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Herr Ammer saß in seinem Cabinet und las Briefe. Es war stark eingeheizt in seinem Zimmer, denn draußen knirschte der Schnee seit Wochen schon und an den Fenstern wollten kaum auf Stunden die glänzenden Eisgemälde, womit der Winter sie schmückte, verschwinden. Der eigensinnige Weber konnte dies nicht ertragen. Es war ihm Bedürfniß, hinaus zu blicken in die Landschaft, auf Flur und Wald, Thal und Berg. Den Luxus der Doppelfenster kannte man damals noch kaum in den Städten, gesetzt aber auch, es wäre diese praktische Einrichtung allgemein verbreitet gewesen, Ammer würde schwerlich sich entschlossen haben, sie in seinem eigenen Hause einzuführen, weil es 'was Neues war und mithin in seinen Augen »vom Uebel«.
Heute aber war Ammer fast der Verzweiflung nahe. Der mächtige Ofen vermochte nicht, die Einwirkung des außergewöhnlich hohen Kältegrades durch die in ihm prasselnde Fichtengluth zu paralisiren, und doch bestand der Weber mit Halsstarrigkeit darauf, das Eis von den Fensterscheiben zu vertreiben.
's Stübel ist klein, sagte er, und mein Schöpfer müßte mich doch nicht lieb haben, wenn er mir die Freude, durch's Schiebefenster ab und zu in die Welt zu gucken, verderben wollte? Wozu ist der Ofen da und wozu schenke ich zur Zeit der Holzfuhre eine Tonne Bier aus, wenn ich im Winter nicht einmal durch das Verbrennen desselben die Fenster rein kriegen soll? Frisch, Florel, schmeiß ein halb Bund Reissig drauf!
Flora machte die Mutter mit dem Gebot des Vaters bekannt, Frau Anna schüttelte den Kopf und bedeutete die Tochter durch einen Wink, den Befehl nicht buchstäblich auszuführen. Flora ging also in die Küche, nahm etwas Reissigholz und schob dies mittelst einer Ofengabel in den glutherfüllten Raum.
Um Gottes Willen, Jungfer, was machen Sie! rief der Färber, der eben dazu kam. Wir zünden das Haus an, wenn noch mehr angelegt wird. Ich weiß auch nicht, daß der Herr heute gar nicht zu erwärmen ist! Sollt' ihm 'was fehlen?
Flora sah ihn mit einem so komisch-verzweifelten Blicke an, daß der Färber in ein lautes Gelächter ausbrach. Aha, sagte er. Nun begreif ich's. Ja, ja, die Fenster, die Fenster. Und Herr Ammer mit seinem Kopfe! Aber nur Geduld, wenn's ihm zu heiß wird, läßt er schon nach.
Ammer fuhr inzwischen fort, seine Briefe zu lesen, wobei ihm der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirn stand. Er zog die bequeme weite Pelzjacke aus, die er für gewöhnlich trug, und schleuderte sie in einen Winkel. Allein die erwünschte Kühle trat eben so wenig ein, als die Eisblumen an den Fenstern verschwinden wollten. Dazu machte der Inhalt der Briefe ihm den Kopf noch obendrein warm. Immer verdrießlicher, immer grimmiger schielte Ammer nach den zugefrorenen Fenstern. Endlich sprang er auf, riß die in's Wohnzimmer führende Thür auf, durchschritt dies in bloßen Hemdsärmeln hastig und eilte in die Küche.
Und wenn der Ofen platzt, sagte er zu Flora, die mit Bereitung des Mittagessens beschäftigt war, die Fenster sollen herunter! Damit schob er einige der größten Fichtenscheite, die er finden konnte, in die prasselnden Flammen und warf sehr ärgerlich die Eisenblechthür wieder zu.
Aber Vater, sagte Flora, wenn du nun ein Unglück anrichtest!
Ich will schon aufpassen. Bring mir einen Eimer voll Wasser und die große Handspritze in's Cabinet.
Die vorsichtige Tochter machte jetzt ihren Brüdern von dem Geschehenen Anzeige, unterrichtete durch das Dienstmädchen auch die Nachbarn, damit sie im Fall eines Unglückes bei der Hand sein möchten, und traf überhaupt alle Vorsichtsmaßregeln. Auch die begehrte Handspritze nebst Wassereimer trug sie eigenhändig in das Cabinet des Vaters.
Manchmal könnte einem die Geduld ausgehen bei des Vaters Schrullen, meinte Fürchtegott, Wasser in der Cisterne schöpfend. Ich hab' auch einen harten Sinn, aber gegen Vaters Kopf kommt leichtlich Keiner auf in den Lausitzen.
Ammer studierte wieder in seinen Briefen und beobachtete dabei die Fenster. Der Ofen strahlte eine unerträgliche Hitze aus, allein – siehe da – das Eis schmolz! Leise tröpfelnd rann das Wasser auf die Diele herab. Da knackte es und zwei Kacheln des Ofens zerrissen von oben bis unten. Durch die Spalten flimmerte die rothe Gluth der Flammen. Der Weber schob die Garnpäcke bei Seite, die bereits zu dunsten begannen, nahm die Handspritze, öffnete die Thür zum Wohnzimmer und verordnete, jetzt wieder ganz heiter gestimmt, man solle sogleich das Feuer im Ofen ausgießen. Er selbst legte Hand an, um die zu sehr erhitzten Kacheln durch angefeuchtete Tücher wieder etwas abzukühlen. Das gab einen sehr fatalen Dunst, so daß es zuletzt unmöglich war, in dem engen Cabinet zu verweilen, ohne sich die heftigsten Kopfschmerzen zuzuziehen.
Sobald alle Gefahr beseitigt war, raffte Ammer seine Briefschaften zusammen und kam damit in das Wohngemach. Ganz gelassen nahm er hier am großen Tisch unter der Schwarzwälder Wanduhr Platz, und setzte seine Lectüre fort.
Was hast du nun davon, sagte Frau Anna nach einer Weile, eine neue Haube vor dem Spiegel aufsetzend. Es hätte das größte Unglück entstehen können, wäre der ganze Ofen zersprungen.
Ich hätt' schon aufgepaßt, Mutter, versetzte Ammer in zufriedenster Stimmung. Hab' ich doch die Eisblumen von den Fenstern herunter gekriegt! Itzund können sie meinetwegen noch einmal so schön und mir zu Gefallen dreimal dicker daran aufwachsen, ich hab' meinen Willen gehabt, 's ärgert und krippt mich, wenn die Natur den Menschen tyrannisiren will. 's ist just so, als nähm' mir ein Pferd die Zügel und ging mit mir durch. Das ist partout nicht meine Liebhaberei.
Du hast dir Schaden gemacht am Garn und kannst nicht einmal mehr in deiner Ruhe bleiben, meinte Frau Anna.
Sollst deßhalb kein Ei weniger in deiner Wirthschaft haben, versetzte der eigensinnige Weber. Nach Tisch schicke zum Ofensetzer; er mag den Schaden wieder ausbessern. Aber gleich soll er kommen, nicht erst, wenn's ihm beliebt, wie das seine Weise ist. Und itzund laß mich in Frieden.
Diese häusliche Scene, die so ganz im Charakter des störrigen Webermeisters begründet war, trug sich Ende Januar zu. Um diese Zeit waren von verschiedenen Seiten Briefe eingelaufen, die im Grunde erfreulich lauteten, Ammer indeß doch allerhand Bedenken erregten. Da wandte sich unter Anderm ein Prager Haus mit einer Bestellung an ihn, wie sie ihm früher noch nicht vorgekommen war. Man begehrte von ihm Leinenzeug nach einem beigefügten Muster. Liefern konnte er das Verlangte, aber wie kamen die Prager darauf, gerade ein so verwunderliches Muster zu wählen und ihn, der das Haus nicht kannte, mit diesem Auftrage zu beehren?
Es ist dein Ruf, Vater, sagte Fürchtegott, der Ruhm deines Namens in der Weberwelt.
Spanische Schlösser sind's, die in deinem Kopfe liegen, versetze Ammer. Laßt mir den Ruhm nicht in's Haus, bitt' ich! Lieber seh' ich den Wolf So nennt der Lausitzer Grenzbewohner die dampfende Luft, welche sich in strengen Wintern beim Oeffnen der gewöhnlich sehr stark geheizten Zimmer an den Thüren zeigt. in der Stube, als diesen windigen Kerl von Ruhm, den das Narrenvolk, die Philosophen und Gelehrten erfunden haben, und der so buntscheckig in der Welt 'rumläuft, wie die Hanswurste, die zur Jahrmarktszeit vor den Schaubuden die Ausrufer machen.
Du wirst doch nicht ablehnen, sagte Christlieb.
Schwerlich, versetzte Ammer. Mich verdrießt's nur, daß ich wieder Auslagen, also auch neue Sorgen habe.
Bedenke den Verdienst! sagte Fürchtegott. Der ersten Bestellung folgt sicherlich bald eine zweite.
Härm' mich wenig d'rum, brummte der alte Webermeister, 's wird mir gar zu bunt und ich hatte mir gerechnet, ich wollte mich mit dem fünfundsechzigsten Jahre zur Ruhe setzen, und firm an meinen Schöpfer denken, um, wenn's an's Abrechnen geht, drüben nicht ganz ein Fremdling zu sein. Nun kann ich bleiben, wo ich bin, kann mich quälen und andere Leute gängeln, daß sie mir's zu Danke machen, und darüber verlier' ich wieder all' die guten Gedanken, die ich mir Abends in der Dämmerstunde und Nachts, wenn die Engel des Herrn verhüllten Antlitzes über die Erde wandeln, ganz still im Beikästchen meines weltlichen Herzens zurecht gelegt hatte.
Ammer nahm einen andern Brief zur Hand und betrachtete ihn von allen Seiten.
Von wem mag der wohl sein? sprach er. Die Hand kenne ich nicht.
Ist kein Poststempel darauf? fragte Fürchtegott, der mit Hilfe seines Bruders sich daran begab, Garn zu scheren, d. h. es zum Aufrollen für eine neue Webe vorzurichten.
Ammer antwortete darauf nicht, sondern riß den Brief auf und begann zu lesen. Er runzelte die Stirne und fuhr mit der linken Hand wiederholt über die Augen, als wollte er etwas Störendes, das ihn am Sehen hindere, entfernen. Dann schob er sein Käppchen von einem Ohr auf's andere, legte den Brief weg, trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und nahm ihn später abermals auf, um eine zweite Durchsicht seines Inhaltes zu veranstalten.
Das ist sicher 'was Neues und 'was recht Gutes, flüsterte Fürchtegott seinem Bruder zu. Gib Acht, wenn's losbricht, erfahren wir etwas Großes.
Christlieb schielte verstohlen nach dem Vater, der bereits sein Hausmützchen abgenommen hatte und den halbmondförmigen Haarkamm verschiedene Male mit kräftiger Hand nach dem Nacken führte. Endlich hatte Ammer Lesen und Grübeln satt. Er schleuderte den Brief über den Tisch und sprach dabei verächtlich:
Da, lest den Wisch! Ihr gehört ja der jungen Zeit an, die Alles besser versteht, werdet also auch klug daraus werden.
Christlieb nahm das Schreiben auf, durchlas es und erröthete auffallend stark. Ammer, welcher die Bewegung seines Sohnes bemerkte, sagte mißtrauisch:
Nun, was ist das? Bist du wirklich so gescheidt, daß du so leicht Räthsel lösen kannst, oder steckt etwa eine Teufelei dahinter?
Christlieb war verlegen. Er wußte nicht, was er auf die forschende Frage des Vaters antworten sollte und vermied seinem Blicke zu begegnen.
Von Spiel ist die Rede in diesem Dinge, von verbotenem Spiele, sagte der Vater mit Nachdruck. Und so ein Wiener Firlefanz, so ein Fratschelbub', oder was er sonst für ein sauber Geschäft betreiben mag, ist im Stande, mir, einem ehrlichen Mann, der sich sein Lebtage durch seiner Hände Arbeit ernährt hat, anzubieten, ich solle mich dabei betheiligen, nein mehr noch, der Mensch sagt, ich solle zur Terne noch eine Quinterne setzen! Als ob ich je einen so vermaledeiten Gedanken in meinem Gehirn hätte aufkommen lassen!
Der Brief war inzwischen in Fürchtegott's Hände gewandert, der ihn mit nicht geringer Spannung durchlas.
Je nun Vater, sagte dieser, das Anerbieten scheint mir gar nicht dumm zu sein.
Dumm nicht, aber schlecht, erwiderte Ammer entrüstet. Das Lottospiel ist bei uns verboten, weil's die Menschen liederlich macht, ihnen die Lust zur Arbeit nimmt, die Ruhe aus dem Herzen, die Ehrlichkeit aus der Seele stiehlt. Ich will nichts hören von verbotenen Dingen. Auch wird beim Spiel immer betrogen.
Und doch betheiligen sich Tausende daran und wie Mancher ist durch ein glückliches Loos schon wohlhabend geworden! sagte Fürchtegott.
Hexengeld ist kein Heckegeld, versetzte der Vater. Wie der Drache es bringt, so holt er es auch wieder. Man fackelt dabei jederzeit ein Stück Teufelsklaue mit ein, und mir ist mein Hemd zu lieb, als daß ich mir von solcher die Halskrause zerreißen lassen möchte. Wie heißt der Firlefanz?
Zobelmeier, sagte Christlieb, der sich inzwischen gefaßt hatte und seiner Begegnung mit dem Wiener Reisenden keine Erwähnung thun mochte, da bis jetzt der Vater nichts davon wußte. Es gab der Ammer ja mehrere, mithin konnte der Brief an den unrechten Adressaten gekommen sein.
Richtig, Zobelmeier, wiederholte Ammer, Zobelfänger sollte er sich nennen, denn auf's Einfangen legt es solch Gelichter doch immer an, und man muß einen so dicken Pelz haben, wie ein Zobel, soll man die dahinter steckende Betrügerei nicht merken.
Christlieb, dem dies Compliment nicht besonders gefiel, erröthete wieder und kehrte dem Vater den Rücken zu, damit dieser es nicht sehen und Verdacht schöpfen möge.
Ich kann nicht begreifen, fuhr Ammer fort, wie ein Wiener Lottomann gerade auf uns verfällt. Das ist sonderbar und geht mir im Kopfe herum.
So gar auffallend ist es doch nicht, Vater, erwiderte Christlieb. Die böhmischen Fabrikanten und Kaufleute in den großen Dörfern im Gebirge spielen viel und gern, und wird Herr Zobelmeier gelegentlich einmal von dir gehört, dich als einen Mann schildern gehört haben, der wohl ein paar Böhmen für eine Terne oder Quinterne ausgeben könnte. Es thun's ihrer Viele auf unserer Seite, ich weiß es. D'rum mag's wohl auch nicht verboten sein.
Hm, brummte Ammer, sah seinen Sohn mit durchdringendem Blicke an, und schüttelte wiederholt den Kopf. Draußen hörte man Schellengeläute, das rasch näher kam. Zwei städtische Schlitten mit eleganten Decken glitten die Gasse herauf. In dem vordersten saßen zwei Personen, im zweiten nur ein einzelner Mann, der sich aber dergestalt in eine Wildschur gehüllt hatte, daß es unmöglich war, seine Gesichtszüge zu erkennen. Dieser zweite Schlitten hielt vor dem Hause des Webers, der dicht in Pelz Verhüllte stieg aus, sagte dem Kutscher einige Worte, worauf dieser umwendete und zurückfuhr und gleich darauf läutete die Schelle der Hausthür.
Besuch und vor Mittag? sagte Ammer, geschwind seine Pelzjacke anziehend und mit der Sammetkappe sein Haar wieder bedeckend. Wer kann das sein?
Er öffnete die Thür des Wohnzimmers. Eine herbe Männerstimme bot ihm guten Morgen, und gleich darauf stand der Mann in der Wildschur dem Weber gegenüber. Ammer winkte seinen Söhnen, die Arbeit einzustellen und sich zu entfernen.