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Keine Neigungsheirath.

Adelheid war ein junges Mädchen, wie es wohl viele gibt, wie aber gerade nicht alle sind. Schön war sie eben nicht, aber wohlgebildet und blühend, fröhlich und lebenslustig, trug lieber ein neues Kleid als ein altes, und ein altes, das ihr gut zu Gesicht stand, noch lieber als das allerneueste, sang und tanzte gern, verstand eine ordentliche Mahlzeit zu kochen und eine Wäsche zu besorgen. Daneben aber hatte sie im steten Umgang mit einer ledigen alten Base, der Fräulein Heinerike, bekommen, was man einen romantischen Schwung heißt, und wenn sie so recht behaglich in einer Mädchenvisite sitzen und über neue Kleider, Hüte und Stickereien plaudern konnte, sah's ihr kein Mensch an, welche Welt von süßen Träumen und traulichen Gedanken hinter diesen hellen blauen Augen lag.

Die gute Heinerike hatte sie auferzogen in allerlei Ideen von chevaleresker Verehrung der Frauen, wie sie in ihrer Jugendzeit Mode gewesen waren, und hatte ihr so viel anvertraut von Freiern und Anbetern, die sie ihrer Zeit gehabt, daß Adelheid in vollster Erwartung von allerlei wundersamen Begebenheiten die Schwelle des Kindesalters überschritt. Auf ihren ersten Ball, den sie mit einer Tante in der Residenz besuchte, wo sie in weiß und himmelblau recht hübsch aussah, ging sie ganz kampfgerüstet, in Erwartung einer Menge von Stürmen auf ihr junges Herz, die sie fest entschlossen war, vor der Hand alle abzuschlagen. Aber siehe da, alles verlief in größter Ruhe; kein süßes Flüstern, kein verstohlener Händedruck, keine leidenschaftliche Erklärung. Sie konnte auch nicht eine einzige der schönen Phrasen voll jungfräulichen Stolzes anbringen, die sie sich in stillen Stunden ausgedacht; in aller Ruhe engagirten Sie die Tänzer, sprachen von der Hitze im Saal, von der schlechten Beleuchtung und mangelhaften Musik, mitunter blieb sie auch sitzen – kurz, sie durfte ihr siebzehnjähriges Herz ganz ungefährdet wieder nach Hause tragen. Und in solcher Weise ging es jahrelang fort; sie begriff gar nicht, warum es seit den Tagen der Cousine Heinerike so ganz anders geworden; diese hatte vor Freiern ja nicht stehen und gehen können, und die Cousine konnte unmöglich hübsch gewesen sein, sie mochte ihr Gesicht noch so aufmerksam studiren, und sich selbst fand sie doch gar nicht häßlich. Wie es sich mit diesen Freiern und Verehrern der Heinerike verhalten, ob sie, gleich den steifleinenen Kerls des Falstaff, in der Erinnerung sich multiplicirt hatten, ich weiß es nicht: genug, die gute Jungfer ging zu Grabe, glücklich, im Bewußtsein, daß sie die besten »Anstände,« geistliche und weltliche, hätte haben können, und Adelheid blieb daheim beim Vater, ungesucht und unbegehrt.

Sie war darüber ganz und gar nicht bekümmert und freute sich ihrer Jugend, die sie als das einzige Kind ihres guten Paters, der ein geschätzter Geistlicher war, harmlos und fröhlich genießen konnte. Der Vater war freilich viel zu wohltätig und ein zu sorgloser Haushalter, als daß er reich, oder auch nur vermöglich hätte sein können, doch konnte er dem einzigen Töchterlein jeden billigen Wunsch erfüllen. So hatte Adelheid Bücher, Musikalien, Blumen und Vögel, Freundinnen und freie Zeit nach Herzenswunsch, vor allem Freundinnen, da sie sehr mittheilsam und leicht erregbar war. Wie die vornehmen Damen im alten Rom für jedes Schmuck- und Putzstück eine eigene Bewahrerin, so hatte sie für jede Seite ihres Wesens eine eigene Vertraute, und neben den ordentlichen stets noch ein paar außerordentliche und mehrere korrespondirende Mitglieder in ihrem Freundschaftskreise.

Sie theilte mit Leib und Seele die Lust und das Leid, das die Freundinnen ihr anvertrauten, tröstete sie treulich mit guten Worten und rührenden Versen, half ihnen ihre gebrochenen Herzen herstellen und geleitete sie später mit diesen restaurirten Herzen an der Seite irgend eines andern respektablen Bräutigams zum Altar. Eine neidlose Brautjungfer war die Adelheid gewiß; weder der kleine Pfarrer, der die Pauline, noch der Kameralamtsbuchhalter, der die Amalie, noch der Gutsbesitzer, der das Lottchen heimführte, entsprach nur von weitem dem Ideal ihrer Träume; aber wenn sie wieder einen Myrthenkranz gebunden hatte, so mußte sie doch auch an die Stunde denken, wo er einst ihre Locken schmücken würde, und nicht wunderbar genug konnte sie sich die Wege denken, auf denen das besagte Ideal ihr zugeführt würde.

Wie eigentlich dieses Ideal beschaffen sein sollte, darüber war sie noch nicht im Reinen; meist nahm es in etwas die Farbe ihrer jeweiligen Lektüre an, die ernsten männlichen Gestalten trugen aber in der Regel den Sieg davon über die jugendlich glänzenden. Dazwischen war auch jeder junge Dichter, natürlich ohne daß sie ihn je gesehen, eine Weile der »König im Reich ihrer Träume,« und da sie so oft gehört, daß gute Dichter selten gute Ehemänner werden, so konnte sie sich manchmal in so schönes herzbrechendes Unglück hineinträumen, daß sie fast aus Mitleid mit sich selbst geweint hätte.

Vor dem Fenster ihres zierlich geschmückten Stübchens sah man auf einen schmalen Pfad, der zwischen Wiegen hinlief und sich im Gebüsche verlor. Gar zu gern sog sie in hellen Mondnächten den geheimnißvollen Reiz ein, der auf solchen Pfaden liegt und träumte sich, daher müsse dereinst ihr Glück kommen.

Diesen selben Pfad wandelte Adelheid auch eines Abends in allerlei Gedanken verloren. Sie hatten eben eine hübsche Novelle von Eichendorff gelesen und sang mit heller Stimme ein Reimlein daraus nach eigener Composition:

»Und wollte mich Einer erwerben,
Ein Jäger müßt's sein zu Roß,
Der müßt mich auf Leben und Sterben
Entführen auf sein Schloß!«

Da ertönte eine süßliche, etwas näselnde Stimme hinter ihr: »Ach, guten Abend, Fräulein Adelheid, thun sie auch Ihre Gefühle amüsiren im schönen Abendroth?« Wie mit kaltem Wasser begossen sah sich Adelheid um, und da stand, nicht ein Jäger zu Roß, wohl aber die Jungfer Elisabeth Maierin, ehrsame Vorsteherin der Strickschule, die Weisheitsliese genannt wegen der absonderlichen Weisheit und Sentimentalität ihrer Reden und Bemerkungen, der Adelheid so erstaunlich zuwider, daß kaum ihre Gutmüthigkeit sie abhalten konnte, ihrer alten Lehrerin stracks den Rücken zu wenden. »Ach ja,« fuhr die gesprächsame Jungfer fort, »da sind sie eben gerade wie ich, immer gefühlvoll, immer schwärmerisch; so bin ich mein Lebtage gewesen. Wenn ich nur ein schönes Buch und eine schöne Naturgegend habe, so komme ich ganz außerhalb mir selbst. Ach, was habe ich erst heut noch weinen müssen über so eine schöne Geschichte von Clauren: ›Des Lebens Höchstes ist die Liebe.‹ Ja Liebe und Tugend, das ist die Hauptsache in diesem Thränenthal.«

»Gewiß, gewiß,« meinte Adelheid und wollte weiter. – »Ach, warten Sie doch, Fräulein Adelheid, wir haben ja einander so lange nicht mehr genossen, seit ich Ihre jugendliche Lehrerin gewesen bin, und ich habe doch schon so lange gewünscht, Ihnen mein Herz auszuschütten. Ach, wenn Sie erst wüßten, wie ein gewisser Anderer glücklich sein würde, ein solches Abendroth mit Ihnen zu verleben!« – »Ei, ist's wahr?« lachte Adelheid übermüthig, hielt aber doch wieder gleichen Schritt mit Jungfer Elise. – »Ja, und wenn Sie wüßten, was für ein vorzügliches Mensch Ihnen sein Herz zugeeignet hat, und Sie lieber hat als die ganze Welt!« Adelheid wußte gar nicht, wie sie sich bei dieser unvorhergesehenen Erklärung verhalten solle, sie sah die Liese ungläubig an und fand es unbeschreiblich keck, daß die es wage, mit ihr von solchen Dingen zu sprechen; indessen machte sie keine Miene davonzulaufen, so daß die Liese ganz beherzt fortfuhr: »Denken Sie denn gar nicht mehr an den Sebastian, meiner Schwägerin, der Sonnenwirthin, Brudersohn, der ja hier ausgewachsen ist, an den Sebastian, der schon einmal vom Gennastum aus mich besucht hat, da Sie noch in die Strickstunde zu mir kamen, an den Sebastian Mezger?«

Nein, Adelheid hatte nicht an den Sebastian Mezger gedacht, ganz und gar nicht. – »Aber er hat ja schon dreimal einen Besuch in Ihres Herrn Papas Hause gemacht,« fuhr die Liese fort, »und seit er Sie das letztemal gesehen, kann er eben gar nicht mehr anders und meint, es müsse sein.« – »Aber er kennt mich ja gar nicht!« sagte in höchster Verlegenheit Adelheid, der das Ding nachgerade zu ernsthaft wurde. – »Das meinen nur Sie, Sie wissen nicht, wie viele lange Jahre der Sebastian seine Gemüthsbewegung auf Sie gerichtet hat, wie er Tag und Nacht nichts anderes sinnt. Sie wissen ja, wie geschickt er ist und im Examen über alle hinaufgekommen, so daß ihn sein Pfleger hat studiren lassen und daß er jetzt ein Doktor ist, ein rechter Menschendoktor in Dachshausen. Schon da Sie noch als kleines Mädchen bei mir in der Strickschule saßen, waren Sie ihm so wichtig. Er ging damals auf die Universität und nahm Abschied von mir, und ›Elise Base,‹ sprach er, ›was ist doch die Adelheid für ein nettes Mädchen!‹ Und was er derweil für schöne Reisen gemacht hat! und wie gebildet er ist! und er hat einen ganz neuen prächtigen Paletot.«

»Aber er hat mich ja nie gesprochen,« warf Adelheid wieder ein. – »Aber sprechen hören! Wenn Sie nur wüßten, wie interessant er nach Ihnen ist! Und als er Sie das letztemal in Ihrem himmelblauen Tibetkleid gesehen hatte, da war er vollends ganz dahingerissen. Er hätte so oft schon heirathen sollen, aber er will von keiner andern hören. ›Elise Base,‹ sagte er, als ihm die Sonnenwirthin des Schultheißen Tochter in Wendlingen kuppeln wollte, die dreißigtausend Gulden bekommt und eine vierzehnfache Aussteuer, ›Elise Base, wenn ich meine Einzige und Auserkorne nicht bekomme, so gehe ich nach Amerika.‹ – Ach, ich muß oft bitterlich weinen, wenn, ich denke, daß ein so rechtschaffener Mensch aus unglücklicher Liebe nach Amerika soll,›in's heiße Afrika!‹ wie in dem schönen Liede steht. So etwas möcht' ich nicht auf meiner Seele haben, Fräulein Adelheid!«

»Aber ich weiß ja kaum wie er aussieht!« rief Adelheid in höchster Beklommenheit. – »Ei, das thäte sich bald finden, schöne Seelen begegnen sich, sagt Schiller, und wenn Sie ihn einmal recht kennten, so könnten Sie sich gar nicht mehr besinnen. Wenn Sie jetzt nur erlauben wollten, daß er den Herrn Papa besucht, da würde sich alles finden; nicht wahr?« – »Den Vater wird's immer freuen, wenn ihn Herr Doktor Mezger besucht,« sagte kaum hörbar Adelheid, mit deren Fassung es ganz zu Ende war und die gar nicht mehr wußte, was sie sagen sollte. Zu ihrer größten Erleichterung sah sie in diesem Augenblick ihre Freundin Amalie am Arme ihres Gatten herankommen und konnte sich von der Jungfer Elise losmachen.

Adelheid kam in tiefen Gedanken heim, und wie oft sie sich auch sagte, welcher Unsinn es sei, an die Geschichte nur zu denken, dennoch kehrte das Gespräch mit der Liese wieder und wieder in ihre Erinnerung zurück. Nein, daran war nicht zu denken: einer, der die Weisheitsliese zur Vertrauten gemacht, der Sebastian Mezger hieß und Doktor war in Dachshausen! War ihr's auch mit dem Jäger zu Roß nicht so ernst gewesen, so hatte sie sich dafür andere schöne, romantische Situationen gedacht, gegen die all dies ein zu greller Kontrast war. Dann aber trat wieder die lange, stille, treue Liebe des ihr fast Unbekannten vor ihre Seele, sein verwaistes Leben, das hoffnungslose Leid um sie, das ihn weit über's Meer in ferne Lande treiben wollte, und das trieb ihr beinahe Thränen in's Auge. Auf einmal fiel ihr mit heißem Erröthen wieder ein, wie sie durch ihre unbedachte Aeußerung gegen die Liese ihn gleichsam selbst eingeladen habe, und beim Gedanken, daß das für Zuvorkommenheit gelten könnte, empörte sich ihr ganzer Mädchenstolz.

Weil sie aber dennoch Tag und Nacht an die tragische Geschichte denken mußte, so war's am Ende eine Wohlthat, daß der gefürchtete Doktor wirklich erschien. Eines Tags rief die Magd: »Fräulein Adelheid, ein Herr sind da und wollen den Herrn Dekan sprechen.« Mit ahnendem Herzen trat sie in's Zimmer und erinnerte sich nun wohl, diesen ernsten, einfach gekleideten Mann dereinst beim Vater gesehen zu haben, aber er hatte so wenig Eindruck auf sie gemacht, daß sie ihn indeß gänzlich vergessen hatte, und auch jetzt rief keine einzige Stimme in ihrem Herzen: der ist's! – keine einzige. – Nein, der konnte es nicht sein!

Der Doktor ließ sich keine Beklommenheit anmerken, er hielt die Unterhaltung unter so kritischen Umständen möglichst aufrecht und zeigte sich als einen lebenserfahrenen, ernsten gebildeten Mann, aber jeder verstohlene Blick, den sie auf ihn warf, kehrte mit der leidigen Botschaft zum Herzen zurück: »der ist's nicht! nein, der ist's nicht!«

Endlich machte der ahnungslose Vater durch seine Ankunft diesem doch etwas peinlichen tête à tête ein Ende; der Adelheid fiel ein Stein vom Herzen, sie ließ den Gast dem Vater, und wie lange auch noch Herr Mezger verweilen mochte, sie ließ sich nicht mehr blicken, für ihn ein recht schlimmes Zeichen, und er mußte sich verabschieden, ohne sie noch einmal gesehen zu haben.

Während die Adelheid daheim saß in einer Wahl und Qual, als ob sie seit der Erschaffung der Welt das erste Mädchen wäre, das in den tragischen Fall kommt, einen Mann nehmen zu müssen, war der Sebastian in tiefe Gedanken versunken auf seinem einsamen Heimweg. Wie es gekommen, daß eine so zarte Angelegenheit zuerst in die ungeschickten Hände der Jungfer Liese gekommen, davon später; jetzt handelte sich's bei ihm nur darum, ob er einen direkten Sturm auf die Festung wagen sollte, die so wenig geneigt schien, sich zu ergeben, und da zogen gar viele Gedanken für und wider durch seine Seele. Er gehörte nicht zu den stürmischen Naturen, und zu einem Entführen auf Leben und Sterben schien er vor der Hand nicht geneigt. Er schloß all seine streitenden Gedanken mit einem Gebete, daß Gott ihm zeigen möge, wo der rechte Weg für ihn liege, und daß er ihm diesen Weg bahnen möge; er fand Ruhe und Frieden darin, daß er seine Sache in so gute Hände gelegt, und ging getrost nach Hause.

In einem kinderreichen Hause gibt's stets Arbeit für Aerzte und Schuhmacher. So wurde um diese Zeit unser Doktor in ein Pfarrhaus gerufen, wo mehrere Kinder an Masern erkrankt waren. Die bleiche Hausfrau, die demnächst Aussicht hatte, ihren Kinderkreis um das achte Mitglied zu vermehren, konnte sich selbst kaum aufrecht halten, und sollte noch von einem Bettchen zum andern eilen. »Sie sollten nothwendig Hülfe haben,« meinte der Doktor, »die zwei Mägde genügen nicht.« – »Höre, soll ich nicht der Adelheid schreiben?« fragte der Pfarrer und setzte, zum Doktor gewendet, erklärend hinzu: »unsere Cousine von St., ein gar liebes, gescheidtes Mädchen.« – »Ach ja,« rief der kranke Heinrich, »die kann so schön erzählen,« »und so hübsche Puppenkleider machen,« rief das kranke Minchen. – »Ihr guter Muth thäte mir freilich wohl,« sagte die Pfarrerin, »aber ich möchte dem Vater sein Herzblatt nicht wegnehmen.« Kurz jeder Mund pries die Adelheid, und dem Doktor ward's recht wunderbar zu Muth, hier den Fingerzeig zu erhalten, um den er gebetet, denn daß diese vielgeliebte Adelheid die seinige sei, da war kein Zweifel. Er sprach der Pfarrerin dringend zu, um die Cousine zu bitten, es sei höchst nöthig, und er konnte diesmal kaum erwarten, bis er nach Hause kam und allein sein konnte. Noch in derselben Nacht ging ein Brief an Adelheid und ihren Vater ab, nicht die glühende Bitte eines herzerstürmenden Jünglings, wohl aber die ernste, innige Frage eines Mannes.

Der Adelheid war's indeß seltsam gegangen, wie einer Festung, auf den Sturm gerüstet, die auch an die Möglichkeit einer Uebergabe denkt, die aber gänzlich unangefochten bleibt. Seit dem Besuch des Doktors stand sie jeden Morgen auf und legte sich jeden Abend nieder mit der Frage: will ich? – »Nein, ich will nicht!« rief ihr Herz, aber kein Mensch fragte sie: willst du? Mit Herzklopfen sah sie den Briefträger kommen, mit einem erleichternden Seufzer sah sie, daß er nichts brachte als Briefe einiger Herzensfreundinnen, die über ihr Stillschweigen klagten, aber nachher war's doch eine gewisse Leere. Sie hatte in Gedanken die schönsten Absagebriefe an den Doktor aufgesetzt, voll Achtung, Bedauern und Dankbarkeit, aber es kam keine Gelegenheit, einen zu schreiben. Die Liese ließ sich nirgends blicken. Schon glaubte sie mit einiger Beschämung, das Ganze sei am Ende ein Märchen gewesen oder der arme Doktor sei, bekümmert über ihre Sprödigkeit, bereits in Verzweiflung nach Amerika abgesegelt, da kam eines Tags ein großer, gefährlich aussehender Brief an den Vater. Nun war's gekommen, das war die Werbung des Doktors. Der erstaunte Vater gab Adelheid ihren Brief, besprach die Sache mit ihr und ließ ihr gänzlich freie Hand; ihm eilte es nicht, sich von dem Töchterlein zu trennen. Da saß Adelheid in ihrem Stübchen, die Feder in der Hand und vor sich das Postpapier. Der Absagebrief, wie sie ihn gedacht, paßte nicht mehr, des Doktors Brief war gar nicht so herzbrechend; aber ein Nein, motivirt oder nicht, wollte nimmermehr heraus, und doch zum Ja – da war's noch himmelweit, das war ganz undenkbar. So ließ sie sich denn in Kapitulationen ein, sandte einen Brief ab mit einer ziemlich offenen Erklärung über ihren Herzenszustand, bat um Aufschub, wollte ihr Herz prüfen, nähere Bekanntschaft u. s. w. Eine gefährliche Sache für eine Festung!

Am andern Tag kam der Brief mit der Bitte des Vetter Pfarrers um Unterstützung seiner Frau. In ihrer Bedrängniß war Adelheid recht froh der Aussicht auf angestrengte Thätigkeit, erstürmte die Erlaubniß des Vaters und rüstete sich zur Reise, nicht ohne gebeten zu haben, daß man ihr alle einlaufenden Briefe nach Bernheim nachschicken solle.

Da Adelheid in der vaterländischen Geographie nicht stark war, wußte sie gar nicht, daß Bernheim in der Gegend von Dachshausen lag, und war daher höchlich erstaunt, den Doktor, mit dem sie in so gefährliche Unterhandlungen getreten war, gleich am ersten Abend im Pfarrhaus zu finden. Dieses unerwartete Zusammentreffen gab nun der Sache eine andere Gestalt; aber »der Zug des Herzens, der des Schicksals Stimme,« wollte immer und immer noch nicht kommen, und ungewisser, unglücklicher als je, durchwachte Adelheid die nächste Nacht am Bette der kranken Kinder, während die Mutter ruhig schlief, wie seit lange nicht. Immer noch schien ihr diese neue Begebenheit ein Querstrich durch den blumigen Pfad ihrer Phantasiewelt. Anders, ach so ganz anders hätte es eben kommen sollen!

Aber die stille Nacht ist eine gute Zeit zur Selbstprüfung und in dem trotzigen und verzagten Mädchenherzen stieg die ernste Frage auf: »Hast du ein Recht die Wege zu wählen, die Gott dich führen soll?« Und sie betete ernst und innig wie nie, Gott möge ihr klar machen nicht ihren, sondern seinen Willen, und wenn sie ihn erkannt, so möge er ihr auch die Freudigkeit in ihr Herz geben, den Weg zu gehen, den er sie führen wolle.

Frischer und getroster als seit lange begann sie den Morgen und ihr Tagwerk, obwohl die Kinder klagten, daß sie nicht so viel und schöne Geschichten erzähle wie sonst. Der Abend kam, und nachdem sie den Tag über in geheimer Angst den Doktor erwartet hatte, ward allmählig aus dem stillen Gedanken: »er wird doch nicht kommen!« der Wunsch: »wenn er lieber heut käme!«

Nun, er kam und blieb zum Abendessen, und es traf sich wunderlich, daß das Gespräch allmählich allein von den Beiden geführt wurde. Sie sprachen von Kindheitserinnerungen, Jugendeindrücken, von allem möglichen; es ging Schlag auf Schlag, ein Wort in's andere, es war als sei eine verborgene Thüre aufgegangen an den zwei Herzen, aus der die innersten Gedanken hervorkamen. Die Zeit verging, man wußte nicht wie; der Doktor mußte sich's gefallen lassen, im Pfarrhaus zu übernachten, den Pfarrleuten ging ein Licht auf, und die Aussicht auf eine Brautschaft unter ihrem Dache richtete die Pfarrfrau zusehends auf, mehr als die beste Arznei des Doktors. Als in dieser Nacht Adelheid in ihr Stüblein kam, da war es hell vor ihr, sie wußte nun, was Gottes Wille sei, und die Herzensfreudigkeit war ihr nicht ausgeblieben.

Am andern Tag war die Pfarrerin schon so gefällig und fürsorglich, den Beiden Gelegenheit zu einem ruhigen Stündchen in der Laube zu geben. Da wagte der Doktor aufs neue seine Frage, und siehe da, ihm ward eine gute Antwort, und als das Pfarrpaar endlich herab kam, nach ihnen zu schauen, da trat ihnen ein fröhliches Brautpaar entgegen. – Die Pfarrerin verjüngte sich selbst wieder an diesem jungen Glück, auch die Kranken waren besser, und so konnte Adelheid sich dem ihr so neuen und wunderbaren Gefühl glücklich zu sein, indem sie glücklich machte, von ganzer Seele hingeben.

Es war Sonntag Abend, alles war Friede und Freude, die zwei saßen in der Laube und vor ihnen lag ein Brief mit des Vaters freudigem Segen, nachdem Adelheid ihm ihr Herz geöffnet hatte; alle Wahl und Qual war vorüber, und wenn sie nun in die treuen, tiefen Augen ihres Erwählten sah, so besann sie sich nicht mehr, ob er Sebastian oder Oskar hieß, und hatte vergessen, wie alle ihre Ideale ausgesehen hatten.

»Nun wirst du nicht mehr nach Amerika wollen?« fragte sie schmeichelnd. – »Gewiß nicht, Herz, auch dachte ich daran in Jahren nicht mehr.« Dieß verblüffte Adelheid etwas, und schüchtern fragte sie weiter: »Aber sage mir: warum hast Du denn die Liese zu Deiner Vertrauten gemacht?« – »Die Weisheitsliese? Ja, liebes Kind, daran bin ich unschuldig; sie hat eigentlich mich zu ihrem Vertrauten gemacht.« – »Wie so?« fragte Adelheid mit weitoffenen Augen. – »Nun, sieh nicht bös aus, wir sind ja glücklich im Hafen; ich konnte freilich noch nicht wissen, welch Kleinod mir die Liese zudachte, als sie mich nöthigte, Deinen Vater zu besuchen.«

Welch ein Aufschluß für Adelheid! Der Doktor sah nun erst, wie neu ihr das alles war; er konnte nicht mehr zurück, er mußte beichten. Da ergab sich denn, daß der Doktor nimmermehr an die Adelheid gedacht hätte; nichts war es gewesen mit der jahrelangen stillen Liebe, nichts mit dem Vorhaben nach Amerika zu gehen, rein aus mit der Romantik! In der Liese Kopf, nicht in des Doktors Herzen war der Plan zu dieser Verbindung gereift. So wenig er sich von jeher um Liese bekümmert, eine so große Zuneigung hatte sie stets um ihn, dem einzigen Familienglied von geistiger Bedeutung, gefaßt und frühe den Wunsch genährt, ihn mit Dekans Adelheid, ihrem höchsten Ideal weiblicher Liebenswürdigkeit, zu verbinden. Der Doktor, mißtrauisch in eine Empfehlung aus solchem Munde, war nur mühsam zu bewegen gewesen, bei seinen sehr seltenen Besuchen in der Vaterstadt einen förmlichen Besuch beim Dekan zu machen. Da er nun kurzsichtig war und Adelheid nur von weitem erblickte, so wußte er kaum wie sie aussah, und stimmte nur so pro forma in die Lobpreisungen der Liese ein. Höchlich erstaunte er daher, als diese ihm eines schönen Morgens schrieb, sie sei Fräulein Adelheid so geschickt begegnet, daß sie nicht umhin gekonnt, dieser seine Gefühle mitzutheilen; es sei nun alles aufs Schönste eingeleitet, Fräulein Adelheid und der Herr Dekan erwarten täglich seinen Besuch.

Welche Ueberraschung! Der Doktor war zuerst gar nicht geneigt, diesen Wechsel auf ein ihm so unbekanntes Herz zu erheben, auch betroffen über eine so seltene Zuvorkommenheit. Doch hielt er's für der Mühe werth, zur Liese zu reisen, und entnahm bald ihrem Gespräch, daß Adelheid in der Sache so unschuldig sei wie er, und noch viel unwissender. So wollte er doch nun hingehen. Diesmal that er seine Augen auf, und bedurfte nun des Zuspruchs der Liese nicht mehr, um von Herzen zu wünschen, daß ihr Plan Wirklichkeit würde. Da war es aber das so zurückhaltende Benehmen Adelheids, was ihn zögern machte, bis er im Pfarrhaus zum erstenmal gültige Bürgen für den Werth des Gutes erhielt, dessen Besitz er schon wünschen gelernt hatte.

Ja, so verhielt sich die Sache, und die arme Adelheid war um das letzte Tröpfchen Poesie betrogen, mußte Frau Doktor Mezgerin in Dachshausen werden, und hatte nicht einmal den Trost, daß sie so lange und so still geliebt worden sei, daß ihr Erkorner nach Amerika gewollt um ihretwillen! Noch einmal wollte der jungfräuliche Stolz aufwallen, und sie hätte gern ihr Herz zurückgenommen, nur um noch einmal auf Leben und Tod darum werben zu lassen. Aber ein Herz nimmt sich nicht so leicht zurück; der Stolz ging unter in dem süßen, demüthigen weiblichen Gefühl, sich in Liebe hinzugeben, und Adelheid hat sich mit freudigster Resignation in das herbe Schicksal gefunden, das sie auf so prosaischem Weg an das poetische Ziel führte, eine frohe Braut und eine glückliche Frau zu werden.

Der Weisheitsliese nicht zu vergessen, so war diese freilich glückselig, daß ihr Plan so herrlich gelungen war, wurde aber durch des Doktors entschiedenen Zuspruch vermocht, ihre Verdienste nicht unbescheiden geltend zu machen. Sie begnügte sich alljährlich mit einem vierzehntägigen Besuch bei Doktors, während dessen sie Adelheid unter ihren vier Söhnen mit den allerweisesten Erziehungsrathschlägen unterstützte.


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