Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel. Dienstbereite Freunde.

Wir befinden uns in einem tiefen, aber nicht sehr breiten Zimmer, das ein einziges hohes Fenster hat. Durch dieses sieht man auf einen geräumigen, mit Blumen- und Gemüsebeeten durchschnittenen Garten, den außerdem noch eine ansehnliche Zahl breitästiger Obstbäume erfüllen. Gegenüber dem Fenster und jenseits des von Häusergiebeln eingefaßten Gartens erblickt man einen ungemein schlanken Thurm, dessen Uhr jede Viertelstunde mit weithin tönendem Schlage verkündigt.

Es ist Anfang April, die Sonne scheint warm durch fliegendes Gewölk und bereits zeigen die Stachelbeersträucher grünlich schimmernde Spitzen. Aus dem noch mit dunkelm Laub bedeckten Erdboden leuchten gleich rothgelben Flämmchen die Blumenkegel der Krokus und einige hellrothe Primeln. Ein starker untersetzter Mann von ungemein gutmüthigem Aussehen schreitet in den noch nicht gereinigten Gängen auf und ab, wie es scheint, um sich zu sonnen, denn er vermeidet sorgfältig die schattige Seite des Gartens. Seine Kleidung fällt in die Augen, denn sie ist wirklich originell. Der Spaziergänger trägt nämlich einen sehr langen, nicht zum Besten erhaltenen Schlafrock von etwas zweifelhafter Farbe, welcher in Ermangelung einer Schnur oder eines Gürtels von einem festgedrehten Strohseil zusammengehalten wird. Eine braune Lederkappe bedeckt seinen Kopf und darüber hat er einen großen grünen Schirm gestülpt, um seine Augen zu schützen. Oft macht sich der einsam Umherwandelnde mit einer Pflanze etwas zu schaffen oder tritt an einen Rosenstock, dessen Keime er sehr genau betrachtet, um in Erfahrung zu bringen, ob auch der eine oder andere von der strengen Winterkälte gelitten hat.

Dieser Mann ist der Candidat Still, Besitzer des Hauses, in dem wir uns befinden und Eigenthümer des dazu gehörigen schönen Gartens. Wir werden Gelegenheit haben, im Verlaufe unserer Erzählung wiederholt mit Still zusammenzutreffen und wollen deßhalb hier nur Einiges zur Orientirung über seine Vergangenheit und seine Stellung im Leben anführen.

Herr Candidat Still war ein sogenanntes »gelehrtes Haus« von altem Schlage, in Kirchengeschichte, Dogmatik und Kirchenrecht vortrefflich bewandert, gründlicher Kenner des Hebräischen, das er vorzugsweise liebte, und ein Meister im Disputiren über gelehrte Gegenstände, letzteres jedoch nur auf seinem Studierzimmer. Um gelehrt, gescheidt und scharfsinnig zu sein, um der Rede mächtig bleiben zu können, bedurfte Candidat Still vor Allem seines alten, mit braunem Leder ausgeschlagenen Lehnstuhles, seines Schlafrockes und einer ewig dampfenden Thonpfeife. War er mit diesen Utensilien ausgerüstet, so nahm er es mit jedem Professor auf; fehlten ihm aber Stuhl, Schlafrock und Pfeife, so war er ein willenloses, schwankendes Geschöpf, ängstlich, schüchtern, ja fast stupid, und ein halbweg kecker Junge, der sich bis nach Quarta aufgeschwungen, hob den tief gelehrten Candidaten mit leichter Mühe aus dem Sattel.

Diese übertriebene Schüchternheit verdarb dem seelenguten Manne seine ganze Carrière. So oft er auch nach beendigten Studien zu predigen versuchte, und so durchdacht und in formeller Hinsicht gelungen seine Predigten waren, er warf jedesmal beim Vortrage um. Nur mit Noth und Mühe und aus einer Art Barmherzigkeit erhielt er Aufnahme in den Coetus der städtischen Candidaten, wodurch er sich verpflichten mußte, wenigstens einmal im Jahre die Kanzel zu besteigen. Dies traurige Loos traf den armen Still in der Fastenzeit, wo er einer alten Stiftung zufolge eine sogenannte »Abendpredigt« zu halten hatte. Da nun Niemand den Candidaten als Prediger liebte, so hatte Still das Genügen, vor leeren Bänken predigen und schließlich umwerfen zu können.

Seit vierzig Jahren lebte dieser gelehrte Mann fast ohne allen Umgang, nur sich und seinen Studien. Zum Glück und auch zum Unglück war er verheirathet zum Glück, weil diese Heirath, die Folge einer Schülerliebschaft, ihm eine sorgenfreie Existenz, Haus und Hof verschaffte, zum Unglück, weil seine Frau hinsichtlich ihres Charakters direct von der berühmten Ehehälfte des griechischen Weltweisen Socrates abzustammen schien. Die »Frau Candidatin Still«, wie man des schüchternen Gelehrten ehrsame Gattin respectvoll nannte, herrschte unumschränkt in ihrem Hause, und da sie ein vortreffliches Mundwerk besaß, so hätten die Nachbarn auf die Vermuthung kommen können, es bilde sich irgend ein Mensch zum Sprecher aus für das künftige deutsche Parlament.

In seinen Musestunden beschäftigte sich der glückliche Mann dieser herrschgewaltigen Frau mit Blumistik, wohl auch ein wenig mit Pomologie; es machte ihm Vergnügen, Blumen zu pflanzen und zu pflegen, da ein Reis festzubinden oder eine Oculation vorzunehmen, und nie versäumte er, den ersten Kindern des Frühlings bei ihrer Auferstehung aus dem Wintertode behilflich zu sein und ihnen das wärmende Licht der Sonne zuzuführen.

Diesem still zufriedenen, äußerst bescheidenen Candidaten sah aus dem Fenster des erwähnten Zimmers ein Mann von ganz entgegengesetztem Charakter zu, nämlich der uns schon bekannte Advocat Block. Der schlaue, ränkevolle Rechtsgelehrte amüsirte sich bei dem ewigen Kriege, welcher im Hause herrschte und von dem er ganz allein nichts zu leiden hatte, sei's, weil selbst Frau Sempiterna Stillin den Rechtsgelehrten fürchtete, sei's, weil dieser mit der Galanterie eines Mephistopheles der wohlbeleibten, in allen häuslichen Arbeiten gar trefflich bewanderten Dame den Hof zum Entsetzen ihres rechtmäßigen Gatten zu machen nie und nirgends unterließ. So lebte der Advocat mit der bissigen Hausfrau auf bestem Fuße, während der eigentliche Hausherr nur als Blitzableiter für die zahllosen Wetter dienen mußte, die zu jeder Tages- und Jahreszeit aufziehen konnten und stets mit einer gewaltsamen Entladung scheltender Worte endigten. Candidat Still war deßhalb durchaus kein Freund seines Hausgenossen, allein er mußte sich fügen, wenn er nur einigermaßen in Frieden leben wollte.

Still hatte eben einige duftende Veilchen von den sie noch bedeckenden dürren Laubresten befreit und bemerkte jetzt, sich wieder aufrichtend, das malitiöse Gesicht des einäugigen Advocaten. Sogleich verbeugte er sich demüthig vor dem gefürchteten Hausgenossen und nahm in der Angst seines Herzens statt der Mütze grüßend seinen grünen Augenschirm ab. Block nickte nur unmerklich mit dem Kopfe.

Dummer Kerl! murmelte er vor sich hin. Wenn ich Besitzer dieses Hauses und Gartens wäre, ich wollte etwas Anderes daraus machen. Nun wer weiß, was geschehen kann. Nur immer treulich mit Frau Sempiterna scharmutzirt, den Alten dabei gründlich angeschwärzt und es läßt sich wohl ein Glücksohr in das Testament einbiegen.

Ein greller Ruf, der schmetternd wie der Ton einer verstimmten Trompete an das Fenster schlug, unterbrach dies Selbstgespräch.

Candidat Still, was treibst du wieder für Dummheiten! sprach eine keifende Frauenstimme. Willst du wieder ein halbes Pfund Seife ruiniren mit deinen schmutzigen Händen und hast doch noch kein Quentchen davon verdient? Gleich kommt Er herauf und hilft mir Erbsen lesen! Nachher kann Er die Nase wieder in seinen gelehrten Krimskram stecken. Er verursacht dann wenigstens dem Haushalt keine Kosten.

Diese lieblich klingenden Worte entschlüpften den süßen Lippen Sempiterna's, und sie mußten eine zauberhaft magnetische Kraft auf den Candidaten ausüben, denn dieser nahm die fliegenden Enden seines Schlafrockes zusammen und eilte mit lächerlich großen Schritten durch die Gänge dem Hause zu.

Gut erzogen hat sie den Esel, sagte der Advocat, an sein Stehpult zurücktretend und ein Fascikel Acten durchblätternd. Es geschieht ihm Recht, warum ist er so gutmüthig. Alle gutmüthigen Narren müssen gefoppt, getreten, gestoßen und geprügelt werden, bis sie ihre Natur ändern. Niederträchtig, wie die Welt ist, schlecht und eigensüchtig, wie trotz aller Religionsheuchelei die Masse der Menschheit immer mehr wird, hat der vorsichtig Kluge das vollkommenste Recht, diese Brut wie giftiges Gewürm zu tractiren. Wer's nicht thut, verdient Schläge. Aber dem alten Hausdrachen wünschte ich doch gelegentlich einen Knoten in den Zopf zu schlagen, damit er nicht zu übermächtig wird.

Block fingerte wieder in den Acten und sah dabei so boshaft aus, als gehe sein Hirn mit einer recht abscheulichen Schändlichkeit schwanger. Es klopfte an seine Thür. Block rief herein, ohne von seinen Papieren aufzusehen.

Guten Morgen, Herr Advocat, sprach der Eintretende. Es war der Briefträger.

Frankirt?

Die Herren Rechtsconsulenten erhalten immer frankirte Briefe, versetzte lächelnd der Briefträger, während sie selbst niemals Schreiben frei machen.

Halt Er Sein Maul! sagte Block, die Nase rümpfend, und danke Er Gott, wenn Ihm keine Advocatenbriefe in's Haus rascheln.

Das thu' ich auch redlich. Guten Morgen, Herr Advocat.

Raisonneur! knurrte Block dem Forteilenden nach. Der Mensch bildet sich Gott weiß was ein, weil er ein paar Jahre lang als Corporal dem Kalbfelle nachgelaufen ist. Daß solch ordinäres Gesindel eigne Gedanken zu haben sich erfrecht!

Er setzte sich in seinen hochbeinigen Schreibstuhl und erbrach den Brief. Er war von Wimmer.

Wimmer? sagte Block nachdenklich. Hab' doch mit dem Kopfhänger neuerdings nichts zu thun gehabt. Was kann der Mann jetzt mir schreiben?

Der Brief des Herrnhuters lautete folgendermaßen:

Mein verehrtester Herr Advocat!

»Begnadigt von meinem Heiland mit allerhand weltlichen Gütern und über mein Verdienst vom Glück begünstigt, halte ich es für meine Pflicht, nach Kräften noch bei Lebzeiten von dem überflüssigen Mamon einen Gott wohlgefälligen Gebrauch zu machen. Wenn man nicht wüßte, daß der heuchlerische Schalk es anders meinte, schaltete Block hier ein, könnte man versucht werden, dem Manne einen Nasenstüber zu geben. Ich will also nicht versäumen, Ihro hochweiser Rechtsgelahrtheit zu eröffnen, daß, weil der grundgütige Gott es so gefügt hat, daß niemals das Band der heiligen Ehe mich einem tugendsamen Weibe verknüpfte, weßhalb ich dereinst, so der Herr mich ruft, ohne Nachkommen aus diesem Thal der Prüfung aufsteigen werde in den Saal des ewigen Hallelujahsingens, ich würdigen Personen mein zeitliches Gut zu überlassen gedenke. Es kann Ihnen nicht unbekannt sein, daß ein sehr werther Freund, Herr Ammer, mir manchen Dienst erwiesen hat. Eigensinnig, wie er ist, will er nichts von Dank wissen. Derohalben sah ich mich genöthigt, mein Vorhaben im Gebet dem Herrn empfehlend, thätig zu sein für seine Kinder, um, was der Vater nicht haben will, den Söhnen in die Hände zu spielen. Laut Mittheilungen meines Hamburger Correspondenten darf ich jetzt annehmen, daß Gott und mein Heiland das wiederholt inbrünstige Flehen meines Herzens gnädig erhört und mich gesegnet hat in meinen Entwürfen. Wollte deßhalb Dero Rechtsgelahrtheit in christlicher Demuth ersuchen, mir gefällig zu sein zu Gunsten der Familie Ammer, was Dieselben recht wohl vermögen, wenn Sie nur wollen. Bin auch gern bereit, mich dankbar zu erweisen durch Geld und Geldeswerth. Verdammter Spitzbube! warf der Advocat ein. Er weiß genau, daß ich nichts umsonst thue. Möchte derowegen bitten, bei dem Verkaufe Weltenburgs ein Angebot zu thun, welches den alten falschen Speculanten, Herrn Mirus, überflügelt. Kommt mir auf ein paar Tausend Thaler Zulage nicht an, so ich nur mit Gottes Hilfe meinen Willen durchsetzen und mein hohes Ziel erreichen kann. Ihre Gelahrtheit werden nächstens deutlicher instruirt werden, sobald das Schiff glücklich im Hafen liegt. Ist mir alsdann erlaubt, statt der Pickelflöte die Posaune zu blasen, welches letztere Instrument mir immer absonderlich lieb gewesen, weil es eine biblische, mithin gleichsam eine himmlische Tuba genannt werden darf. Es versteht sich von selbst, daß Sie, mein hochgeehrter Herr und Rechtsfreund, gegen Niemand aus dieser heimtückischgesinnten Welt von diesem unserm Geheimniß sprechen, am allerwenigsten gegen Ammer. Ist die Saat reif, so kommen die Schnitter und sammeln die goldenen Aehren. Schloß Weltenburg ist ein schönes Besitzthum. Wird das alte Wappen über dem Thorwege mit dem Pallasch und mittelalterlichen Lanze im blauen Felde heruntergerissen, so glaube ich, daß ein neues Wappen an derselben Stelle, das statt der genannten Embleme einen Weberbaum im goldenen Felde trägt, sich eben so gut ausnehmen dürfte. Empfangen Sie, geehrter Herr Advocat, die Versicherung meiner unbegrenzten Hochachtung und reichen Sie zu treuem Bunde uneigennütziger Freundschaft die Hand

Ihrem

demüthigen Bruder in Christo,
Lazarus Wimmer.
       

Block verschloß diesen Brief sorgfältig und fiel dann in ein so heftiges Lachen, daß es seinen ganzen Körper erschütterte, doch lachte er, wie alle klugen und versteckten Leute, nur halblaut. Dann stand er auf und ging, sich die Hände reibend, im Zimmer auf und nieder.

Es ist ein Schlag zu machen, sagte er nach einer Zeit vorsorglichen Nachdenkens, und ich sehe wirklich keinen triftigen Grund, der mich veranlassen könnte, auf den Vorschlag des Herrnhuters nicht einzugehen. Mirus wird dadurch schwer geärgert, was für mich ein besonderes Labsal wäre, denn ich hasse den Menschen seiner übertriebenen pfahlbürgerlichen Rechtlichkeit wegen. Dem Wimmer aber möchte ich nicht vor den Kopf stoßen, weil er stets gut zahlt und weil der Mann mir gefällt. Ewig schade, daß er nicht Schauspieler geworden ist! Er hätte den Iffland, der doch auch einen Teufelsbraten meisterhaft vorzustellen weiß, zehnmal von der Bühne heruntergespielt. Die fromme Bestie amüsirt mich man muß sie streicheln und füttern, daß sie recht fett wird. Zu allerletzt kommt doch Alles meinen Collegen zu Gute, falls ich zu früh sterben sollte.

Er machte wieder einen Gang durchs Zimmer, trat dann an seinen Pult und blätterte in Acten, um etwas nachzusehen, was ihm wichtig sein mußte. Sein einziges Auge halb zukneifend und den Finger an die Nase legend, fuhr er fort:

Wer von den beiden Freunden einander mehr liebt, der Weber den Herrnhuter oder dieser jenen, will ich nicht untersuchen. Ich gehe vorläufig lieber mit dem Herrnhuter, weil er der Honnetere ist und die christliche Tuba so sehr liebt. Geht es später an's Hälsebrechen, so spielt man den unparteiischen Zuschauer und rettet, was man kann. Darum soll »mein lieber Bruder in Christo« nicht lange in Ungewißheit sein. Ich werde ihm auf der Stelle antworten und ihn beruhigen.

Zu diesem Entschlusse gekommen, setzte sich der Advocat an seinen Arbeitspult und sagte in kurzen, kalten Worten, ohne sich irgendwie durch einen zweideutigen Ausdruck eine Blöße zu geben, dem Herrnhuter seine Hilfe zu, so weit dies in seinen Kräften stehe.

Einige Tage später fuhr Advocat Block dem Gebirge zu. Hier lag einige Stunden von der Stadt entfernt in prächtigem Wiesenthale, das ein munterer Fluß durchrauschte, an schön bewaldeter Berglehne Schloß Weltenburg. Allzustattlich sah der ziemlich alte Bau nicht aus, denn die Herren von Weltenburg hatten seit ewigen Decennien nicht mehr darin gewohnt. Als vornehme Weltleute lebten sie entweder auf Reisen im Auslande, oder brachten doch die meiste Zeit in der Residenz zu. Auch die diplomatische Carrière hatten die jüngsten Weltenburger eingeschlagen, weniger aus Neigung, als der glänzenden Lebensstellung wegen, die sich in gesellschaftlicher Beziehung daran knüpfte. Dadurch aber war das alte Stammschloß stark vernachlässigt worden und kam, nicht von den gewissenhaftesten Beamten verwaltet, in Verfall. Die Herren von Weltenburg brauchten, um ihrem Namen Ehre zu machen, sehr große Summen, die auch aufgetrieben wurden. Als die Einkünfte der Herrschaft nicht mehr ausreichten, wurden Schulden gemacht, die sich rasch mehrten. Zu deren Deckung mußte man die Waldung angreifen, die, schlecht gepflegt, auch rasch sich verminderte, und so genügten denn zehn Jahre, die ganze hochadlige Familie beinahe an den Bettelstab zu bringen. Um nicht gänzlichem Ruin, vielleicht gar öffentlicher Schande entgegen zu gehen, schritt die Familie, obwohl ungern, zum Verkauf ihres Stammsitzes. Dieser Verkauf sollte am heutigen Tage stattfinden.

Der heitere Tag hatte nicht nur eine Menge Kauflustiger herbeigelockt, auch Neugierige aus der Umgegend fanden sich ein und zwar größtentheils Angehörige der Herrschaft, die gern bald erfahren wollten, wer ihr zukünftiger Herr sein werde. Betrachtete man die Lage des Schlosses in seiner romantischen Umgebung, so konnte; man den Andrang Kauflustiger wohl begreifen. Gegen Westen überblickte man ein reizendes Thal, von dem Silberbande des zwischen smaragdgrünen Wiesen dahin rauschenden Gebirgsflusses durchschlängelt. Am Ende desselben ragten die Thürme der Handelsstadt über niedrige Waldhügel empor. An der Rückseite des Schlosses, wo ein großer, aber vernachlässigter Park über Berg und Thal sich fortzog, erhob sich die hohe Gebirgswand, dessen erhabener Kamm jetzt noch im blendend weißen Schmuck des Winters prangte.

Naturfreunde mußten in dieser seltenen Lage schon eine Aufforderung zu einem Kaufgebot erblicken, der Geschäftsmann dagegen, welcher die Localitäten nach ihrer Verwendbarkeit, nach dem möglicher, oder wahrscheinlicher Weise daraus zu ziehenden Gewinn abschätzt, hatte beinahe noch mehr Ursache, die Erwerbung des Besitzes von Weltenburg sich angelegen sein zu lassen. Ein äußerst ergiebiger Boden verhieß reichliche Ernten. Die jetzt leider sehr gelichtete Waldung war durch zweckmäßige Pflanzungen und eine rationelle Forstwirthschaft wieder zu verbessern. Dazu kamen bisher verborgen gewesene Schätze der Erde, welche die gegenwärtigen Besitzer erst kürzlich entdeckt, aus Mangel an Geld aber zu heben nicht einmal versucht hatten. Dies waren allem Anscheine nach sehr mächtige Kohlenpflötze, die bergmännisch betrieben reichen Gewinn abwerfen und der Anlage industriöser Unternehmungen überaus förderlich werden konnten. So leuchtete jedem Denkenden ein, von wie großem Werth die Herrschaft Weltenburg im Besitz eines die Zeitverhältnisse richtig erkennenden und zugleich unternehmenden Kopfes sein müsse oder doch werden könne.

Unter den Kauflustigen befand sich auch Mirus, der sparsame Großhändler. Als dieser des Advocaten ansichtig ward, entfärbte er sich etwas, behielt jedoch, eine Prise nehmend, äußerlich seine Ruhe. Mirus war für Block jedenfalls der gefürchtetste Gegner, denn er besaß hinlängliche Mittel, um ihm wett zu werden, und seiner Charakterfestigkeit durfte man zutrauen, daß er so leicht einen gefaßten Plan nicht aufgeben werde. Indeß fürchtete Advocat Block so leicht Niemand; er war entschlossen, nöthigenfalls durch geheime Triebfedern zu seinen Gunsten zu wirken, vielleicht auch hatte er schon im Voraus in dieser Beziehung das Nöthigste verfügt. Deßhalb begrüßte er den reichen Handelsherrn ganz freundlich, fragte mit höhnischem Tone, ob das schöne Frühlingswetter ihn aus seinem Comptoir gelockt habe, und bemerkte schließlich, daß Weltenburg sich für einen Mann eigene, der etwas zurückgelegt habe und die letzten Jahre seines Lebens, fern vom geräuschvollen Treiben einer stets halbtollen Welt, in Ruhe und beschaulicher Stille zu verbringen gedenke.

Hm, versetzte Mirus, eine sehr große Prise unter der Nase verreibend, Herr, ich muß Ihr sagen, zum Ruhen und Faullenzen haben nur Dummköpfe Zeit! Wäre Schloß Weltenburg nebst Zubehör mein Eigenthum, so würde ich die Augen offen behalten, und Gedanken und Hände rühren, wie ich dies mein Lebtage immer gethan habe.

Was aber, mein werther Herr Mirus, erwiderte Block, was wollten Sie hier machen? Das Schloß paßt zu keinem Comptoir, und mit Baumwolle läßt sich von dieser schönen Wildniß aus kein Handel treiben. Kaufleute gehören in Städte, mein verehrter Herr Mirus. Sie sind die eigentlichen Städtegründer gewesen und werden auch, glaub' ich, so lange es Städte gibt, deren Erhalter bleiben.

Pflichte vollkommen bei, Herr Advocat, versetzte Mirus, es ist jedoch meines Wissens einem Kaufmanne, der seine Staatslasten pünktlich abträgt, gesetzlich nicht untersagt, neben dem Handel noch etwas Anderes anzufangen. Und Herr, ich muß Ihr sagen habe seit einiger Zeit große Lust, mein Glück noch in anderer Weise zu versuchen. Man hat etwas verdient, man kann also auch etwas wagen.

Das heißt, Sie beabsichtigen Weltenburg zu kaufen?

Falls Sie nichts dagegen haben, ja.

Und wenn dies wäre?

Dann käme es darauf an, Herr Advocat, wer es am längsten aushielte. Herr, ich muß Ihr sagen Kaufmann Mirus ist entschlossen, etwas zu wagen!

Er nahm wieder eine Prise und zog dabei dem verschlagenen Advocaten ein Gesicht, als wolle er ihn verhöhnen. Block wußte jetzt, wie die Sachen standen, und konnte sich danach richten. Er grüßte daher, ohne auf die letzte Bemerkung etwas zu erwidern, den Kaufmann und trat in den zum sogenannten Schlosse führenden Thorweg.

Im Hofraum ging es lebendig zu. Die Käufer oder deren Bevollmächtigte besichtigten die Gebäude und stiegen dabei lachend und scherzend treppauf, treppab. Block mischte sich unter sie und machte nur der Form wegen einen Gang durch die Räumlichkeiten des Schlosses, den scharfen Blick seines einzigen Auges bald da- bald dorthin entsendend.

Im Erdgeschosse waren Anstalten zu der gerichtlichen Versteigerung der Herrschaft getroffen. Die dabei beschäftigten Herren unterhielten sich hier mit einander, ordneten Papiere, schnitten Federn, kurz gaben sich möglichste Mühe, die Zeit auf angenehme Weise bis zur Stunde des Termines zu tödten. Einige dieser Herren kannte der Advocat. Er begrüßte sie daher mit einer gewissen Cordialität, wechselte wohl auch ein paar Worte, machte einen Witz oder ließ eine boshafte Bemerkung heraus und trat endlich zu dem Vorsitzenden, welcher die ganze Procedur leitete. Beide Männer schüttelten sich die Hand wie gute alte Bekannte, die so recht ein Herz und eine Seele sind. Sie sprachen lebhaft, aber leise mit einander und aus ihrem Mienenspiel ließ sich errathen, daß sie Gegenstände von Wichtigkeit verhandelten. Block hätte diese Unterhaltung gern noch länger ausgesponnen, weil er jedoch gewahrte, daß die Blicke aller übrigen Anwesenden auf ihm ruhten, brach er das Gespräch ab und drückte dem Beamten nochmals die Hand.

Also es bleibt dabei und ich darf mich darauf verlassen? fragte er.

So sicher, wie auf's Evangelium! erwiderte der Beamte.

Block machte eine sehr bezeichnende Handbewegung und riß sein Auge weit auf.

Darauf möchte ich nicht immer Häuser bauen, erwiderte er lächelnd. Was sich deuten und auslegen läßt, ist nicht sicher.

Nun, so will ich sagen: so sicher wie auf ein gesprochenes Urtheil, verbesserte sich der Beamte.

Gut, gut, nun bin ich zufrieden, entgegnete der Advocat. Ein Urtheilsspruch flößt immer Respect ein, auch wenn er ungerecht ist.

Damit entfernte sich Block und vertrieb sich, wie fast alle übrigen Kauflustigen, die noch übrige Zeit mit dem Durchwandern der Wirtschaftsgebäude, der sehr leeren Vorrathskammern und Scheuern. Ueberall bemerkte man den reißend überhand nehmenden Verfall in Folge schlechter oder sinnloser Wirthschaft. Die gewissenlosen Verwalter der Herren von Weltenburg waren zuletzt so weit gegangen, das beste Holz aus den Sparren zu sägen, um es zu ihrem Vortheile zu verkaufen. Gerade dies abscheuliche Verfahren hatte die an sich so schöne und einträgliche Herrschaft entwerthet und sie fast zu einem Spottpreise herabgedrückt. Block lächelte immer feiner, immer spitziger, je mehr er die immer deutlicher in die Augen springende Vernichtung erkannte. Darauf baute er seinen Plan; und als endlich mit der Schloßglocke das Zeichen zum Beginn des Termins gegeben ward, stand die imponirende, über alle Andern hervorragende Gestalt des gefürchteten einäugigen Advocaten zunächst dem Beamten, den er vorher in so treuherziger Weise gesprochen hatte.

Wir wollen unsere Leser mit einer weitläufigen Schilderung der nun folgenden Scene nicht langweilen. Es muß hier nur angeführt werden, daß die ersten Gebote der Herrschaft Weltenburg auffallend niedrig waren. Später stieg die Kauflust, wie es schien, und mit ihr wuchsen auch die Angebote, so daß schon nach zehn Minuten das erste Gebot sich beinahe verdreifacht hatte. Jetzt erst machte Mirus ein Gebot, dem ihm schief gegenüberstehenden Advocaten ein höhnisches Gesicht zeigend. Block verzog keine Miene, wohl aber bot er sogleich tausend Thaler mehr.

Mirus nahm eine Prise und legte eine anständige Summe zu, die von einem dritten Kauflustigen überboten wurde. Der reiche Kaufmann ging abermals höher. So spielte sich die Scene des Verkaufs weiter, bis Block wieder mit einer bedeutend höheren Summe die Uebrigen niederschlug. Diesmal ruhte das unbarmherzige Auge des Advocaten giftig funkelnd auf dem lederfarbenen Gesicht des Kaufmanns.

Mirus zwinkerte ein paarmal mit den Augen, was er stets that, wenn ihn etwas stark oder unangenehm bewegte, dann nahm er abermals eine Prise aus seiner goldenen Dose, stäubte die braunen Pünktchen von seinem Chabot und sagte mit großer Gelassenheit, daß es Jeder im ganzen Saale vernehmen konnte:

Herr, ich muß Ihr sagen, tausend Thaler mehr schieben die Herrschaft Weltenburg in mein Schreibpult.

Die Versammlung gerieth in nicht geringes Erstaunen, denn das letzte Gebot des Kaufmanns übertraf die höchste Anschlagssumme der Sachverständigen schon um mehrere hundert Thaler. Block lächelte und bot fünfhundert Thaler mehr.

Das neue Tausend voll! rief Mirus.

Dann geb' ich tausend Thaler mehr, sagte trocken der Advocat.

Herr, ich muß Ihr sagen, Sie sind

Ein Mann, der immer weiß, was er thut, fiel Block dem Kaufmann in die Rede.

Nein, fuhr Mirus heraus, ein Thor sind Sie, der mit seinen beiden ungeschickt langen Beinen gerade auf den Banquerott zurennt.

Das thut nichts, erwiderte der Advocat, die Herrschaft Weltenburg ist so eben, wie die geehrte Versammlung vernommen hat, nicht in das Pult des Kaufmannes, sondern hier in meine Mütze geschlüpft.

Dabei nahm Block seine hohe schwarze Sammetmütze ab und zeigte sie triumphirend den Anwesenden.

In Bezug auf die ungeschickt langen Beine, fuhr er fort, welche Herr Kaufmann Mirus mir gütigst gegeben, behalte ich mir die weiteren Schritte, welche sich damit machen lassen können, ganz ergebenst vor.

Mirus hörte vor Zorn und Aerger gar nicht mehr auf zu schnupfen, er erwiderte aber auf die letzten höhnischen Bemerkungen seines Gegners kein Wort.

Darf ich Sie, Herr Advocat, als nunmehrigen Eigenthümer von Weltenburg einzeichnen? fragte jetzt der Beamte.

Block schüttelte den Kopf. Nein, sagte er mit schneidend scharfer Stimme. Ich habe im Auftrage eines Anderen die Herrschaft gekauft. Der Mann ist gut und, was mehr sagen will, ein sehr, sehr frommer Christ. Er nennt sich Lazarus Wimmer.

Hier nahm Block die Mütze abermals ab und grüßte herablassend den vor Ingrimm zitternden Mirus.

Der Herrnhuter! Der spitz—

Der spitzköpfige Herrnhuter, verbesserte Block, den heftigen Kaufmann diesmal zu rechter Zeit unterbrechend. Es ist ein respectabler Mann, denk' ich, recht gut bei Kasse und von unternehmendem Geiste. Wie er mir sagte, will er eine große Weberei hier anlegen.

Mirus knöpfe seinen chocoladefarbenen Rock bis an den Hals zu, setzte seinen Hut auf und verließ, ohne noch Jemand eines Blickes zu würdigen, den Ort seiner Niederlage. Der Advocat drückte dem Beamten diesmal wahrhaft zärtlich die Hand und machte, wie alle Andern, ebenfalls Anstalt zum Aufbruche. Vorher aber flüsterte er seinem Befreundeten leise zu:

Das war ein leichter und guter Verdienst, nicht wahr?

Ich bin zufrieden und danke Ihnen. Wenn nur auch der Herrnhuter später nicht sieht, daß er doch wohl zu hoch gegangen ist.

Grämen Sie sich darum nicht, werther Herr College, versetzte Block. Die Herrschaft ist das Dreifache werth, Wimmer hat ein sehr richtiges Urtheil und übrigens unter uns flüsterte er dem Beamten in's Ohr bleibt sie nur kurze Zeit in seinen Händen. Ein Anderer oder ein paar Andere sind schon jetzt als dereinstige Herren von Weltenburg designirt. Ist ein Compagniegeschäft, werther Freund, wie sie neuerdings in Aufnahme kommen, und mich dünkt, es wird merkwürdig rentiren.

Block empfahl sich und fuhr gelassen und mit sich selbst vollkommen zufrieden wieder zurück nach der Stadt, wohin das Gerücht von dem Resultat des Verkaufs ihm schon vorangeeilt war und unter der gesammten Einwohnerschaft nicht geringe Sensation machte.


 << zurück weiter >>