Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Menander an Dinias.

Die Götter der Liebe sind mir freundlicher, als ich hoffen durfte. Sie ist in Athen! – Wer? fragst du – Nun, wer anders als mein Blumenmädchen? das versteht sich doch von selbst – Mit Einem Wort also, Glycerion ist hier. Ich habe sie, ohne von ihr wahrgenommen zu werden, gesehen, und o! welch ein armer Stümper dünkte mich in jenem Augenblick der berühmte Pausias! Es kostete Mühe, mich zurück zu halten; meine Arme wollten sich mit aller Gewalt öffnen: aber ich bezwang mich, und du siehest daraus, lieber Dinias, daß noch einige Hoffnung für meinen Verstand übrig ist. Je liebenswürdiger Sie mir scheint, desto mehr liegt mir daran, mich gänzlich zu überzeugen, daß ich mich nicht täusche. »Viel kaltes Blut für einen Verliebten,« wirst du sagen. In der That, seitdem ich weiß, daß Sie nur eine kleine Meile von mir entfernt ist, bin ich so ruhig, als ob Sie mit mir in Einem Hause wohnte. Das Vergnügen, so ich mir von unsrer nähern Bekanntschaft verspreche, ist so groß, daß ich mich nicht entschließen kann, es mir selber wegzugenießen; gerade wie ein Geiziger seine Geldkiste täglich und stündlich mustert, aber, aus Furcht sie zu vermindern, lieber hungert und dürstet, als das Herz hat, etwas davon zum Gebrauch heraus zu nehmen. Denn freilich das Genossene kann nicht wiedergenossen werden.

Anfangs wollte mir vor dem reichen Xanthippides ein wenig bang sein. Ich befühlte ihn daher ganz leise, fand aber, daß er seine Stephanopolis eigentlich bloß der Blumenkränze wegen schätzt, und der Meinung ist, ein Mann, der reich genug sei, die Königin aller Hetären unsrer Zeit, die schöne Bacchis, zu unterhalten, würde sich lächerlich machen, wenn er sich zu einem Mädchen wie Glycerion herabließe. Das war nun gerade was ich wollte; und doch ist die Liebe so ein grillenhaftes Ding, daß ich Händel mit ihm hätte anfangen mögen, als ich merkte, er sei bloß darum nicht mein Nebenbuhler, weil er meine Geliebte seiner Aufmerksamkeit nicht würdig hält. Ein Liebhaber ist über jeden Blick, den ein Andrer auf die Gebieterin seines Herzens wirft, eifersüchtig, und verlangt doch, daß die ganze Welt vor seinem Abgott auf den Knieen liege.

Ruhig von dieser Seite fuhr ich gleichwohl noch einige Tage fort, das Mädchen scharf bewachen und beobachten zu lassen. Aber alle Nachrichten, die ich erhielt, stimmten darin überein, daß man nicht eingezogener und sittsamer leben könne; daß sie ihre Blumenkränze durch eine ihrer Schwestern verkaufe, und daß es von den vielen Mannspersonen, die ihre Thür unverriegelt zu finden gehofft, noch keiner einzigen geglückt sei, sie auch nur in ihrer Mutter Gegenwart zu sprechen.

Jetzt hielt mich nur noch eine Grille zurück. Ich wollte das Bacchusfest vorbeilassen, um zu sehen, ob mir vielleicht meine Andria zur Empfehlung bei ihr dienen könnte. Denn, wiewohl mein Nahme bereits ziemlich bekannt in Griechenland ist, so darf ich mir doch nicht schmeicheln, daß er an einem Ort wie Sicyon bis zu ihr durchgedrungen sei, geschweige daß sie meine Komödien gelesen und daraus eine gute Meinung von mir nach Athen mitgebracht haben könnte. Philemon, der mir, bekannter Maßen, schon mehr als Einmal, mit Recht oder Unrecht den Preiß abgewonnen hat, setzt mir diesmal ein Stück entgegen, der Kaufmann betiteltDer Mercator des Plautus ist eine freie Übersetzung dieses Stücks. Menanders von Terenz auf die Römische Bühne versetzte Andria ist itzt unter dem Titel, das Mädchen von Andros durch eine gelungene Übersetzung auch unter uns bekannt. , das wohl keines seiner besten sein mag, aber der Leichtfertigkeit wegen, womit ein sehr schlüpfriger Stoff darin behandelt ist, mehr Anziehendes für unsre Zuhörer hatte als meine Andria, die in der That für eine neue Gattung gelten kann, und eher zu weinen als zu lachen macht. Ich gestehe dir, das Herz pochte mir während der Aufführung stärker als jemals, weil ich wußte, daß Glycera unter den Zuschauern sein würde. Was ich fürchtete war weniger der Verdruß, den Preis einem Andern überlassen zu müssen, als der nachtheilige Eindruck, den ein schlechter Erfolg auf meine Geliebte machen würde. Denn bei den Weibern hat der Überwundene gegen den Sieger immer Unrecht.

Aber diesmal fiel es anders aus: meine Niederlage war der glücklichste Umstand, der mir begegnen konnte. Glycera urtheilte ganz anders als unsere Kampfrichter. Mein Stück hatte einige Thränen in ihre schönen Augen gelockt; sie gab ihm in allem den Vorzug vor dem gekrönten, fand den Ausspruch der Richter ungerecht und geschmackwidrig, und sagte so laut, daß es hören konnte wer wollte: sie gehe, Menandern den schönsten Kranz zu binden, der jemals aus ihren Händen gekommen sei. Die Pflicht, ihr für einen so unverhofften Beifall zu danken, gab nun meinem Besuch den schicklichsten Vorwand. Ich wurde sehr wohl aufgenommen, und aus dem eignen Munde der schönen Glycera mit der Versicherung überrascht, daß sie mehr als Eine meiner Komödien auswendig wisse. Ihr ganzes Gesicht überzog sich mit der reizendsten Schamröthe, indem sie dies sagte. Was konnt' ich da weniger thun, als ein so schmeichelhaftes Geständniß zu erwiedern, indem ich ihr dagegen bekannte, welche Wirkung ihr bloßes Bildniß auf mein Herz gemacht, und dies zu einer Zeit, da ich keine Hoffnung hatte, sie jemals selbst zu sehen? Die Freude, die sie mich hierüber ohne alle Zurückhaltung sehen ließ, verbreitete ein so zauberisches Lächeln über ihr liebliches Gesicht, daß jeder Rest von Weisheit, den mir die Liebe noch gelassen haben mochte, wie Schnee im Sonnenstral darin zerrann. Sie war nun in meinen Augen das liebenswürdigste aller Wesen, und ich, von ihr geliebt, der glückseligste aller Sterblichen.

Von dieser Zeit an ward ich als der Freund vom Hause betrachtet; es stand mir zu allen schicklichen Stunden offen, und ich brachte gewöhnlich in jeder Dekade drei oder viermal den ganzen Abend bei Glycerion zu. Die Mutter schien Anfangs kein sonderliches Wohlgefallen an dieser Vertraulichkeit zu haben; ein Hausfreund, wie Xanthippides, wäre ihr besser angestanden, als ein Komödiendichter, der, nach seinem schlichten Aufzug zu urtheilen, eben kein Günstling des Plutus zu sein schien. Aber Glycerion hat durch ihre liebkosende Zärtlichkeit und die Vortheile, die das Hauswesen von ihrer Geschicklichkeit zieht, eine Art von sanfter Herrschaft über die Mutter erlangt, welcher diese nie lange widerstehen kann. Auch wirst du leicht erachten, daß ich es an meinem Theil nicht fehlen ließ, mir die Alte sowohl als die Schwestern immer gewogener zu machen. Das einfachste Mittel war, daß ich mich in einer geheimen Unterredung mit der Mutter anheischig machte, ihre Glycerion nie zu verlassen, und die Hälfte meines (wie du weißt) nicht unbeträchtlichen Einkommens zu ihrer Wirthschaft beizutragen. Mehr brauchte es nicht, sie über das Verschwinden ihrer anfangs zu hoch gespannten Hoffnungen zu trösten, und mit ihrem Loose so zufrieden zu machen, als sie in der That Ursache hat es zu sein.

Seit dieser Zeit sind die Stunden, die ich in dieser kleinen Familie zubringe, die angenehmsten meines Lebens. Glycera hat zwei ältere und eine jüngere Schwester. Die älteste, Myrto genannt, beschickt mit einer einzigen Sklavin das Hauswesen und die Küche; die zweite ist eine Kunstweberin, die es mit Arachnen, ja, wofern man so reden dürfte, mit Minerven selbst aufnehmen könnte; und Melissa, oder (wie man zu Athen spricht) Melitta, die jüngste, ein niedliches, gewandtes kleines Ding, geht der schönen Glycerion in ihrer Kunst an die Hand. Praxilla (so nennt sich die Mutter) scheint zu ihrer Zeit sehr schön gewesen zu sein, und das Bewußtsein davon so wenig verloren zu haben, daß sie sich noch immer gern etwas schmeichelhaftes darüber sagen läßt. Sie spielt das Barbiton mit vieler Geschicklichkeit, und, da Glycerion und Melitta überaus anmuthige Stimmen haben, und ich selbst ehmals von dem berühmten Antigenidas die Flöte spielen lernte: so dienen auch diese Zweige der Musenkunst, dem Vergnügen, das ich in diesem weiblichen Hauskreise finde, mehr Abwechslung zu geben. Meine Muse befindet sich sehr wohl bei dieser Lebensart, und ich mache mir gute Hoffnung, daß es mir an den nächsten großen Dionysien gelingen werde, einen wohl verdienten Sieg über den launischen und willkührlichen Geschmack unsrer Athener zu erringen.


 << zurück weiter >>