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Die schönste Zierde der freundlich gelegenen kleinen Stadt bildet »der schimmernde Gürtel des Schwabenlands,« der gute, heimische Neckarfluß. Ich glaube kaum, daß er sonst irgendwo auf kurze Strecke so mannichfache und reizende Ansichten bieten kann, wie hier. Einmal an einer Biegung zwischen dunklem Weidengehölz, wo er nach der Volksmeinung so tief sein soll, »daß es über ein Haus hinaus ginge« (ein recht dehnbarer Begriff), gleicht er einem stillen, geheimnißvollen See, so unmerklich fließt er dahin, so unbewegt spiegelt sich das Ufergebüsch in seiner lautlosen Fluth. Bald rauscht er gar fröhlich über helle Kieselsteinchen und schlingt sich um die schattige Nachtigalleninsel, wohin im Frühling die romantische Jugend rudert, um Veilchen zu pflücken und dem Philomelengesang zu lauschen, oder die schöne und vornehme Welt der nahen Garnisonsstadt auf buntbewimpelten Schiffen Luftfahrten macht. Wieder zieht er leiser vorüber an der grünen Blaichinsel, und gelbe Seerosen mit ihren saftigen Blättern decken das stille Gewässer; dann fließt er wieder stolz hinaus in's offene Land und achtet nicht der stillen Murr, die durch eine gespenstige Brücke zwischen dunklen Weiden sachte herbeischleicht, um ihr trübes Wasser mit seinem klaren zu vereinen. Selbst da noch bleibt er schön, wo er als Kanal durch Menschenhände für praktische Zwecke in Anspruch genommen ist, da stürzt er sich silberschäumend eine künstliche Schleuse hinab, durch die der Horkheimer Schiffer seinen bescheidenen Kauffahrer und der »Jokele« sein Floß schwellt. Und wie belebt ist sein Gewässer zur Sommerzeit! nicht nur durch die stattlichen Enten und Gänseheerden des Müllers, sondern auch durch das lustige Völkchen der »Wasserkinder,« die Sprößlinge der umwohnenden Fabrikarbeiter und Müller, ein fröhliches Nereidengeschlecht, das den ganzen lieben Tag aller überflüssigen Hülle beraubt im Wasser plätschert oder im Uferkies spielt, wenn sie nicht als ungebetene Hülse das rastlose Schiff des Fährmanns schieben und zum Schreck seiner Passagiere in ihrem Naturzustand unter die anständige Menschheit hineinhüpfen.
O, ich könnte euch Tage lang erzählen von den Schönheiten meines heimathlichen Neckars, zu Nutz und Frommen all Derer, die nicht Zeit und Geld haben, eine Rheinreise zu unternehmen.
Das war nun aber zunächst nicht meine Absicht, sintemal wir gegenwärtig gar reich sind an Naturstudien.
Wenn ihr vom Neckarstrand aufseht zu dem grünen Rebenhügel, von dem das Städtchen über seine altersgrauen Mauern hinunterblickt, so fällt euch wohl ein hübsches stattliches Haus in die Augen, das sich außerhalb der Mauer an diese anlehnt und zwischen Traubengeländen und Obstbäumen gar einladend aussieht. Daneben hat es etwas Geheimnißvolles, da man nirgends einen Eingang sieht, der erst seitwärts durch einen gepflasterten Hofraum führt, was ihm ein fast orientalisches Ansehen gibt.
Der Eigentümer dieses wohlumschlossenen Besitzthums hauste zur Zeit, als ich ihn kannte, fast ganz abgeschlossen, ohne Verkehr mit der Außenwelt, in seinem Haus und Garten, ein rüstiger Greis mit einem röthlichen, stark markirten Gesicht, der seine geistige und körperliche Frische aus manchem Strudel gerettet, an dem minder kräftige Naturen gescheitert wären.
Er wollte nicht viel mehr von der Welt hören, der alte Frey, er hatte sie gründlich satt bekommen! Nur Wenigen, bei denen er noch an aufrichtiges Wohlmeinen glaubte, stand seine Pforte gastlich offen. Unter diese Wenigen gehörte mein Vater, und zwischen ihm und dem alten Frey fand ein steter Austausch kleiner Aufmerksamkeiten und Freundlichkeiten statt, bei dem wir Kinder bereitwillig das Botenamt übernahmen. Bald schickte der alte Frey selbsterzogene, schöngefiederte Kapaunen, die mit einem Gegengeschenk von uraltem Kirschengeist vergolten wurden, dann wieder köstliche Trauben, auf die ihm der Vater seltene Obstsorten mit wunderbarlichen Namen: Götterapfel aus der Moldau, rosenfarbener Sommertaubenapfel ec. als Gegengruß sandte, oder kam zur Weihnachtszeit auserlesenes Hutzelbrod, das Herr Frey eigenhändig verfertigt hatte, und zu dessen Erwiderung die Mutter eine Pastete fabriciren mußte.
Für uns fiel dann stets ein reicher Botenlohn an Leckerbissen aller Art ab; namentlich erinnere ich mich eines schönen Morgens, an dem wir einen Tag lang fasten wollten, um uns in der Enthaltsamkeit zu üben, wie in Campe's Robinson geschrieben steht, wo aber selbige edle Vorsätze elendiglich untergingen an den Regensburger Strizeln und Nürnberger Kringeln, die uns der alte Frey verehrt hatte. Gar manchmal hat uns auf dem Heimweg vom Neckarbad ein freundlicher Ruf in seinen Garten gelockt, zur freien Weide unter den Johannis- und Stachelbeeren; – die Kindheit, leichtherzig und vergeßlich, wie sie scheint, bewahrt doch solche Gutthaten in treuem Gedächtniß, darum sind die wohlfeilen Freundlichkeiten, die ein Kinderherz erfreuen, gewiß nicht in Sand gesät.
Der alte Frey hatte nicht jederzeit so abgeschlossen in seiner Veste gehaust, nicht immer seine Freundlichkeit auf so Wenige beschränkt. Es gab eine Zeit, wo die grünen Hügel um seinen Weinberg her wiederhallten von dem Gekrach der Herbstschüsse, von dem Jubel fröhlicher Zecher, wo die Fluthen des Neckars roth erglänzten von den Raketen und Feuerkugeln, die bei seinen Herbstfesten emporstiegen, wo man Champagner aus Schoppengläsern trank, und die Holderküchlein gebacken am Baum hingen, wo der alte Frey, damals in Fülle der Manneskraft, mit fürstlichem Uebermuth Geldmünzen unter die balgende Straßenjugend warf.
Solche Zeiten übersprudelnder Lebenslust und stürmischer Gastlichkeit pflegen wohl am leichtesten zu der Salomonischen Weisheit zu führen: »Alles ist eitel,« und mehr als ein Timon ist aus solch theurer Schule hervorgegangen.
Wer aber war denn der alte Frey, und woher stammte der Reichthum, den er mit so vollen Händen um sich warf? In den Augen des Volks gibt ein schnell erworbener Besitz häufig ein dämonisches Ansehen, und so hörte man allerlei geheimnißvolles Geflüster über ihn, so lang er noch in der Fülle seines Wohllebens war. Unheimliche Gerüchte liefen um über die Quelle seines Reichthums, zumal da man behauptete, er glaube an keinen Gott und keinen Teufel, man sehe ihn Nachts wie wüthend in seinem Garten umherrasen, er habe seine Seele den Mächten der Finsterniß verschrieben um Geld und Gut, auch verstehe er zu »knüpfen,« d. h. den Fall der Würfel im Spiel zu lenken; ja auch das Geheimniß, das den Tod seiner ersten Gattin deckte, sollte eine dunkle That verhüllen, man flüsterte davon, er habe sie in einem Wuthanfall mit der Papierscheere erstochen.
Wir aber wollen diese Geheimnisse ruhen lassen und uns an die Wirklichkeit halten. Der Frey war kein Engländer und kein indischer Nabob, er war so zu sagen »nicht weit her,« ein eingebornes Stadtkind. Aber von erlauchtem Geschlecht war er doch, wenn gleich nur eines schlichten Bäckers Sohn; der erste Dichter des Schwabenlandes, der Ruhm und Glanz der kleinen Stadt, war sein leiblicher Vetter, ja, Frey's Mutter hatte eine Zeitlang den Kleinen der Frau Hauptmann Schiller, ihrer Base, mit ihrem eigenen Knaben zugleich gestillt, und so hatte Frey dieselbe Muttermilch mit ihm getrunken. Und er war stolz auf diese glorreiche Verwandtschaft; ja er rühmte sich selbst eines Funkens von dem Dichtergeiste seines großen Milchbruders: Zeuge deß waren einige poetische Inschriften, die da und dort an Bäumen und auf Steinen in seinem Garten angebracht waren; ich glaube aber seinem Dichterruhme mehr zu nützen, wenn ich der Phantasie des Lesers überlasse, sich diese Verse selbst vorzudichten, als wenn ich sie anführe.
Also vor langen Jahren war der Frey als ein rüstiger Bäckergesell in die Welt hinausgewandert, ein rasches, heißes, junges Blut und ein heller Kopf, es ging Wien zu, dem Athen der Bäcker. Wie es ihm in der Fremde ergangen, das kann ich im Detail nicht erzählen, aus dem einfachen Grunde jenes Juden: »i weiß aa nit;« er kam in die stürmische Periode der Kriege mit Frankreich, und wenn er sich nicht als Krieger in's Schlachtgetümmel stürzte, so gelangte er doch dazu, sich selbst und dem Vaterlande zu dienen als Proviantkommissär.
Die Sage verlautet nicht, daß er jemals persönlichen Antheil am Kampf genommen, zum Pulverriechen kam er jedenfalls. Der Glanzpunkt seiner Erinnerungen war, wie er einmal ganz in der Nähe des General Wurmser eine Thalschlucht hinabgeritten, in einen Grund, wo das österreichische Heer sich aufstellen sollte. Mit dem praktischen Scharfblick, der ihm überall eigen war, sah er bald, wie höchst unsicher die Position da unten werden würde, er theilte die Bemerkung leise einem Subalternoffizier mit, der hieß ihn schweigen; er wagte sich an den Adjutanten: »was Donnerwetter will so ein Mehlwurm wissen!« schnauzte der ihn an; da faßte er sich ein Herz und ritt an den General hinan: »aber Herr, so gehn wir alle zum Teufel!« Der schaute ihn mit großen Augen an, fluchte aber nicht, nach einer Weile ließ er halten und untersuchte mit dem Fernrohr nochmals das Terrain. »Und Gott straf mich, er hat's geändert!« rief der alte Frey im höchsten Triumph, »weiß Gott, wir wären Alle zum Teufel gegangen!«
Mit einem Orden ist trotz dieses Verdienstes der Frey nicht heimgekehrt, wohl aber mit Errungenschaften von materiellerem Werthe.
Eine geraume Zeit war verstrichen, seit der muntere junge Bäckerknecht in die Fremde gezogen, als eines Tags ein stattlicher wohlgekleideter Gentleman in das alte Städtchen einfuhr, in dem Wenige den Frey erkannt hätten. Er zeigte sich aber als den alten jovialen Burschen, freundlich und treuherzig gegen alte Jugendgenossen, seine Lebhaftigkeit hatte sich zur Heftigkeit gesteigert und eine eigenthümliche innere Unruhe schien ihn zu rastloser Beweglichkeit zu treiben. Er nahm das Erbe seiner Väter in Besitz, führte einen neuen Bau dazu auf, vergrößerte Garten und Weinberg und begann nun ein Leben herrlich und in Freuden, wie das des reichen Mannes im Evangelium.
Das Gerücht von dem Bäcker, der als Millionär aus der Fremde gekommen, verbreitete sich mit reißender Schnelle in der Gegend und der Frey durfte nicht verlegen sein, wie er's angreifen wolle, ein Haus zu machen; Gäste und Besuche von nah und fern kamen dieser Absicht freundlichst entgegen. Ob's just eine Million war, die er erworben, wollen wir nicht behaupten, doch wäre ein gewöhnlicher Wohlstand in wenigen Wochen aufgezehrt worden von dem Leben und Treiben, wie er's daheim führte.
Zum alten Handwerk wollte er nicht mehr zurück, obwohl er als Ehrenbezeugung zum Obermeister der Zunft ernannt wurde und das Geschäft, das er so gut verstand, zum Privatvergnügen bis zu seinem Tod mit Lust und Liebe getrieben hat; zu wissenschaftlichen Beschäftigungen befähigte ihn weder seine frühere Laufbahn und Erziehung, noch seine stürmische Natur, und so wurde er bald in Kreise getrieben, die seinen Durst nach Lebensgenuß und sein hingebendes offenes Wesen noch mißbrauchten und steigerten.
Da der Frey seinen Reichthum beim Militär und durch Militär erworben, so schienen die Krieger der nahen Garnisonsstadt sich verpflichtet, die Nemesis zu spielen und ihm denselben verjubeln zu helfen. Seit Menschengedenken war's in keinem Hause zu M. so in Saus und Braus hergegangen, wie nun unter dem Dache des Frey. Zu Fuß, zu Roß und zu Wagen besuchten ihn seine kriegerischen Freunde bald mit einem Pferd, bald mit einem Hund, der zu verhandeln war, bald zu einer Spielparthie, bald zu einem Schmaus ohne Titel. In den Zwischenzeiten fuhr oder ritt Frey in die Garnisonsstadt und bewirthete sie dort im Gasthof. Der Dämon der Spielwuth faßte ihn mit festen Krallen und hätte wohl seinem Reichthum ein schnelles Ende gemacht, wenn er nicht wirklich mit fabelhaftem Glück gespielt hätte, was ihn, wie schon gesagt, in den Verdacht magischer Spielkünste brachte und bald einmal zu einem tragischen Schluß geführt hätte. Ein reicher Wirth der Gegend hatte bis tief in die Nacht mit ihm gespielt und furchtbar verloren. Wüthend über Frey, dem er die Schuld davon beimaß, führte er auf diesen, der arglos neben ihm stand, als er zum Heimritt aufstieg, einen gewaltigen Hieb mit der Reitgerte: »da, das gehört auch noch dein!« und ritt im Galopp davon. Der Frey aber war nicht der Mann, der sich solches bieten ließ, er riß einem dabeistehenden Offizier den Säbel aus der Scheide und rannte dem Wirth nach, mit so wüthender Hast, daß er nur mit äußerster Mühe eingeholt und abgehalten werden konnte, sich todt zu rennen.
In den Augen des Volkes galt er, wie ich eben erwähnte, für eine Art von Doktor Faust und sein Reichthum für eine Gabe finsterer Geister, und gar Viele schüttelten bedenklich den Kopf, wenn der Jubel und Trubel aus seinem Haus und Weinberg herüberdrang. Minder übernatürliche Vermuthungen schien man in Wien über den Ursprung seines Besitzes zu haben: das Militärgouvernement, das es für ein ausschließlich soldatisches Vorrecht hielt, aus Kriegszeiten Vortheil zu ziehen, beschied ihn nebst einigen andern ehemaligen Proviantkommissären vor eine Untersuchungskommission nach Wien. Sie waren aber alle gar nicht neugierig, zu wissen, was man ihnen dort mitzutheilen habe, und sind sammt und sonders ungehorsamlich ausgeblieben.
»Der Krug geht so lang zu Wasser, bis er bricht,« geht er zu Wein, so mag's wohl noch rascher mit dem Brechen gehen. Ob dem Frey plötzlich oder allmälig die Augen darüber aufgingen, daß er auf dem Weg zu gänzlichem Ruin an Leib und Seele sei, das ist mir unbekannt. Aber aufgegangen sind sie ihm, und mit all der Energie seiner starken Natur entschloß er sich, mit seiner bisherigen Lebensweise ganz und gar zu brechen, und er that es rasch, entschieden, so lange es noch Zeit war, recht anständige Trümmer seines Vermögens zu retten.
Mit den Herbstfesten und Champagnermahlzeiten, mit der gefüllten Spielbörse und den durchjubelten Nächten schwanden auch die Tafelfreunde, schwand sein fröhlicher, Muth und sein Glaube an aufrichtige Freundschaft, er zog sich zurück in seine Beste und ward nur selten außerhalb seines Gartens noch erblickt.
Einer sprudelnden sanguinischen Natur wie der seinen war ein verhältnißmäßig doch rascher Glückswechsel nicht gut gewesen, er hatte ein wildes, fast wüstes Leben und Treiben geführt und sein gutes Weib, die zweite Gattin, die aus der Stelle einer Haushälterin zu dieser Würde avancirt war, hatte oft schwer an seiner Heftigkeit zu leiden. Aber ein guter Grund seines Wesens: Offenheit, Freigebigkeit, männliche Geradheit und bürgerliche Ehrenhaftigkeit war ihm auch während des Strudels seiner wilden Periode eigen geblieben.
Jetzt war es so gar ein anderes mit ihm geworden: in Stille und Zurückgezogenheit, in dem Einfluß der milden, schönen Natur, die ihn umgab, so oft allein mit den Gedanken, »die sich unter einander verklagen und entschuldigen,« hat sich wohl ein anderer Geist Bahn gebrochen in seinem Herzen. Im Aeußern ist er der Alte geblieben, lebendig, auch wohl heftig, frisch und kräftig, aber dennoch war's ein anderes geworden mit ihm.
Wenn er die wenigen Freunde, für die seine Burg noch offen war, mit der natürlichen Herzlichkeit seines Wesens und der ceremoniösen Höflichkeit der alten Zeit bewillkommne, wenn er Kinder herbeirief und beschenkte, oder wenn er mit seinem noch frischen, ausdrucksvollen Gesicht einsam in seinem Garten saß und herunterblickte auf den blauen Neckar, da sah er aus wie Einer, dem seine Bürde vom Herzen genommen ist.
Allein mit seinem guten Weib, die er neben seinen übermüthigen Freunden gar oft mit geringschätzigem Uebermuth behandelt, wandte sich jetzt sein Herz wieder mehr ihr und der alten Einfachheit der Sitten zu, in der er aufgewachsen war. Ehrbar und demüthig, wie in jungen Jahren mit Vater und Mutter besuchte er Kirche und Abendmahl mit ihr und betete regelmäßig mit lauter Stimme den Morgen- und Abendsegen.
Es war an einem sonnigen Tag des Spätherbstes, als mein Vater einmal wieder seinen alljährlichen Besuch beim alten Frey machte. Das Beste, was sein Haus vermochte, schmackhafte Fische und edler Wein wurden in der Rebenlaube im Garten aufgetragen und heiter wie immer, wenn auch allmählich gebeugt unter der Last der Jahre, saß der alte Mann neben seinem Gast.
»Jetzt sitzen wir nimmer oft so beisammen,« sagte er mit heiterer Miene. »Ei, Sie sind ja noch rüstig wie ein Fünfziger,« meinte der Vater. »Herr, das ist Ihr Ernst nicht! aber Sie denken wohl: der alte Frey bleibt schon noch eine Weile sitzen, so ein aller halblahmer, blinder und geistesschwacher Kerl taugt doch nicht in's Himmelreich. Aber ich bin gewiß,« fuhr er mit erhobener Stimme fort, »der allmächtige Gott kann und wird mich einst verjüngen, und dann wird sich's zeigen, daß in dem alten Knorren doch noch ein gesundes Mark war.« Das war der letzte Besuch beim alten Frey gewesen.
In seinen Knabenjahren hatte der Frey einmal mit seinem berühmten Milchbruder in einem Kämmerlein geschlafen. Mit lauter, herzhafter Stimme, wie er's daheim gewöhnt war, verrichtete er seine Abendandacht; in seinem stillen Gedanken gestört, fuhr ihn Schiller an: »Dummer Esel, kannst denn Du nicht leis beten?« – »Kann nichts leis thun!« war die lakonische Antwort des Frey, und da hatte er recht; leise ging's nicht her bei ihm, bis in seinen Tod nicht. In einer Nacht, nicht lang nach jenem Besuch des Vaters, weckte er seine Frau: »Alte, ich kann nicht schlafen, ich glaub', es ist Matthäi am letzten mit mir.« »Um Gottes Willen! ich will ein Licht machen, zum Doktor springen!« »Nichts, Alte, gar nichts, da bleibst! jetzt sitz auf, wir wollen ein Lied singen.« In gewohntem Gehorsam richtete die Frau sich auf und mit seinem kräftigen Baß stimmte der Alte das Lied an: »O Jerusalem, du schöne ec.« Mit ungebrochener Stimme sang er es durch, begleitet von den etwas zitternden Tönen der Frau, dann legte er sich zurück; »so jetzt schlaf wieder, ich will auch schlafen.« Beruhigt durch seinen kräftigen Gesang legte sich die Frau an seiner Seite nieder. Als der helle Morgen anbrach, schlief er noch und ist nicht wieder aufgewacht.
Das war der alte Frey.
Möge der allmächtige Gott, dessen Auge besser als das unsrige das rechte Mark in dem alten Stamm erkennt, die zuversichtliche Hoffnung seiner letzten Tage erfüllt haben!