Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XL.

Glycera an ebendieselbe.

Meine Mutter ist im Begriff, von meinen ältern Schwestern begleitet, nach Sicyon abzugehen, um die Erbschaft ihres Oheims, die uns gegen alles Vermuthen durch den Tod seines kinderlos gebliebenen Sohnes zugefallen ist, in Besitz zu nehmen. Ich werde mit meiner Schwester Melissa in Athen zurückbleiben, wofern du dich entschließen kannst, uns indessen als Kostgängerinnen anzunehmen, und uns irgend einen kleinen Winkel in deinem (so viel ich weiß) ziemlich geräumigen Gartenhause zu überlassen. Ich würde sehr betroffen sein, wenn du mich eine Fehlbitte thun ließest, und fürchte mich doch beinahe vor der Gewißheit, daß es nicht geschehen wird. Bin ich nicht ein widersinniges Geschöpf?

Noch etwas neues, liebe Leontion. Menander hat sich unvermuthet wieder bei uns sehen lassen. Mich dünkte nicht, daß er sich so sehr verändert habe, als du neulich sagtest; nur schien mirs, er schiele etwas stärker als ehmals. Übrigens spielte er eine sonderbare Rolle, und es fiel in die Augen, daß er, um seine Verlegenheit zu verbergen, eine Laune erkünsteln mußte, die ihm nicht recht natürlich saß. Anfangs sagte er mir sehr verbindliche Dinge, oder die es doch scheinen sollten: Ich wäre am Ende doch das einzige durchaus liebenswürdige Weib, das er kenne, und wenn er sich auch tausendmal von mir verirrte; sein Geschmack und sein Herz würden ihn doch immer zu mir zurückführen. Du kannst leicht denken, daß ich in meiner Antwort auf diese unziemliche Liebeserklärung die Ironie nicht sparte. Dies warf ihn auf einmal in eine ausgelassene Lustigkeit, die sich mit einem allgemeinen Ausfall auf unser ganzes Geschlecht endigte, wobei er so viel witzigtolles Zeug vorbrachte, daß man drei Aristophanische Komödien daraus hätte machen können. Aber unvermerkt wurde er wieder artiger, sagte mir allerlei Schönes über mein freundschaftliches Verhältniß mit dir und Metrodor, und fand zuletzt sogar Gelegenheit, mit der unbefangensten Miene auch etwas vom Hermotimus einfließen zu lassen, der das Ansehen habe, sich (wie er zu sagen beliebte) in der guten Gesellschaft, die in den Gärten Epikurs zu Hause sei, zu einem sehr liebenswürdigen Mann auszubilden. Endlich sagte er mir beim Abschied: Er schmeichle sich, ich würde nie aufhören, ihn als den wärmsten meiner Freunde zu betrachten, wiewohl er mir, so wie die Sachen ständen, keinen stärkern Beweis seiner hohen Achtung für mich zu geben wisse, als indem er sich einsweilen, wie eine Schnecke die ihre Hörner zu weit vorgestreckt, in sein Haus zurückziehe, und auf einige Zeit in Vergessenheit zu kommen suche, da er gestehen müsse, die öffentliche Aufmerksamkeit mehr beschäftigst zu haben, als seinem Ruhm zuträglich gewesen sei. Ich fand seinen Vorsatz sehr löblich; die Musen, sagte ich, würden ihn für die kleinen Opfer, die er ihnen zu bringen gedenke, reichlich entschädigen; und so schieden wir als alte gute Freunde von einander, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß wir ihn vor Aufführung seiner nächsten Komödie nicht wieder sehen werden.


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