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Siebentes Kapitel. Wimmer's Lehren beginnen zu wirken.

Fürchtegott verbrachte eine Nacht unter dem Dache des Herrnhuters, wie er noch keine verlebt hatte. Erhitzt von den Eröffnungen des speculativen Mannes, glich sein Zustand dem eines Fieberkranken, der in einer Welt glühender, wild durcheinander gaukelnder Bilder lebt. Sein Schlaf war ein fortgesetzter ruheloser, beglückender, aber aufreibender Traum. Als er am nächsten Morgen beim ersten Geräusch auf der Straße erwachte, fühlte er sich erschöpft, mit wüstem, schmerzenden Kopfe, als hätte er die Nacht bei wildem Gelage durchschwärmt. Aber mit süßer Genugthuung, mit heißem Entzücken wiederholte er die Worte, die Zahlen, die er am Abend zuvor von dem Kaufmanne mehr wie einmal hatte nennen hören, und die in sein Gedächtniß mit glühenden Lettern eingebrannt waren.

Wimmer hatte sich die Anhänglichkeit, den blinden Gehorsam des jungen Menschen für immer erobert, und wenn es die Absicht des versteckten Mannes war, ein williges Werkzeug für weiter reichende Zwecke in ihm sich heranzubilden, so war diese Absicht bereits vollständig erreicht. Der jüngere Sohn seines alten Freundes war ein Sclave der Gedanken des Herrnhuters geworden. –

Die Flamme des Glückes, welche so unerwartet ein hell loderndes Freudenfeuer in Fürchtegott's Seele entzündet hatte, leuchtete ihm am andern Morgen aus den glänzenden Augen. Ein scharfer, die Herzen prüfender Blick würde freilich neben der blitzenden Freudegluth auch noch einen düstern Punkt bemerkt haben, der auf unlautere Entstehung des flackernden Brandes hindeutete. Nicht stilles, durchsichtiges Licht verklärte den Blick des Jünglings, ein ruheloses, von heftigem Sturmwind erfaßtes Feuer mit grellem Glanze loderte in dem funkelnden Auge.

Dem Herrnhuter entging diese Aufregung seines jugendlichen Freundes nicht; er begrüßte sie wie einen lang ersehnten Bekannten mit seinem freundlichsten Lächeln, das süßliche Demuth und beißenden Hohn nicht ausschloß. Der erfahrene Geschäftsmann freute sich offenbar der glücklichen Wirkung seiner Offenherzigkeit.

Während des Frühstücks ermahnte er Fürchtegott nochmals, das Gehörte ja sorgfältig in seiner Brust zu verschließen, seinem Vater in allen Dingen, auch in solchen, die seiner Neigung oder seiner bessern Ueberzeugung widerstrebten, willig und pünktlich zu gehorchen, und vertrauensvoll die Zeit abzuwarten, die eine glücklichere, unabhängigere Zukunft ihm erschließen werde. Fürchtegott sagte mit abermaligem ehrlich gemeinten Handschlage zu und trat in Begleitung der leeren Wagen den Rückweg nach seiner Heimath an. –

Die beiden zurückgebliebenen Geschwister erwarteten den Bruder mit großer Spannung, denn sie hofften von seinem Verkehr mit dem Herrnhuter die genauesten Details zu erfahren. Sein fröhliches Gesicht, sein gleichsam gehobenes Auftreten, worin eine gewisse Würde und Selbstständigkeit lag, bestärkte sie in ihren Erwartungen, und nach erfolgter kurzer Berichterstattung an den Vater, die wenig mehr als eine Bestätigung der Uebergabe des Waarentransportes erheischte, drangen Bruder und Schwester mit lebhaften Fragen in ihn. Fürchtegott hielt sein Wort gewissenhaft. Er leugnete mit kecker Stirn jede Andeutung Wimmer's hinsichtlich der Verwendung, die er von den Geweben machen wolle. Auch die Fragen der Mutter hatten keinen bessern Erfolg. Fürchtegott beharrte in hartnäckigem Schweigen.

So abgeneigt Ammer jeder Neuerung war und so fest er an einmal angenommenen Gewohnheiten hielt, gelang es Fürchtegott doch nach einiger Zeit, eine wesentliche Abänderung in diesen zu bewirken. Sein vorsichtiges Zureden bewog den Weber, eine Zeitung mitzuhalten und die Lectüre derselben seinen Hausgenossen zu erlauben. Die Brüder machten von dieser Erlaubniß sofort den ausgedehntesten Gebrauch und brachten dadurch in die bisher ganz harmlosen Unterhaltungen eine politische Färbung. Es konnte jetzt nichts mehr in der Welt geschehen, was nicht Anklang oder Widerspruch in der Familie des Webers fand. Anfangs ignorirte zwar Ammer die Existenz dieser Zeitung hartnäckig, wie Alles, was ihm die lieb gewordene Ruhe störte, bald aber kam er damit nicht mehr aus. Das Gespräch über wichtige oder unwichtige Ereignisse, das ihm täglich um die Ohren summte, reizte seine Neugier, und da er auf Anderer Meinung oder Urtheil selten viel gab, so ward er wider Willen gezwungen, das ihn störende Blatt selbst in die Hände zu nehmen. Nun war es lustig anzuhören, wie der alternde Mann von seinem Gesichtspunkt aus die Welt und ihre Bewegungen beurtheilte. Es konnte nicht das Geringste geschehen, das sich seines Beifalls zu erfreuen gehabt hätte. Was immer die Zeitung mittheilte, dem Weber machte es Niemand recht. Er spottete oder verwarf in komisch brummendem Tone Alles, und blieb steif und fest dabei, gut und zweckmäßig sei nur das, was von früheren Zeiten her sich auf die Gegenwart vererbt habe. Das gab dann zu weiteren Auslassungen ergiebigen Stoff, woran auch Nachbarn und Freunde Theil nahmen. Hatten früher die einzelnen Familien ein für sich abgeschlossenes Leben geführt, so brachte die Zeitungslectüre sie jetzt einander näher, und es entstanden in den Abendstunden, wo die Männer mit Frauen und Kindern vor den Thüren ihrer Häuser sitzend in gemüthlicher Ruhe ihr Pfeifchen zu rauchen pflegten, ambulatorische politische Kränzchen. Denn in der Lebhaftigkeit des Gesprächs wanderten die Streitenden oder die Welthändel schonungslos Kritisirenden von Haus zu Haus, und die ehemals stagnirende Ruhe kleinbürgerlichster Zufriedenheit löste sich auf in wohlthuende Theilnahme, die belebend, erfrischend, manche neue Gedanken und Ideen weckend, auf die einfachen Landleute wirkte.

Fürchtegott hatte mit Anschaffung dieser Zeitung nichts Anderes erzielen wollen, als einen Blick in die Welt zu thun, die ihm bisher verschlossen geblieben war und ihn doch mit tausend Farben lockte. Seine Augen zu schärfen, seinen Verstand zu üben, seinen gährenden Gedanken Nahrung zu geben, war ihm Bedürfniß, und da unter den Verhältnissen, in welche die Gewohnheit des Dorflebens ihn bannte, anderweitige Bildung gar nicht denkbar war, so verschaffte ihm diese kleine Errungenschaft doch einiges Genüge. Die Zeitung sollte aber noch größere, nicht erwartete Umgestaltungen vorbereiten.

Albrecht, der einzige Sohn von Ammer's Nachbar, ein aufgeweckter junger Mann, erhielt durch Einführung der Zeitung Gelegenheit, mehrmals in der Woche in das Haus des reichen Webers zu kommen. Ammer und Albrecht's Vater lebten seit Jahren in stillem Unfrieden. Veranlassung dazu war ein unbedeutender Gegenstand gewesen, der vom Gericht zu Gunsten des Webers entschieden ward. Seitdem mieden sich beide Nachbarn. Dem begüterten Ammer konnte dies gleichgiltig sein, Jeremias Seltner aber litt darunter. Er besaß außer seinem kleinen Grundstücke kein Vermögen und mußte sich, wenn nicht kümmerlich, so doch mühsam forthelfen. Ebenfalls der Weberei beflissen, hätte ein freundschaftliches Verhältniß mit dem vermögenden Nachbar ihm von mannigfachem Nutzen sein können, da Ammer jeden Unbemittelten, war er nur sonst ein rechtlicher Mann, bereitwillig unterstützte. In früheren Jahren war dies wiederholt geschehen, da sie Jugendfreunde und Schulkameraden waren. Seit dem erwähnten Zerwürfnisse aber kümmerte sich Ammer nicht mehr um den Nachbar, und dieser sah mit Verdruß das wachsende Glück des Reichen, während er selbst immer mehr zurückkam. Indessen erstreckte sich Ammer's Abneigung gegen Seltner nicht auf dessen Sohn, dem er als einem gesitteten und fleißigen jungen Manne gewogen blieb, obwohl er allen Umgang mit ihm vermied und diesen sehr bestimmt auch den Seinigen untersagte. Wahrscheinlich hätten ein paar gute Worte von Seiten des Nachbars das frühere Verhältniß schnell und für immer wieder hergestellt, allein Seltner, nicht weniger hartnäckig als Ammer, konnte sich dazu nicht entschließen, und so grollten die ehemaligen Freunde einander in stiller Heimlichkeit.

Die emsige Lectüre der Zeitung schien nun dies mißliche nachbarliche Verhältniß ausgleichen zu wollen, indem Ammer wider Aller Erwarten von selbst mit Albrecht über die Welthändel zu disputiren begann und dadurch das Verbot, jeden Verkehr mit dem Nachbar zu meiden, von selbst aufhob. Albrecht besaß Tact und Verschlagenheit genug, um die schwachen Seiten des Webers nicht zu berühren, und so glückte es ihm, festen Fuß in dessen Familie zu fassen.

Am meisten freute sich Flora dieser vielversprechenden Veränderung. Das muntere junge Mädchen kümmerte sich zwar nicht im Geringsten um die Welthändel und die großen Verwickelungen, in welche damals alle europäische Staaten mehr oder weniger geriethen, wohl aber plauderte sie gern mit Albrecht, der mehr als andere junge Männer ein unterhaltendes Gespräch anzuknüpfen verstand. Oft geschah es, daß während desselben oder auch mitten in der Unterhaltung mit ihrem Vater Albrecht's Augen die ihrigen berührten, und ein warmer zärtlicher Blick Fragen an sie richtete, die sie nur durch schamhaftes Erröthen erwiderte. Wenn dann in später Abendstunde ein sanfter Finger mit wohlbekanntem Klopfen den Laden im Färbehause berührte, fehlte nie die leise öffnende Hand des jungen Mädchens, und die späten Besuche Albrecht's verlängerten sich oft so sehr, daß die Brüder sich genöthigt sahen, sie durch ein plötzliches lautes Geräusch abzukürzen.

So hatte denn die Zeitung, deren Lectüre dem alten Ammer trotz seiner Abneigung gegen alle Neuerungen doch bald zum Bedürfnisse ward, eine Annäherung zwischen ihm und dem Sohne des Nachbars herbeigeführt, die, vom Zufall begünstigt, unerwartet auch die älteren Freunde einander wieder näher bringen sollte. Veranlassung dazu ward die Feier des Kirchweihfestes, die in der Provinz, wo unsere Erzählung spielt, gewöhnlich eine sehr solenne ist.

Herr Ammer pflegte zur Kirmeß nahe und entfernte Freunde einzuladen, mit denen er entweder in Geschäftsverbindung stand oder gegen die er in irgend einer Weise Verpflichtungen zu haben glaubte. Die Einladungen zur Kirmeß besorgte er stets in eigener Person acht bis zehn Tage vor dem Feste, theils um zu wissen, wen er als Gast bei sich zu sehen hoffen dürfe, theils weil er die Geladenen durch sein persönliches Erscheinen zu ehren glaubte. Da die Verbindungen des Webers mannigfacher Art waren, so pflegte bei dem solennen und höchst splendiden Kirmeßschmause Ammer's eine Gesellschaft sich einzufinden, wie man sie anderwärts selten sah. Die reichen Handelsherren der nahen Stadt, mit denen er in Geschäftsverbindung stand, fehlten dann nie an seinem gastlichen Tische. Zu ihnen gesellte sich Ammer's Sachwalter, eine Persönlichkeit, die der Weber eigentlich haßte, weil er der Ueberzeugung lebte, es sei mit der Ehrlichkeit des Mannes, dessen Dienste er doch bisweilen bedurfte, nicht sehr weit her. Gerade darum aber zeigte er sich gegen den gefürchteten Advocaten überaus freundlich und zuvorkommend; denn Ammer pflegte zu sagen, man müsse dem Teufel immer einen delicaten Bissen vorhalten, wenn er einen ungeschoren lassen solle. Andere Geladene gehörten entweder seiner Familie an, oder der Weber sah sie gern bei sich, bloß weil sie gute Gesellschafter waren oder ihm persönlich Spaß machten.

Diese Kirmeßgäste fanden sich diesmal alle in Ammer's Wohnung ein, brachten die heiterste Laune mit und erhöhten dadurch die Freude des Tages. Erst spät am Abend, was man so auf dem Lande »spät« zu nennen pflegt, leerte sich das Haus des reichen Webers. Es wurde hergebrachter Sitte gemäß beim Scheiden noch viel gesprochen, zehnmal von allen Seiten für das genossene Gute gedankt und endlich der Rückweg lachend und stolpernd angetreten. Die zuletzt heimkehrenden Gäste begleitete Ammer mit Frau und Kindern bis zum dritten Nachbar. Hier schüttelte er ihnen nochmals die Hände und übergab sie dann der Fürsorge des Färberknechtes, der den lustig gewordenen Städtern mit einer großen Laterne vorausschritt.


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