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Der Freihof ist ein altes, hochgelegenes, ziemlich unansehnliches, burgähnliches Gebäude, das früher nur weibliche Insaßen hatte. Das Innere des Hauses hatte aber für Alt und Jung einen eigenthümlichen Reiz, und besonders für die Kinder war ein Gang zum Fräulein vom Freihof fast ein eben so großes Fest, als eine Einladung zur Frau Fürstin, von der ich später zu sprechen habe. Eine seltsame, längst verschollene Welt schien sich aufzuthun, wenn das hohe Hofthor geöffnet wurde von der uralten Dienerin, Kammerfrau, Gesellschafterin und Haushofmeisterin in Einer Person, die mit Hülfe einer jungen, sechzigjährigen Tochter das Hauswesen besorgte und die Person des Fräuleins bediente. Zwei verhältnißmäßig gleich alte Hundevetranen folgten dieser auf allen Schritten.
Hier schien wie in Dornröschens Schlosse durch einen Zauberschlag die Zeit festgebannt worden zu sein. Die Zimmer waren zierlich eingerichtet mit prächtig bemalten Hautelissetapeten, Tabourets, Causeusen und all den alten Herrlichkeiten, welche erst die Mode der letzten Jahre wieder zu Ehren gebracht hat. Daneben gab es noch allerlei merkwürdige Kunstwerke, die den Kindern wie wahre Zaubereien erschienen, besonders das kleine Bergwerk in einem Glase, mit zahllosen arbeitenden Bergmännchen, das durch laufenden Sand in Bewegung gesetzt wurde. Herrlich war der Garten mit verschnittenen Taxushecken, Springbrunnen mit Meerfräulein und kunstreich verschnörkelten Gängen und Blumenrabatten, wie sie jetzt ein Gärtner schwerlich mehr zu Stande brächte. – Inmitten dieser alten Pracht schaltete und waltete das Fräulein, gleich ihrer Dienerin ganz unverändert in die Tracht ihrer Jugend gekleidet, mit hochfrisirten, gepuderten Haaren, Poschen und Kontuschen, Schönpflästerchen auf den geschminkten Wangen, recht als wäre sie leibhaftig aus dem Rahmen des lebensgroßen Bildes herausgetreten, das in ihrem Prunkzimmer hing.
Die unvergängliche Schönheit der schlafenden Königstochter schien nun freilich dem Fräulein nicht verliehen zu sein; sie konnte ihre neunzig Jahre nicht verleugnen. Indessen trug sie die Last ihres Alters leicht und trippelte auf ihren hohen Absätzen noch flinker umher als das »Mädchen,« wie die sechzigjährige Tochter der Kammerfrau von ihr und von dieser genannt wurde.
Ihr Geschick hatte in Wahrheit einige Aehnlichkeit mit dem des Dornröschens. Ihre Altersgenossin und Lebensgefährtin, die Kammerfrau, hat es der Großmutter einstmals im Vertrauen erzählt, als diese das jugendliche Bild des Fräuleins betrachtete, dem dieses jetzt noch auf ein Haar glich, die Schönheit abgerechnet. – »Sie werden sich wundern,« sprach die Alte, »daß mein Fräulein, die noch schöner war als ihr Bildniß, und so reich dazu, sich nicht verheirathet hat. Ich sage Ihnen, Freier hat sie gehabt mehr als Tage im Jahr, schöne darunter und vornehme und reiche, und Alle hat sie fortgeschickt. – Damit hat es aber seine eigene Bewandtniß, was Niemand weiß außer mir, und Ihnen will ich's sagen. – Es ist, ich weiß nicht mehr wie lang her, ich war dazumal ungefähr fünfzehn und mein Fräulein sechzehn Jahre alt, da hab ich sie nach dem Befehl der hochseligen Frau Mutter auf einer Promenade begleitet. Wir waren weit ab vom Hause gekommen und die Dämmerung brach schon herein, da begegnete uns eine alte schwarze Zigeunerin, die als Wahrsagerin bekannt war. Mein Fräulein bekam auf einmal Lust, ihre Zukunft zu erfahren, und streckte der Alten die Hand hin zum Wahrsagen. Obgleich sie etwas abseits gingen, konnte ich doch die Worte gar wohl verstehen: »Hüt' dich wohl, schönes Jungfräulein, einem geringen Freier zu folgen; kein anderer als ein Kaiser wird dich heimführen. Laß dich das Warten nicht verdrießen, kommt er auch spät, so kommt er doch gewiß.«
»Auf dem Heimweg war das Fräulein sehr nachdenklich; sie erzählte mir, wie diese Prophezeihung zusammentreffe mit einem wunderbaren Traum, den sie unlängst gehabt; sie verbot mir aber, irgend einer Seele ein Wörtlein von allem zu sagen. Von Stund an zog sie sich ab von allen Mannspersonen, die in ihres Herrn Vaters Haus kamen; keiner konnte ihr Herz bewegen, einen um den andern ließ sie abfahren. Dabei war sie aber nicht stolz und hoffärtig, sondern freundlich und leutselig gegen Jedermann, nur nicht gegen das Mannsvolk. Ein Jahr verging nach dem andern, ein Freier um den andern blieb weg, Papa und Mama drohten und baten, am Ende aber sagten sie nichts mehr. Ob das Fräulein ihnen ihr Herz geöffnet hat, weiß ich nicht. Zuletzt starben Vater und Mutter und das Fräulein blieb allein mit mir und meinem seligen Mann, dem Hausverwalter. Ihre ganze prächtige Aussteuer und ein wunderschönes Brautkleid nebst Schmuck hat sie verschlossen. Sie ist allezeit getrost geblieben, und jedes Jahr an ihrem Geburtstag sagte sie zu mir ganz ruhig: »Kommt er auch spät, so kommt er doch.« Seit zwanzig Jahren aber sagt sie nichts mehr, und mir thut es doch oft weh, daß sie all die schönen Herren so fortgeschickt hat. Wenn er jetzt auch noch käme, so wäre es doch fast zu spät: meinen Sie nicht auch?«
Das Fräulein konnte sich in der Kunst des Wartens gehörig üben, der Tod selbst schien zu zögern, um dem hohen Freier Zeit zu lassen – vergeblich. Am Ende hatten das Fräulein, ihre Kammerfrau, deren Tochter und die zwei Hunde zusammen ein Alter von dreihundert und zwanzig Jahren erreicht; da war die Kammerfrau zum erstenmal in ihrem Leben so keck, ihrer Herrin voranzugehen – in's Grab, und das Fräulein folgte ihr bald nach. –
Armes Fräulein vom Freihof! als nun die Tochter der Kammerfrau, »das Mädchen,« mit zitternden Händen die achtundneunzigjährige Braut bekleidet hatte mit dem köstlichen Brautgeschmeide, noch würdig einer Kaisersbraut so alt und vergilbt es war, und als nun der Leichenkutscher Kaiser mit seinem lahmen Rappen die Anhöhe herauffuhr, dich heim zu führen in die enge Klause, da haben deine blassen Lippen sich nicht mehr bewegt, nicht zum Lächeln, nicht zum Weinen, du hast den Hohn des Schicksals nicht mehr gefühlt, der jene Weissagung auf so schnöde Weise in Erfüllung gehen ließ.
Armes Fräulein vom Freihof! Hätte der Tod nur noch dreißig Jahre gezögert, wer weiß, ob nicht noch der Befreier die verzauberte Schöne gefunden hätte, wenn auch nicht ein Königssohn, so doch vielleicht ein Fünftelskaiser, 1848. der sich der reichen Erbin erbarmt hätte, selbst wenn sie in Poschen und Schönpflästerchen aufgetreten wäre und von weitem schon nach der alten Aristokratie gerochen hätte. – Gutes Fräulein vom Freihof! ob du dein Schicksal und deine Bestimmung auch mißverstanden, du hast in Ehren ausgehalten. Mit demüthigem Herzen hast du geharrt auf deine stolze Zukunft, kein Wort der Klage kam auf deine Lippen, kein bitterer Gedanke in deine Seele. Von den Vorrechten des Herrscherstandes hast du dir keines im Voraus angemaßt, außer das schönste: die erste zu sein im Segnen und Wohlthun. Mögest du würdig erfunden worden sein einer edleren Krone als die, auf die du hienieden vergeblich gehofft!