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Es sind wohl je und je Geschichten geschrieben worden, deren Schauplatz eine kleine Stadt war. Die Pointe dabei, wenn ich mich recht erinnere, war dann allezeit ein geheimnißvoller oder wenigstens interessanter Fremder, der die Zungen der Frau Basen und die Herzen der jungen Mädchen in Bewegung setzte. Nun mag ich mich aber besinnen wie ich will, so hat sich in unsrer kleinen Stadt nichts der Art gezeigt. Wurde zwar eines Tages ein bleicher Jüngling mit Gensd'armen eingeliefert, der sich als einen verkannten Edeln und Professor von Lyon zu erkennen gab; aber es stellte sich binnen kurzem heraus, daß besagter Professor ein Betrüger und Schelm, also mit vollem Recht transportirt war. Ferner erschien einmal Abends auf der sehr frequentirten Kegelbahn ein ältlicher, steifer Herr mit ganz feinen Manieren, dessen Andeutungen ihn etwa als einen russischen General außer Dienst, oder als einen ditto Diplomaten erscheinen ließen, und die Herren wußten bei ihrer Nachhausekunft gar viel zu rühmen von seinem feinen adligen Benehmen und seiner würdevollen Zurückhaltung. Am folgenden Morgen aber war derselbige Diplomat so herablassend, daß er von Haus zu Haus ging mit dem Offert, die etwaigen Hühneraugen auszuschneiden; führte auch eine grüne Kordianmappe mit sich, voll von Zeugnissen von hohen und höchsten Herrschaften über seine Gewandtheit in dieser edlen Kunst. Vielleicht, das nahm man zum Troste an, war er heimlicherweise doch ein Spion, der's nur nicht sagte; er hätte auch in solcher Eigenschaft schlechte Geschäfte gemacht, es gab blutwenig zu spioniren im Städtchen R.
Einmal aber, ja einmal fuhr dennoch in einem kurios gestalteten Einspänner ein unbekannter Herr mit einem anständig aussehenden, noch jugendlichen Frauenzimmer am ersten Gasthof in R. vor, und erkundigte sich alsobald nach freistehenden Wohnungen. Derselbige war auffallend lang und mager, trug einen Rock, Beinkleider und Gamaschen von Lederfarbe, einen ditto Hut und ein Gesicht von derselben Couleur, es schien, er habe seine ganze Person am Stück in diesen dauerhaften Färbestoff tunken lassen. Seine lange Figur wurde durch seinen thurmhohen Hut noch vergrößert, so wie sich seine fabelhaft langen Arme durch die Aermel, die eine Viertelelle länger waren, als erforderlich, fast bis zur Erde zogen.
Die Dame bei ihm schien nicht seine Frau zu sein und sich nicht besonders behaglich zu fühlen. Nach genossenem Imbiß schickten sie sich an, die wenigen freien Wohnungen des Städtchens zu besehen, und der lederfarbne Herr fand sogleich, was er suchte, in ein paar hübschen Zimmern im vierten Stock, mit freundlicher Aussicht auf die Apotheke und eine neue Metzig. Er versicherte den Hausbesitzer, daß ihm besonders lieb sei, eine so hochgelegene Wohnung zu finden, da das Steigen seiner Brust sehr zusage. Der Hausknecht, der ihm als Führer vom Gasthof mitgegeben war, bemerkte bescheiden, daß auf dem Thurm auch noch ein Stübchen zu vermiethen wäre, womit sogar das Benefiz des Hochwächterdienstes verbunden. Das lehnte der Lederfarbne höflich ab, da in solcher Höhe die Luft nicht gesund sei, namentlich weil sich alle Dünste in die Höhe ziehen.
Der Unbekannte beabsichtigte gar nicht als solcher fortzuexistieren, er war, nach seiner Mittheilung, ein Engländer, der sich aber schon seit langen Jahren in Deutschland heimisch gemacht und der einen stillen, freundlich gelegenen Ort suchte, wo er seine Tage beschließen könne. Diesen Ort hatte er nun in dem Städtchen M. entdeckt, fragte nach dem Kirchhof, wo er sich ein Plätzchen für sein Grab erkiesen wolle, und bestellte den Notar, um sein Testament aufzusetzen.
Nun sah der Engländer aber gar nicht aus, als ob er seinem Ende so nahe wäre, er gehörte überhaupt zu der Klasse von Leuten, bei denen man nie beurtheilen kann, ob sie jung oder alt sind; er kam einem auch nicht vor, als ob er jemals klein gewesen und groß gewachsen sei, vielmehr glich er einem Stück, das in einer Auktion nicht verkauft worden ist und nur so herumfährt. Aus seinen Papieren aber, die er dem Notar vorwies, ergab sich, daß er wirklich schon ziemlich bejahrt war. Als Zeuge zu der Testamentaufsetzuug wurde unter andern der Hausbesitzer gebeten, und dieser Ehrenmann war höchlich überrascht und gerührt, als der Engländer nach so kurzer Bekanntschaft ihm ein recht anständiges Legat bestimmte, auch die Armen der Stadt waren nicht vergessen und ein schon früher festgesetztes Vermächtniß für seine Haushälterin erneuert. Der Engländer versicherte den gerührten Hausbesitzer, daß es ja ganz natürlich sei, daß die Familie, in deren Schooß er seine letzten Tage verlebe, auch ein Andenken an ihn behalte, und das Verhältniß zwischen Hausherr und Miethsmann gestaltete sich durch diese freundliche Fürsorge recht gemüthlich.
Obgleich nach all diesem es scheint, daß der Engländer expreß nach M. gekommen war, um daselbst zu sterben, so vernachläßigte er die Pflicht der Selbsterhaltung keineswegs. Sein einziges Studium, seine ausschließliche Lektüre waren medicinische Werke; das System aber, nach dem er seine Diät einrichtete, war eigentlich aus keinem davon genommen. So bald er sein Zimmer in Besitz genommen, ließ er den Schreiner kommen und befahl ihm, die Füße seiner Bettstelle gänzlich abzusägen, denn da nach seiner Ansicht der Dampf sich nach oben zog, so behauptete er in der gesundesten Luft zu schlafen, wenn er möglichst niedrig gebettet war. Seine Kost bestand fast ganz ausschließlich aus Gerstenschleim, Kalbsbraten und gelben Rüben, welch letztere er in solchen Massen einkaufte, daß er das ganze Jahr hindurch Vorrath hatte. Der Thermometer war sein bester Freund, den er fast beständig bei der Hand hatte, um nachzusehen, ob das Zimmer die richtige Temperatur habe. War es zu kühl, so mußte augenblicklich geheizt werden und wäre es im höchsten Sommer gewesen; war es zu heiß, so ließ er eine große Wasserkufe in's Zimmer tragen, um die Luft abzukühlen, und war sehr übler Laune, wenn diese Maßregel keine gehörige Wirkung that. Große Fußtouren gehörten auch zu seiner Diät, und es nahm sich sonderbar aus, wie er unterwegs mit eigentümlich er Gewandtheit sich Zuckerpasten in den Mund warf, die er in seinem großen Aermel verborgen hielt: solches, behauptete er, sei ganz vorzüglich für die Brust und den Athem, – kurz, er war unerschöpflich an Mitteln, das menschliche Leben zu verlängern, und konnten seine Erben das Glück der Hoffnung gründlich kennen lernen.
Die Kunde, daß das lederfarbene Subjekt ein Engländer sei und bereits ein Testament gemacht habe, verlieh ihm im Städtchen einiges Ansehen. Man glaubte auch, seine lederfarbne Haut und Kleidung sei nur so eine Art Reiseüberzug zur Schonung, wie über einen Regenschirm, und er würde eines Tags schön und elegant hervorgehen. Dem war aber nicht so, er war und blieb derselbe, und eine vortheilhafte Farbe war's für seine Fußtouren: er hätte sich im Straßenstaube baden können, ohne sich im Mindesten zu verändern. Auswanderungen waren dazumal selten und englische Sprachkenntniß so wenig gekannt und gesucht als spanische. Als aber ein lebendiger Engländer auf dem Platze war, überkam doch einen strebsamen ältlichen Herrn die Lust, englisch zu lernen, und er lud zu diesem Zweck den Herrn Cramble zum Kaffee ein, der, wie aus dem schon Erzählten hervorgeht, des Deutschen vollkommen mächtig war. Zuerst wollte man die Conjugationen kennen lernen, also mit den Fürwörtern beginnen: »was heißt: ich?« fragte der Deutsche. – »I«, antwortete der Engländer. – »Ei? nun das ist ja ganz gut behalten! Du?« – »Thou« – »Sau« sprach der Deutsche nach, »thou« berichtigte der Engländer, »tsau« versuchte der Schüler wieder, »nicht tsau, thou!« schrie der Lehrer, »sehen Sie, so« und er zeigte ihm, wie man die Zunge an die Zähne drücken muß, um den englischen Zischlaut hervorzubringen. Der Schüler wollte es noch besser machen und streckte die Zunge heraus, da wollte aber weder thou noch Sau hervorkommen, und der indignirte Herr beschloß, an eine so grobe Sprache keine Mühe mehr zu wenden.
Seine Haushälterin, ein anständiges Frauenzimmer von guter Herkunft, aus einer andern Stadt, in der er sich früher etablirt gehabt hatte, um dort seine Tage zu beschließen, hatte sich durch ihre schutzlose Lage und das bedeutende Legat bestimmen lassen, diese Stelle zu übernehmen, mußte aber die Aussicht auf ein eigen Kapitälchen gar sauer verdienen. Der Herr Cramble war ganz erstaunlich sparsam und erwartete natürlich, daß sie durchaus in seine ökonomischen Pläne einging. An englischen Comfort schien er keine Ansprüche zu machen, es wurde z. B. nie auf einem Tischtuch gespeist aus dem einfachen Grunde, daß ein Tisch bälder gewaschen sei als ein Tischtuch, von Kaffee war keine Rede, verdünnten Gerstenschleim lauwarm getrunken, erklärte er für das zweckmäßigste Frühstück, auch liebte er durchaus nicht, wenn sie andern Umgang pflog, und somit war ihre Existenz eine ziemlich freudlose; ihr guter Ruf war übrigens nicht in der mindesten Gefahr bei ihm. Nur die Aussicht auf die Erbschaft, die ihr doch wenigstens dereinst ein trauliches eigenes Jungfernstübchen sicherte, gab ihr Geduld und Ausdauer. Sehr überrascht aber war sie eines Morgens, folgende Zuschrift zu bekommen:
»Liebwertheste Jungfer Henriette Steinin!
Da ich zwar von meinem Schwager, der Gschwisterkind zu des Notars Schreiber in Ihne Wohnort ist, vernommen, daß der engellische Herr Grembel, bei dem ich auch seine Haushaltung gefirt habe, Ihne in seinem Testament ein Vermächtniß vermacht hat, so halte ich das übrigens für wüst von Ihne, einer armen Person das Ihrige abzunehmen, wo der Herr Grembel in sein Testament hier mir auch so ein Legad vermacht hat und ich ihn bis zu seinem Tode bereits nicht verlassen hätte, außer daß er sagte, daß ich keine Bildung genug hätte, vor was der eine Bildung braucht zu ihm seine Gelberüben zu schaben und Gerstensuppe zu kochen, weiß ich allerdings nicht. Und laße Ihnen wißen, daß ich es insofern vor alle Gerichte bringen werde und laße es vor den König kommen so einer armen Persohn ein Legad zu berauben.
Ihre dienstwillige
Barbara Rothin.
Herr Cramble, dem die Haushälterin dieß Dokument mittheilte, kam gar nicht aus der Fassung: er habe dieser frühern Haushälterin allerdings ein Legat bestimmt gehabt, aber nur aus den Fall sie bis zu seinem Tode in seinen Diensten bleibe, dieß frühere Legat und Testament hebe sich aber von selbst durch das neuere gültige auf.
Der Fräulein Henriette war die Sache dennoch bedenklich, die gelben Rüben kamen ihr immer unschmackhafter, der Engländer immer dauerhafter vor, und sie beschloß irgend einen Sperling in der Hand diesem Kraniche auf dem Dache vorzuziehen. Sobald sie ein anderweitiges anständiges Unterkommen, wenn auch ohne Aussicht auf Legat, gefunden, sagte sie Herrn Cramble ihre Dienste auf. Er bedauerte sehr, daß sie ihr Glück so mit Füßen trete, tröstete sich aber bald über den Verlust.
Mittlerweile hatte Herr Cramble sich überzeugt, daß M. noch nicht die rechte Stätte für seinen letzten Ruheplatz sei, er glaubte ihn aber gefunden zu haben in einem kleinen Städtchen etliche Stunden davon. Auch einer Haushälterin bedurfte er wieder; die Ansicht der gekränkten Jungfer Barbara, daß es nicht viel Bildung brauche, um seine gelben Rüben zu schaben, schien ihm einzuleuchten, und so warf er dießmal sein Auge auf die ehrbare Tochter eines kinderreichen Schreinermeisters in M. Das Mädchen bezeugte anfangs gar wenig Lust, Herrn Cramble aber war es Ernst mit der Sache, er beschied Vater und Mutter sammt der Tochter in seinen neuen Wohnort, ließ dort in ihrer Gegenwart von Notar und Zeugen ein abermaliges Testament in bester Form verlesen, in welchem ihr noch ein ansehnlicheres Legat als ihren Vorgängerinnen zugesichert war, falls sie ihn vor seinem Tode nicht freiwillig verlasse. Das war doch gar zu lockend für fürsorgliche Aeltern und sie stellten der Luise ihre zukünftigen Aussichten, wenn der Engländer einmal das Zeitliche gesegnet, aufs Glänzendste vor: sie sei ja jung und stark, und er könne doch nicht umhin, einmal zu sterben, irgend einmal; und die Luise gab nach und arrangirte sich in dem neuen Haushalt.
Der Engländer aber war nicht lange an dem neuen Aufenthaltsort, als er abermals fand, daß das noch kein geeigneter Platz zum Abscheiden sei, somit zog er sammt der Luise in ein viel entlegeneres Städtchen. Da sie in der Korrespondenz nicht stark war, so blieben die Ihrigen Jahre lang ohne Nachricht von ihr, bis endlich wieder einmal ein Brief ankam.
Der Schreiner erbrach ihn und durchlief den Inhalt, um ihn vorzulesen, plötzlich rief er ganz erfreut aus: »Ach denk nur, Weib, der Engländer ist richtig gestorben, das hätt' ich ihm doch nicht zugetraut!« – »Ists wahr?« rief die Frau, »aber das ist doch schön von ihm, weiß man's gewiß?« Die Geschwister eilten herbei, um den Grund des älterlichen Vergnügens zu erfahren: »Ja denket, der Herr Grembel ist gestorben und die Luise bekommt jetzt schon das schöne Erb, und sie ist doch erst vier Jahre bei ihm, und er ist nicht einmal so gar alt geworden, erst zweiundsiebzig, da hätt' man's ihm noch gar nicht zumuthen können, er hätt' ja auch achtzig oder gar neunzig alt werden können, wie der alte Thorwart selig.« Und alles war ganz voll Dank und Rührung, daß der Herr Grembel richtig gestorben war.
Seit er M. verlassen war der Engländer noch in vier bis fünf Städten und Städtchen herumgekommen, bis es mit dem Sterben Ernst geworden war, in jedem hatte er ein Testament gemacht, in welchem die Ortsarmen und sein jeweiliger Miethsherr bedacht war. All diese Willensmeinungen wurden nach den Landesgesetzen von selbst ungültig; die Luise aber war auf dem Platz geblieben als Siegerin über all die Henrietten, Barbara's, Lotten und Friederiken, die als frühere Haushälterinnen bedacht gewesen waren, sie stand mit ihrem Legat noch im letzten Testament. Rechtsgültig waren alle diese Willensmeinungen gewesen. Nachdem sie ihrem verblichenen Gebieter einen redlichen Thränenzoll geweiht, zog sie ab mit dem Erbe, das sie zu einer gesuchten Parthie in ihrem Stande machte, ja, das ihr noch Aussicht gab auf irgend einen jungen Kaufmann oder Apotheker, der ein eigenes Geschäft gründen wollte.
Wer und woher der Cramble war, hat sich erst in Folge seines Todes genau herausgestellt. Er war von Natur ein Handlungskommis zu Liverpool, der durch den Gewinn des großen Looses aus einer bescheidenen, fast dürftigen Existenz mit Einem Schlag in die Fülle des Reichthums versetzt worden war.
Von da an hatte er das Festland nach Norden und Süden bereist, zuerst um Lebensgenuß, zuletzt um eine Grabstätte zu suchen. Ein großes Darlehen, das er einem ungarischen Großen zur Herstellung seiner Güter gab, und um das ihn dieser betrogen, hatte seinen Reichthum bedeutend geschmälert. Von daher stammte seine Sparsamkeit und fast cynische Lebensweise, von daher wohl auch das Mißtrauen, das ihn bewog, jede Dienstleistung durch Aussicht eines Erbes zu erkaufen.
Und, ein eigenthümlicher Hohn des Schicksals! Er, der Jahre lang keinen Lebenszweck gekannt als sich ein friedliches Grab zu sichern, sollte auch dies nicht ohne Schwierigkeit finden. Er hatte sich im Tode erst noch recht nach Herzenslust ausgestreckt und als man den Sarg, dem ein anständiges kleines Geleite, bestehend aus einigen Nachbarn und dem Vater der Louise, folgte, in's Grab senken wollte, fand sich daß dieses zu kurz war. So mußte denn erst das Grab verlängert werden, während die betrübte Trauerversammlung sich verlief und Herr Cramble in einsamer Größe in seinem Sarg auf dem Kirchhof stehen blieb.
Das also ist die Geschichte von dem Engländer, dessen bewundertste That die war, daß er richtig gestorben ist. Ruhe seiner Asche!