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In einer der anmuthigsten, am tiefsten ans Herz sprechenden Gegenden des lieben Schwabenlandes liegt ein nettes Dorf und darin ein Pfarrhaus, das man lange Jahre durch ein götterbegünstigtes, glückliches Haus nennen konnte, nicht allein Weil tüchtige Söhne und blühende Töchter dort aufwuchsen, weil Friede und behaglicher Wohlstand darin wohnten, sondern zumeist weil der Herr, das Haupt und die Sonne des Hauses, zu dem gesegneten Geschlechte der Immergrünen gehörte, über deren Wiege schon ein besonders heller Stern geschienen; weil er einen unversieglichen Quell frischen Lebens, heiterer Laune an sich trug, der erquicklich und labend das ganze Haus durchströmte. – Eine wundersame Gabe hatte der Pfarrer, allen Dingen des gewöhnlichen Lebens einen anmuthigen, poetischen, fast mährchenhaften Anstrich zu geben; durch alle Spiele seiner Kinder, durch alle anscheinende Tändeleien, mit denen er sich beschäftigte, durch alle Unterhaltungen mit seinen Freunden und Gästen zog sich dieser zauberische Hauch.
Wie lockend klang schon am Morgen die Einladung zum Frühstück in der »Aurorahalle!« Und doch war das nur des Pfarrers Studirstube, gegen Morgen gelegen, nichts darin zu schauen von einer Halle, wohl aber Pfeifen, Bücher und Papiere sammt dem wunderlichen Hermeshausrath, den seine zahllosen Lieblingsbeschäftigungen nöthig machten; alles gefällig geordnet von der Hand der sorgsamen Hausfrau, eine heitere Mannigfaltigkeit, keine studirte Unordnung, wie sie heutzutage Mode ist, sondern eine unstudirte Ordnung. Aber das Hauptstück war am Mittelfenster des Zimmers ein kolossaler Vogelkäfig, Alhambra genannt, dessen Styl, wenn auch just nicht maurisch, doch gewiß ein anmuthiger war, mit seinen Kuppeln und seinen Thürmchen. Die gefiederten Gäste dieses lustigen Palastes waren auch so stolz auf ihren schönen Kerker, daß sie lustig, wie im Freien, umherflatterten, piepten und sangen, aus den kleinen Basins der Springbrunnen nippten und auf den grünen Tannenbäumchen umherhüpften. – Das Allerbeste aber in der Aurorahalle war die freundliche Gestalt des Pfarrherrn selbst, stattlich und ungebeugt, sein frisches, fast noch jugendliches Gesicht, der Mund, den stets der gutmüthige Humor umschwebte, dem man aber nicht so recht getraut hätte, wenn nicht so ein paar klare, treuherzige Augen darauf herunter geschaut hätten.;
Die Fenster des heitern Gemachs gingen in den »Park«; so hieß der kunstreich angelegte Pfarrgarten, der in einem etwa achtzig Schritt breiten Raume die mannigfachsten Anlagen, Blumenbeete, ein Wäldchen, ein Labyrinth und was alles noch enthielt. In der Mitte stand die Laube, wo Sonntags Nachmittags die Familie sich sammelte, um in recht gemüthlicher Ruhe zu »schwelgen«, d. h. Brod, Käse und Butter zu genießen.
Wie das schlichte Zimmer und der kleine Garten, so trug alles im Pfarrhause ein festliches Gewand, und dieser farbige Lebenshauch mußte sich zuerst über die Kinderjahre der heranwachsenden Jugend des glücklichen Hauses ausgießen. Die einfachsten Spiele wußte des Vaters poetischer Sinn zu färben und zu schmücken. Mit silbernen und goldenen Pfeilen schoßen die Knaben aus ihren kleinen Armbrüsten, daß die hochfliegenden wie Sterne in der blauen Luft aussahen, und des Vaters geschäftige Hand hatte stets neue vergoldet, wenn sich die alten verflogen. Für die stürmischen Herbst- und Frühlingstage lagen sechs große Papierdrachen bereit, so daß wenn sie über das Dorf flogen, das Geflügel sich ängstlich verkroch vor diesen Ungeheuern. – Einmal wurde über Berg und Thal eine »Sternenfahrt« angestellt zu einem unweit wohnenden Oheim, wobei man um Mitternacht ausfuhr, nur um die geheimnißvolle Zeit der schönen lauen Sommernacht zur Reise zu benutzen. Ein andermal wurde an der grünen Waldecke ein fröhliches Bankett mit den Freunden aus der Stadt begangen, um die Sonnenfinsterniß zu beobachten, öderes zog die ganze Familie in den duftigen schönen Wald hinaus, auf Abenteuer, wie es hieß, und sie zerstreuten sich und zogen durch Hecken und Gebüsche, um sich am Ende nach langer Verirrung wieder zu finden. Da galt's, wer die merkwürdigsten Abenteuer zu erzählen wußte! eins hatte fast gar ein Eichhörnchen gesehen und das andere wirklich einen Hasen, das dritte eine Quelle entdeckt und das vierte einen Schmetterling gefangen, dem Vater aber, dem waren die allermerkwürdigsten Abenteuer aufgestoßen, Riesen und Drachen, verzauberte Fräulein und Zwerge – die Kinder waren die Mischungen aus Wahrheit und Dichtung in seinen Geschichten so gewöhnt, daß sie nicht dadurch verwirrt wurden. Dann wurden die Zigeunerfamilien heimgesucht, die häufig draußen an der grünen Waldecke lagerten, und der Pfarrer ließ die Kinder einen Blick in ihr abenteuerliches Treiben thun, auch nahm er manchmal ein Paar der braunen Gesellen noch in der Nacht mit nach Hause, um seine Frau mit einem Ständchen zu überraschen, obgleich sie sich vor den schwarzen Burschen entsetzlich fürchtete.
Und die Winterabende, die köstlichen Winterabende! wenn draußen der Schnee fiel und in der warmen Stube der Vater mit Mutter und Kindern um den Tisch saß und die Spinnrädchen schnurrten und dazwischen die schönen Geschichten vom Vater vorgelesen und mit seinen eigenthümlichen Bemerkungen gewürzt, eine eigene Wunderwelt in die einfache Pfarrstube zauberten.
In alle Kinderphantasten und Spiele, die sonst von den Eltern allerhöchstens geduldet oder belächelt werden, ging er mit vollem Ernst und dem angelegensten Interesse ein, und das vor allem machte diese Kinderzeit so reich und schön. Und dann noch die Familienfeste! diese Sonnenblicke der nüchternen Häuslichkeit, die für das äußere Leben sind, was der Sonntag für das geistige, – Tage, wo die Kinder von selbst brav sind und die Eltern nicht zanken; wie reich an Festen war das Pfarrhaus! Geburtstage des Vaters, der Mutter, der verstorbenen Großeltern sogar, der Eltern Verlobungs- und ihr Hochzeitstag, – die alle standen, wie helle, farbige Blumen unter Küchengewächs in der Reihe der gewöhnlichen Tage und erhielten die Herzen frisch.
In all diesem Wechsel von Freuden und Genüssen stand dem heitern Spender dieser Lust die gute Pfarrfrau zur Seite, ein wahres Wunder einer nachgiebigen Ehefrau, die alle die bunten, oft seltsamen Einfälle des Gatten nicht nur geduldig gewähren ließ, sondern auch mit der besten, freundlichsten Laune in sie einging. Mochte der Pfarrer ihre Waschkammer zum Vogelhaus und zur Kaninchenhöhle einrichten; mochte er lebendige Meisen in der Stube halten, die zwar die Mücken fingen, aber zugleich die weißen Vorhänge jämmerlich beschmutzten; mochte er mit seinen Erfindungen und Beschäftigungen ihre netten Zimmer mit unermeßlichem »Grust« (laßt das unübersetzbare schwäbische Wort passiren!) erfüllen, sie keifte und klagte niemals, sie freute sich jedes Gelingens, tröstete über jedes Mißlingen und wußte mit leiser, nie störender Hand immer wieder Licht in das Chaos zu bringen.
Stets hatte der Pfarrer ein freundliches Wort, einen harmlosen Scherz auf der Lippe; nur wenn er ernsthaft wurde, mußte man auf der Hut sein, denn sein größtes Gaudium war, in ernstem trockenem Tone irgend eine fabelhafte Neuigkeit, eine merkwürdige Reisenotiz mitzutheilen. Gelang es dann, den Gast zu gespanntem Aufmerken, zu einem Ausruf der Verwunderung zu bringen, dann brach die ganze mitverschworene Familie, Söhne und Töchter, in den schallenden Ruf aus: »bemorscht, bemorscht!« und der »Bemorschte« brauchte eine gute Weile, um sich wieder in eine höfliche und respektirte Verfassung zu bringen.
Mit jungen Neffen und sonstigen Kindern, die gar häufig die Ferien im allzeit fröhlichen Pfarrhause zubrachten, ging er in dieser Beziehung fast grausam um. Er erzählte ihnen so wunderliche Dinge, daß die Bursche oft nicht mehr wußten, was wahr und falsch sei in der Welt. Einer lief einmal zwei Stunden weit nach einem Bergkirchlein, um zu sehen, ob es wirklich, wie der Oheim gesagt, ein mächtiger Dom sei, über den man ein Verkleinerungsglas gestürzt.
Der tiefe, feste Grund im Wesen des Pfarrers war aber eine innige warme Seelengüte, ein Bedürfniß, glücklich zu sein und glücklich zu machen, das auch seinem Humor jeden Stachel brach, der hätte verletzen können, das ihm die heitere, lebensvolle Färbung gab. Zeuge dieses warmen Herzensgrundes war auch die Liebe, mit der ihm fast ohne Ausnahme das ganze Dorf anhänglich war, denn für den puren Humor an sich haben unsere Bauern bekanntlich wenig Sinn. Er gehörte nicht zu den schreiblustigen Pfarrern, die um jeden kleinen Dorfzwist, um jeden fehlenden Ziegel auf einer Armenhütte mit Pontius und Pilatus korrespondiren aber eine offene Hand ist besser als eine fertige Feder, und viel tausend Zwistigkeiten, deren Grund sein helles Auge durchschaute, hat sein freundlich verständiges Wort geschlichtet, ehe sie vor den Gerichten zum unheilbaren Schaden wurden. Jedem Fragenden, jedem Bedrängten stand sein Ohr offen, und aus dem zutraulichen herzlichen Gruß der Leute, wenn er durch's Dorf ging, ließ sich leicht hören, daß er war, was ein rechter Pfarrer sein soll, Freund und Vater seiner Gemeinde.
Neben diesem guten und festen Grunde seines Wesens mahnte sein Thun und Treiben oft an ein Kaleidoskop, das stets wieder neue und überraschende Bilder hervorbringt. Mochte er auch immerhin seiner aufblühenden Jugend hie und da geschenktes Confekt confisciren und es selbst verzehren mit der Versicherung: »Seht, das ist mir gesund, weil ich der Vater bin, Euch wäre es schädlich« – sie haben darum nur um so bessere Zähne behalten – oder den Neffen Studenten ihre patenten Stöcke dabehalten und sich schönstens für das Geschenk bedanken: sie hatten junge Füße, um darauf heimzulaufen und sind doch gern wiedergekommen. Ich glaube, es hat ihm nie Jemand etwas nachgetragen, nicht einmal seine Braut die Verlegenheit, in die er sie brachte, als sie mit einem gleichfalls verlobten Vetter gemeinsame Brautvisiten machten und dann die beiden Bräutigame beim feierlichen Abschied an der Treppe, Angesichts der begleitenden Damen vom Haus, rittlings das Treppengeländer hinabrutschten und den versteinerten Bräuten überließen, zu Fuß nachzukommen.
Nicht zu zählen waren die Erfindungen und Beschäftigungen, bei denen die rastlos thätige Phantasie des Pfarrers oft hohen Sinn in kindisches Spiel legte. Sein erstes und letztes Steckenpferd, dem er treu blieb bis zum Tode, waren die Vögel, die er bald frei im Zimmer, bald in einer eigens zum Vogelwald geschmückten Kammer hegte, bis er später viele schöne Stunden auf den Bau ihrer Paläste verwendete, die bald in gothischem, bald in byzantinischem, bald in maurischem (stets selbst erfundenem) Style aufgeführt wurden. Diese Vogelhäuser, die den Raum eines ganzen Fensters einnahmen und ins Freie gingen, waren wahre Vogelparadiese, mit grünen Bäumlein und lebendigen Springbrünnlein; er hegte darin keine vornehmen Vögel: Papageyen oder Kanarienvögel, nur vaterländische Vogelarten, die unsern Sommer und Winter im Freien ertragen können, Meisen, Finken, Emmerlinge und sie wiegten sich fröhlich auf den Stänglein ihres luftigen Palastes und schauten verwundert in die Spiegelgläser, die oben in der gewölbten Kuppel angebracht waren. Gewiß haben auch diese Vögelein ein mährchenhaftes Traumleben geführt und die goldene Freiheit nicht beklagt.
Dann tauchte eine minder lebendige Leidenschaft auf, die doch auch ihren Grund in der innerlichen Lust hatte, den geheimen Gängen der Natur zu lauschen: es wurden Thermometer verfertigt, ganz kunstvolle und nie dagewesene. Man wußte wirklich nicht, war mehr die namenlose Geduld des Pfarrers zu bewundern bei ihrer Ausführung, oder die der guten Hausfrau, welche diese tausend Gegenstände respektiren mußte, die zu diesem Werk nöthig waren und ihre Tische bedeckten. Endlich schloß er diese mühevollen Werke ab mit einem Hauptstück, an dessen Spitze als Vignette die Hand der Ehefrau auf die Thermometer einen Bannstrahl schleudert.
Drauf wurden transparente Lichtschirme verfertigt, die Uhren vorstellten, in deren Mitte das Werk einer alten Taschenuhr gesetzt wurde; ob sie aber später noch gegangen sind, weiß ich nicht. – Dann machte er Zauberspiegel, zusammengesetzt aus tausend verschieden gestalteten Spiegelgläsern, in der Mitte eine camera lucida, so daß dem Hineinschauenden sein Bild in den wunderlichsten Formen entgegenblickte. – Und nun kam es an eine kunstvolle Ausarbeitung seines Familienstammbaums, auf dessen in bürgerlicher Ehrenhaftigkeit fleckenlose Mitglieder er so stolz sein durfte als irgend eine Erlaucht. Der wurde aufs zierlichste geschrieben und dann in sieben schön gearbeitete Kapseln gelegt, die er Särge nannte und denen er die mannigfaltigsten Formen gab: der äußerste war schlicht, dann wurden sie immer schöner bis zum innersten, der mit goldschimmernden Blumen, Sternen und Vögeln aufs wundersamste besetzt und geschmückt war.
Während seine farbenreiche Phantasie sich so in den Werken seiner Hand spiegelte, ging eben so rastlos die Thätigkeit seines gebildeten, immer jungen Geistes fort. In seiner Jugend hatte er begeisterte Vaterlandslieder gedichtet, hatte auch die Fackel seines gutmüthigen Humors geschwungen und sich durch Satiren auf die Weiber das ganze Geschlecht zum Feinde gemacht, während keine Einzelne ihm je feind geworden war. – Das erste Werk seiner reifern Jahre war eine metrische Uebersetzung seines deutschen Lieblingsdichters ins Lateinische. Die langen Nächte, die diese mühsame Arbeit verschlang, hat Niemand gezählt, als die treue Hausfrau, die es manchen Seufzer kostete, wenn sein Licht eben gar nicht erlöschen wollte.
Das geistige Leben im Pfarrhaus gestaltete sich natürlich immer bewegter, je mehr die Jugend heranwuchs und ihre eigenen Elemente hinein trug. Da wurden in den Ferien Trauerspiele verfertigt, zu denen jedes eine Scene beitrug, herzerschütternde Trauerspiele, rührend komische Stücke. Das liebste Spiel aber war ihm, Räthsel aufzugeben, eines der letzten Steckenpferde dieses räthsellosen Gemüthes, Räthsel von so eigenthümlicher, humoristischer Art, daß der Schlüssel zu seinem ganzen Wesen dazu gehörte, um sie zu errathen; Vexirräthsel mitunter, mit denen man sich wochenlang abquälen konnte, während die Lösung unmöglich war, da er sich selbst gar nichts darunter gedacht.
Wie sich selbst, verstand er auch Andern Freude zu machen, große Lust mit kleinen Mitteln hervorzurufen, und zeigte dabei einen bei Männern seltenen Zartsinn, eine unvergängliche Herzensjugend.
Nur in gewöhnlicher Weise durfte nichts geschehen, und die Formen, unter denen er seine Ueberraschungen bereitete, waren manchmal mehr als sonderbar. Vor Allem ergötzte es ihn, seine gute Hausfrau immer wieder in neuer Weise mit einem Geburtstagsgeschenk zu überraschen.
Einstmals als die Kinder zum großen Theil schon nicht mehr im Vaterhause waren, dagegen aber die Tochter mit den Enkeln zum Besuch es belebte, war streng verboten worden, des Geburtstags zu erwähnen. Erst nach Tisch sagte er, »ja so, heut ist der Mutter Geburtstag, schad', daß Ihr nicht auch was Besonderes aufgetischt habt, eine Chokoladetorte wäre z. B. nicht übel.« Und ehe er noch das Wort gesprochen, trat die Magd ein, eine herrlich duftende Chokoladetorte präsentirend. Natürlich verwunderte sich die gute Mutter gehörig und freute sich dieser gemeinnützigen Ueberraschung. Am zweiten Tag sprach man nach Tisch von dem gestrigen Präsent; »Mandeltorte, Frau, magst Du aber, glaub' ich, doch noch lieber?« fragte der Pfarrer. »Das ist natürlich,« sagte die Frau, »die ist aber auch noch viel kostbarer,« und in dem Augenblick schwebte eine Mandeltorte über ihrem Haupt, mit der die Tochter leis hinter sie getreten war. Nach gehörigem Jammer über den großen Luxus wurde die zweite Torte zu unbeschreiblichem Jubel der Kleinen vertheilt. Am dritten Tag lenkte der Pfarrer wieder das Gespräch auf die Torten. »Ja höre,« meinte die Frau, »so üppig darfst Du meinen Geburtstag nicht mehr feiern; wenn ich aber noch einen erlebe, so kannst Du eine Mirinkentorte bestellen, das ist doch das beste.« Siehe da, wie auf einen Zauberschlag erschien unter der Pforte ein weißgekleideter Konditorjunge mit einer hochgethürmten Mirinkentorte.
Es hatte den Pfarrer nicht geringe Mühe gekostet, diese Ueberraschungen einzuleiten und kostete ihn noch größere, die Frau mit diesem unerhörten Luxus zu versöhnen, der aber zumeist den Enkeln und vielen Gästen zu Gute kam.
Er hatte entdeckt, daß in das Fenster eines seiner obern Dachkämmerlein stets der erste Strahl der aufgehenden Sonne fiel, sogleich beschloß er, daß daselbst eine neue Aurorahalle erbaut werden solle.
Bei der Herrschaft kam man um Herstellung einer Vikariatsstube ein, was dem nun gealterten Pfarrer, der sich bisher sehr anspruchslos erwiesen, gerne gestattet wurde. Die Frau war dagegen: »Wir brauchen ja die Stube nicht und haben keine Meubel dazu.« – »Ach, das gibt sich, wir haben schon noch so was Altes zum Hinaufsstellen.« – »Nein, das verstehst Du nicht, wir haben kein entbehrliches Stückchen.« Trotz dieser Einreden schritt der Bau voran, war aber der Frau dermaßen ein Stein des Anstoßes, daß sie nicht zu bewegen war, darnach zu sehen, als ihr Geburtstag wieder kam, sagte ihr der Pfarrer zum Morgengruß seinen herzlichen Glückwunsch; »sonst hab' ich diesmal nichts für Dich, ich werde zu alt, um für Ueberraschungen zu sorgen.« – »Thut nichts,« sagte die freundliche Hausfrau, »ich bin ja auch zu alt, um noch auf Ueberraschungen zu warten.« Nach dem Frühstück sagte er im Geschäftston: »hör', einmal mußt Du nun doch mit mir hinauf und sehen, was man für Meubel in die neue Stube braucht.« – »Ich meine, an meinem Geburtstag hättest Du mir den Verdruß ersparen können,« sagte die Frau verstimmt und schickte sich langsam an, ihm zu folgen. Der Pfarrer mit der langweiligsten Eheherrnmiene, die er auftreiben kann, schreitet voran und öffnet die Thür. Da war nun die Aurorahalle im schönsten Glanz der Morgensonne, die sich an den schneeweißen Wänden spiegelte, mit einfachem, geschmackvollem Geräth vollständig eingerichtet, alles neu, frisch und blank, wie eine junge Braut.
Aus einem wundersam zusammengesetzten Spiegeltischchen von eigener Fabrikation hatte das alte Kind sich selbst Weihnachten bescheert: da standen die seltsamsten groteskesten Figuren in Porzellan, Dragée und Gutta-Percha, die er nur hatte auffinden können. Alle Repräsentanten seiner Kunsterzeugnisse schmückten das niedliche Gemach: Thermometer, Lichtschirm, Zauberspiegel und die sieben Särge, in denen der Stammbaum verwahrt lag. – »Also darum mußt' ich gestern drei Stunden lang spazieren fahren!« rief die gerührte Frau, »und darum war die Sophie hier und ging wieder, ehe wir heimkamen!« Ja, Sophie, die älteste verheirathete Tochter hatte alles nach des Vaters Angabe besorgt und eingerichtet. Die vielverschmähte neue Aurorahalle wurde nun der liebste Aufenthalt der Pfarrfrau, ein freundliches Asyl, wo das alte Pärchen wieder zu den lieben Erinnerungen der Brautzeit und der Honigmonde zurückkehrte.
Abermals kam ein Geburtstag. Es war jetzt gar stille im Haus, weder Kinder noch Enkel darin. Diesmal glaubte die selbstvergessene Hausfrau in allem Ernst, daß Niemand ihres Geburtstags gedenken werde. Früh, als sie noch im Bett lag, bringt ihr der Mann ein Büschelchen Spargeln. »Liebe Alte, nimm vorlieb, sonst habe ich nichts zu Deinem Geburtstag.« – »Ist genug, ich hätte gar nicht geglaubt, daß Du daran denkest, dank' Dir herzlich.«
Später schickte sie sich an, in die Waschküche zu gehen. »Wohin willst Du?« fragte der Mann. – »Nur in die Waschküche, ich lasse heute einseifen.« –»Ei, warum fängst Du ein solches Geschäft an am Geburtstag.« – »Nun, es muß eben sein, ich bin ja kein Kind mehr.« Sie geht zur Waschküche und öffnet die Thür, verwundert, daß sich Magd und Wäscherin noch nicht dort eingefunden; der lieblichste Blumenduft strömt ihr entgegen, statt Seifengeruch und Waschdampf. In den leeren Waschzübern stehen die schönsten Blumentöpfe, Oleander, Kamelien, Rododendren, die hohe Aristokratie der Blumenwelt, an die sich indeß kaum ihre bescheidenen Wünsche von Ferne gewagt, auf dem Deckel des Waschkessels stand die herrlichste Theerose mit ihren feinduftenden Blüthen.
»Der Herr Pfarrer haben die Wäscherin auf übermorgen bestellt und der Keuerleber (des Pfarrers Leibkutscher) steht mit dem Chaischen drunten.« Wohl oder übel, mußte die überraschte Frau sich von Wäschgedanken trennen und zu einer Lustfahrt zu der Tochter entschließen.
Manche solcher Ueberraschungen könnten nun freilich dem wohlhabenden Pfarrer doch als Luxus verübelt werden, wenn nicht seine Hand sich ebenso bereitwillig geöffnet hätte, wo es nicht ein eigenes Vergnügen galt. Der arme Taglöhner, dessen Kinder der Pfarrer im Vorübergehen hatte um Brod weinen hören, fand bei seiner Nachhausekunft einen gutgemessenen Scheffel Korn in seinem Häuschen. Der dürftige Provisor sah mit Schrecken, als er aus der Schule kam, seine Zimmerthür offen, seinen Kasten erbrochen, sein einziges ärmliches, geflicktes Sonntagröckchen gestohlen, und erst Abends stillte sich sein Jammer, als er beim Zubettgehen einen vollständigen nagelneuen, soliden Anzug unter seiner Decke fand.
Nicht für Alle ist es möglich, nicht für Alle ist es rathsam, somit vollen Händen zu geben; wer es kann und darf, dem ist es zu gönnen, und verarmt ist der Pfarrherr nicht dabei.
Daß sein fröhliches Leben auch ein gutes Leben gewesen, daß auf dem Grunde seines klaren Gemüths nicht nur der Erde helle Seiten, sondern auch der ewige Himmel sich spiegelte, davon hat er die letzte, die schönste Probe gegeben durch ein schönes friedevolles Ende, dem er festen Blickes entgegen sah. Am selben schön gelegenen Orte, wo er seine junge Frau eingeführt, wo die Wiege all seiner Kinder stand, blieb er bis zum letzten Tag, wo man ihn an seiner Gattin Seite niederlegte zur tiefsten, letzten Ruhe.
Du zürnst mir wohl nicht, du freundlicher Pfarrherr, daß ich dein lebenswarmes Bild noch einmal heraufbeschworen. Möge ihm im Tod noch gelingen, was ihm im Leben so oft gelang, freundliche Gesichter und frohe Herzen zu machen!