihm viel gelegen; denn obwohl der Makler in allen rein geschäftlichen Angelegenheiten vollkommen Herr seines Willens war und nie eine Einmischung seiner wackern Frau zu fürchten hatte, erfreute er sich doch einer gleich großen Unabhängigkeit nicht in Hinsicht der häuslichen Ordnung. Hier schaltete Madame Erichson vollkommen unbeschränkt. Namentlich hielt sie mit unerbittlicher Strenge auf das Heimkommen des Maklers zu einer bestimmten Stunde. Erlaubte sich Erichson diese Zeit dann und wann zu überschreiten, so konnte Madame Erichson aufhören liebenswürdig und zärtlich zu sein. Das Gerücht wollte sogar wissen, daß in solchen Fällen die Gardinenpredigten stundenlang gedauert hatten, und mit einer Vernehmbarkeit gehalten worden waren, an der sich mehr als ein Nachbar mit erbauen konnte. Da Erichson aus Erfahrung wußte, daß seine Gattin, einmal gereizt, keine Rücksicht vor Fremden nahm, so war ihm begreiflicher Weise sehr viel daran gelegen, Fürchtegott Ammer diesen Genuß nicht zu Theil werden zu lassen. Herr Beinheim war einigermaßen eingeweiht in die häuslichen Freuden seines Geschäftsfreundes; er hielt ihn deßhalb nicht länger auf, sondern drängte vielmehr selbst zum Aufbruche, indem er mit eigenthümlichem Lächeln zu Fürchtegott sagte:
Sie müssen wissen, Herr Ammer, Madame Erichson, meines lieben Freundes verehrte Frau Gemahlin, ist ganz ungeheuer praktisch! Guten Abend, guten Abend! Auf Wiedersehen morgen an der Börse!
Als Fürchtegott ziemlich spät und von der lebhaften Unterhaltung seiner Gönnerin während des Abendessens nicht wenig ermüdet, sich auf seinem Zimmer fand, fühlte er sich in einer bisher nie gekannten Stimmung. Dieser erste Tag in der großen Welt hatte ihm ganz neue Gesichtskreise eröffnet. Er war um eine Menge Erfahrungen reicher geworden, denn jeder Schritt, den er that, enthielt für ihn eine Belehrung. Diesem ungeheuern, unübersehbaren Reichthum eines Lebens gegenüber, das für die Zukunft arbeitete, erschien ihm seine Vergangenheit so farblos, daß er mit Widerwillen daran dachte. Dies ewige, tonlose Einerlei stieg jetzt in der Erinnerung vor ihm auf, wie ein grauer, kalter Nebel. Keine Macht der Erde würde ihn vermocht haben, wieder zurückzukehren in jene alten Verhältnisse. Armer Vater! bedauernswerthe Mutter! rief er aus, noch einen Blick auf den Binnenhafen werfend, dessen Wasserstreifen der Mond mit flimmerndem Silber bestreute. Wie herrlich, wie freudenvoll könntet ihr leben, wüßtet ihr nur erst, was leben heißt! Aber Vater will es ja nicht wissen! Vater befindet sich ja am wohlsten in seinen beschränkten Verhältnissen. Darum auch paßten wir nicht zu einander, und es war gut, daß ich die Ketten brach und als selbsteigener Mann meinen Neigungen folgte und dem Rufe, welcher durch des Grafen und Wimmer's Stimme an mich erging.
Mit diesen und ähnlichen Gedanken beschäftigt, entschlief unser Freund, um von bunten Träumen umgaukelt, bald als armer Weberbursche den Karren zu schieben, bald in unbekannten Gegenden, in ferner Welt, umgeben von wunderbaren Pflanzen und seltsamen Thiergestalten, die ganze Nacht ein vielbewegtes Leben zu führen.
Die wenigen Tage seines Aufenthalts in Hamburg benutzte Fürchtegott theils zu kleinen Ausflügen in die reizende Umgegend der opulenten Handelsstadt, wobei Madame Erichson seine treueste Begleiterin und ein unermüdlich sprechender Cicerone war, theils zur Besichtigung der Stadt, die so viel Merkwürdiges darbot. Er vergaß darüber jedoch nicht, sich auf die bevorstehende Reise vorzubereiten, sich möglich genau mit dem Geschäft bekannt zu machen, wobei Herr Beinheim, der »ungeheuer praktische« Mann, ihm nach Kräften behilflich war, weßhalb denn auch Fürchtegott täglich einige Stunden auf dem entsetzlich engen Comptoir des trockenen und strengen Mannes arbeitete und dabei mehrfach Gelegenheit hatte, die seltsamen Eigenheiten desselben kennen zu lernen.
Inzwischen hatte das »gute Glück« seine volle Ladung eingenommen, das Schiff ward klar gemacht, und Fürchtegott mußte an Bord gehen. Madame Erichson ließ es sich nicht nehmen, ihren Schützling dahin zu begleiten. Es war der trefflichen Dame durch ihre Ausdauer gelungen, dem gelehrigen Jünglinge die allernöthigste Kenntniß des Plattdeutschen beizubringen, so daß Ammer in den letzten Tagen seines Aufenthaltes wirklich das Wagniß unternahm, mit der Gattin seines gastlichen Wirthes einzelne plattdeutsche Redensarten zu wechseln, worüber sich dieselbe über alle Maßen freute. Fürchtegott mußte ihr wiederholt das Versprechen geben, von Amerika an sie zu schreiben. Sie erinnerte ihn nochmals daran an Bord des »guten Glückes«. Erst als schon der Anker aufgewunden war, und bereits die Segel entfaltet wurden, trennte sie sich von dem lieben jungen Menschen, eine Thräne der Rührung zwischen den Wimpern zerdrückend. Das »gute Glück« aber, auf dessen Hinterdeck, nahe dem Steuerrade, Fürchtegott Ammer stand, über das Geländer gebeugt, in den Strom, auf den Mastenwald des Hafens und auf die Häusermassen der geräuschvollen Stadt hinabblickend, glitt mit schwellenden Segeln stromabwärts und war schon nach einer halben Stunde den Blicken des Maklers und seiner Frau entschwunden, die auf leichtem Boote jetzt durch den Hafen zurück nach dem Baumhause fuhren.