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Ein trüber, windiger Septemberabend ließ die ohnehin einförmigen Ufergegenden an der Niederelbe recht unfreundlich erscheinen. Der starke Westwind trieb graue niedrig ziehende Wolken über Feld, Wald und Haide, drückte den Rauch, der aus den Schornsteinen oder den Dachlucken der nach altsächsischer Weise erbauten Häusern aufstieg, niederwärts, daß er nebelartig um die Wohnungen lagerte, und wühlte die Wellen des immer mehr sich verbreiternden Elbstromes so gewaltig auf, daß die darauf fortziehenden Schiffe in starke Bewegung geriethen.
Der Tag neigte sich schon, als ein offener Wagen mit drei Reisenden in Hope anlangte. Der Jüngste der Reisenden, die dem Handelsstande anzugehören schienen, erkundigte sich sogleich im Gasthause nach einem Schiffer, dessen Namen er nannte, indem er fragte, ob das begehrte Fahrzeug in Stand gesetzt und seiner gewärtig sei. Der Schiffer befand sich in einem Nebengemach, stellte sich sofort dem Fremden vor und erklärte sich zur Abfahrt bereit. Der junge Mann selbst war mit dieser Bereitwilligkeit sehr zufrieden, und da er Eile zu haben schien, begnügte er sich, ein Glas Wein zu trinken, worauf er ohne Verzug dem Schiffer an den windigen Landungsplatz folgte.
Hier lag ein kleiner Ewer, der zur Aufnahme des jungen Mannes schon von Lüneburg aus bestellt worden war. Fürchtegott Ammer denn ihn haben wir vor uns betrat die schwanken Bretter unter stärkerem Herzklopfen, mißtrauisch die gelbe wallende Fluth betrachtend, die am Kiel des Ewers sich schäumend brach.
Bald glitt der Ewer durch die Wellen, mehr von der ablaufenden Fluth als von dem Winde unterstützt, der zu Thal segelnden Schiffen nicht besonders günstig war. Der Schiffer, ein mittelgroßer, breitschultriger Mann, sprach nur wenig, und da Fürchtegott das Bedürfniß der Unterhaltung ebenfalls nicht spürte, so wurden zwischen dem Schiffsführer und dem Passagiere nur selten einige Worte gewechselt.
Ungeachtet dieser gegenseitigen Schweigsamkeit langweilte sich der junge Ammer durchaus nicht. Er hatte in den letzten Wochen so viel Bedeutendes erlebt, daß er noch Monate von der Erinnerung zehren konnte, wenn sich seine Natur überhaupt dazu hingeneigt hätte. Da er sich aber um die Vergangenheit nur selten kümmerte, sondern nach Art rastlos strebender Menschen immer nur seine Blicke auf die Zukunft richtete, mußte sein Geist wohl Beschäftigung finden beim Erblicken der Thürme Hamburg's, die schon seit geraumer Zeit in der Ferne sichtbar waren und mit jeder Viertelstunde näher kamen.
Inzwischen ging die Sonne unter, der Himmel überzog sich mit immer dunkleren Wolkenbehängen, über den Strom lagerten sich Nebel, und bald vermochte Fürchtegott Ammer nichts mehr als die trübgelbe Woge und die schwarzen Ufergelände zu erkennen.
In seinen Mantel gehüllt saß er am Mastbaume und starrte unverwandt in die graue nebelreiche Ferne. Der Ewerführer mußte kreuzen, weil der Wind zu stark wehte. So oft er die rothbraunen Segel umlegte, schnalzte er allemal mit der Zunge und sagte dabei: Düvel up! was zwar Fürchtegott nicht verstand, ihn aber, da es sich regelmäßig wiederholte, doch unterhielt.
Bald sah man zur Rechten Lichter schimmern, man hörte Geräusch und Lärm, und etwa eine gute Stunde nach Sonnenuntergang zeigte das Mastengewimmel und hinter demselben die vielen aufblitzenden Lichter, daß man Hamburg erreicht habe.
Der junge Ammer blickte verwundert nach allen Seiten. Jetzt legte der Ewer an unter einer solchen Menge sich drängender oberländischer Kähne, daß der an solches Leben und Treiben Ungewohnte befürchtete, es könne ein Unglück geschehen. Das Rufen und Lärmen, das Schreien und Zanken am Ufer war betäubend. Er bat deßhalb den Schiffer, daß er behilflich sein möge, ihm in diesem bunten Durcheinander Jemand zu verschaffen, der ihn nach dem Innern der großen, ihm völlig fremden Stadt geleite.
Dat sall wol sien, sagte kurz und trocken der Schiffer, sein Fahrzeug befestigend. Als dies geschehen war, half er dem jungen Manne sein Gepäck, das aus einem einzigen, nicht sehr großen Koffer bestand, an's Land tragen, rief einen Droschkenführer und stellte es in den Wagen.
So, sprach er, seine Mütze ziehend, jetzt ist der junge Herr sicher wie in Abrahams Schooß. Zahlung ist schon im Voraus geleistet, ich bitte deßhalb bloß um ein Trinkgeld und wünsche gute Geschäfte.
Fürchtegott drückte dem Manne ein Geldstück in die Hand, sagte dem Kutscher Straße und Hausnummer, die er beide seinem Gedächtniß fest eingeprägt hatte, und rollte nun, sich bequem in den weichen Kissen wiegend, in das Gewühl der engen Straßen hinein, die ihn mit gar wunderlichen Augen ansahen.
Unfern des Binnenhafens, »bei den Mühren«, lag die Wohnung des Mannes, von welchem der junge Ammer weitere Ordre erhalten sollte. Dieser Mann nannte sich Erichson, stammte aus Schweden, war in Christiansfelde erzogen worden und ein sehr intimer Freund Wimmer's.
Erichson hatte in seinem Aeußern manche Aehnlichkeit mit Wimmer. Er war für gewöhnlich still oder doch wortkarg, wenn er aber sprach, so geschah es ganz in der Weise strenger Herrnhuter, sanft, mit etwas salbungsvoller Stimme und immer demuthvoll. Ein lächelnder Zug spielte dabei stets um Erichson's Lippen. Fürchtegott würde sich in der sehr comfortable eingerichteten Wohnung dieses Herrn ganz heimisch gefühlt haben, wäre ihm nicht Alles so fremd, so ganz anders vorgekommen. Selbst die Sprache klang ihm fast unverständlich, denn Erichson sprach das Hochdeutsch mit scharfem, nordschleswig'schen Accent. Dies und ein sich fort und fort wiederholendes Lächeln, so oft Fürchtegott den Mund zum Sprechen öffnete, machten diesen verlegen. Der provincielle Dialect, dessen sich der, noch nie in die Welt gekommene Weberssohn befleißigte, klang dem Zöglinge der Christiansfelder Brüdergemeinde auch höchst sonderbar. Noch größer ward Fürchtegott's Bestürzung, als der Abendtisch geordnet ward, der Kessel auf dem Theecomfort, eine Maschine, aus welcher der Sohn der Grenzgebirge Böhmen's gar nicht klug werden konnte, zu singen begann, und jetzt die wohlbeleibte Madame Erichson hereinrauschte, dem Jünglinge freundlich zulächelte und sogleich mit geläufiger Zunge in breitestem Hamburger Plattdeutsch nach hunderterlei Dingen fragte.
Fürchtegott sperrte Mund und Nase auf, strengte vergebens sein Gehör an, um den Sinn des ihm völlig fremden Idioms zu errathen, ward vor Angst bald roth, bald blaß, und sah sich zuletzt genöthigt, durch verlegenes Stottern zu antworten.
Damit war jedoch Madame Erichson durchaus nicht zufrieden. Die redselige Dame wollte um jeden Preis von dem fremden, jungen Manne, den Wimmer brieflich so warm empfohlen hatte, unterhalten sein. Sie begehrte Auskunft über seine Familienverhältnisse, wollte wissen, ob er schon verlobt sei, wie viele Geschwister er habe, ob es der Mutter schwer geworden, sich von ihm zu trennen, und dergleichen mehr. Je rascher und dringender aber Frau Erichson fragte, in desto tieferes Schweigen hüllte sich der verschüchterte Jüngling. Selbst sein Appetit verlor sich vor lauter Bangigkeit, so daß er die treffliche Tasse Thee und das schmackhafte Fleisch, das ihm die freundliche Frau gar reichlich vorgelegt hatte, kaum anzurühren vermochte.
Ihr Gatte bemerkte lächelnd, daß der junge Mann des Plattdeutschen nicht mächtig sei, wenn sie Hochdeutsch sprechen wolle, werde die Unterhaltung gewiß sehr bald in Fluß kommen.
Jetzt war es an Madame Erichson verlegen zu werden, denn dieser ächten Tochter der Marsch war es nie in den Sinn gekommen, sich der hochdeutschen Sprache zu bedienen. Lesen konnte sie es zur Noth wohl, gesprochen hatte sie es nie, und wollte sie ganz aufrichtig sein, so verstand sie es nicht einmal vollkommen, am wenigsten ein Hochdeutsch mit so stark ausgeprägtem mitteldeutschen Accent.
Madame Erichson wäre gern ärgerlich geworden, wenn sie nur gewußt hätte, gegen wen sie ihren Aerger auslassen sollte. Sie hatte sich schon seit Tagen auf die Ankunft des jungen Ammer gefreut, von dem Herr Wimmer so viel Liebes und Gutes gemeldet, und nun konnte sie sich mit dem frischen, wohlgebauten Jünglinge nicht einmal unterhalten! Alle ihre Pläne scheiterten an ihrer Nichtkenntniß des Hochdeutschen. Sie hatte sich vorgenommen, Fürchtegott alle Herrlichkeiten der großen Stadt zu zeigen, ja sogar zu erklären; sie wollte ihm zu Ehren eine große Gesellschaft bitten, mit ihm zu Lande und zu Wasser ausfahren denn sie war eine überaus lebenslustige Frau und nun verstand man sich nicht! Das war denn doch gar zu arg! Es hätte nicht noch der spöttischen Bemerkung ihres Mannes bedurft, um die würdige Matrone vollends in Harnisch zu bringen. Da sich aber Herr Erichson durchaus nicht abhalten ließ, in seiner trockenen, sanften Weise der lieben Ehehälfte gute Lehren zu geben, machte sich die höchlichst Geärgerte, so bitter Getäuschte in lebhaften Worten Luft, indem sie alle Schuld auf das tolle Volk schob, das sich einfallen ließ, den großen Thurm von Babel zu bauen. Gäbe es nur eine Sprache, wie es doch von Gott und Rechtswegen sein solle, so könnten sich alle Menschen leichtlich verständigen, während man jetzt bei dem unsinnigen Sprachgemisch Noth habe, Jemanden seine Ab- oder Zuneigung in verständlicher Rede zu erkennen zu geben. Gott sei Dank, daß bei sothanem Uebelstande der Mensch wenigstens noch Augen und Hände habe, die beide zusammen das ersetzen müßten, was der Mund nicht sprechen könne.
Nach diesem Herzenserguß, dem Erichson sehr gelassen zuhörte, während er tapfer zulangte, wendete sich die Matrone abermals zu Fürchtegott, der mit wahrer Verwunderung die Volubilität der Zunge seiner Beschützerin und die sonderbar klingenden Worte, die ihm meistentheils völlig unaussprechbar dünkten, vernommen hatte. Wirklich legte jetzt Madame Erichson, zum höchsten Ergötzen ihres Mannes, die liebenswürdigste Miene auf, denn er fand sie nie reizender und unterhaltender, als wenn sie sich Jemand angenehm zu machen versuchte. Ihre Augen sagten also dem jungen unerfahrenen Ammer, daß sie bereit sei, ihm den kurzen Aufenthalt in Hamburg so angenehm und erheiternd wie möglich zu machen, daß sie ihn wie einen Sohn liebe, daß sie ihn wahrhaft in's Herz geschlossen habe. Fürchtegott begriff diese, ihm zwar ganz neue, Sprache so ziemlich, nur kam ihm die Zärtlichkeit der schon bejahrten Dame höchst spaßhaft vor, weil er glauben mußte, Madame Erichson sei im Begriff, sich in ihn zu verlieben. Diesem Glauben sich hingebend, verlor sich bei Fürchtegott die bisherige Befangenheit sogleich. Er ward munter, ja lustig, und da er ganz auf das Mienenspiel der Matrone einging und ungefähr durch Blicke und Gebehrden erwiderte, so gewährte die Unterhaltung der beiden gezwungenen Stummen einem Dritten das ergötzlichste Schauspiel. Dieses Genusses erfreute sich denn in vollstem Maße Herr Erichson, der sich gar nicht satt sehen konnte an der Pantomime, die von Seiten seiner Frau mit Eifer und Leidenschaft, von Seiten Fürchtegott's mit schalkhaftem Uebermuth aufgeführt wurde. Dabei vergaß Madame Erichson nicht, ihrem Gaste die besten Bissen vorzulegen, und Fürchtegott, dem mit Ueberwindung der anfänglichen Schüchternheit der gesundeste Appetit zurückgekehrt war, ließ es sich trefflich schmecken, ohne deßhalb sein Gesten- und Mienengespräch mit der liebenswürdigen Dame des Hauses zu unterbrechen.
So wurde es ziemlich spät. Dem Sohne des Webers verstrich der erste Abend unter fremden Menschen höchst vergnüglich. War ihm auch Manches auffällig, konnte er auch nicht begreifen, wie es möglich sei, mit Unbekannten so vertraut umzugehen, so gefiel ihm doch auch wieder dieser Weltton und steigerte seine Begierde, recht viel zu sehen, recht weit zu reisen. An die Heimath dachte er gar nicht mehr. Das ihn umgebende Neue, das im Augenblick noch in die Schleier einer trüben Septembernacht gehüllt war, beschäftigte ihn ganz und ausschließlich.
In Ammer's Hause war man, wie wir schon früher bemerkt haben, gewohnt, zeitig zur Ruhe zu gehen. Diese Gewohnheit hatte auch Fürchtegott bis jetzt beibehalten. Kam die Zeit heran, wo die Familie sich zu trennen pflegte, so fühlte Fürchtegott immer eine Neigung zum Schlafe. Nur heute war dies nicht der Fall gewesen. Die lebhafte, aber eigenthümliche Unterhaltung mit Madame Erichson trug ohne Zweifel viel dazu bei, mehr aber noch mochte auf Fürchtegott die große Lebhaftigkeit in den Straßen täuschend wirken und ihn glauben machen, es sei noch ziemlich früh, während doch der Zeiger der Uhr bereits auf Mitternacht zustrebte.
Endlich wies Madame Erichson dem jungen Reisenden das für ihn in Stand gesetzte Gemach an und sagte ihm freundlichst gute Nacht. Draußen ward es allgemach auch stiller, bis denn nur noch die Rassel der Nachtwächter und der monotone Ruf derselben sich in das Rauschen des Windes mischte, ein Doppelgeräusch, das Fürchtegott bald in Schlummer wiegte.
Die Sonne vergoldete schon die zahlreichen Fensterreihen der gegenüberliegenden Häuser, als er am nächsten Morgen erwachte. Ueber Nacht hatte sich der Wind gedreht und die Wolkenmassen zerstreut. Es war etwas kühl, aber hell.
Eiligst schlüpfte Fürchtegott in die Kleider, öffnete ein Fenster und sah hinaus. Dieser erste Blick in die neue Welt erschreckte ihn beinahe, denn was da vor ihm lag, war ihm so wunderbar, so eigenthümlich fesselnd, daß er sich gar nicht satt daran sehen konnte. Nicht bloß die himmelhohen Häuser mit den spitzen Dächern, den wunderlich geformten Giebeln, den fast nur aus Fenstern bestehenden Wänden, machten einen nicht zu beschreibenden Eindruck auf ihn, viel mehr noch zog der Strom lauten Lebens ihn an, der schon zu so früher Tagesstunde durch die Straßen fluthete. Das Rufen der Fischhändlerinnen, der Gemüseverkäufer, der Milchleute, die seltsamen Trachten der Vierländerinnen und der Bewohner der Elbinseln: dies Alles nahm Auge und Ohr des jungen Ammer so ganz in Anspruch, daß er sich selbst darüber vergaß. Am meisten aber fesselte ihn der Anblick des Binnenhafens mit den vielen hundert Masten, dem schmalen Strich glänzenden Wassers, den er von seinem Fenster aus bemerken konnte, und der Wolke weiß glänzender Segel, die weiter in der Ferne im Morgenwinde wallten. Dieser erste Blick auf den Hafen, in dem es von Kähnen und Schuten wimmelte, machte das Herz des jungen Ammer schwellen. Er fühlte sich froh und reich in diesem Anblick, und wenn er dachte, daß eins jener Schiffe, deren Mastenspitzen er jetzt nur noch aus der Ferne sah, bereits ihm selbst zugehöre, hätte er vor Freude aufjauchzen mögen. Daß er selbst sich diesen Besitz nicht erworben hatte, daß er durch einen Dritten ihm zugefallen war, ja, daß er ihn sein nannte um den Preis, des eigenen Vaters Ruhe vernichtet, den Frieden und das Glück des elterlichen Hauses zerstört zu haben: daran dachte Fürchtegott im Hochgenuß seiner Freude nicht.
Da er bereits Leben im Hause vernahm, verließ er sein Schlafgemach, stieg die Treppe hinab und trat in das Fremdenzimmer. Er fand es leer, aber auf das Sauberste geordnet. An den beiden, fast eben so breiten als hohen, dabei kristallklaren Fenstern standen wohl an zwanzig Blumenstöcke in schön geformten, zum Theil sogar kostbaren Blumentöpfen. Der Fußboden war silbergrau gemalt und glänzte als hätte man ihn mit Lack überstrichen. Blüthenweiße, reiche und faltige Gardinen umgaben in wolkenartigen Formen die Fenster. Die Möbel waren, wie er sich bald überzeugte, von massivem Mahagony.
Mein Gott, welch ein Reichthum! sagte er unwillkürlich halblaut. Wer hat noch je gehört, daß man Stühle und Tische aus purem Mahagonyholz anfertigt! Und Spiegel mit goldenen Rahmen! Und ein so glänzender Messingkessel, der immer kocht! Was würde Flora dazu sagen, und erst der Vater!
Ein Schatten des Unmuths zog über Fürchtegott's Stirn, als er des Vaters gedachte. Schnell aber verscheuchte er diese ihm unbequeme Erinnerung, und fest der Gegenwart sich wieder zuwendend, sprach er: Was da! Bin ich nicht mündig, frei, mein eigener Herr? Das Glück der Zukunft wird Alles wieder in das rechte Geleise bringen.
Bald kam auch Herr Erichson und ein hübsches Dienstmädchen, das den Kaffeetisch in Ordnung brachte. Madame Erichson blieb vorerst unsichtbar.
Der Freund Wimmer's machte jetzt am hellen Tage keinen ganz so guten Eindruck auf den jungen Ammer, als am Abend vorher. Er sah gewissermaßen ledern aus, etwas gelangweilt, war dabei ungeachtet seiner äußern Freundlichkeit kühl, in sich zurückgezogen, und konnte einen stets lauernden Zug nicht gut verbergen. Indeß leuchtete Fürchtegott sogleich ein, daß ein Mann solchen Schlages im Verkehr mit Andern große Vortheile erringen müsse.
Erichson war Schiffsmakler. Durch ihn hatte Wimmer das amerikanische Geschäft eingeleitet und später den Kauf eines eigenen Fahrzeuges besorgen lassen. Auch wußte Fürchtegott, daß Erichson einen gewissen Antheil an dem Geschäft habe, da er unter der Hand bei rentabeln kaufmännischen Unternehmungen sich zu betheiligen pflegte.
Während des Frühstücks eröffnete er dem jungen Reisenden, in welcher Weise sie am zweckmäßigsten den Tag zubringen wollten, damit Fürchtegott zugleich Nutzen und Vergnügen davon habe.
Sie müssen wissen, mein junger Freund, sagte er, daß wir Hamburger Geschäftsleute sind, die eigentlich niemals Zeit haben, ausgenommen, wenn wir zur Stärkung des Körpers und Geistes etwas genießen. Bei uns ist Alles wohl geordnet. Zu gewissen Stunden des Tages thun wir dies, zu andern jenes, und zwar ohne Unterbrechung oder Abänderung Jahr aus Jahr ein. Dieser Pünktlichkeit, Ordnungsliebe und Solidität verdanken wir unsern guten Ruf als Handelsherren in der alten und neuen Welt; sie sind die Grundpfeiler unserer Wohlhabenheit, unserer bürgerlichen Freiheit, unserer trefflichen staatlichen Einrichtungen. Darum beneiden wir auch andere größere Staaten nicht um ihre Macht, denn offen gesprochen gewährt uns die unbegrenzt freie Bewegung, welche die republikanische Verfassung unseres kleinen Staates Allen gestattet, weit mehr Macht, gibt uns weit größeren Einfluß in fernen Ländern, als mancher sogenannte große Staat zu besitzen sich rühmen kann. Ein Hamburger in Ost- oder Westindien ist immer geachtet und geschätzt, was ein Kurhesse, ein Badenser, ein Würtemberger oder Sachse nicht ganz in gleicher Weise dürfte behaupten können. Darum preisen wir auch Gott und seinen heiligen Sohn für diese uns verliehenen Gaben und Güter, und sind nicht begierig nach größeren.
Bemerkungen solcher Art begriff der junge Ammer sehr gut, da er Sinn für alles Praktische hatte. Er hörte deßhalb auch stets aufmerksam zu, wenn von derartigen Dingen die Rede war, weil er gern lernen und von den Erfahrungen Anderer für sich selbst und sein dereinstiges Handeln möglichst viel profitiren wollte.
Um nicht unnöthig Zeit zu verlieren, fuhr Herr Erichson fort, werden Sie mich zuerst an den Hafen begleiten. Sie müssen sehen, wie ein Seehafen sich ausnimmt, und wie ein Seeschiff im Innern construirt ist. Haben wir das abgethan, so bleibt uns vielleicht noch Zeit zu einem Besuche bei Ihrem Compagnon, wo nicht, sprechen wir ihn an der Börse und gehen dann nach Tische zu ihm. Das wollen wir, weil es so viel nicht auf sich hat, dem Zufall überlassen.
Fürchtegott war natürlich mit diesen Anordnungen vollkommen einverstanden und konnte nur nicht begreifen, warum Herr Erichson keine Anstalt zum Aufbruch machte. Er saß noch in seinem bequemen Morgenrock und rauchte bedächtig eine Pfeife. Die Unruhe, die Sehnsucht, die den jungen Ammer verzehrte, der von allem dem, was er sehen sollte, noch gar nichts kannte, war in Erichson's Herzen freilich längst erloschen. Der Schiffsmakler strebte nicht mehr, er rechnete nur, und da seine Rechenkunst auf solidem Grunde ruhte, so pflegte er sich selbst nie zu verrechnen. Höchstens stellte sich ein Fehler im Facit heraus, wenn andere Geschäftsfreunde nicht ebenso vorsichtig wie er selbst Verlust und Gewinn gegen einander abwogen.
Erst nach neun Uhr Vormittags war der Makler zu Fürchtegott's Verfügung. Dieser hatte sich, da er weder rauchte, noch irgend eine andere Unterhaltung auffinden konnte, die ihm die Zeit verkürzte, ein paar Mal auf die Straße gewagt, nicht um in das Gewühl der Menschen sich zu stürzen, sondern nur, um einigermaßen einen Begriff von diesem rastlosen Treiben zu bekommen und sein Auge etwas daran zu gewöhnen. Es ward ihm fast schwindlig von all dem Fahren, Gehen, Drängen, Rufen. Und dabei gab es wieder so viel zu sehen, daß er am liebsten vor jedem Hause stehen geblieben wäre, um alle Gegenstände, die seinem scharfen Auge auffielen oder merkwürdig erschienen, seinem Gedächtnisse recht tief einzuprägen.
Fürchtegott athmete auf, als Herr Erichson, nach damaliger Sitte sehr fein gekleidet, einen großen Rohrstock in der Hand, ihm eröffnete, daß es nun Zeit sei an den Hafen zu wandern. Dieser Rohrstock, ja selbst die Farbe des Gehrockes, den der Makler trug, erinnerten ihn wieder flüchtig an seinen Vater, wobei er vorübergehend ein schmerzliches Stechen in der Brust fühlte.
Wir müssen uns etwas beeilen, sagte Erichson. Es ist Fluth, da kommen Schiffe auf, und ich habe einige Capitäne, die ich schon gestern erwartete, nothwendig zu sprechen.
Wenige Minute später schritt der Makler mit seinem jungen Begleiter die Häuser beim neuen Krahn entlang, wo Fürchtegott Noth und Mühe hatte von Ewerführern, Schiffsknechten und Arbeitsleuten nicht umgerissen zu werden. Denn während zur Rechten die vielfenstrigen Häuser mit den schmalen Thüren, den balconartigen Holzvorbauen unter schattigen Bäumen, den steil emporsteigenden Treppen und den vielen Kellern, in denen es wimmelte, wie in einem Ameisenhaufen, seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, fesselte ihn zur Linken wieder zuerst das Schiffsgewühl und jenseits des Hafens die malerische Häusergruppe am Kehrwieder. In seiner Schaulust achtete er nicht auf das Nächste und erhielt deßhalb von allen Seiten Püffe und Stöße. Jetzt erst begriff Fürchtegott die Bangigkeit Erdmuthe's, die in diesem rollenden Lärm und Leben kaum aufzublicken gewagt hatte. Erichson bemerkte die Verlegenheit seines jungen Begleiters und lächelte.
Könnten Sie nur acht Tage hier verweilen und wären genöthigt häufige Geschäftsgänge zu machen, so würden Sie sich bald daran gewöhnen, sagte er. Folgen Sie mir aber jetzt und lassen Sie vorerst das Bewundern sein. Zum Umsehen eignet sich ein offener Wagen besser. Da ist das Baumhaus, fuhr er fort, mit seinem Stocke nach dem seltsam aussehenden Gebäude deutend, da wollen wir ein Boot besteigen und uns unverweilt in den Jonashafen hinausrudern lassen.
Das Baumhaus! wiederholte Fürchtegott mit einer Art von Andacht, denn er gedachte der unbefangenen, glücklichen Jugendzeit, wo er, noch Schulknabe, einmal auf seinem Weihnachtstische den Robinson Crusoe gefunden und dies für alle phantasiereichen Kinder so reizende Buch während des Winters wohl zehnmal durchgelesen hatte. Hier am Baumhause, am Hafenquai hatte sich ja der junge Robinson herumgetrieben, ehe er seine abenteuerliche Reise antrat. In gewisser Beziehung wollte es dem jungen Ammer scheinen, als habe seine eigene Lage mit der jenes jungen Mannes, der so schwere Prüfungen erfahren sollte, eine entfernte Aehnlichkeit.
Dem Winke des stattlichen und hier wohlbekannten Maklers folgend, eilte einer der vorhandnen Bootführer in kurzer Seemannsjacke, einen glänzend schwarzen, niedrigen Hut auf dem blonden Haare, die Treppe hinab und löste eines jener hübsch geformten, meistens grün gemalten kleinen Fahrzeuge, die hier stets vorräthig sind. Fest und sicher trat Erichson in den Nachen, schwankend und ein wenig zaghaft folgte Fürchtegott. Dieser hatte schon wieder etwas zu bewundern, denn dem Baumhause schief gegenüber, am Ende des Kehrwiederwalles, lag ein der Ausbesserung bedürftiges Seeschiff auf dem Stapel, dessen Dimensionen dem Sohne des Binnenlandes ganz ungeheuer vorkamen, obwohl es nur ein mittelgroßer Schooner war.
Nach dem Rummel- und Jonashafen! befahl der Makler, sich neben seinen Schützling auf die Bank niedersetzend. Der Bootführer nickte und brachte durch behutsame Ruderschläge den Nachen in's freie Fahrwasser.
Jetzt erst bekam Fürchtegott das Baumhaus mit seinem fensterreichen Aufsatze und seinem Pfahlunterbau, welcher der Fluth Durchgang gestattet, ganz zu Gesicht, desgleichen den Hafen der Seeschiffe, von deren Raaen zahllose Segel halbgerefft im frischen, leisen Winde sich bauschten. Dieser Anblick überraschte unsern Freund dermaßen, daß er die erklärenden Worte Erichson's fast ganz überhörte, und unverwandt nur das gewaltige, lebensvolle und in der That großartige Gemälde seinem Gedächtnisse einzuprägen bemüht war.
Auf der anschwellenden Fluthwelle glitten zwischen den gewaltigen Rümpfen der großen Schiffe zahlreiche Schuten und kleine Boote hin und wieder, die meisten mit langen oder kurzen Ruderschlägen dem Binnenhafen zusteuernd. Da passirte der Nachen unserer Freunde Schuten, die fast bis an den Rand mit den goldgelben Körnern russischen Waizens aus den Küstenländern des schwarzen Meeres angefüllt waren. Die Führer derselben starke, schlanke Männer, im Hemdärmel, einen gewöhnlichen Hut auf dem Kopfe, bedienten sich an langen Stangen befestigter Hacken, die oben in eine Spitze ausliefen, um jetzt sich an den Hafenpfählen festhackend, die schwere Fracht vorwärts zu treiben, dann wieder das spitze Ende gegen die starken Pfähle stoßend, auf dem Borde fortschreitend, dem Fahrzeuge mehr Schwung zu geben. Hier begegneten ihnen andere lasttragende Kähne, die hochaufgepackt waren mit Baumwollenballen, mit Säcken frischen Kaffees, der selbst hier im Freien einen feinen, eigenthümlichen Geruch verbreitete. Dann bemerkte Fürchtegott wieder tief im Wasser gehende Kohlenschiffe, oder ein paar Ewer, von Fluth und Wind begünstigt, rauschten pfeilschnell dem Hafen zu, diese, um Heu und Stroh, jene, um Torf, noch andere, um Unmassen von Gemüsen oder Milch der viel verbrauchenden Stadt zuzuführen.
Dies unablässig rührige Leben, diese enorme Thätigkeit, dies ganze Ensemble einer mit den verschiedenartigsten Kräften rastlos arbeitenden Welt mußte den jungen Ammer wohl fesseln. Sein Instinkt sagte ihm, daß hier im Hafen Hamburgs die Welt bereits ein anderes Aussehen gewinne, als in den lieblichen Thälern seiner bergigen Heimath. Auch dort war man thätig und arbeitsam, aber mehr nur still für sich selbst, ohne innigen Zusammenhang mit dem großen Ganzen. Selbst das Verhältniß seines Vaters zu den vielen Webern, die er beschäftigte, war ein anderes, in sehr bestimmten Grenzen eingeengtes, während hier mit dem erweiterten Horizont ein unbegrenztes Feld der Thätigkeit dem Unternehmungsgeist des strebenden Menschen sich aufthat. Das Ebben und Fluthen des Meeres, das ja auch die Wellen des gelben Stromes in lebhaftere Bewegung setzte, lieh dieser Thätigkeit Tag für Tag neue Schwingen, trug jetzt die aus dem Innern des Landes kommenden Güter fern gelegenen Städten und Ländern zu und schaukelte dann die Erzeugnisse und Schätze fremder Zonen und Völker wieder auf dem Rücken des rückwärts rollenden Stromes wie von selbst denen entgegen, die Lust hatten und Anstalten trafen, sich ihrer zu bemächtigen.
Das Boot glitt zwischen den Reihen der vor Anker liegenden Schiffe fort, deren Borde nach Fürchtegott's Dafürhalten haushoch über dem Wasserspiegel hervorragten. Gewissermaßen hatte er auch Recht, denn ihm schwebte der Maßstab der einstöckigen Weberhäuser in den heimischen Bergthälern vor Augen.
Viele Schiffe löschten gerade, was das Leben in einem Seehafen immer mehrt. Ueberall hörte man das monotone Singen der arbeitenden Matrosen, welche beschäftigt waren, die im Raume aufgestauten Güter emporzuwinden und sie vom Bord wieder in die bereit liegenden Schuten hinabzulassen, auf denen dann besonders angestellte Bootsleute sie durch die Kanäle zu den Speichern der Kaufleute weiter beförderten. Häufig begegnete man Nachen, in denen außer dem Ruderer nur ein einzelner Herr saß. Solche pflegte Erichson zu grüßen, worauf er dem jungen Ammer sagte: Das war Herr N.N., Besitzer dreier Briggs, die nach Westindien fahren. Gestern ist eine derselben von Jamaika zurückgekommen &c.&c. Fürchtegott's Respect vor der großartigen Handelsthätigkeit und merkantilen Macht der grandiosen Stadt wuchs durch solche Bemerkungen immer mehr, zugleich aber auch die Lust, sich eine ähnliche Stellung zu erringen, um mit den Thätigsten und Unternehmendsten um die Wette ringen, den Größten es gleich oder womöglich gar noch vorthun zu können.
Um dem jungen Ammer den großartigen Anblick des Hafens in seiner ganzen Ausdehnung zu verschaffen, befahl Erichson dem Bootführer, bis dicht an den Strand der Insel Steinwarder zu rudern, dann die Elbe quer zu durchschneiden bis gegen den Altonaer Hafen, und so rückwärts wieder in den Jonashafen einzulaufen.
Man kann sich denken, wie das Herz Fürchtegott's auf dieser Tour sich weitete! Ein glücklicher Zufall wollte, daß gerade sechs Dreimaster, mit Segeln bedeckt, den Strom in majestätischer Ruhe heraufschwammen, und einen in der That prachtvollen Anblick gewährten. Erichson, der ein scharfes, und für die Takelage eines Schiffes sehr geübtes Auge hatte, erkannte schon von Weitem, welcher Nation sie angehörten, und machte seinen jungen Begleiter darauf aufmerksam.
Die vordersten beiden sind Engländer, sagte er, dann kommt ein Hamburger Fahrzeug, das mir ganz so aussieht, als wäre es die HerrnX zugehörende »Wassernixe«. Der Segler links von diesem ist ein Schwede, jener rechts ein Spaniole, und der hinterste ein Amerikaner. Ich sage Ihnen, lieber Freund, die Amerikaner sind fixe Jungen. In Allem, was sie angreifen, liegt Sinn, und man muß Augen und Ohren offen halten, und kurz sein mit den Worten, wenn man ihnen einen Vortheil abgewinnen will. Ich sag' Ihnen das, damit Sie es bei Zeiten beherzigen und sich nicht übervortheilen lassen. Für Anderer Unglück haben sie drüben wenig Herz. Wer dort nicht reussirt, wird für ungeschickt gehalten, und Einfältige, Gutmüthige, allzu Vertrauensvolle müssen »gerupft« werden, sagen die Yankees.
Das Boot glitt jetzt Altona schief gegenüber durch die Wellen, so daß Fürchtegott mit Einem Blick das Schiffsgewimmel im Hafen übersehen konnte, ein Anblick, der jedem Binnenländer unvergeßlich bleibt. Erichson deutete mit seinem Rohrstocke auf ein nahe an der Landungsbrücke liegendes Fahrzeug, das sich durch seinen schlanken, eleganten Bau vor den andern nahebei ankernden Schiffen auszeichnete, und sagte:
Sehen Sie den prächtigen Schooner dort? Wie gefällt er Ihnen, junger Freund?
Fürchtegott gerieth in einige Verlegenheit, denn noch wußte er nicht mit Bestimmtheit anzugeben, welches der vielen Schiffe ein Schooner, welches eine Brigg u.s.w. sei. Er antwortete deßhalb mit einer Gegenfrage, indem er von Herrn Erichson zu wissen begehrte, welchen Schooner er meine. Der Makler hob abermals seinen Stock und bezeichnete nunmehr das Schiff so genau, daß der junge Ammer sich nicht mehr irren konnte.
Nun, versetzte Letzterer, es sieht ganz schmuck aus, und wenn es ein rascher Segler ist, mag sein Besitzer, besonders im Fall er von Schifffahrt etwas versteht, sich wohl darüber freuen.
So freuen Sie sich denn, junger Freund. Es ist das »gute Glück« und gehört Ihnen zu. In fünf Minuten werden Sie persönlich davon Besitz genommen haben.
Jetzt ließ Fürchtegott seine Blicke mit stolzem Wohlbehagen auf dem stattlichen Fahrzeuge ruhen, dessen glänzend schwarzer Rumpf hoch über dem gelben Wasserspiegel emporragte, dessen Masten wie neu polirt erschienen, dessen Tau- und Segelwerk so überaus sauber, zierlich und fein sich zeigte.
Das Ding ist in Amerika gebaut, sagte Erichson. Es läuft, als stünd' es auf Rädern, sobald sich ein paar Segel an seinen Raaen blähen, und wer darauf fährt, der sitzt beinahe so sicher, als läge er in des braven Erzvaters Abraham Schooße. Als es die erste Reise von New-York hierher gemacht hatte in einer Zeit, wie kaum je ein Schiff gleicher Bauart vorher, und es hier verkauft werden sollte, hab' ich's in Herrn Wimmer's Auftrage an mich gebracht. Damals wußte ich noch nicht, daß die Firma »Ammer, Söhne und Compagnie« darauf denke, ihre Producte in eigenen Schiffen seewärts zu versenden. Aber da sind wir. Bootsmann, Ahoi! Der Herr Rheder will an Bord!
Ueber die Schanzkleidung schauten ein paar runde Matrosengesichter herab auf den Makler und seinen Begleiter. Gleich darauf senkte sich das Fallreep und Fürchtegott setzte, noch nicht an das Schaukeln des Bootes auf dem etwas bewegten Strome gewöhnt, fast taumelnd seinen Fuß auf die unterste Stufe, um zum ersten Male die Bretterwohnung zu betreten, die schon nach wenigen Tagen auf unbestimmte Zeit sein bleibender Aufenthalt werden sollte.
Der Capitän, ein noch ziemlich junger Mann, begrüßte die Herren mit großer Zuvorkommenheit, und unterließ nicht, den jungen Ammer sogleich auf eine Art, die durchaus nichts Auffallendes hatte, mit dem Wissenswertesten bekannt zu machen, damit er schnell in seinem Eigenthum heimisch werden möge und die Einrichtung eines Seeschiffes ihm nicht länger eine fremde Welt bleibe. Fürchtegott war dem vorsichtigen Manne für diese Aufmerksamkeit, diesen weltmännischen Tact aufrichtig dankbar, achtete genau auf Alles, was der Capitän sagte, fragte, wenn er etwas nicht sogleich verstand, und bereicherte in Zeit einer halben Stunde seine Kenntnisse bedeutend. Zum Glück war die Mannschaft größtentheils im Raume beschäftigt, die bereits eingenommene Ladung zu stauen. Als er in Begleitung des Capitäns und des Maklers in diese dunkle und immer etwas dunstige Höhle hinabstieg, ward ihm sonderbar zu Muthe. Obwohl in einer noch ganz fremden Welt, wehte es ihn hier unten doch wie Heimathluft an. Er stand wieder mitten im Lagerhause seines Vaters, nur daß es hier nicht so licht war, daß es anstatt nach frisch gebleichtem Linnen, nach Theer roch. Sonst war Alles, wie daheim. Das waren die ihm wohlbekannten Kisten, die stets ein und dieselbe Form hatten; das war das Zeichen, das sein Vater gewöhnlich selbst dem Holze einer jeden Kiste einzubrennen pflegte. Ein Anflug von Rührung ergriff ihn momentan, doch suchte der nach Größerem strebende Jüngling dieser Gefühlsaufwallung schnell Meister zu werden, um keinen Augenblick sein Ziel aus den Augen zu verlieren.
Nach einstündigem Aufenthalt verließ unser Freund seinen Schooner mit großer Befriedigung. Inzwischen war die Ebbe eingetreten, und wie früher Kähne und Fahrzeuge aller Art überseeische Waaren von den Schiffen nach den Speichern schafften, so schwammen jetzt eben so bedeutende Waarenmassen nach den im Strome ankernden Schiffen, um nach fernen Ländern versendet zu werden. Gerade, als das leichte Boot Fürchtegott's abstieß, näherte sich eine große Schute, ganz vollgepackt mit Kisten, die alle den Stempel Ammer's trugen und für Amerika bestimmtes Linnen enthielten. Fürchtegott warf einen zufriedenen Blick auf die ihm zugehörenden Schätze, die er jenseits des Weltmeeres in lauteres Gold sich verwandeln sah. Als der Nachen beim Baumhause wieder anlangte, konnte der junge Ammer es doch nicht über sich gewinnen, diesem schon seit langer Zeit ihm interessanten Gebäude vorüber zu gehen. Er fragte den Makler, ob noch Zeit zu einem Besuche des Baumhauses übrig sei, und da die Antwort bejahend lautete, befanden sich Beide gleich darauf unter einer Menge breitschultriger, wohlgenährter Männer, von denen die Meisten Englisch sprachen.
Erichson bezeichnete diese seinem Begleiter als englische und amerikanische Schiffscapitäne. Es gab aber auch noch andere Besucher, die Fürchtegott mit großer Aufmerksamkeit, zugleich aber auch mit einer Art Ehrfurcht betrachtete, als der Makler ihm flüsternd ihren Namen nannte. Es waren schon bejahrte Männer von klugem Aussehen, sonst bürgerlich schlicht in ihrem Benehmen. Sie unterhielten sich bei einem Glase Portwein in plattdeutscher Sprache über Handelsgegenstände, weßhalb der eigentliche Inhalt des Gesprächs dem jungen Manne verloren ging. Ihm genügte es, zu wissen, daß er in diesen einfach gekleideten Männern einige der reichsten Kaufleute vor sich sah. Männer, die über Millionen verfügten, deren Schiffe auf allen Meeren schwammen, die mehr als einmal durch Seeunglück Hunderttausende verloren, diese Trauerbotschaft aber mit einer Ruhe hingenommen hatten, als wäre gar nichts geschehen.
Der Aelteste dort, fügte Erichson leise hinzu, der die Zeitung liest, kam ohne alle Mittel nach Hamburg, und jetzt zählt er unter die Millionäre. Er war stets vorsichtig, aber nicht karg, wenn es sich um Großes handelte. Sein Landhaus, das er seit einigen Jahren sich hat bauen lassen, zeugt von edlem Geschmack, von Sinn für Kunst. Er sieht es gern, wenn Fremde ihn besuchen, er selbst aber lebt persönlich nicht besser, als der einfachste Bürger.
Auf Fürchtegott machten diese Bemerkungen tiefen Eindruck. Was diesem gelang, sagte er sich im Stillen, warum sollte es dir unerreichbar sein? Ich bin auch nicht verwöhnt worden in meiner Jugend. Der Vater ist auch schlicht und sparsam, obwohl er Herr von und auf Weltenburg geworden ist und es mit manchem Grafen aufnehmen könnte. Ich werde also diesen Vorbildern nacheifern und wer weiß, ob sich dann nicht vielleicht nach zehn oder zwanzig Jahren der jetzt noch so ganz unbekannte Sohn des Webers Ammer in einen der größten Rheder und Kaufleute dieser Welthandelsstadt verwandelt hat!
Während er sich an solchen Gedanken letzte, schlürfte er mit Behagen ein Glas Wein und betrachtete mit besonderem Vergnügen eine an der Wand hängende Flußkarte der Niederelbe von Hamburg bis Cuxhaven. Die vielen Sande und Untiefen, welche darauf verzeichnet waren, die sonderbaren Namen, die viele derselben führten, gewährten ihm eine höchst anziehende Unterhaltung. Erichson mußte endlich zum Aufbruch mahnen, sonst würde unser Freund stundenlang hier geblieben sein, wo so Vieles sich vereinigte, was ihn anzog und festhielt.
Still und nachdenklich durchwanderte er an der Seite seines Begleiters die gewühlvollen Straßen, nur mit halbem Ohr auf das hörend, was Erichson sprach. Die Menschen, so mancherlei Auffallendes sie bei genauerer Beobachtung für den jungen Ammer gehabt haben würden, jetzt machten sie eben so wenig Eindruck auf ihn, als die Häuser, an denen er Vorüberwandelte, und deren Bauart er beim ersten Schritt auf die Straße so merkwürdig, ja seltsam gefunden hatte. So kamen sie gegen zwölf Uhr Mittags wieder in Erichson's Wohnung an, wo die stattliche Frau vom Hause in reicher Kleidung den jungen Gast zwar stumm, aber mit einem so glücklichen Lächeln begrüßte, daß Fürchtegott Mühe hatte, ernsthaft zu bleiben, und der steife Makler mit schlauer Miene nur ein verwundertes: »Ach, prächtig aufgetackelt!« halblaut vernehmen ließ.
Der sehr lecker aussehende Frühstückstisch, auf welchen der Makler unverweilt zusteuerte, übte auch auf Fürchtegott eine bedeutende Anziehungskraft aus. Er lehnte deßhalb die pantomimische Einladung der geschmückten Dame des Hauses durchaus nicht ab, sondern ließ vielmehr der Kochkunst derselben alle Ehre widerfahren. Dabei begann das ergötzliche Unterhaltungsspiel von gestern Abend auf's Neue, und zwar mit einer Lebhaftigkeit, die Erichson nur merkwürdig fand, Madame Erichson aber nach beendigtem Frühstück zu dem Ausrufe bewog:
Dat is en prächtigen Minschen! Töf, Ohler, weer he in de Marsch baren und könn' he spreken as en richtigen Minschenkind, ick wörr man dull, beestig dull.
Erichson kannte seine brave Frau. Er legte deßhalb bei diesem naiven Bekenntniß beide Hände auf seinen Leib und lachte so herzlich, daß ihm die Thränen über die Wangen herabliefen. Madame Erichson ward dadurch zu weiteren Erläuterungen veranlaßt, die sie mit geläufigster Zunge hervorbrachte, und Fürchtegott, der nur dunkel ahnte, daß seine Persönlichkeit zu diesem komischen Auftritte Anlaß gegeben haben möchte, lehnte am Fenster und amüsirte sich königlich an dem wunderlich gearteten Ehepaare.